Allgemeines


Die leukozytoklastische Vaskulitis (auch als Überempfindlichkeitsangiitis bezeichnet, engl.: hypersensitivity angiitis) ist eine Entzündung kleinster Blutgefäße, speziell der Kapillaren und postkapillären Venolen. In der Regel ist sie an der Haut zu erkennen und wird als kutane leukozytoklastische Vaskulitis (CLV: cutaneous leukocytoclastic vasculitis) bezeichnet. Klinisch ist eine tastbare Purpura der Haut diagnoseweisend. (1)Intern Emerg Med. 2021;16:831–841.

Das Wichtigste verständlich

Kurzgefasst
Lokalisation: Das Endstromgebiet der arteriellen Blutversorgung besteht in immer kleiner werdenden Aufzweigungen bis hin zu Arteriolen und den dünnsten Gefäßen, den Kapillaren, die einen Stoffaustausch mit dem umliegenden Gewebe ermöglichen. Das Blut sammelt sich danach wieder in Venolen, die sich zu größeren Blutgefäßen, den Venen, vereinigen, die das Blut schließlich dem Herzen zuführen. Bei der leukozytoklastischen Vaskulitis sind insbesondere die Kapillaren und postkapillären Venolen entzündlich verändert. Häufig manifestiert sich die Erkrankung an der Haut (kutane Form; engl.: cutaneous leukocytoclastic angiitis (CLA)); sie kann aber auch innere Organe betreffen. In Fällen, in denen mehrere Organe beteiligt sind, kommt es häufig zu wiederholten Schüben (Rezidiven).

Beteiligung des Immunsystems: Die Entzündung entsteht durch einen Angriff von Abwehrzellen des Immunsystems auf die Wände dieser Blutgefäße, die vor allem die Hautgefäße betreffen. An den Gefäßwänden finden sich Ablagerungen von Eiweißkomplexen, die Abwehrkörper des Immunsystems enthalten (Immunglobulinkomplexe). Alle Immunglobulin-Typen können beteiligt sein.

Die IgA-Vaskulitis (Immunglobulin-A-Komplexe nachweisbar) ist eine leukozytoklastische Vaskulitis, die häufig im Kindesalter zu finden ist und viele Organe (meist Haut, Magendarmsystem, Gelenke, Nieren) einbeziehen kann.

Auslöser sind oft Medikamente, Virusinfekte, eine Tumorkrankheit (z. B. eine chronisch lymphatische Leukämie, CLL) oder eine immunologische Systemerkrankung (z. B. eine rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes). In den meisten Fällen bleibt die Ursache allerdings unbekannt (idiopathische Form).

Die Behandlung richtet sich im Wesentlichen auf die Eliminierung des jeweiligen Auslösers; in schwereren Fällen können Kortisonpräparate und Colchizin günstig wirken.


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Histologie

Bei der LCV handelt es sich um eine histologische Diagnose. Unter dem Mikroskop imponiert eine Schädigung der Gefäßwände von Kapillaren und Venolen mit einer Infiltration durch neutrophile Granulozyten. In diesen Leukozyten kommt es zu einer Fragmentierung der Kerne im Rahmen einer Apoptose. Es entwickeln sich fibrinoide Nekrosen, eine Schwellung der Endothelien und Extravasate von Blutzellen, die als Blutpunkte (Petechien) sichtbar werden. (2)Int J Dermatol. 2006 Jan; 45(1):3-13. (3)Eur J Dermatol. 2006 Mar-Apr; 16(2):114-24.

Ursachen

Die Erkrankung ist in der Mehrzahl der Fälle auf die Haut beschränkt und idiopathisch (ohne erkennbare Ursache). Sie kann aber auch als Folge oder im Zusammenhang mit einer anderen Erkrankungen entstehen (4)Medicine (Baltimore). 2016 Jul;95(28):e4238. doi: 10.1097/MD.0000000000004238..

Purpura Schönlein-Henoch

Zugrunde liegt eine Überempfindlichkeit (Hypersensitivität), beispielsweise gegen Medikamente, Serum oder Infektionserregern. Es lagern sich Immunkomplexe an der Gefäßwand ab. Häufig ist Immunglobulin A (IgA, in 36 %), seltener IgM (in 22 %) und IgG (in 11 %) daran beteiligt (5)Am J Dermatopathol. 2014 Sep;36(9):723-9. doi: 10.1097/DAD.0000000000000122.; es kann zu einer systemischen Verteilung  kommen, wie bei der Purpura Schönlein-Henoch. Seltener spielen ANCA eine Rolle (ANCA-assoziierte LCV).

In vielen Fällen ist die Vaskulitis idiopathisch: es können keine Ursachen gefunden werden. Es muss jedoch immer nach Auslösern und assoziierten Krankheiten gesucht werden. Zu ihnen gehören Erkrankungen des Bindegewebes (insbesondere Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis und Sjögren-Syndrom), bösartige Erkrankungen und am häufigsten Medikamente und Infektionen (17 % und 5 %) (6)Postepy Dermatol Alergol. 2017 Apr;34(2):104-109. doi: 10.5114/ada.2017.67071..

Häufige Assoziationen / Auslöser

  • Systemische Krankheiten: Unter den systemischen Krankheiten, die mit einer leukozytoklastischen Vaskulitis assoziiert waren, fanden sich die rheumatoide Arthritis, Sjögren-Syndrom, die Colitis ulcerosa, der Morbus Crohn und eine Kryoglobulinämie (7)Postepy Dermatol Alergol. 2017 Apr;34(2):104-109. doi: 10.5114/ada.2017.67071..
  • Tumorkrankheiten: Eine Vaskulitis dieser Art kann paraneoplastisch auftreten. So kann sie beispielsweise bei einer CLL (chronisch lymphatische Leukämie) auftreten (8)Clin Lymphoma Myeloma Leuk. 2011 Jun;11 Suppl 1:S14-6. doi: 10.1016/j.clml.2011.03.030. (9)G Ital Dermatol Venereol. 2018 Feb 26. doi: 10.23736/S0392-0488.18.05916-3. (10)Clin Lymphoma Myeloma Leuk. 2011 Jun;11 Suppl 1:S14-6. doi: 10.1016/j.clml.2011.03.030.. Auch andere Tumore sollten in Betracht gezogen werden. So wurde beispielsweise eine Assoziation mit einem Ovarialkarzinom (11)J Am Acad Dermatol. 1999 Feb;40(2 Pt 2):287-9., mit Nierenkrebs (12)Am J Med. 1993 Jan;94(1):104-8. und mit einem Plattenepithelkarzinom der Lunge (13)Angiology. 2001 Sep;52(9):641-4. berichtet.
  • Infektionskrankheit: Im Fall einer Assoziation mit einer Infektionskrankheit, so finden sich meist Viren als Auslöser, so beispielsweise HAV, HBV, HIV, Parvovirus B9 (14)Clin Dev Immunol. 2004 Sep-Dec;11(3-4):227-31. Aber auch andere Viren können Ursache sein, beispielsweise das Influenza-A-Virus (15)J Korean Med Sci. 2012 Dec;27(12):1601-3. doi: 10.3346/jkms.2012.27.12.1601.. Aber auch Bakterien sind als Auslöser möglich, wie gelegentlich bei einer Bakteriämie oder Sepsis.
  • Medikamente: Unter den Medikamenten, die eine leukozytoklastische Vaskulitis auslösen können, befinden sich sehr unterschiedliche chemische Verbindungen, so beispielsweise (Auswahl) Rituximab (16)J Dermatol. 2009 May; 36(5):284-7., Naproxen (17)Clin Rheumatol. 2000; 19(3):242-4., Infliximab (18)Inflamm Bowel Dis. 2011 Feb; 17(2):E4-5., Apixaban (19)J Allergy Clin Immunol Pract. 2018 Jan 19. pii: S2213-2198(17)31025-5. doi: … Continue reading, Ceftriaxon (20)Am J Ther. 2018 Mar/Apr;25(2):e281-e282. doi: 10.1097/MJT.0000000000000540., Vancomycin (21)Am J Case Rep. 2017 Sep 25;18:1024-1027. oder Tuberkulostatika (22)Tuberc Respir Dis (Seoul). 2017 Apr;80(2):210-211. doi: 10.4046/trd.2017.80.2.210..

Symptome

In der Mehrzahl der Fälle bleibt die Erkrankung auf die Haut beschränkt. Sie kann sich aber auch primär an einem anderen Organ oder multisystemisch in vielen Organen manifestieren und zu Symptomen führen.

Folgende Erkrankungen können in Einzelfällen auf eine leukozytoklastische Vaskulitis als ein pathogenetischer Faktor zurückgeführt werden:

  • Ein Megakolon (Darmerweiterung mit Bewegungsstörung) wurde in einem Fall auf eine isolierte leukozytoklastische Vaskulitis im Dickdarm zurückgeführt (23)Dis Colon Rectum. 2005 Jan;48(1):167-71..
  • Eine rasch progrediente Demenz wurde einer leukozytoklastischen Vaskulitis im Gehirn zugeschrieben, bestätigt durch eine stereotaktische Hirnbiopsie (24)BMJ Case Rep. 2011 Sep 28;2011. pii: bcr0820114619. doi: 10.1136/bcr.08.2011.4619.. Der Nachweis eines dabei auftretenden „posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndroms (PRES)“ gelingt durch Neuroimaging (z. B. durch ein zerebrales MRT) (25)J Neurol Sci. 2017 Feb 15;373:188-200. doi: 10.1016/j.jns.2016.12.007.. Klinisch imponieren wechselnde Symptome, wie Kopfschmerzen, Verwirrung, Sehstörungen, Krampfanfälle.
  • Eine multisystemische Vaskulitis mit Lungen-, Nieren-, Darm- und Hirnbeteiligung und entsprechend vielfältiger Symptomatik wurde bei einem 10-jährigen Kind beschrieben (26)Pediatr Neurol. 2005 Oct;33(4):289-91..

Folgende Symptome und Befunde In einer Zusammenstellung von 75 Fällen traten am häufigsten auf: palpable Purpura (64 %), Petechien und fleckförmige Purpura in (36 %), Hautbläschen (16 %), Geschwüre (9.3 %), subkutane Knötchen (2.7 %), Papen (6.6 %), Ödeme der Hände und Füße (1.3 %). Betroffen waren in 80% die unteren Extremitäten, der gesamte Körper in 10,6 % und Stamm plus untere Extremitäten in 5,3 % (27)Postepy Dermatol Alergol. 2017 Apr;34(2):104-109. doi: 10.5114/ada.2017.67071..

Diagnosestellung

Die Diagnostik beruht auf einer durch eine Hautbiopsie gewonnenen Histologie. Typisch sind ein entzündliches Infiltrat aus Neutrophilen mit Zerfall der Kerne in Fragmente und fibrinoider Nekrose („Leukozytoklasie“). Zur Diagnostik gehört die Suche nach möglichen Ursachen bzw. Auslösern (s. o.).

Behandlung

In etwa 90 % der Fälle löst sich das Krankheitsbild von selbst auf. Wegen eines günstigen Verlaufs ist eine aggressive Therapie daher häufig nicht erforderlich. Die Behandlung beruht auf der Behandlung der auslösenden Ursachen. Vitamin C und Vitamin E reduzieren den oxidativen Stress von Immunzellen (die Superoxidproduktion durch Neutrophile) und sollen heilungsfördernd sein. Wenn nekrotisierende Geschwürsbildungen drohen, sind Kortikosteroide indiziert. Bei Relapsen wird Kolchizin als Erstlinienbehandlung und danach Dapson empfohlen (28)J Dermatolog Treat. 2005;16(4):193-206. DOI: 10.1080/09546630500277971 (29)Am J Clin Dermatol. 2014 Aug;15(4):299-306. doi: 10.1007/s40257-014-0076-6. (30)Intern Emerg Med. 2021;16:831–841..

Prognose

Die Prognose ist nur mäßig gut. In einer Studie an 112 Patienten mit CLV kam es in 18% innerhalb von durchschnittlich 14 (1 – 40) Monaten zu Relapsen (Wiederauftreten), wobei Krankheiten, die sich nur an einem Organ manifestieren (z. B. der Haut) nicht wieder auftraten und damit die günstigste Prognose aufwiesen. Der Nachweis dagegen von Thrombosen in kleinen Gefäßen einer Hautbiopsie, einer peripheren Neuropathie oder einer Leberbeteiligung erwies sich als prognostisch ungünstig (31)Medicine (Baltimore). 2016 Jul;95(28):e4238. doi: 10.1097/MD.0000000000004238..

Verweise

Literatur[+]