Multikausale Entstehung von Krebs


Die Krebsentstehung (Entstehung von bösartigen Wucherungen, Malignomen) ist multikausal. Sie basiert auf einer Reihe möglicher Regulationsstörungen im Zellzyklus und der Tumorabwehr des Körpers. Welche der vielen Möglichkeiten im individuellen Fall vorliegen, ist Aufgabe einer sehr differenzierten Diagnostik geworden. Sie hat zum Ziel, eine möglichst zielgerichtete Therapie im Sinne einer Präzisionsonkologie zu „schneidern“.

Grob lassen sich maligne Erkrankungen (Tumore, Krebs) in solche unterteilen, bei denen eine genetische (familiäre) Vorbelastung erkennbar ist, und solche, die sporadisch (ohne familiäre Belastung) auftreten.

Krebs
Tumorsuche


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Allgemeines

Genetische Grundlagen: Malignome mit familiärer Vorbelastung sind in aller Regel genetisch bedingt. Es können auch „erworbene“ Krebs fördernde Mutationen und epigenetische Veränderungen in die nächsten Generationen weiter gegeben werden.

Sporadische Krebserkrankungen entstehen durch erworbene genetische und epigenetische Veränderungen. Solche Veränderungen können vielfältig bedingt sein. Beispielsweise können sie durch hochenergetische Strahlen, chemische Substanzen, Umweltgifte, bestimmte Medikamente oder Viren entstehen.

Immun-Escape: Das Immunsystem spielt eine wesentliche Rolle, als es unter normalen Bedingungen Krebszellen, die immer wieder entstehen können, angreift und eliminiert. Ein Defekt in dieser Fähigkeit führt zu einer verminderten körpereigenen Krebsbewältigung. Die Krebsentstehung beruht damit in gewissem Maße auf einer Schwäche des Immunsystems, die bewirkt, dass Tumorzellen ihrem Angriff entkommen. Hinzu kommt, dass es Tumorzellen lernen, sich für das Immunsystem unerkennbar zu machen. Dies wird als „tumor immune escape“ zusammengefasst. Welche Schaltstellen daran beteiligt sind, ist weitgehend bekannt. Sie sind Ziele einer individualisierten Therapie und neuer Impfstrategien. (1)Immunol Lett. 2007 Aug 15;111(2):69-75. DOI: 10.1016/j.imlet.2007.06.001 (2)Front Immunol. 2018 Sep 11;9:2076. DOI: 10.3389/fimmu.2018.02076 (3)J Immunother Cancer. 2020 Nov;8(2):e001369. DOI: 10.1136/jitc-2020-001369.

Gestörte Selbstzerstörung:Tumorzellen haben eine umso bessere Lebens- und Ausbreitungschance, je besser sie sich vor einer Zellzerstörung z. B. durch das Immunsystem des Körpers schützen können. In dieser Beziehung spielt das Zusammenwirken von Zellreparatur ( z. B. durch DNA-Reparaturmechanismen, Autophagie, Mitophagie) und Selbstzerstörung (z. B. durch Apoptose oder Ferroptose) eine wesentliche Rolle. Neue Therapiestrategien versuchen dieses Gleichgewicht günstig zu beeinflussen. (4)Apoptosis. 2021 Oct;26(9-10):512-533. DOI: 10.1007/s10495-021-01687-9 (5)Biomedicines. 2023 Apr 13;11(4):1166. DOI: 10.3390/biomedicines11041166

Die Kenntnis der Zusammenhänge hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Im Zentrum neuer Untersuchungen stehen Signalwege, über die bestimmte Auslöser zu einer dauerhaften Stimulation der Zellteilung anregen oder das Immunsystem beeinflussen. (6)Nature. 2021 Mar;591(7849):306-311. doi: 10.1038/s41586-021-03235-6 Hier seien einige wichtige zusammengestellt.

Signalwege und Checkpoints: Basics

Netzwerke von Signalwegen

Für die Krebsentstehung bedeutsame Signalpfade

Signalwege, deren Störung mit der Krebsentstehung in Zusammenhang gebracht wird, regulieren beispielsweise (7)PLoS Comput Biol. 2015 Aug 28;11(8):e1004257. doi: 10.1371/journal.pcbi.1004257.

  • Zellmorphologie, Zellanordnung und Organisation,
  • Zellerneuerung, Zellzyklus,
  • Zellteilung,
  • DNA-Reparatur.

Beispiel: Eine erhöhte Lipidaufnahme, -speicherung und Lipogenese ist eines der Kennzeichen von Malignität. Sie kommt bei einer Vielzahl von Krebsarten vor und trägt zu einem beschleunigten Tumorwachstum bei. Von regulierender Bedeutung für den Fettstoffwechsel der Zelle dabei sind Sterol Regulatory Element-Binding Proteine (SREBPs, sie fungiert auch als Glukosesensor). Es sind Transkriptionsfaktoren im endoplasmatischen Retikulum. Solche SREBPs sind bei verschiedenen Krebsarten stark hochreguliert und beschleunigen das Tumorwachstum. Eine gezielte Beeinflussung Checkpoints verspricht einen bedeutenden Fortschritt bei der Behandlung von Krebs. (8)Cancer Commun (Lond). 2018 May 21;38(1):27. DOI: 10.1186/s40880-018-0301-4 (9)J Immunother Precis Oncol. 2023 Feb 2;6(2):91-102. doi: 10.36401/JIPO-22-27

Signalwege

Störung im Zusammenspiel von Signalpfaden

Die zu Krebs führenden Veränderungen betreffen das Zusammenspiel von Genen komplexer Netzwerke von Signalpfaden, die für Zellneubildung, Zelldifferenzierung und Zelluntergang zuständig sind. Es wird angenommen, dass zur Ausbildung der vollen Malignitätskriterien beim Menschen nur wenige (4-6) kooperierende Mutationen von Genen erforderlich sind, die diese Signalpfade regulieren (10)Nat Rev Cancer. 2002 May;2(5):331-41 (11)Cancer Cell. 2002 Jul;2(1):5-7. Es werden wenige „Driver-SGA“ (SGA = somatic genome alterations) vermutet und eine große Zahl von „Passenger-SGA“.

Gene und Krebsentstehung

Mutationen von Genen, die in diesen Netzwerken eingebunden sind, können bezüglich der Entstehung von Krebs mehr oder weniger ausgeprägt wirksam sein. Beispiele sind:

  • Gene, die die „Cellular Assembly and Organization, Cellular Function and Maintenance, Cell Morphology“ kontrollieren, können in zentralem Zusammenhang mit Krebs stehen. Zu ihnen gehören: AURKA, CCNB1, CHEK1, EPHB3, NEK2, STMN1, TACC3, THBS2, TWIST1. Beispiel: beim Ovarialkarzinom vor allem Überexpression von AURKA und CCNB1 (12)PLoS Comput Biol. 2015 Aug 28;11(8):e1004257. doi: 10.1371/journal.pcbi.1004257..
  • Gene, die die Prozesse der Zellteilung regulieren („Cell Cycle, DNA Replication, Recombination, and Repair, Cellular Assembly and Organization“), können bei Fehlfunktion (durch Mutation oder epigenetischer Funktionsveränderung) Krebs fördern. Zu ihnen gehören BIRC5, CCNB2, CDC7, CENPE, CENPF, CHEK1, NEK2, TIMELESS, UBE2C. Beispiel: beim Brustkrebs findet sich vor allem eine Überexpression von CENPE und CCNB2 (13)PLoS Comput Biol. 2015 Aug 28;11(8):e1004257. doi: 10.1371/journal.pcbi.1004257..

*Gene, die „mitotic nuclear division“ kontrollieren, können in zentralem Zusammenhang mit Krebs stehen: ASPM, AURKA, BIRC5, BUB1B, CCNA2, CCNB2, CEP55, KIF23, KIF2C, NDC80, AURKA, BIRC5, BUB1B, CCNA2, CCNB2, CEP55, KIF23, KIF2C, NDC80, PBK, PTTG1, TIMELESS, TPX2, UBE2C, WEE1 (14)PLoS Comput Biol. 2015 Aug 28;11(8):e1004257. doi: 10.1371/journal.pcbi.1004257..

Driver-Gene

Vor großem Interesse sind solche Gene, deren Mutation bei mehreren Tumoren vorkommt; ihnen kommt wahrscheinlich eine zentrale Bedeutung für die allgemeine Krebsentstehung zu (15)Science. 2013 Mar 29;339(6127):1546-58.

Die Suche nach „Driver-Genen“, wie z. B. MMP1, IL8, COL1A2, die direkt für die Entstehung von Krebs verantwortlich sind, im großen Pool der „Passenger-Gene“ ist schwierig. Verschiedene Methoden haben nun zur Identifizierung einiger solcher Gene geführt (16)Cancer Inform. 2015 Feb 3;13(Suppl 6):35-48 (17)Genome Med. 2014 Jan 30;6(1):5. doi: 10.1186/gm524.. Die Untersuchung ihrer Zugehörigkeit zu und Funktion in verschiedenen Signalwegen wird als außerordentlich wichtig für die weitere Krebsforschung auch bezüglich neuer therapeutischer Ansätze angesehen.

Krebsentstehung in Stufen

Die Krebsentstehung erfolgt stufenweise. Es wird eine Abfolge von Mutationen in einzelnen Netzwerken postuliert, die Zellproliferation, Zellzyklus und Zelltod regeln, wobei initial „gatekeepers“ betroffen sind, und danach „caretakers“ für die Progredienz (das Fortschreiten) sorgen (18)Nature. 1997 Apr 24;386(6627):761, 763. Die bei den jeweiligen Krebsarten beschleunigend wirkenden „driver mutations“ führen zu einem zunehmend progredienten Tumorwachstum mit Metastasenbildung (Bildung von Tochtergeschwülsten)  (19)Science. 2013 Mar 29;339(6127):1546-58.

Beispiel kolorektales Karzinom: Beim kolorektalen Karzinom (Darmkrebs)ist initial das APC-Gen beteiligt. Eine zweite Mutation, beispielsweise die des KRAS-Gens, führt zu einer Wachstumsbeschleunigung, Mutationen in PIK3CA, SMAD4 und TP53 zur Fähigkeit der Invasion proliferierender Zellen über die Gewebe- und Organgrenzen hinaus und damit zur malignen Entartung.

Epigenetisch bedingte Vielfalt der Krebsformen

Bei Tumoren, die im Kindes- und Jugendlichenalter auftreten, ist vielfach das klinische Erscheinungsbild häufig sehr viel vielfältiger als die genetische Grundlage. Dies wurde einer epigenetischen Modulation zugeschrieben, da der Methylierungsgrad der DNA in den Tumoren (gezeigt am Ewing Sarkom) sehr unterschiedlich gefunden wurde, speziell in solchen, die metastatisch wachsen  (20)Nature Medicine 23,386–395 DOI: 10.1038/nm.4273.

Altersabhängigkeit

Die Frequenz, in der solche Mutationen auftreten, ist abhängig vom Alter. Mehr als die Hälfte von ihnen geht der Tumorentstehung voraus. Je älter ein Mensch wird, desto häufiger treten Mutationen an den verschiedensten Stellen des Erbguts auf, auch unter den für die Krebsentstehung wichtigen Genen. Im Fall einer in höherem Alter auftretenden Startermutation (Mutation eines Gatekeepers) liegen schon mehr Drivermutationen vor, als in jüngerem Alter, wie sich durch Analyse des Genoms histologisch gleichartiger kolorektaler Karzinome eines 45-jährigen und eines 90-jährigen Patienten nachweisen lässt (21)Proc Natl Acad Sci U S A. 2013 Feb 5; 110(6):1999-2004 (22)Science. 2013 Mar 29;339(6127):1546-58.

Perspektive

Die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Signalwegen, deren Störung an der Entstehung von Krebs beteiligt ist, führt zu Überlegungen neuartiger therapeutischer Ansätze. Die Entwicklungen gezielt eingreifender Biologika haben für manche Krebsarten bereits wesentliche Fortschritte gebracht. Eines der ersten ist Rituximab gewesen. Zu den neueren gehören beispielsweise die BRAF-, EGFR- und MEK-Inhibitoren. (23)Cancer Discov. 2018 Apr;8(4):428-443. DOI: 10.1158/2159-8290.CD-17-1226 Immun-Checkpoint-Inhibitoren spielen inzwischen eine führende Rolle in einer Tumor-Präzisionsmedizin. (24)Nat Rev Clin Oncol. 2020 Dec;17(12):725-741. DOI: 10.1038/s41571-020-0413-z

Neue Impfstrategien (25)Cell. 2022 Jul 21;185(15):2770-2788. doi: 10.1016/j.cell.2022.06.035 zielen auf eine Intensivierung der Immunabwehr von sich neu bildenden Krebszellen sowie auf eine Stärkung ihrer Selbstzerstörung, beispielsweise durch Anregung der Ferroptose (26)J Immunother Cancer. 2020 Nov;8(2):e001369. DOI: 10.1136/jitc-2020-001369 (27)JACS Au. 2023 May 9;3(5):1507-1520.


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Verweise

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