Medikamenteninduzierte Hepatopathie
Artikel aktualisiert am 29. September 2023
Ein Medikamentenschaden der Leber (medikamenteninduzierte Hepatopathie; engl.: idiosyncratic drug-induced liver injury, DILI) ist eine verhältnismäßig häufige Nebenwirkung, die bei neu verordneten Medikamenten im Auge behalten werden muss. (1)Clin Med (Lond). 2016 Dec;16(Suppl 6):s104-s109. DOI: 10.7861/clinmedicine.16-6-s104 (2)Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931
→ Medikamente und Leberkrankheiten
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste verständlich
Kurzgefasst |
Unerwünschte Wirkungen (adverse Effekte) werden nicht nur von Umweltgiften, sondern auch von Medikamenten ausgelöst; die Mechanismen sind sehr ähnlich. Treten sie bei Medikamenten bei einer Dosierung in ihrem therapeutischen Bereich auf, wird von Nebenwirkungen gesprochen. Die Nebenwirkungen sind idiosynkratisch, d. h. typisch für eine Substanz oder eine ganze Substanzgruppe (Idiosynkrasie: Eigentümlichkeit). Die Leber ist relativ häufig betroffen. Tritt nach einem neu angesetzten Medikament eine Dunkelverfärbung des Urins bzw. eine Gelbverfärbung der Augen ein (Sklerenikterus), so ist an eine Medikamentennebenwirkung zu denken, die Leberwerte zu kontrollieren und das verdächtigte Medikament abzusetzen. Bessern sich die Werte, kann ein „Reexpositionsversuch“ in der Praxis den Verdacht bestätigen. Je nach Ausprägung kann ein schädigender Medikamenteneinfluss alle Funktionen der Leber bis hin zu einem völligen Leberausfall betreffen. Zumeist ist er jedoch gering und wird erst durch Bestimmung der Leberwerte und eine Erhöhung der Leberenzyme bemerkt. Zwei Mechanismen: Medikamente können über 2 Wege die Leber schädigen, nämlich über
Der direkt toxische Effekt tritt unmittelbar (akut) ohne wesentliche zeitliche Verzögerung ein und ist dosisabhängig (je mehr, desto stärker die Wirkung). Er löst sich mit Absetzen des Medikaments oder Entfernung der toxischen Substanz meist völlig auf. Der indirekte Effekt ist weitgehend dosisunabhängig und tritt erst verzögert nach einer Latenzzeit einiger Tage auf. Geringe und größere Mengen schädigen in etwa gleich stark. Er kann lange anhalten und ist bei chronischem Verlauf (über 6 Monate) eine mögliche Ursache einer Lebervernarbung (Leberfibrose und Leberzirrhose). Selbst geringgradige Leberwerterhöhungen nach einer neuen Medikation sind ernst zu nehmen. Therapeutisch können bei ausgewählten Patienten mit chronischer Leberwerterhöhung, die durch ein Medikament ausgelöst wurden, zusätzlich zum Absetzen des verdächtigten Arzneimittels N-Acetylcystein und Kortikosteroide, einen gewissen Nutzen bringen. |
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Allgemeines
Ein Medikamentenschaden der Leber führt zu einer Erhöhung der Leberwerte und kann einen Umbau mit Vernarbung des Lebergewebes bewirken. Meistens bleiben toxische Leberschäden lange Zeit unentdeckt. Sie machen sich lediglich durch eine Erhöhung der Leberwerte bemerkbar, wobei die Gamma-GT und die Transaminasen relativ sensibel reagieren.
Bei einer schwereren akuten Schädigung kann es in seltenen Fällen zu einer Gelbsucht und zu einem Leberversagen kommen. Bei einer chronischen Schädigung können narbige Veränderungen im Sinne einer Leberfibrose und eine Leberzirrhose entstehen. Ein chronischer Verlauf kann eine Autoimmunerkrankung der Leber imitieren und Ähnlichkeit mit einer „Venoocclusive disease“ aufweisen. (3)Clin Liver Dis. 2000 Feb;4(1):73-96, vi. DOI: 10.1016/s1089-3261(05)70097-0. PMID: 11232192
Praktisch jedes Medikament kann eine Leberschädigung hervorrufen. Es empfiehlt sich in vielen Fällen, nach Ansetzen einer neuen Medikation die Leberwerte zu kontrollieren. Die Behandlung besteht im Wesentlichen im Absetzen bzw. Umsetzen des verantwortlichen Medikaments.
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Ursachen und Entwicklung
Medikamente können prinzipiell auf mehreren Wegen die Leber schädigen: toxisch und über eine allergisch-hypererge Reaktion (idiosynkratisch); seltener findet sich eine Schädigung durch Stoffwechselprozesse. Eine schützende Rolle spielt die Autophagie, indem sie in Hepatozyten geschädigte Mitochondrien (Mitophagie) und andere störende Zellbestandteile und krankhafte veränderte Zellorganellen entfernt. (4)Food Chem Toxicol. 2020 Feb;136:111075. DOI: 10.1016/j.fct.2019.111075.
Einer häufige Leberschädigung durch Medikamente tritt beispielhaft bei der Behandlung der Tuberkulose auf, bei der es in 2% – 28% der Fälle zu einer Erhöhung der Leberwerte kommt. Risikofaktoren sind Langsamacetylierer und eine vorbestehende Leberkrankheit. Toxische Metaboliten werden für die Entstehung verantwortlich gemacht. (5)J Gastroenterol Hepatol. 2008 Feb;23(2):192-202. DOI: 10.1111/j.1440-1746.2007.05207.x
Auch pflanzliche Medikamente können hepatotoxisch sein und müssen bei einer neu aufgetretenen laborchemischen Leberschädigung als Ursache in Betracht gezogen werden. (6)Curr Drug Metab. 2019;20(4):275-282. DOI: 10.2174/1389200220666190325141422.
Toxisch (am häufigsten)
Die schädigende Wirkung auf die Leber ist vorhersagbar und ist dosisabhängig; sie tritt sofort ein. Es kommt zu einer direkten Schädigung der Hepatozyten (Nekrose oder Steatose, auch Cholestase) oder der duktalen Zellen der Gallenwege (Cholestase). Histologisch sind die Nekrosen meist zonenbetont.
Beispiele: viele Medikamente, ähnliches Bild bei Vergiftung mit Phosphor, Pilzgiften, Vinylchlorid
Idiosynkratisch (seltener)
In diesem Fall handelt es sich nicht um einen direkt schädigenden Einfluss eines Medikaments auf die Leber sondern um eine indirekte Schädigung. Die schädigende Wirkung auf die Leber ist nicht vorhersagbar, nicht dosisabhängig, jedoch abhängig von der Reaktion des Körpers. Der Mechanismus ist
- immunologisch (Hypersensitivität, Beginn nach 1-5 Wochen); histologisch meist diffuse oder multifokale Nekrosen, oft Hepatitis-ähnlich, Infiltrationen mit mononukleären Zellen, manchmal ausgeprägte Gewebseosinophilie (eosinophile Hepatitis, Beispiele: manche Medikamente, so z. B. Ajmalin)
- metabolisch (Beginn meist nach mehreren Tagen; Beispiel: bei lang anhaltendem Hunger wie beim Kwashiorkor).
Histologie
Bei akuter Schädigung finden sich histologisch folgende Veränderungen :
- azidophile Degeneration der Hepatozyten bei vielen Substanzen,
- zonale Nekrosen: periportal (Trinitrotoluol, einige Medikamente), mittzonal (Furosemid, sehr selten), perivenös (Tetrachlorkohlenstoff, Halotan, Paracetamol),
- Steatose (Leberverfettung) bei Phosphor, Alkohol, Methotrexat, Tetrazyklin (meist mikrovesikuläre Verfettung), Valproat,
- Cholestase bei Chlorpromazin, Kontrazeptiva, C17-alkylierte Anabolika,
- Gewebseosinophilie (Infiltrationen der Portalfelder mit eosinophilen Granulozyten), Beispiel: Ajmalin,
- Peliosis hepatis, thrombotische Zentralvenenverschlüsse (venoocclusive disease) und hepatische Venenthrombose bei Zytostatika, Kontrazeptiva bei chronischer Schädigung,
- chronische Hepatitis bei Oxyphenisatin, Methyldopa, Nitrofurantoin, Sulfonamide, Propylthiouracil,
- Fettleber durch Alkohol, Methotrexat, Glukokortikoide, Zytostatika,
- chronische intrahepatische Cholestase bei Ajmalin, Amitryptilin, Carbamacepin, Barbiturate, Chlorpromazin, Cimetidin, Haloperidol, Meprobamat, einige Steroidhormone, Phenytoin, Tolbutamid,
- Histologisches Bild ähnlich dem der PBC: Chlorpromazin, Haloperidol, Imipramin, Thiabendazol, Tolbutamid,
- Histologisches Bild ähnlich dem der PSC: intraarterielle Infusion von 5-Fu (5-Fluoruracil), Peliosis hepatis bei Azathioprin, Progesteronderivat, Vinylchlorid,
- Venoocclusive disease und hepatische Venenthrombose bei Einnahme von Kontrazeptiva, Zytostatika,
- granulomatöse Hepatitis bei vielen Medikamenten (z. B. Allopurinol, Acetylsalicylsäure, Carbamacepin, Diltiazem, Glibenclamid, Diazepam, Halotan, Kontrazeptiva, Oxazillin, Penizillin, Phenytoin, Ranitidin, Sulfasalazin, Sulfonamide u. v. a. m.).
Eine chronische Medikamenteneinnahme kann zu folgenden Veränderungen führen:
- Leberfibrose und Leberzirrhose (Beispiel: Methotrexat),
- Fettleber bzw. Fettleberhepatitis (viele Medikamente), bei Kindern Reye-Syndrom (ASS)
- Leberadenom bei Kontrazeptiva oder Anabolika
- Malignome (HCC, Angiosarkome) bei Anabolika, Kontrazeptiva, Thorotrast, CuSO4.
Diagnostik
Bei Erhöhung der Leberenzyme sind zunächst Leberkrankheiten, wie eine Hepatitis und eine Galleabflussstörung, auszuschließen. DILI ist eine Ausschlussdiagnose. Besteht ein zeitlicher Zusammenhang mit einem neu angesetzten Medikament, so sollte das verdächtigte Medikamente ab- oder umgesetzt werden. Bei Besserung kann gegebenenfalls ein Reexpositionsversuch durchgeführt werden, um Unsicherheiten auszuschließen (bei schwerer Leberschädigung ist dies meist nicht vertretbar). Wenn trotz Entfernung der angeschuldigten Auslöser die Leberwerterhöhung länger anhält, sollte eine histologische Untersuchung des Lebergewebes erfolgen.
Therapie
Sie richtet sich gegen die Ursachen der Schädigung und berücksichtigt die Folgen (symptomatische und vorbeugende Therapie). Wird eine Medikamentennebenwirkung angeschuldigt, so sollte das vermutlich auslösende Medikament in Zukunft vermieden werden. Es sollte geklärt werden, ob es sich bei der Nebenwirkung um ggf. um eine mögliche Nebenwirkung der Substanzklasse handeln kann. In Einzelfällen kann eine zusätzliche Medikation von Kortisonpräparaten (7)J Dig Dis. 2019 Mar;20(3):122-126. doi: 10.1111/1751-2980.12697. und von N-Acetylcystein (8)Br J Clin Pharmacol. 2016 Jun;81(6):1021-9. doi: 10.1111/bcp.12880. zu einer Besserung beitragen. (9)Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931 Patienten mit DILI, die eine fortschreitende Gelbsucht entwickeln, sollten in Leberzentren behandelt werden, die eine Anbindung an ein Zentrum für Lebertransplantation haben. (10)Am J Gastroenterol. 2021 May 1;116(5):878-898. doi: 10.14309/ajg.0000000000001259
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Verweise
- Granulomatöse Hepatitis
- Leber und Medikamente
- Medikamente bei Leberkrankheiten
- Medikamentenstoffwechsel
Patienteninfos
Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).
Literatur
↑1 | Clin Med (Lond). 2016 Dec;16(Suppl 6):s104-s109. DOI: 10.7861/clinmedicine.16-6-s104 |
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↑2 | Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931 |
↑3 | Clin Liver Dis. 2000 Feb;4(1):73-96, vi. DOI: 10.1016/s1089-3261(05)70097-0. PMID: 11232192 |
↑4 | Food Chem Toxicol. 2020 Feb;136:111075. DOI: 10.1016/j.fct.2019.111075. |
↑5 | J Gastroenterol Hepatol. 2008 Feb;23(2):192-202. DOI: 10.1111/j.1440-1746.2007.05207.x |
↑6 | Curr Drug Metab. 2019;20(4):275-282. DOI: 10.2174/1389200220666190325141422. |
↑7 | J Dig Dis. 2019 Mar;20(3):122-126. doi: 10.1111/1751-2980.12697. |
↑8 | Br J Clin Pharmacol. 2016 Jun;81(6):1021-9. doi: 10.1111/bcp.12880. |
↑9 | Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931 |
↑10 | Am J Gastroenterol. 2021 May 1;116(5):878-898. doi: 10.14309/ajg.0000000000001259 |