Rettung von Hirngewebe


Die Therapie eines Schlaganfalls mit behindernden neurologischen Ausfällen sollte in einer Strokeunit erfolgen und hat die Rettung von möglichst viel funktionellem Hirnhirngewebe zum Ziel. Sie beinhaltet eine Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen, eine adäquate Blutdruckeinstellung und interventionelle und medikamentöse Maßnahmen zur Verbesserung der Durchblutung der betroffenen Gehirnbezirke sowie die Einleitung vorbeugender Maßnahmen zur Senkung des häufig bestehenden hohen Rezidivrisikos.

Stroke Unit

Die Therapie eines akuten Schlaganfalls, bei dem neurologische Ausfälle zu einer Behinderung führen, und bei der interventionelle Maßnahmen infrage kommen, erfolgt in einer spezialisierten interdisziplinären Überwachungseinheit, der sog. Stroke Unit. Dort sind die Möglichkeiten zur Überwachung der Vitalparameter (Herz, Kreislauf, Atmung) und der Gerinnungsparameter in engen Zeitabständen optimiert. Neben der ärztlichen und pflegerischen Behandlung werden die Patienten auch durch Logopäden und Physiotherapeuten und bei Bedarf durch Sozialarbeiter betreut. Neben der Behandlung des Schlaganfalls müssen auch die assoziierten Erkrankungen berücksichtigt werden. Ein erhöhtes Risiko besteht für Thromboembolie, Pneumonie, Harnwegsinfekt, Dekubitus, Frakturen (z. B. durch Sturz aus dem Bett) etc.

Blutdruckeinstellung

Die Blutdruckwerte sollten bei vorbestehender Hypertonie und aktuellen Werten unter 180 mm Hg nicht medikamentös gesenkt werden. Bei bisher nicht vorhandener Hypertonie können Werte bis 160 (-180) mm Hg toleriert werden.

Thrombolyse

Medikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln: Beim ischämischen Hirninfarkt wird seit vielen Jahren eine systemische Thrombolyse, z. B. mit rt-PA (Alteplase ®), einem rekombinanten Gewebsplasminogenaktivator, als erste Therapieoption empfohlen (1)Continuum (Minneap Minn). 2020 Apr;26(2):268-286. DOI: 10.1212/CON.0000000000000840.. Höheres Alter, Diabetes und Vorhofflimmern bedeuten eine schlechtere Prognose bezüglich des funktionellen Erfolges einer intravenösen Thrombolyse. (2)Int J Gen Med. 2022 Mar 25;15:3363-3373. DOI: 10.2147/IJGM.S362116.

Das therapeutische Fenster, in dem eine Thrombolyse wirksam ist, sind die ersten 3 Stunden nach Beginn der Schlaganfall-Symptomatik. Es können jedoch auch bis zu 4,5 Stunden nach Symptombeginn noch Verbesserungen des Outcomes erzielt werden (3)Lancet. 2008 Oct 11;372(9646):1303-9 (4)Lancet Neurol. 2010 Sep;9(9):866-74 (5)N Engl J Med. 2008 Sep 25;359(13):1317-29. Beim Schlaganfall durch eine Basilaristhrombose kann das Zeitfenster für eine Lysetherapie bis auf 12 Stunden ausgedehnt werden. Unter Lysetherapie sollten die Blutdruckwerte 185/100 mm Hg nicht überschreiten.

Intravenöse Alteplase, ein rekombinanter Gewebe-Plasminogen-Aktivator (i.v. rtPA), erhöht innerhalb der ersten 3 Stunden die Wahrscheinlichkeit, dass sich das neurologische Defizit minimiert, um 39 % (vs. 26 % mit Placebo). (6)JAMA. 2021 Mar 16;325(11):1088-1098. DOI: 10.1001/jama.2020.26867.

Blutungsrisiko: Unter Lysetherapie ist mit einem erhöhten Blutungsrisiko zu rechnen, insbesondere wenn gleichzeitig ASS (Aspirin) verabreicht wird.

Kraniektomie

Beim ausgedehnten Kleinhirninfarkt kommt es u. U. zu einer Hirndrucksteigerung mit der Gefahr einer Herniation und Einklemmung von Hirnteilen, die lebensbedrohlich sein können. Eine rechtzeitige Entscheidung zu einer Kraniektomie kann diese Gefahr vermindern. Wegen der unsicheren Prognose bezüglich bleibender neurologischer Ausfälle und psychischer Veränderungen sollten enge Angehörige wegen des mutmaßlichen Willens des Patienten einzu bezogen werden. (7)Crit Care. 2019 Jun 7;23(1):209. DOI: 10.1186/s13054-019-2490-x.

Training, Übungsbehandlung

Die Rehabilitation nach einem Schlaganfall erfordert anhaltende und koordinierte Anstrengungen von vielen. Von zentraler Bedeutung ist die Kenntnis der Ziele des Patienten und seiner Familie. Eingebunden werden Erkenntnisse und Erfahrungen von Betreuungspersonen (z. B. Pflegepersonal), Ärzten, Krankenschwestern, Psychologen, Ergotherapeuten, Sprachtherapeuten, Diätassistentinnen und Sozialarbeiter. Alle diese Fachrichtungen sollten gut koordiniert agieren. (8)Lancet Neurol. 2020 Apr;19(4):348-360. doi: 10.1016/S1474-4422(19)30415-6 (9)Stroke. 2016 Jun;47(6):e98-e169. DOI: 10.1161/STR.0000000000000098.

Für eine optimale Übungstherapie ging man bisher von einer „post-stroke sensitive period“ aus. (10)Curr Neurol Neurosci Rep. 2019 Feb 20;19(3):13. doi: 10.1007/s11910-019-0927-x. Allerdings glaubt man auch, dass „der optimale Zeitpunkt für die Hirnreparatur eher im späteren als im früheren Stadium des Schlaganfalls zu liegen scheint.“ Selbst Jahre nach einem Schlaganfall lohnen noch alle Anstrengungen. “Lifelong brain plasticity makes it possible to be repaired years after stroke.” Das bedeutet für die Rehabilitation, dass ein später Beginn weniger erfolgreich sein wird als ein später, dass aber ein später Start immer noch Erfolge erzielen kann. (11)Progr Neurobiol, 2018; 163-164: 5-26 DOI https://doi.org/10.1016/j.pneurobio.2018.01.004 .

Multimodale Rehabilitationsprogramme zeigen selbst in einer späten Phase nach einem Schlaganfall eine positive Wirkung, vor allem wenn Rhythmus und Musik, soziale Interaktionen und herausfordernde Übungen eingebunden werden, und wenn sie von einem erfahrenen Ausbilder geleitet werden.  Die positiven Erfahrungen betreffen motorische, kognitive und emotionale Aspekte. (12)PLoS One. 2018 Sep 18;13(9):e0204215. doi: 10.1371/journal.pone.0204215.

Prophylaxe eines ischämischen Schlaganfalls

Das Risiko eines Schlaganfallrezidivs ist hoch. Selbst bei einer geringradigen Ischämie im Rahmen einer trasitorisch-ischämischen Attacke (TIA) ist das Risiko, in den nächsten 3 Monaten einen Schlaganfall zu erleiden, 7,5 % bis 17,4 %.

Zur Vorbeugung eines Schlaganfalls nach TIA oder nach vorangegangenem Insult (Sekundärprophylaxe) dienen folgende Maßnahmen:

  • Thrombozytenaggregationshemmer: sie sollten erst ab 24 Stunden nach Ende der Lysetherapie gegeben werden, ohne Thrombolyse sofort (z. B. ASS 100 – 300 mg). Bei einer kombinierten Behandlung mit ASS und Clopidogrel steigt das Blutungsrisiko; es wird nicht allgemein empfohlen.
  • Zur Vorbeugung eines Schlaganfalls bei Vorhofflimmern durch ein vom Herzen ausgehendes Gerinnsel kommt eine Gerinnungshemmung durch Warfarin oder (wenn ein zusätzlicher Risikofaktor vorliegt) ein neueres Antikoagulans (Dabigatran, Rivaroxaban oder Apixaban) in Betracht. Apixaban erwies sich in der AVERROES-Studie an Patienten, die Warfarin nicht nehmen konnten, dem Aspirin bezüglich Schlaganfallprophylaxe überlegen; in der ARISTOTLE-Studie erwies es sich dem Warfarin überlegen (13)Ann N Y Acad Sci. 2014 Nov;1329(1):93-106.
  • Die operative Endarteriektomie bei einer Karotisstenose von > 70% oder eine Angioplastie (mit Stenteinlage) eines gefährlichen Carotis-Plaques sind die effektivsten Maßnahmen zur Vorbeugung. In einer Nachverfolgung über 2 Jahre lag die kumulative Mortalität in der Gruppe mit einer endovaskulären Therapie bei 26% und 31% in der Kontrollgruppe mit herkömmlicher Nachbertreuung (14)N Engl J Med 2017; 376:1341-1349 April 6, 2017 DOI: 10.1056/NEJMoa1612136.
  • Eine diätetische Umstellung auf Mittelmeerkost verringert deutlich das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen, wie dem Schlaganfall (15)Am J Clin Nutr 2010;92:1189-96.

Folgende Behandlungsprinzipien werden als Leitlinie vorgeschlagen: (16)JAMA. 2021 Mar 16;325(11):1088-1098. DOI: 10.1001/jama.2020.26867.

  • Patienten, die einen leichten, nicht beeinträchtigenden Schlaganfall oder eine Hochrisiko-TIA erlitten haben, und keine schwere Carotisstenose oder Vorhofflimmern aufweisen, sollten innerhalb von 24 Stunden eine duale Thrombozytenaggregationshemmung mit Aspirin und Clopidogrel erhalten. Sie kann nach 3 Wochen in eine Monotherapie übergehen.
  • Patienten mit einer symptomatischen Stenose der hirnzuführenden Blutgefäße (Carotisplaques, Carotisstenose) sollten auf die Indikation einer operativen Revaskularisation geprüft werden.
  • Patienten mit einem Vorhofflimmern als Ursache sollten eine Antikoagulation erhalten.
  • Patienten mit behindernden neurologischen Ausfällen (Lähmungen) sollten eine Thrombenauflösung (Thrombolyse mit Alteplase) oder eine Karotisrevaskularisierung und Thrombozytenaggregationshemmung erhalten; Patienten mit Vorhofflimmern sollten eine Antikoagulation erhalten. Eine Thrombolyse verbessert den Ausgang um fast 40 % (vs. Placebo 26 %).

Vorbeugung bei gelegentlichem Vorhofflimmern

Studie: Zur Vorbeugung eines Schlaganfalls bei „subklinischem Vorhofflimmern“ können Aspirin oder Apixaban dienen. Eine Studie über 3 ½ Jahre an 40212 Patienten mit passagerem Vorhofflimmern der Länge 6 Minuten bis 24 Stunden zeigt die Nutzen und Risiken beider Optionen auf. Ein Schlaganfall oder eine systemische Embolie trat bei 55 Patienten der Apixabangruppe und bei 86 Patienten der Aspiringruppe auf (0,78 % und 1,24% pro Patientenjahr). Als Komplikation wurden Blutungen registriert: 1,71% und 0,94% pro Patientenjahr in der Apixaban- und der Aspiringruppe. Die Entscheidung wird wohl individuell zu treffen sein, wobei der Einstellung des Patienten besonderes Gewicht zukommt. (17)N Engl J Med. 2024 Jan 11;390(2):107-117. DOI: 10.1056/NEJMoa2310234.

Erfahrung im praktischen Alltag zur Sekundärprophylaxe

Die Analyse eines Einzelzentrums der Anwendung neuer Antikoagulanzien (Rivaroxaban, Dabigatran und Apixaban) zur sekundären Schlaganfallsprophylaxe bei nicht-valvulärem (nicht durch eine Klappenerkrankung bedingten) Vorhofflimmern (sekundär bedeutet: Schlaganfall bei Vorhofflimmern bereits erlitten, danach Prophylaxe zur Vermeidung eines erneuten Schlaganfalls) ergab bei 311 Patienten zwischen 41 und 85 Jahren mit Therapiebeginn am 3. bis 9. Tag nach Schlaganfall innerhalb einer Beobachtungszeit von 12 bis 24 Monaten

      • bei 6 Patienten (1,92 %) einen ischämischen Schlaganfall und
      • bei 3 Patienten (0,96 %) eine transitorisch ischämische Attacke (TIA).

Als Komplikationen traten auf

      • bei 29 Patienten (9,32 % eine Blutung, von denen 3 (0,96 %) größer waren: eine Blutung war intrazerebral, eine im Unrogenitaltrakt und eine im Genitaltrakt.

Daraus wird die Beurteilung abgeleitet, dass die neuen Antikoagulanzien in einem „real-world clinical setting“ (unter Praxisbedingungen) hocheffektiv wirken und ein akzeptables Sicherheitsprofil aufweisen (18)Int Angiol. 2015 Dec;34(6):552-61.

Hämorrhagischer Schlaganfall

Die wesentlichen Maßnahmen betreffen Absetzen einer oralen Antikoagulation (die bei etwa 10% der Fälle die Ursache darstellt) und ggf. Anheben der Gerinnbarkeit mit Gerinnungsfaktoren (z. B. FFP), Senkung des mittleren arteriellen Blutdrucks auf unter 130 mm Hg, Thromboseprophylaxe mit Heparinen und bei Indikation chirurgische Entlastungsoperation. Die Maßnahmen müssen individuell gewählt werden.

Hämorrhagischer nach ischämischem Schlaganfall

In einen ischämischen Hirnbezirkt kann es einbluten, so dass sekundär eine intrazerebrale Hämorrhagie entsteht. Im solch einem Fall eines sekundär hämorrhagischen Schlaganfalls steht zur Diskussion, ob eine Behandlung mit Aspirin, Clopidogrel o. ä. (Thrombozytenaggregationshemmung) zur Vorbeugung eines erneuten Ereignisses indiziert werden sollte. Es sind zwei widersprüchliche Prinzipien bei der Abwägung zu berücksichtigen: die Vermeidung einer neuerlichen Blutung und die Vermeidung einer Thrombozytenaggregation an arteriosklerotischen Plaques und damit einer neuerlichen Ischämie. Eine Studie besagt, dass nach Ausheilung der Blutung der neuerliche Beginn einer Plättchenhemmung statistisch weniger riskant ist, als ein Verzicht auf sie. (19)The Lancet 2019 Volume 393, ISSUE 10191, P2613-2623, … Continue reading

Medikamentöse Neuroprotektion

Es wird nach Medikamenten gesucht, die neuroprotektiv wirken, also den Verlust von Nervenzellen beim Schlaganfall minimieren. Eine solche Substanz scheint Pregabalin zu sein, das im fokal-ischämischen Schlaganfallmodell der Maus (erzielt durch arterielle Okklusion-Reperfusion) das Infarktvolumen reduziert (20)Neurobiol Dis. 2011 Mar;41(3):624-9.

Ein Analogon des aktivierten Protein C (APC), das als 3K3A-APC bezeichnet wird, wird wegen seiner außergewöhnlichen neuroprotektiven Eigenschaften intensiv untersucht: im Gegensatz zu APC besitzt es keine wesentlichen blutungsfördernden Eigenschaften mehr, hat aber die zytoprotektiven Eigenschaften des APC behalten; es fördert zudem die Nervenregeneration (21)Nat Med. 2016 Sep;22(9):1050-5. doi: 10.1038/nm.4154. . 3K3A-APC wird als eine mögliche Option zur Behandlung des Schlaganfalls angesehen (22)Curr Pharm Des. 2012;18(27):4215-22 (23)Brain Res. 2013 Apr 24;1507:97-104. doi: 10.1016/j.brainres.2013.02.023 (24)Thromb Res. 2016 May;141 Suppl 2:S62-4. doi: 10.1016/S0049-3848(16)30368-1. In einer Studie wird festgestellt, dass eine Behandlung mit 3K3A-APC tendenziell das Einblutungsrisiko vermindert. (25)Ann Neurol. 2019 Jan;85(1):125-136. doi: 10.1002/ana.25383.

Eine ähnlich heilungsfördernde Wirkung zeigt das Prinzip auch bei Rückenmarksverletzungen (26)PLoS One. 2017 Jan 25;12(1):e0170512. doi: 10.1371/journal.pone.0170512.

Untersuchungen zur Schlaganfallbehandlung durch neuroprotektive Medikamente werden als erfolgversprechend angesehen; Studien sind abzuwarten.


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.


Verweise

 

Literatur[+]