Medikamenteninduzierte Hepatopathie

Von Fachärzten geschrieben und wissenschaftlich überprüft.

Ein Medikamentenschaden der Leber (medikamenteninduzierte Hepatopathie; engl.: drug induced hepatotoxicity) ist eine verhältnismäßig häufige Nebenwirkung, die bei neu verordneten Medikamenten im Auge behalten werden muss.

→ Siehe auch: Medikamente und Leberkrankheiten


Das Wichtigste verständlich

Kurzgefasst
Medikamente können unerwünschte Nebenwirkungen (adverse Effekte) haben. Relativ häufig ist die Leber betroffen. Tritt nach einem neu angesetzten Medikament eine Dunkelverfärbung des Urins bzw. eine Gelbverfärbung der Augen ein (Sklerenikterus), so ist an einen solchen Zusammenhang zu denken.

Es gibt zwei unterschiedliche Weisen, in denen Medikamente die Leber schädigen können: ein toxischer, direkt schädigender Einfluss und eine indirekte Schädigung durch eine Überempfindlichkeitsreaktion des Immunabwehrsystems.

Der direkt toxische Effekt tritt unmittelbar ohne wesentliche zeitliche Verzögerung ein und ist dosisabhängig (je mehr, desto stärker die Wirkung). Der indirekte ist weitgehend dosisunabhängig und tritt erst nach einer Latenzzeit einiger Tage auf (geringe und größere Mengen schädigen in etwa gleich).

Je nach Ausprägung kann ein schädigender Medikamenteneinfluss alle Funktionen der Leber bis hin zu einem völligen Leberausfall betreffen. Zumeist ist er jedoch gering und wird erst durch Bestimmung der Leberwerte und eine Erhöhung der Leberenzyme bemerkt. Eine chronische Schädigung kann zu einer Narbenleber (Leberzirrhose) führen. Daher sollten nach einer neuen Medikation auch geringgradige Leberwerterhöhungen berücksichtigt werden.

Allgemeines

Ein toxischer Medikamentenschaden der Leber führt zu einer Erhöhung der Leberwerte und kann einen Umbau mit Vernarbung des Lebergewebes bewirken. Meistens bleiben toxische Leberschäden lange Zeit unentdeckt. Sie machen sich lediglich durch eine Erhöhung der Leberwerte bemerkbar, wobei die Gamma-GT und die Transaminasen relativ sensibel reagieren.

Bei einer schwereren akuten Schädigung kann es in seltenen Fällen zu einer Gelbsucht und zu einem Leberversagen kommen. Bei einer chronischen Schädigung können narbige Veränderungen im Sinne einer Leberfibrose und eine Leberzirrhose entstehen. Ein chronischer Verlauf kann eine Autoimmunerkrankung der Leber imitieren und Ähnlichkeit mit einer „Venoocclusive disease“ aufweisen.  (1)Clin Liver Dis. 2000 Feb;4(1):73-96, vi. DOI: 10.1016/s1089-3261(05)70097-0. PMID: 11232192

Praktisch jedes Medikament kann eine Leberschädigung hervorrufen. Es empfiehlt sich, nach Ansetzen einer neuen Medikation die Leberwerte zu kontrollieren. Die Behandlung besteht im Wesentlichen im Absetzen bzw. Umsetzen des verantwortlichen Medikaments.


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Ursachen und Entwicklung

Medikamente können prinzipiell auf mehreren Wegen die Leber schädigen: toxisch und über eine allergisch-hypererge Reaktion (idiosynkratisch); seltener findet sich eine Schädigung durch Stoffwechselprozesse. Eine schützende Rolle spielt die Autophagie, indem sie in Hepatozyten geschädigte Mitochondrien (Mitophagie) und andere störende Zellbestandteile und krankhafte veränderte Zellorganellen entfernt. (2)Food Chem Toxicol. 2020 Feb;136:111075. DOI: 10.1016/j.fct.2019.111075.

Einer häufige Leberschädigung durch Medikamente tritt beispielhaft bei der Behandlung der Tuberkulose auf, bei der es in 2% – 28% der Fälle zu einer Erhöhung der Leberwerte kommt. Risikofaktoren sind Langsamacetylierer und eine vorbestehende Leberkrankheit. Toxische Metaboliten werden für die Entstehung verantwortlich gemacht. (3)J Gastroenterol Hepatol. 2008 Feb;23(2):192-202. DOI: 10.1111/j.1440-1746.2007.05207.x

Auch pflanzliche Medikamente können hepatotoxisch sein und müssen bei einer neu aufgetretenen laborchemischen Leberschädigung als Ursache in Betracht gezogen werden. (4)Curr Drug Metab. 2019;20(4):275-282. DOI: 10.2174/1389200220666190325141422.

Toxisch (am häufigsten)

Die schädigende Wirkung auf die Leber ist vorhersagbar und ist dosisabhängig; sie tritt sofort ein. Es kommt zu einer direkten Schädigung der Hepatozyten (Nekrose oder Steatose, auch Cholestase) oder der duktalen Zellen der Gallenwege (Cholestase). Histologisch sind die Nekrosen meist zonenbetont.

Beispiele: viele Medikamente, ähnliches Bild bei Vergiftung mit Phosphor, Pilzgiften, Vinylchlorid

Idiosynkratisch (seltener)

In diesem Fall handelt es sich nicht um einen direkt schädigenden Einfluss eines Medikaments auf die Leber sondern um eine indirekte Schädigung. Die schädigende Wirkung auf die Leber ist nicht vorhersagbar, nicht dosisabhängig, jedoch abhängig von der Reaktion des Körpers. Der Mechanismus ist

  • immunologisch (Hypersensitivität, Beginn nach 1-5 Wochen); histologisch meist diffuse oder multifokale Nekrosen, oft Hepatitis-ähnlich, Infiltrationen mit mononukleären Zellen, manchmal ausgeprägte Gewebseosinophilie (eosinophile Hepatitis, Beispiele: manche Medikamente, so z. B. Ajmalin)
  • metabolisch (Beginn meist nach mehreren Tagen; Beispiel: bei lang anhaltendem Hunger wie beim Kwashiorkor).

Histologie

Bei akuter Schädigung finden sich histologisch folgende Veränderungen :

  • azidophile Degeneration der Hepatozyten bei vielen Substanzen,
  • zonale Nekrosen: periportal (Trinitrotoluol, einige Medikamente), mittzonal (Furosemid, sehr selten), perivenös (Tetrachlorkohlenstoff, Halotan, Paracetamol),
  • Cholestase bei Chlorpromazin, Kontrazeptiva, C17-alkylierte Anabolika,
  • Peliosis hepatis, thrombotische Zentralvenenverschlüsse (venoocclusive disease) und hepatische Venenthrombose bei Zytostatika, Kontrazeptiva bei chronischer Schädigung,
  • chronische Hepatitis bei Oxyphenisatin, Methyldopa, Nitrofurantoin, Sulfonamide, Propylthiouracil,
  • Histologisches Bild ähnlich dem der PBC: Chlorpromazin, Haloperidol, Imipramin, Thiabendazol, Tolbutamid,
  • Histologisches Bild ähnlich dem der PSC: intraarterielle Infusion von 5-Fu (5-Fluoruracil), Peliosis hepatis bei Azathioprin, Progesteronderivat, Vinylchlorid,
  • Venoocclusive disease und hepatische Venenthrombose bei Einnahme von Kontrazeptiva, Zytostatika,

Eine chronische Medikamenteneinnahme kann zu folgenden Veränderungen führen:

Diagnostik

Bei Erhöhung der Leberenzyme sind zunächst Leberkrankheiten, wie eine Hepatitis und eine Galleabflussstörung, auszuschließen. Besteht ein zeitlicher Zusammenhang mit einem neu angesetzten Medikament, so sollte das verdächtigte Medikamente ab- oder umgesetzt werden. Bei Besserung kann gegebenenfalls ein Reexpositionsversuch durchgeführt werden, um Unsicherheiten auszuschließen (bei schwerer Leberschädigung ist dies meist nicht vertretbar). Wenn trotz Entfernung der angeschuldigten Auslöser die Leberwerterhöhung länger anhält, sollte eine histologische Untersuchung des Lebergewebes erfolgen.

Therapie

Sie richtet sich gegen die Ursachen der Schädigung und berücksichtigt die Folgen (symptomatische und vorbeugende Therapie). Wird eine Medikamentennebenwirkung angeschuldigt, so sollte das vermutlich auslösende Medikament in Zukunft vermieden werden. Es sollte geklärt werden, ob es sich bei der Nebenwirkung um ggf. um eine mögliche Nebenwirkung der Substanzklasse handeln kann.


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Verweise

Patienteninfos

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).


 


Literatur

Literatur
1 Clin Liver Dis. 2000 Feb;4(1):73-96, vi. DOI: 10.1016/s1089-3261(05)70097-0. PMID: 11232192
2 Food Chem Toxicol. 2020 Feb;136:111075. DOI: 10.1016/j.fct.2019.111075.
3 J Gastroenterol Hepatol. 2008 Feb;23(2):192-202. DOI: 10.1111/j.1440-1746.2007.05207.x
4 Curr Drug Metab. 2019;20(4):275-282. DOI: 10.2174/1389200220666190325141422.