Gallensäuren

Artikel aktualisiert am 8. April 2022

Gallensäuren sind Stoffwechselprodukte der Leber und werden im Darm zur Fettverdauung und -resorption benötigt. Sie wirken, je nach Struktur und Konzentration, zudem auch antientzündlich oder toxisch. Neu entdeckte Funktionen betreffen Wirkungen auf die Entzündungs- und Immunreaktionen und in komplexer Weise auf den gesamten Energiehaushalt des Körpers.


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Eigenschaften

Gallensäuren gehören zu einer Familie von Verbindungen mit einem Steroidgrundgerüst und einer Seitenkette, die in der Leber aus Cholesterin synthetisiert und mit der Galle in den Darm ausgeschieden werden. Während in der Galle Gallensäuren im millimolaren Bereich vorliegen, liegt ihre Konzentration im Blut im mikromolaren Bereich. Sie sind dort ganz überwiegend an Albumin gebunden und damit als Emulgatoren unschädlich. Bei einer Gelbsucht durch Gallestau (Cholestase) steigt die Gallensäurekonzentration im Blut stark an.

Je nach ihrer Struktur (dem Hydroxylierungsgrad und der Art der Seitenkette) sind Gallensäuren unterschiedlich wasser- oder/und fettlöslich. Einige von ihnen sind sowohl hydrophil als auch lipophil und entfalten damit „amphiphile“ Eigenschaften (sowohl hydrophil als auch lipophil).

Einzelne Gallensäuren

Im Körper gibt es eine Reihe von Gallensäuren, denen alle ein spezielles Steroidgrundgerüst eigen ist. Sie unterscheiden sich in der Zahl und der räumlichen Orientierung der OH-Gruppen und in den Seitengruppen.

Taurocholsäure und Glykocholsäure gehören zu den amphiphilen Gallensäuren und kommen in der Galle in hoher Konzentration vor. Sie sind Tauro- und Glykokonjugate der Cholsäure, die in unkonjugierter Form praktisch nicht in der Galle erscheint. In wässrigem Milieu lagern sie sich so aneinander, dass die hydrophilen Bezirke ihrer Oberfläche nach außen (zur wässrigen Umgebung) und die lipophilen (oder hydrophoben) nach innen zeigen. Es bilden sich so „Mizellen“ aus mehreren aneinander liegenden Gallensäuremolekülen. Mizellen sind im Körper insofern von Bedeutung, als sie die Fähigkeit besitzen, lipophile Substanzen in ihrem Inneren aufzunehmen und ihre Lösung zu vermitteln: sie wirken als Lösungsvermittler oder Emulgatoren. Im Darm werden die Gallensäuren durch körpereigene und bakterielle Enzyme verändert; sie können an Hydrophilie verlieren und toxisch wirken. So wird aus Cholsäure (3 OH-Gruppen am Steroidgerüst) Chenodesoxycholsäure (2 OH-Gruppen) und aus dieser in geringem Maße die toxische Lithocholsäure (1 OH-Gruppe).

Chenodesoxycholsäure ist von Bedeutung, da sie hilft, Cholesterin zu lösen, was zur Gallensteinvermeidung oder -auflösung beiträgt. Sie ist aber auch Vorstufe der im Darm aus ihr gebildeten Lithocholsäure. Selbst ist die Chenodesoxycholsäure nur gering toxisch; die Lithocholsäure dagegen wirkt stark toxisch, speziell auf die Leber, die sie aus dem Pfortaderblut aufnimmt.

Ursodesoxycholsäure, eine weitere Gallensäure, kommt im menschlichen Körper in nur geringen Konzentrationen vor, ist aber eine der Hauptgallensäuren in Bären (lat. ursus; daher der Name). Sie fördert als Medikament die Auflösung von Gallensteinen, sie übt praktisch keine wesentlichen Nebenwirkungen aus. Es werden immunmodulatorische Wirkungen festgestellt, die früh schon bei der Behandlung der primär biliären Cholangitis aufgefallen waren.

Obeticholsäure ist ein synthetisches Derivat der Chenodesoxycholsäure. Seine immunmodulatorische und antientzündliche Wirkung eignet sich zur Therapie der PBC und der NASH besonders (siehe hier) (1)Expert Rev Clin Pharmacol. 2016;9(1):13-26 (2)Dig Dis Sci. 2016 May;61(5):1398-405.

Funktionen im Körper

Die amphiphile Eigenschaft von Gallensäuren kommt im Körper an zwei Stellen besonders zur Wirkung.

  • Gallensäuren helfen über Bildung gemischter Mizellen (zusammen mit Lecithin) zur Lösung von Cholesterin und lipophiler exogen zugeführter Substanzen (Xenobiotika). Dies ist eine Vorbedingung für ihre Ausscheidung über die Galle in den Darm.
  • Gallensäuren aktivieren die Pankreaslipase im Dünndarm und setzen dadurch die Fettverdauung in Gang.
  • Lipophile Nahrungsbestandteile und Verdauungsprodukte sowie lipophile Vitamine werden durch Gallensäuren in Mizellen gelöst, so dass sie durch den Schleimbelag zur Oberfläche der Darmwand gelangen können. Ohne Gallensäuren könnten sie nicht resorbiert werden, und es käme zu einem Mangel an Fett und fettlöslichen Vitaminen (A, D, E und K) im Körper.
  • Gallensäuren binden an den Kernrezeptor FXR („farnesoid X receptor“), der den Gallensäure-, Lipid- und Glukosestoffwechsel reguliert und antientzündliche Effekte vermittelt (3)Schonewille M et al. Curr Opin Lipidol. 2016 Mar 30. [Epub ahead of print].

Bedeutung bei Erkrankungen

Gallensäuren werden bei einer Cholestase im Körper retiniert. Sie sind möglicherweise an der Entstehung von Krankheitssymptomen wie generalisiertem Juckreiz beteiligt. Ihr Einfluss auf Funktionen des Kreislaufs und des Immunsystems ist noch nicht völlig geklärt. Ursodesoxycholsäure hat eine Reihe für die Therapie von Krankheiten interessante Wirkungen (s. u.). Lithocholsäure und in gewissem Maße auch Chenodesoxycholsäure, aus der Lithocholsäure entstehen kann, sind toxisch und erhöhen das Risiko für Darmkrebs.

Ein übermäßiger Verlust an Gallensäuren findet beispielsweise beim Kurzdarmsyndrom statt, bei dem das terminale Ileum einbezogen ist. Es kommt zu profusen Durchfällen und einer leicht erhöhten Neigung zur Bildung von Gallensteinen.

Therapie mit Gallensäuren

  • Ursodesoxycholsäure (UDCA)
    • wird zur Behandlung chronisch cholestatischer Erkrankungen wie der PBC oder der PSC eingesetzt. Bei einigen Patienten verbessern sich dadurch Juckreiz und Allgemeinbefinden. Es soll die Aktivität der Erkrankungen vermindern und ihre Progredienz in Richtung Leberzirrhose verlangsamen.
    • kann zu einer Verbesserung der Symptomatik und zu einem Abheilen der Gastritis bzw. einer Refluxösophagitis beitragen.
    • wirkt immunmodulatorisch und scheint auf diese Weise eine geringe Wirkung bei der rheumatoiden Arthritis zu entfalten. Mehr zur Ursodesoxycholsäure siehe hier).
  • Ursodesoxycholsäure (UDCA) und Chenodesoxycholsäure (CDCA) werden zur Auflösung von Cholesterinsteinen in der Gallenblase verwendet, wenn eine Operation nicht möglich oder gewünscht ist.
  • Chenodesoxycholsäure (CDCA) (4)Am J Med Sci. 1994 Jan;307(1):54-63
    • hemmt den geschwindigkeitslimitierenden Schritt der Cholesterin-Biosynthese in der Leber und kann somit den Cholesterinspiegel senken,
    • wird therapeutisch eingesetzt bei der cerebrotendinösen Xanthomatose (bei der eine anormale Gallensäurezusammensetzung im Blut vorliegt) (5)Pediatr Endocrinol Rev. 2009 Sep;7(1):6-11 und der Hypertriglyceridämie,
    • hat einen positiven Effekt bei der rheumatoiden Arthritis (6)Lancet. 1976 Mar 27;1(7961):700,
    • wirkt abführend.
  • Obeticholsäure ist ein synthetisches CDCA-Derivat, welches sich günstig zur Behandlung der PBC und der NASH zu erweisen scheint (7)Ann Transl Med. 2015 Jan;3(1):5. doi: 10.3978/j.issn.2305-5839.2014.12.06 (8)Expert Rev Clin Pharmacol. 2016;9(1):13-26.

Enterohepatischer Kreislauf

Gallensäuren sind als Lösungsvermittler

  • für die biliäre Ausscheidung von Cholesterin mit der Galle und
  • für die Verdauung und Resorption von Fetten im Darm

für den Körper unverzichtbar. Aus diesem Grund werden sie nach ihrer Ausscheidung mit der Galle in den Zwölffingerdarm und nach ihrer Dünndarmpassage im terminalen Ileum für den Körper wiedergewonnen und fast vollständig resorbiert. Sie gelangen in die Blutbahn und über die Pfortader in die Leber, wo sie gleich in den ersten Zellreihen von Hepatozyten hocheffektiv (zu 90%) aufgenommen, erneut mit Glycin oder Taurin konjugiert und sofort auch wieder biliär (in die Galle) ausgeschieden werden.

Dieser enterohepatische Kreislauf (EHC) der Gallensäuren ist

unterbrochen und bei einigen gewichtsreduzierenden Operationsverfahren (bariatrische Operation) beschleunigt. Durch den Verlust der Funktionstüchtigkeit des terminalen Ileums (durch Erkrankung oder nach Resektion) kommt es zu einem Gallensäureverlustsyndrom mit Neigung zu Gallensteinen und fettigen Durchfällen (chologene Diarrhö).

Gallensäuren als Mediatorstoffe und „Steroidhormone“

Zusätzlich zu dieser „klassischen“ Sichtweise auf die Gallensäuren als Substanzen, welche für die Fettverdauung und -resorption und für die Ausscheidung von überschüssigem Cholesterin erforderlich sind, hat die Forschung neue Funktionen entdeckt, die

  • den Glukose und Fettstoffwechsel,
  • das Immunsystem,
  • die Entzündungsreaktionen und
  • den gesamten Energiehaushalt des Körpers

betreffen. Auswirkungen betreffen auch die Entstehung von Krebs und Funktionen und Krankheiten des Gehirns. (9)Handb Exp Pharmacol. 2019;256:51-72. doi: 10.1007/164_2019_236. PMID: 31230143. (10)Oxid Med Cell Longev. 2022 Mar 11;2022:4289383. DOI: 10.1155/2022/4289383. PMID: 35308170; PMCID: … Continue reading

Diese komplexen Wirkungen werden über besondere Rezeptoren ausgelöst, zu denen vor allem Farnesoyl-X-Rezeptor (FXR), Takeda-G-Protein gekoppelter Rezeptor 5 (TGR5), der Vitamin-D-Rezeptor (VDR) und der Pregnan-X-Rezeptor (PXR) gehören. Da sie durch die unterschiedlichen Gallensäurespezies in unterschiedlicher Weise aktiviert werden und einige von ihnen selbst fördernd oder hemmend in Signalwege und Stoffwechselprozesse des Körpers eingreifen, ist die Zusammensetzung der Gallensäurespezies im Darm von außerordentlicher Bedeutung.

Da Gallensäuren jedoch durch die verschiedenen Bakterienstämme (das Darmmikrobiom) unterschiedlich verändert werden, spielen auch diese (über die von ihnen gebildeten Gallensäurederivate) für die Regulationen der Körperprozesse eine bedeutende Rolle. Umgekehrt beeinflussen Gallensäuren auch die Zusammensetzung der Mikrobiota des Darms, so dass ein sehr komplexes Wechselspiel zwischen Bakteriom, Gallensäuremischung und gallensäurabhängigen Körperfunktionen besteht.

Dazu siehe hier.

Verweise

 

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).


 


Literatur

Literatur
1Expert Rev Clin Pharmacol. 2016;9(1):13-26
2Dig Dis Sci. 2016 May;61(5):1398-405
3Schonewille M et al. Curr Opin Lipidol. 2016 Mar 30. [Epub ahead of print]
4Am J Med Sci. 1994 Jan;307(1):54-63
5Pediatr Endocrinol Rev. 2009 Sep;7(1):6-11
6Lancet. 1976 Mar 27;1(7961):700
7Ann Transl Med. 2015 Jan;3(1):5. doi: 10.3978/j.issn.2305-5839.2014.12.06
8Expert Rev Clin Pharmacol. 2016;9(1):13-26
9Handb Exp Pharmacol. 2019;256:51-72. doi: 10.1007/164_2019_236. PMID: 31230143.
10Oxid Med Cell Longev. 2022 Mar 11;2022:4289383. DOI: 10.1155/2022/4289383. PMID: 35308170; PMCID: PMC8933076.