Erythropoetin

Artikel aktualisiert am 30. Mai 2021

Erythropoetin (auch Erythropoietin geschrieben, EPO) ist ein Hormon der Nieren, welches die Bildung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) im Knochenmark steigert.


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Was man wissen sollte

Kurzgefasst
Erythropoetin (EPO) ist ein Hormon, das in verschiedenen Organen des Körpers, vor allem aber in den Nieren, produziert wird. Es erhöht die Bildung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) und schützt Organe und Körperzellen vor Sauerstoffmangel.

In der Medizin wird Erythropoetin zur Behandlung von Blutarmut (Anämie) eingesetzt, so insbesondere bei schwerer Niereninsuffizienz und Dialysepatienten sowie perioperativ zur Reduktion von Bluttransfusionen. Es scheint auch eine günstige Wirkung auf die Entwicklung des Gehirns nach Sauerstoffmangel Frühgeborener und Neugeborener unter und nach der Geburt auszuüben.

Im Sport gehört Erythropoetin zu den verbotenen Dopingmitteln.

An Komplikationen einer EPO-Therapie ist vor allem eine Bluteindickung zu berücksichtigen, die bei zu langer und intensiver EPO-Therapie zur Thrombose– und Emboliegefahr führen kann.

Physiologie

Erythropoetin ist ein Glykoprotein, das bei seiner Bildung ein MW von 34000 mit 40% Kohlenhydratanteil aufweist. Nach seiner Bildung erfährt das Molekül während seiner Reifung einige Veränderungen. Das „reife“ Erythropoetin enthält nach Verkürzung der Aminosäurenkette 165 Aminosäuren und hat ein Molekulargewicht von 30,4 kDa (1)Front Biosci (Landmark Ed). 2016 Jan; 21(3): 561–596. .

Erythropoetin, welches im Blut nachweisbar ist, wird beim Erwachsenen fast ausschließlich in der Nierenrinde gebildet, und zwar in direkter Nachbarschaft zu den Tubuli von Fibroblasten-ähnlichen Zellen (peritubuläre interstitielle Zellen). Bei Fetus erfolgt die Bildung jedoch auch in der Leber. (2)Eur J Haematol. 2007;78:183–205 (3)J Histochem Cytochem. 1993 Mar;41(3):335-41

Auch in Astrozyten des Gehirns wurde die Fähigkeit zur Erythropoetin-Produktion entdeckt (4)J Biol Chem. 1994 Jul 29; 269(30):19488-93.

Der Reiz zur Bildung von Erythropoetin ist ein Mangel an Sauerstoff im Nierengewebe.

Bereits der sich entwickelnde Fetus reagiert auf Sauerstoffmangel sehr empfindlich durch Anstieg der eigenen Erythropoetin-Produktion, wie es bei Neugeborenen von Müttern, die in der Schwangerschaft geraucht haben, im Umbilikalblut nachweisbar ist; gleichzeitig wird eine Wachstumsretardierung festgestellt. (5)J Histochem Cytochem. 1993 Mar;41(3):335-41 (6)ScientificWorldJournal. 2012;2012:420763

Effekte in der Medizin

Schutz vor Anämie

Erythropoetin (EPO) erhöht die Bildung körpereigener roter Blutkörperchen (Erythrozyten). Dies wird zu Therapie bestimmter Formen einer Anämie ausgenutzt. Besonders diejenigen Formen reagieren gut auf eine EPO-Zufuhr, die mit einem Erythropoetinmangel einhergehen, wie die Anämie bei fortgeschrittenen Nierenerkrankungen mit Niereninsuffizienz. Die Behandlung mit EPO erhöht das Risiko einer Bluteindickung und damit von kardiovaskulären Komplikationen und von Thromboembolien. (7)Kidney Int. 2008 Sep;74(6):791-8. doi: 10.1038/ki.2008.295. Epub 2008 Jul 2. PMID: 18596733; PMCID: … Continue reading Dies ist insbesondere bei der Verwendung von hohen Dosen und von Langzeitpräparaten zu berücksichtigen.

EPO bei Dialysepatienten

EPO erhöht die Konzentration der Erythrozyten bei der renalen Anämie und wird bei Dialysepatienten zur Anhebung eines erniedrigten Hämoglobinwerts verwendet. (8)N Engl J Med. 1987 Jan 8;316(2):73-8. doi: 10.1056/NEJM198701083160203. PMID: 3537801. In einer Studie an 194698 Dialysepatienten fand eine japanische Gruppe, dass Langzeitpräparate von Erythropoetin (Darbepoetin oder Epoetin-β-pego) ein höheres Risiko für vorzeitigen Tod bewirken als Kurzzeitpräparate (Epoetin α/β oder epoetin κ). Die Zahl derjenigen Patienten, die behandelt werden müssen, damit statistisch ein zusätzlicher Todesfall zu gewärtigen ist (number to harm for death) beträgt 30,8. (9)J Am Soc Nephrol. 2019 Jun;30(6):1037-1048. DOI: 10.1681/ASN.2018101007. Epub 2019 Apr 23. PMID: … Continue reading

Neuroprotektion

Erythropoetin wirkt neuroprotektiv. Es wird im gesamten Gehirn in Gliazellen, so in Astrozyten, gebildet und schützt die Gehirnzellen vor Sauerstoffmangel (10)Brain Res. 1997 Jan 23; 746(1-2):63-70 (11)J Exp Biol. 2004 Aug;207(Pt 18):3233-42. (12)J Neurosci Res. 2011 Oct;89(10):1566-74. Insulin regt die EPO-Produktion im Gehirn an  (13)Brain Res. 1997 Jan 23; 746(1-2):63-70; Insulinmangel bzw. Hyperglykämie scheint sie zu unterdrücken (14)Ann Hematol. 2006 Feb; 85(2):79-85.

Eine Schutzfunktion wurde auch für Nervenzellen des Augenhintergrundes (Retina) nachgewiesen: eine in der Ratte experimentell herbeigeführte Degeneration kann durch Erythropoetin weitgehend verhindert werden (15)Invest Ophthalmol Vis Sci. 2014 Oct 21;55(12):8208-22 (16)PLoS One. 2013 Oct 4;8(10):e77182. doi: 10.1371/journal.pone.0077182. (17)PLoS One. 2014 Aug 13;9(8):e104759. doi: 10.1371/journal.pone.0104759. Es wird vermutet, dass sich die neuroprotektive Funktion von EPO therapeutisch ausnutzen lässt (18)Front Biosci (Landmark Ed). 2016 Jan; 21(3): 561–596.. Es konnte gezeigt werden, dass Erythropoetin die neurologische Entwicklung von Neugeborenen mit hypoxisch-ischämischer Hirnschädigung verbessert (19)Pediatrics. 2009 Aug; 124(2):e218-26. Allerdings sind ansonsten größere neuroprotektive Effekte in Studien an Erwachsenen bisher nicht nachgewiesen worden (20)Int J Stroke. 2014 Apr; 9(3):321-7 (21)Int J Stroke. 2014 Apr; 9(3):321-7.

EPO bei der Friedreich’schen Ataxie

Die Friedreichsche Ataxie ist eine autosomal rezessiv vererbte Erkrankung des Gehirns, die zu unkontrollierten „ataktischen“ Bewegungen veranlasst und durch eine Genvariante des Fraxatins bedingt ist. Der Mangel an Fraxatin behindert die regelrechte Ausbildung der Atungskette in den Mitochondrien. Erythropoetin erhöht (auf unbekanntem Wege) die Bildung von Fraxatin. Die Medikation von EPO (rHuEPO) führt laut open-label-Studien zu einer Reduktion des oxidativen Stresses in den Zellen und zu einer klinischen Verbesserung, die jedoch in zwei Studien keine Signifikant erreichte. (22)J Neurochem. 2013 Aug;126 Suppl 1:80-7. DOI: 10.1111/jnc.12301. PMID: 23859343.

Effekt im Sport

Höhentraining beruht auf einem relativen Sauerstoffmangel in Höhenluft. Der dadurch bedingte Sauerstoffmangel, der auch das Nierengewebe betrifft, führt zur Erhöhung der Erythropoetinproduktion und damit auch der der Produktion roter Blutkörperchen bis hin zu der im Sport gewünschten „physiologischen“ Polyglobulie. In normaler Höhe sinkt der Erythropoetin-Spiegel wieder, die Polyglobulie bleibt aber wegen der Lebenszeit der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) noch wenige Wochen bestehen.

 

Indikationen

Als Indikationen für die Anwendung von EPO in der Medizin kommen in Frage (23)Front Biosci (Landmark Ed). 2016 Jan; 21(3): 561–596:

  • Renale Anämie: bei renale Anämie ist durch Erythropoetin bzw. seine länger wirksamen Abkömmlinge gut behandelbar (siehe hier).
  • Anämie bei Tumorpatienten als Nebenwirkung einer Chemotherapie. (24)Oncologist. 2008; 13 Suppl 3():33-6 Die Hämoglobin-Konzentration kann durch Veränderung der ESA-Dosis relativ gut auf den Ziel-Hb eingestellt werden. Es besteht jedoch das Risiko, EPO-Präparate auch bei Werten über dem meist angestrebten Ziel von 12 g/dl EPO-Präparate weiter zu verabreichen. Da in Studien an Brustkrebspatientinnen gezeigt werden konnte, dass ESA die Überlebenszeit verkürzen kann (25)Cochrane Database Syst Rev. 2009 Jul 8;(3):CD007303, wird empfohlen, die Behandlung mit der niedrigst möglichen Dosis durchzuführen, um eine Bluttransfusion zu vermeiden. (26)Am J Health Syst Pharm. 2009 Jul 1;66(13):1180-5
  • Reduktion von Bluttransfusionen nach Operationen.
  • Anämie bei HIV-Infektion.

EPO-Derivate

Die Halbwertszeit von Erythropoetin ist relativ gering; daher werden rekombinante Erythropoetin-Abkömmlinge mit längerer Halbwertszeit und reduzierter Applikationsfrequenz eingesetzt. Zu diesen „Erythropoese-stimulierenden Agentien“ (ESA) gehören Epoetin alpha (Generika, Eprex® und ähnlich Binocrit®: einmal wöchentlich), Epoetin beta (NeoRecormon®; einmal wöchentlich), und Darbepoetin alpha (Aranesp®; einmal wöchentlich oder einmal alle 3 Wochen).

Nebenwirkungen und Komplikationen

Die Anwendung von Erythropoetin in der Medizin hat Nebenwirkungen zu berücksichtigen:

  • EPO-Präparate steigern den Blutdruck, was zur Hypertonie führen kann.
  • EPO-Präparate erhöhen das Risiko thromboembolischer Ereignisse inklusive dem für einen Schlaganfall.
  • EPO-Präparate steigert auch bei Gesunden die Erythrozytenzahl (bis hin zur Polyglobulie) und wirken leistungssteigernd. Sie stehen im Sport auf der Liste verbotener Dopingmittel. Unabhängig von Aspekten eines unfairen Wettbewebs besteht das deutlich erhöhte Risiko einer erhöhten Blutgerinnbarkeit mit Emboliegefahr und einer akuten kardialen Überforderung unter erhöhten Belastungsbedingungen, die ohne EPO-Einwirkung nicht erreicht werden können.

Verweise

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).


Literatur

Literatur
1Front Biosci (Landmark Ed). 2016 Jan; 21(3): 561–596.
2Eur J Haematol. 2007;78:183–205
3J Histochem Cytochem. 1993 Mar;41(3):335-41
4J Biol Chem. 1994 Jul 29; 269(30):19488-93
5J Histochem Cytochem. 1993 Mar;41(3):335-41
6ScientificWorldJournal. 2012;2012:420763
7Kidney Int. 2008 Sep;74(6):791-8. doi: 10.1038/ki.2008.295. Epub 2008 Jul 2. PMID: 18596733; PMCID: PMC2902279.
8N Engl J Med. 1987 Jan 8;316(2):73-8. doi: 10.1056/NEJM198701083160203. PMID: 3537801.
9J Am Soc Nephrol. 2019 Jun;30(6):1037-1048. DOI: 10.1681/ASN.2018101007. Epub 2019 Apr 23. PMID: 31015255; PMCID: PMC6551773.
10Brain Res. 1997 Jan 23; 746(1-2):63-70
11J Exp Biol. 2004 Aug;207(Pt 18):3233-42.
12J Neurosci Res. 2011 Oct;89(10):1566-74
13Brain Res. 1997 Jan 23; 746(1-2):63-70
14Ann Hematol. 2006 Feb; 85(2):79-85
15Invest Ophthalmol Vis Sci. 2014 Oct 21;55(12):8208-22
16PLoS One. 2013 Oct 4;8(10):e77182. doi: 10.1371/journal.pone.0077182.
17PLoS One. 2014 Aug 13;9(8):e104759. doi: 10.1371/journal.pone.0104759
18Front Biosci (Landmark Ed). 2016 Jan; 21(3): 561–596.
19Pediatrics. 2009 Aug; 124(2):e218-26
20Int J Stroke. 2014 Apr; 9(3):321-7
21Int J Stroke. 2014 Apr; 9(3):321-7
22J Neurochem. 2013 Aug;126 Suppl 1:80-7. DOI: 10.1111/jnc.12301. PMID: 23859343.
23Front Biosci (Landmark Ed). 2016 Jan; 21(3): 561–596
24Oncologist. 2008; 13 Suppl 3():33-6
25Cochrane Database Syst Rev. 2009 Jul 8;(3):CD007303
26Am J Health Syst Pharm. 2009 Jul 1;66(13):1180-5