Personalisierte Medizin bedeutet Berücksichtigung individueller biogenetischer Gegebenheiten bei Vorbeugung, Diagnostik, Therapie und Prognose von Krankheiten. Zugrunde liegt der Gedanke, dass die genetische und epigenetische Ausstattung eines jeden Menschen seine Gesundheit und Krankheiten bestimmt. Heute ist sie bereits in hohem Maße der Analyse und einer sehr gezielten medikamentösen Beeinflussung zugänglich. Der Begriff „Präzisionsmedizin“ dagegen hebt auf den präzisen Angriff an ganz besonderen und zentralen Checkpoints von Signalwegen ab, um Funktionen der Zellen therapeutisch zu beeinflussen.

Signalwege und Checkpoints: Basics

Bedeutung


Die zunehmende Kenntnis über genetische und epigenetische Varianten, die in verschiedenen Menschen vorkommen können, und ihren Einfluss auf spezielle Krankheitsrisiken, Krankheitsverläufe und das Ansprechen bestimmter Therapieformen verändert die Medizin grundlegend. Sie ermöglicht eine Optimierung medizinischer Entscheidungen und fördert die Entwicklung neuer Medikamentenklassen, insbesondere solcher, die krankheitsrelevante Signalwege anstoßen oder hemmen (1)Metabolism. 2013 Jan;62 Suppl 1:S2-5. doi: 10.1016/j.metabol.2012.08.023. .

Die Kenntnis über die genetisch und epigenetisch relevanten Veränderungen und ihren Auswirkungen führt zu so individuellen Therapieentscheidungen, dass von einer „Präzisionsmedizin“ geredet wird. Sie wird als eine großartige Perspektive in der Medizin angesehen und stark gefördert (2)Interact J Med Res. 2016 Apr-Jun; 5(2): e13. (3)N Engl J Med. 2015 Feb 26; 372(9):793-5 (4)J Diabetes Sci Technol. 2015 Jan; 9(1): 3–7 .

Etliche der auf dem Markt befindlichen Biologika dienen vielfach der personalisierten Medizin und werden erst dann eingesetzt, wenn zuvor geklärt werden konnte, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit wirken.

Beispiel Melanom

Die Therapie des Melanoms, eines besonders malignen Tumors der Pigmentzellen (meist der Haut), hat sich seit Kenntnis der Bedeutung einer speziellen Gen-Mutation dramatisch verbessert. Etwa 50% der Melanome trägt eine Mutation des Gens für die Serin-Threonin-Proteinkinase (BRAF). Sie aktiviert das Enzym und damit den von ihm ausgehenden Signalweg. Solch eine Mutation findet sich auch in anderen Tumoren, wie dem anaplastischen Schilddrüsenkarzinom (5)J Natl Cancer Inst. 2003 Apr 16; 95(8):625-7 . Metastasierende Melanome, die eine V600E-BRAF-Mutation tragen, sprechen auf BRAF-Hemmer (z. B. RG7204) ausgezeichnet an. Die progressionsfreie Überlebenszeit nach Therapie wurde in einer Studie mit über 7 Monaten bestimmt (6)N Engl J Med. 2010 Aug 26; 363(9): 809–819. doi:  10.1056/NEJMoa1002011 .

Ein anderer BRAF-Hemmer ( PLX4032, Vemurafenib) führte in einer Studie ebenfalls zu einer erheblichen Verlängerung des progressionfreien Überlebens (auf durchschnittlich 5,3 Monate), sofern solch eine V600E-BRAF-Mutation vorlag (7)Clin Ther. 2012 Jul;34(7):1474-86. doi: 10.1016/j.clinthera.2012.06.009. .

Personalisierte Medizin bedeutet im Fall eines Melanoms, auf eine V600E-BRAF-Mutation zu testen und ganz individuell diejenigen mit positivem Befund für eine BRAF-Hemmung auszuwählen (8)Yale J Biol Med. 2015 Nov 24;88(4):389-95 .

Beispiel Brustkrebs

Brustkrebs ist genetisch sehr heterogen. Etwa 5 % der Brustkrebspatientinnen haben bei Diagnosestellung bereits ein Stadium IV mit Metastasen. Inzwischen ist eine Reihe von Genen, die eine Metastasierung fördern, bekannt. Zu ihnen gehören ERBB2 (=HER2), KRAS, EGFR und andere (9)Am J Pathol. 2013 Oct; 183(4): 1084–1095 (10)Nat Commun. 2014; 5: 5303. . Tumorentstehung und Metastasierung sind ein multifaktorieller Prozess, und es ist heute möglich, einige der individuell fördernden Gene bzw. ihrer Mutationen auszutesten. Die Planung einer individualisierten Therapie basiert auf solchen Untersuchungen. Beispiele sind die Bestimmung von HER2 und von Östrogenrezeptoren im Tumor (11)Am J Pathol. 2013 Oct; 183(4): 1084–1095. .

HER2, ein membranständiger Tyrosinkinase-Rezeptor, wird in etwa 25 % der Mammakarzinome überexprimiert und sagt im Falle seines Vorliegens eine schlechtere Prognose (raschere Relapse, kürzeres Überleben) voraus (12)Science. 1987;235:177–182 . Der gegen HER2 gerichtete monoklonale Antikörper Trastuzumab begünstigt die Wirkung einer Chemotherapie bei HER2-positiven Tumoren deutlich, allerdings nur in etwa 50 % der Fälle. Die anderen 50 % der HER2-überexprimierenden Fälle reagieren nicht auf Trastuzumab, so dass andere Faktoren zur größeren Therapiepräzision erforderlich scheinen (13)J Clin Oncol. 2002;20:719–726 .

Östrogenrezeptoren werden in etwa 75 % der Mammakarzinome positiv gefunden; sie tendieren dazu, spät und in Knochen zu metastasieren. Solche Tumore reagieren potenziell gut auf eine Hormontherapie, wie Tamoxifen; über die empfohlenen 5 Jahre genommen, reduziert es das Risiko eines Relapses oder einer Tumors auf der anderen Seite anhaltend über mindestens 15 Jahre (14)J Clin Oncol. 2011 May 1;29(13):1657-63 .

Mikro-RNA (miR) sind in der Lage, Gene, die Signalweg der Zellproliferation, des Zellüberlebens und der Metastasenbildung an- und abzuschalten (15)Trends Mol Med. 2014 Aug; 20(8):460-9 . Die personalisierte Medizin wird durch Einbindung von Therapien, die auf solche miR zielen, zu einer weiteren Eingrenzung und Verbesserung der Therapiemöglichkeiten führen (16)Oncotarget. 2016 Apr 12; 7(15): 20953–20965 . So wurde festgestellt, dass das Vorliegen bestimmter miR bei Brustkrebspatientinnen voraussagt, wie der Tumor auf Tamoxifen anspricht. Sieben miR (miR-10a, miR-26, miR-30c, miR-126a, miR-210, miR-342 und miR-519a) sollen bei der Tamoxifen-Resistenz eine Rolle spielen (17)Int J Mol Sci. 2015 Oct; 16(10): 24243–24275 . Ihre Bestimmung miR wird daher zur Individualisierung der Behandlung beitragen. (Zu Mikro-RNA siehe hier.)

Beispiel Medikamentenwirkung

Die Wirkung von Medikamenten hängt von vielen Faktoren ab, so davon, wie sie resorbiert, im Blut transportiert, abgebaut und ausgeschieden werden. Die Pharmakogenomik (engl: pharnacogenomics) ist ein immer größer werdendes Fachgebiet, das sich mit den genetischen Voraussetzungen der Wirksamkeit von Medikamenten befasst.

Schnell- und Langsamazetylierer: Eines der frühest bekannt geworden Beispiele dafür, dass Medikamente sehr unterschiedlich wirken können, sind die Schnell- und Langsamazetylierer. Das Enzym Arylamin-N-Azetyltransferase Typ 2 (NAT2) tritt in verschiedenen Formen auf (Polymorphismus), wovon eine die Azetylgruppe rasch, die andere langsam auf andere Moleküle, so auch auf bestimmte Medikamente, überträgt. Etwa 50% der Europäern sind Langsamazetylierer, 10% der Japaner und etwa 90% der Nordafrikanern (Ägypter, Marokkaner). Langsamazetylierer bedürfen i.d.R. einer deutlich geringeren Dosis bestimmter Medikamente als Schnellazetylierer, da sie im Körper akkumulieren. Betroffen sind z. B. Isoniazid (Tuberkulostatikum), Hydralazin und Dihydralazin (Antihyperzonikum) und Sulfasalazin (gegen Colitis ulcerosa früher gebräuchlich).

Pseudocholinesterase-Mangel: dieser seltene genetisch bedingte Enzymmangel führt zu einer erheblich verschlechterten Entgiftung und damit verlängerten Wirkung von Succinylcholin (einem Muskelrelaxans). Muskelrelaxanzien wirken bei dieser Anomalie über die Narkose hinaus. Die Kenntnis einer solchen genetischen Anomalie kann lebensrettend sein.

Beispiel Diabetes mellitus

Inzwischen sind über 40 Genorte für den Typ-1-Diabetes und fast 80 Genorte für den Typ-2-Diabetes (T1- und T2DM) identifiziert worden, die den Verlauf der Zuckerkrankheit beeinflussen. Einige Gene scheinen, wenn sie aktiv sind, auch voraussagen zu können, ob bzw. wie bestimmte Medikamente wirken, andere ob sie protektiv wirksam sein können. Auf diesem Wissen können neue Medikamente entwickelt werden. Eine Testung der bekannten und medikamentös beeinflussbaren Gene kann dazu verwendet werden, eine personalisierte Behandlung zu konzipieren (18)Ann N Y Acad Sci. 2015 Jun;1346(1):45-56 (19)Sci Rep. 2016; 6: 23266. . Dies hat sich in einer Studie mit Rosiglitazon (ein Insulinsensitizer, PPARγ-Aktivator) und Repaglinid (ein Insulin-Sekretagog) bereits als aussichtsreich herausgestellt (Untersuchung zur Assoziation des Therapieerfolgs mit den (T2DM-assoziierten) Genen PSMD6, KCNJ11, ABCA1, SLC30A8, UCP2, KCNQ1, PAX4 und NOS1AP) ) (20)Sci Rep. 2016 Mar 17;6:23266. doi: 10.1038/srep23266 .

Big Data (z. B. aus vernetzten Handys) lassen erwarten, mögliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Befunden und Verläufen, d. h. seriellen Untersuchungsergebnissen z. B. von Biomarkern, und Langzeitprognosen zu finden. Assoziationen zu bestimmten Genkonstellationen und erfolgreiche Therapieoptionen können mit dieser Methode leichter erkannt werden als durch die beschränkten Untersuchungszahlen traditioneller Studien (21)J Diabetes Sci Technol. 2015 Jan; 9(1): 3–7 .


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Verweise

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