Vorhofflimmern
Vorhofflimmern bedeutet flimmernde Bewegungen der Vorhofmuskulatur des Herzens ohne wirksame Kontraktionen. Es ist häufige Ursache eines Schlaganfalls. Vorhofflimmern ist Ursache einer absoluten Arrhythmie und die häufigste Form einer supraventrikulären Tachyarrhythmie.
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Inhaltsverzeichnis
Epidemiologie
Die Prävalenz beträgt etwa 0,4%, über 60 Jahren bis zu 4%.
Einteilung
Nach Ätiologie
- Primär = idiopathisch
- Sekundär:
- Kardial bedingt: (KHK, Mitrialvitium, gedehnte Vorhöfe (> 5cm), Linksherzinsuffizienz, Kardiomyopathien, Myokarditis, Sick-Sinus-Syndrom)
- Extrakardial bedingt: Hypertonie, Hyperthyreose, Elektrolytstörungen, Fieber, medikamentös, toxisch
Nach zeitlichem Auftreten
- Paroxysmal: spontaner Anfang und spontane Terminierung innerhalb von 48h
- Persistierend: ständig, aber kardiovertierbar
- Permanent: ständig, nicht mehr kardiovertierbar
Nach therapeutischer Konsequenz (s. u.) (1)N Engl J Med 2022; 387:1036-1038
DOI: 10.1056/NEJMe2210187
- Bedingt durch eine Mitralstenose (valvular atrial fibrillation)
- Nicht klappenbedingt (nonvalvular atrial fibrillation)
Entstehung
Pathologische Mikro-Reentry-Mechanismen
sorgen für eine ständige, kreisende Erregungsausbreitung in den Vorhöfen, deren Frequenz zwischen 300 und 600/min liegt. Ausgelöst werden die kreisenden Erregungen meist durch sekundäre elektrische Impulsgeber, die nahe den Einmündungen der Pulmonalvenen in den linken Vorhof lokalisiert sind. Ihre Erregungen von der restlichen Vorhofmuskulatur abzukoppeln ist ein therapeutisches Ziel, welches mit der Methode der Pulmonalvenenisolation verfolgt wird.
Entzündungen im Körper als Auslöser
Entzündungen spielen eine bedeutende Rolle bei der Entstehung eines Vorhofflimmerns. Eine Entzündung bewirkt über entzündungsfördernde Zytokine einen elektrischen und strukturellen Umbau der Vorhöfe. Dies verstärkt das AF-Risiko, was im Teufelskreis zur Aufrechterhaltung von AF und einer Verstärkung der Entzündung führt. Ein frühzeitiges Durchbrechen dieses Teufelskreises ist daher ein entscheidender therapeutischer Ansatz. (2)Front Physiol. 2022 Apr 14;13:862164. DOI: 10.3389/fphys.2022.862164.
Eine Dysbiose der Darmmikrobiota fördert das häufige altersbedingte Vorhofflimmern. Sie kann über Lipopolysaccharide das Entzündungssystem des Körpers (Inflammasom) aktivieren. Dies wurde an Versuchstieren festgestellt. Eine Hemmung des Inflammasoms durch einen potenten und selektiven Inhibitor führte zu einer geringeren atrialen Fibrose und Empfänglichkeit für Vorhofflimmern. (3)Cardiovasc Res. 2022 Feb 21;118(3):785-797. DOI: 10.1093/cvr/cvab114
Folgen
Absolute Arrhythmie und Herzinsuffizienz
Durch Vorhofflimmern und dadurch bedingte andauernde absolute Tachyarrhythmie kann eine Schwächung der Herzmuskulatur (Kardiomyopathie) eintreten mit der Folge einer Herzinsuffizienz. Das Herzzeitvolumen nimmt durch die Bewegungsstörung der Vorhöfe um ca. 20% ab (atriale Insuffizienz). Damit wird Vorhofflimmern bei körperlicher Belastung frühzeitig symptomatisch.
Absolute Arrhythmie und Schlaganfallrisiko
Vorhofflimmern prädisponiert zur Bildung von Vorhofthromben (Blutgerinnsel besonders im linken Herzohr). Wenn Thrombenteile abreißen und mit dem Blut mitschwimmen, kommt es in der Peripherie zu Embolien. Lebensbedrohlich kann die Hirnembolie (mit der Folge eines Schlaganfalls) sein.
Symptomatik
Manchmal wird Herzstolpern (Palpitationen) verspürt; die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt. Als Komplikationen werden arterielle Embolien (u. a. Schlaganfall, Milzinfarkt, Niereninfarkt, akute Darmischämie) gefürchtet, weshalb bei gefährdeten Menschen (z. B. bei Herzinsuffizienz, in fortgeschrittenem Alter etc.) in der Regel eine strenge Antikoagulation (z. B. mit Marcumar, Falithrom oder Heparinen) durchgeführt wird.
Vielfach wird eine kurze Phase eines Vorhofflimmerns kaum oder nicht gespürt; sie kann dennoch zu Komplikationen wie zu einem Schlaganfall oder einer transitorisch-ischämischen Attacke (TIA) führen, die bezüglich der Symptomatik dann ganz im Vordergrund stehen.
Diagnostik
- EKG und Langzeit-EKG: Nachweis des Vorhofflimmerns. Im Fall einer kryptogenen (ursächlich ungeklärten) cerebralen Ischämie (Schlaganfall oder transitorisch-ischämische Attacke (TIA) ohne erkennbare Ursache muss nach Studienlage in vielen Fällen von einem Vorhofflimmern ausgegangen werden, die sich jedoch nur in einem Langzeitmonitoring (z. B. über 30 Tage) oder über einen implantierbaren Loop-Rekorder (s.u.) nachweisen lässt (siehe hier). Wenn kein Loop-Rekorder zur Verfügung steht oder gewünscht wird, können sich alleine schon intermittierende EKG-Kontrollen bzgl. der Komplikationsraten günstig auswirken. In einer Studie wurden bei einer Teilgruppe intermittierende Elektrokardiogramme (EKGs) für 14 Tage durchgeführt, bei der eine erkannte absolute Arrhythmie anschließend mit Gerinnungshemmern behandelt wurde. Nach einer mittleren Beobachtungszeit von 6,9 Jahren wurden bei ihnen 4,5 Komplikationen pro 100 Jahre festgestellt – in der Kontrollgruppe (ohne solche EKG-Überprüfungen) dagegen 5,68. (4)Lancet Volume 398, ISSUE 10310, P1498-1506, October 23, 2021
- Echokardiographie: u. a. Größe des linken Vorhofs? Ggf. weitere kardiale Diagnostik
- Laborwerte: z. B. Entzündungsparameter; TSH (Thyreoidea stimulierendes Hormon) und fT3: latente oder manifeste Hyperthyreose? Auch eine latente Hyperthyreose ist mit einem erhöhten Risiko eines Vorhofflimmerns assoziiert und sollte bei behandelt werden. (5)MMW Fortschr Med. 2006 Jun 8;148(23):4-6. German. PMID: 16826726. (6)Circulation. 2017 Nov 28;136(22):2100-2116. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.117.028753. Epub 2017 Oct … Continue reading
- Herzecho: Untersuchung der Herzklappen (z. B.: Mitralklappenstenose? Mitralklappeninsuffizienz?) und der Vorhofgröße (bzgl. Chance einer Rhythmisierung).
- Langzeitmonitoring über 30 Tage: Bei einem Schlaganfall oder einer transitorisch ischämischen Attacke (TIA), deren Ursache nach eingehender konventioneller Diagnostik im Dunkeln geblieben ist, kann in über 10% der Fälle mit Hilfe eines Langzeitmonitoring über 30 Tage ein intermittierendes Vorhofflimmern festgestellt werden, das dem EKG und dem 24- oder 48-Stunden-Langzeit-EKG entgangen ist (siehe hier).
- Implantierbare „Loop-Rekorder“: Heute werden subkutan implantierbare Monitore eingesetzt, die EKG-Auffälligkeiten an eine Auswertestation senden. Solche implantierbaren Monitore haben eine hohe Trefferquote besonders bei älteren Menschen. Sie werden zur Rhythmusdiagnostik bei unklarer Bewusstlosigkeit und ungeklärtem Schlaganfall empfohlen (7)PLoS One. 2013 Aug 15;8(8):e71544. doi: 10.1371/journal.pone.0071544. (8)J Arrhythm. 2017 Dec;33(6):579-582. doi: 10.1016/j.joa.2017.03.006. (9)J Atr Fibrillation. 2017 Feb 28;9(5):1551. doi: 10.4022/jafib.1551. In einer Studie wurden bemerkenswert viele Personen mit Komplikationen von Vorhofflimmern entdeckt: 477/1501 (31,8%), in der Kontrollgruppe nur 550/4503 (12,2%). Bei Vorhofflimmern wurden Gerinnungshemmer empfohlen. Die Schlaganfallhäufigkeit lag in der Loop-Gruppe mit 4,5% um 20% niedriger als in der Kontrollgruppe (5,6%). (10)The Lancet Volume 398, ISSUE 10310, P1507-1516, October 23, 2021 … Continue reading
Therapie
- Rhythmisierung (wenn Voraussetzungen und Erfolgschance gegeben: u. a. Vorhofgröße unter 5,5 cm, Dauer der absoluten Arrhythmie nicht länger als 6 Monate)
- elektrische Kardioversion: Rhythmisierung durch Elektroschock,
- medikamentöse Kardioversion mit Antiarrhythmika (z. B. Flecainid, Propafenon, Amiodaron, Dronedaron, Chinidin, Betablocker, Ajmalin, Ranolazin). Die medikamentöse Therapie ist besonders bei intermittierendem Vorhofflimmern sowie zur Rhythmusstabilisierung nach Elektrokonversion erfolgreich. Eine Kombination von z. B. Amiodaron mit Ranolazin scheint besonders erfolgversprechend zu sein.
- Pulmonalvenenisolierung: Isolierung sekundärer Erregungszentren, die immer wieder Vorhofflimmern auslösen können.
- Ursachenbehandlung, beispielsweise
- Therapie einer Hyperthyreose, u. U. auch schon einer latenten Hyperthyreose,
- Therapie einer koronaren Herzkrankheit,
- Behandlung der Hypertonie,
- ggf. Katheterablation,
- symptomatische Therapie (z. B. Dämpfung bei Aufregung und Stress, Therapie einer Angina pectoris),
- Antikoagulation zur Vorbeugung arterieller Embolien. Vitamin-K-Antagonisten (Coumarin, Phenprocoumon) werden heute weitgehend durch neue direkt wirkende orale Antikoagulanzien (DOACs) abgelöst, die eine etwas bessere prophylaktische Wirksamkeit und geringere Raten an großen Blutungskomplikationen aufweisen und zudem nicht kontrolliert werden müssen (siehe hier). Allerdings sind bei klappenbedingtem Vorhofflimmern (rheumatische Mitralstenose) Vitamin-K-Antagonisten günstiger. (11)N Engl J Med. 2022 Sep 15;387(11):978-988. doi: 10.1056/NEJMoa2209051
- Eine Katheterablation an den Pulmonalvenen kann neues Vorhofflimmern beenden und einem Neuauftreten vorbeugen (s. u.).
Katheterablation
Eine Herzinsuffizienz (NYHA II, III, IV) erhöht die Mortalität (das Risiko zu sterben), insbesondere bei Vorliegen von Vorhofflimmern. Eine Studie besagt, dass eine Rhythmisierung durch Katheterablation zu einer deutlichen Senkung der Mortalität bei Patienten mit einer Auswurffraktion (Ejektionsfraktion, EF) von unter 35% innerhalb der mittleren Beobachtungszeit von 37,8 Monaten führt, nämlich von 25% auf 13,4%. (12)N Engl J Med 2018; 378:417-427 DOI: 10.1056/NEJMoa1707855
Neu aufgetretenes Vorhofflimmern
Neu aufgetretenes Vorhofflimmern erfordert sofortige diagnostische und therapeutische Maßnahmen.
- Anamnese: Zunächst muss gefragt werden, ob es sich um ein schon einmal oder mehrfach eingetretenes Ereignis ist (paroxysmales Vorhofflimmern, oft keine besondere Therapie erforderlich) oder das erste Ereignis darstellt. In diesem Fall müssen Auslöser gesucht werden: so u. a.
- Hyperthyreose?
- Alkohol als Ursache einer toxischen Kardiomyopathie (Alkoholexzess im Urlaub: „Holiday-Heart-Syndrom“)?
- Ischämische Ursache?
- Herzklappenerkrankung?
- Elektrolytstörung?
- Medikamente mit arrhythmogenem Potential (z. B. Theophyllin, Diuretika (über Elektrolytstörungen)?
- Hypertone Krise?)
- Medikamente: kardiotoxische Medikamente? Diuretika? Antiarrhythmika mit intrinsischem arrhythmogenem Potential?
- Diagnostische Maßnahmen:
- Ein Speicher-EKG gibt Auskunft über paroxysmale Episoden.
- Das Echokardiogramm ist notwendig zum Nachweis einiger kardialer Ursachen (z. B. von Herzklappenerkrankungen) und zur Ausmessung der Größe des linken Vorhofs, die etwas über die Chance einer Kardioversion aussagt (über 5,5 cm ist die Rate eines dauerhaften Erfolgs gering).
- Laborwerte (insbesondere Elektrolyte, Nierenwerte, TSH und fT3, Leberwerte).
- Therapeutisch:
- Rhythmisierung: Der Versuch einer medikamentösen oder elektrischen Kardioversion (Überführung in den Sinusrhythmus) sollte gemacht werden, wenn die absolute Arrhythmie zu klinischen Symptomen führt (z. B. erheblicher Abfall der Leistungsfähigkeit, Luftnot bei geringer Belastung, subjektiv unangenehme Sensationen) und die Erfolgsaussicht gut ist (u. a. Vorhofgröße nicht über 5,5 cm, Dauer der absoluten Arrhythmie nicht länger als 6 Monate).
- Korrektur einer metabolischen Störung: Sie sollte vor einem Rhythmisierungsversuch abgewartet werden: Behandlung einer Hyperthyreose, Ausgleich der Elektrolyte, Behandlung einer Urämie, Einstellung eines Hypertonus etc.
Eine frühzeitige Rhythmuskontrolle durch Kardioversion soll eine atriale Umordnung der Muskelzellverläufe (Remodeling) verhindern und einen günstigen Langzeiteffekt bezüglich des Erhalts eines Sinusrhythmus haben. (13)Nat Rev Cardiol. 2021 Mar;18(3):210-225. DOI: 10.1038/s41569-020-00451-x.
Zur Rezidivprophylaxe können bei Ausschluss einer strukturellen Herzkrankheit Flecainid oder Propafenon verwendet werden (cave: proarrhythmogene Potenz). Bei struktureller Herzkrankheit als Ursache kommt beispielsweise Amiodaron (cave: Hyperthyreose, Linsentrübung) in Betracht (dazu siehe hier).
Perspektive: Neue Medikamente, die auf Ryanodin-Rezeptor Typ-2 (RyR2) Kanäle und atrial-selektive K+-Ströme (IK2P und ISK) gerichtet sind, erweitern möglicherweise in Zukunft das Spektrum der Therapiemöglichkeiten. (14)Int J Mol Sci. 2022 Apr 7;23(8):4096. DOI: 10.3390/ijms23084096.
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Verweise
Patienteninfos
Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).
Literatur
↑1 | N Engl J Med 2022; 387:1036-1038 DOI: 10.1056/NEJMe2210187 |
---|---|
↑2 | Front Physiol. 2022 Apr 14;13:862164. DOI: 10.3389/fphys.2022.862164. |
↑3 | Cardiovasc Res. 2022 Feb 21;118(3):785-797. DOI: 10.1093/cvr/cvab114 |
↑4 | Lancet Volume 398, ISSUE 10310, P1498-1506, October 23, 2021 |
↑5 | MMW Fortschr Med. 2006 Jun 8;148(23):4-6. German. PMID: 16826726. |
↑6 | Circulation. 2017 Nov 28;136(22):2100-2116. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.117.028753. Epub 2017 Oct 23. PMID: 29061566; PMCID: PMC5705446. |
↑7 | PLoS One. 2013 Aug 15;8(8):e71544. doi: 10.1371/journal.pone.0071544. |
↑8 | J Arrhythm. 2017 Dec;33(6):579-582. doi: 10.1016/j.joa.2017.03.006. |
↑9 | J Atr Fibrillation. 2017 Feb 28;9(5):1551. doi: 10.4022/jafib.1551 |
↑10 | The Lancet Volume 398, ISSUE 10310, P1507-1516, October 23, 2021 DOI:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01698-6 |
↑11 | N Engl J Med. 2022 Sep 15;387(11):978-988. doi: 10.1056/NEJMoa2209051 |
↑12 | N Engl J Med 2018; 378:417-427 DOI: 10.1056/NEJMoa1707855 |
↑13 | Nat Rev Cardiol. 2021 Mar;18(3):210-225. DOI: 10.1038/s41569-020-00451-x. |
↑14 | Int J Mol Sci. 2022 Apr 7;23(8):4096. DOI: 10.3390/ijms23084096. |