Das Wichtigste verständlich


Die Therapie des Autismus (Autismus-Spektrum-Störungen, ASD) sollte so früh wie möglich einsetzen, um die Gehirnentwicklung und das Verhalten so günstig wie möglich zu beeinflussen.

Autismus-Spektrum-Störungen (ASDs) sind Störungen im Empfinden und Verhalten, die bereits bei kleinen Kindern und sogar schon im Säuglingsalter nachweisbar sein und das soziale Verhalten beeinträchtigen können. Die Bandbreite der Erkrankung reicht von gering (Asperger-Syndrom) bis erheblich gestört. (Dazu siehe hier.) Wenn bereits kleine Kinder Symptome zeigen, liegt meist ein schwerer Verlauf vor ihnen.

Verhaltenstherapie: Die Behandlung autistischer Kinder ist je nach Ausprägung eine Herausforderung. Eine der Symptomatik angepasste Verhaltenstherapie steht bei jungen Kindern (unter 6 Jahren) im Zentrum. Eine Musiktherapie, in die sich die Betreuer fachlich einweisen lassen sollten, kann hilfreich sein. Je nach Stressbelastung der Betreuer ist eine Supervision angezeigt. Die Behandlung älterer Kinder und Jugendlicher ist von ständigem, fast drillartigem Training geprägt.

Medikamentöse Maßnahmen können bei schwereren Ausprägungen helfen, die soziale Eingliederung zu verbessern. Zu den Optionen, die individuell infrage kommen können, siehe unten.

Diätetische Maßnahmen: Sie sind Erfolg versprechend und inzwischen auch experimentell begründbar. Eine konsequente glutenfreie und kaseinfreie (milchfreie) sowie Mais-freie Kost vermag laut Studien die häufig assoziierten gastrointestinalen Symptome (Durchfälle) sowie auch die Verhaltensstörungen günstig zu beeinflussen. Nach heutigen Erkenntnissen spielt dabei eine Beeinflussung des Darmmikrobioms und der „gut-brain“-Achse (Beziehung zwischen Darm und Gehirn) eine tragende Rolle.

Es sollte auf einen ausgeglichenen Vitamin-D-Spiegel geachtet werden (sehr häufig liegt ein Mangel vor).

Tuberöse Sklerose: Autistische Störungen, die im Rahmen einer tuberösen Sklerose auftreten und die bei etwa der Hälfte der Betroffenen zu beobachten sind, reagieren in einigen Fällen günstig auf Everolimus.

Fragiles-X-Syndrom: Dieses Syndrom ist mit Autismus assoziiert. Bei ihm verbessert Brustmilchernährung die Chance, kein ASD zu entwickeln.

→ Zu Autismus-Spektrum-Störungen siehe hier.

Autismus

Autistische Menschen sind durch ein gestörtes Sozialverhalten und sich wiederholende (repetitive) Verhaltensweisen gekennzeichnet. Die Behandlung autistischer Störungen richtet sich auf eine Milderung der sozialen Einschränkungen durch Verhaltenstherapie als auch auf die Vorbeugung einer Verschlechterung.

Behandlungsindikation

Grundlegend für eine Behandlung ist die Einschätzung, ob die vorliegende Verhaltensstörung als eine nur leichte Abweichung vom Normalen, als Störung oder bereits als Krankheit anzusehen ist, die behandelt werden sollte.

  • In leichten Fällen (high functioning autism) mag eine Behandlungsbedürftigkeit in Frage gestellt werden. Hier kommen eventuell Veränderungen in der Ernährung und der Lebensführung in Betracht.
  • Eine Störung, die zu Schwierigkeiten im Sozialleben führt, kann zusätzlich eine Verhaltenstherapie und Training einzelner Fähigkeiten (z. B. Sprachtraining, Training sozialer Fähigkeiten) erfordern.
  • In schwereren Fällen mit Unfähigkeit zu einer sozialen Eingliederung und einer Lebensbewältigung sollte auf eine zusätzliche medikamentöse Therapie nicht verzichtet werden.

Auditives Training

Beim auditiven Training ist zu berücksichtigen, dass bei vielen ASD-Betroffenen eine Hyperakusis (verminderte Lautstärketoleranz) besteht. (1)Neurosci Biobehav Rev. 2021 Feb;121:1-17. doi: 10.1016/j.neubiorev.2020.11.030. Die Lebenszeitprävalenz einer Hyperakusis soll um 60 % liegen. (2)Ear Hear. 2021 Sep/Oct;42(5):1137-1150. DOI: 10.1097/AUD.0000000000001005

Laut einer Cochrane-Zusammenstellung von Studien (2022) führt Musiktherapie über längere Frist zu einer Verringerung des Schweregrads der Autismus-Symptome. Allerdings fehlen verlässliche Daten zu den einzelnen Altersgruppen und der Nachhaltigkeit. (3)Cochrane Database Syst Rev. 2022 May 9;5(5):CD004381. DOI: 10.1002/14651858.CD004381.pub4.

Musiktherapie

Studien besagen, dass Musiktherapie die sozialen Fähigkeiten und die sprachliche Kommunikation autistischer Kinder zu stärken vermag. Voraussetzung ist eine gute Ausbildung der Musiktherapeuten im Hinblick auf den Autismus. (4)Child Care Health Dev. 2013 Nov 22. doi: 10.1111/cch.12121 Musiktherapie war laut einer Cochrane-Zusammenstellung (5)Cochrane Database Syst Rev. 2014 Jun 17;6:CD004381. doi: 10.1002/14651858.CD004381.pub3. einer „Placebo-Therapie“ überlegen bezüglich

  • soziale Interaktionen (auch außerhalb des Therapiekontextes),
  • sozial-emotionaler Austausch,
  • nonverbale kommunikative Fähigkeiten (nur während des Therapiekontextes),
  • verbale kommunikative Fähigkeiten,
  • Eigeninitiative.

Von den verbesserten sozial-kommunikativen Fähigkeiten profitierten speziell auch die Eltern-Kind-Beziehungen.

Gesungene Ansprache ist günstiger als gesprochene: Eine Beobachtungsstudie an 3 Kindern im Alter von 3 und 4 Jahren zeigte, dass gesungene Anweisungen zu einer gegenüber gesprochenen Anweisungen erhöhten Aufmerksamkeit, verbessertem Augenkontakt und vermehrten sozialen Gesten führte (6)Front Hum Neurosci. 2015 Oct 29;9:555.. Dies findet nach fMRI-Untersuchungen eine Entsprechung in einer vebesserten frontotemporalen Konnektivität im Gehirn (7)Autism Res. 2015 Apr;8(2):174-86.

Alltagsanforderungen

Autistische Menschen werden häufig durch Veränderungen ihrer Umwelt, ihres sozialen Feldes oder im Tagesablauf extrem verunsichert und reagieren mit Stress, Angst und Aufregung. Es gibt viele Ratschläge, autistischen Kindern solche Veränderungen und Ereignisse begreiflich zu machen und die Schrecken abzumildern. Es werden Geschichten und Bilder empfohlen, in denen ein ähnliches Ereignis in verständlicher Weise eingebettet ist, die immer wieder wiederholt werden. So kann solch ein Kind beispielsweise auch auf den absehbaren Tod einer Bezugsperson vorbereitet werden. Tipps sind auf Spezialseiten für betroffene Eltern im Internet erhältlich (beispielsweise hier).

Verhaltenstherapie

In vielen Fällen bessert eine Sprachtherapie die sprachlichen Fähigkeiten. Oft ist es notwendig, diffuse Interessen fokussieren zu lernen, oder zu lernen, bei Gesprächen in die Augen des Gegenüber zu blicken. Viele solcher Verhaltensregeln müssen einzeln geübt werden. Eine Cochrane-Zusammenstellung 2013 findet in der Literatur einige Evidenz für den positiven Einfluss eines durch die Eltern bewusst ausgeübten Trainings bezüglich solcher Defizite. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass Eltern dabei frühzeitig Unterstützung benötigen, speziell auch, um den eigenen Stress im Umgang mit dem autistischen Kind zu ertragen. (8)Cochrane Database Syst Rev. 2013 Apr 30;4:CD009774 Eltern-Trainingsprogramme können dabei helfen. (9)Autism Res Treat. 2014;2014:839890 Die Anstrengungen lohnen bei den meisten autistischen Kindern in jungem Alter (unter 6 Jahren); Studien berichteten über vielversprechende telemedizinisch und geschwistervermittelte Interventionen. (10)Rev J Autism Dev Disord. 2022;9(2):208-234. DOI: 10.1007/s40489-021-00249-8. Die günstigen Ergebnisse unterstützen die Bedeutung einer frühen Diagnosestellung. (11)Autism Res. 2018 Apr;11(4):654-666. DOI: 10.1002/aur.1917.

Die Behandlung über Verhaltenstraining älterer Kinder und Jugendlicher beinhaltet ständiges, fast drillartiges Training (fast wie eine „Dressur“), in das die Eltern und Geschwister eingebunden sind. Da Drill der Natur der Betroffenen widerspricht, lehnen einige diese Methode ab. So wird vielfach angestrebt, die Methoden individuell angemessen anzuwenden. Ein großes Ziel ist es, Betroffene von unkontrollierter Agression in ein Stadium hineinzubringen, in dem Bedürfnisse ausgedrückt werden können, und das später im Leben eine Heimunterkunft vermeiden hilft. Hilfestellung kann man über das Selbsthilfenetzwerk Autismus erhalten (siehe hier).

Diät

Die Ernährungsweise bestimmt wesentlich die Zusammensetzung der Darmflora (Mikrobiom des Darms). Die einzelnen Bakterienstämme beeinflussen über Mediatorstoffe und Stoffwechselprodukte in unterschiedlicher weise den Körper und das Gehirn (Gut-Brain-Axis). Beim Autismus finden sich Veränderungen im Mikrobiom (Dysbiose: vermehrt Firmicutes). (12)J Autism Dev Disord. 2022 Jul 31. DOI: 10.1007/s10803-022-05682-0. Aus diesen Gedanken wird abgeleitet, dass eine Beeinflussung der Keimzusammensetzung (z. B. über eine Diät) einen günstigen Einfluss auf den Schweregrad autistischer Symptome haben kann. (13)Int J Mol Sci. 2022 Jan 25;23(3):1363. DOI: 10.3390/ijms23031363. Eine Meta-Auswertung von Studien besagt, dass eine adaptierte Diät einen signifikant positiven Effekt auf Ausprägung und Verlauf einer ASD hat. (14)Front Neurol. 2022 Mar 14;13:844117. DOI: 10.3389/fneur.2022.844117

Von einem besseren Verständnis der Zusammenhänge wird ein neuer Zugang zu Therapieoptionen erhofft.  (15)Nutrients. 2021 Dec 16;13(12):4497. DOI: 10.3390/nu13124497  Eine frühere Perspektivarbeit inaugurierte diätetische Maßnahmen, die bereits vorgeburtlich einsetzen sollten, um den Schweregrad autistischer Symptome des Kindes beeinflussen zu können. (16)Rocz Panstw Zakl Hig. 2013;64(1):1-12

Vitamine

Bereits während der Schwangerschaft sollte auf eine ausreichende Zufuhr aller Nährstoffe geachtet werden, die zu einer gesunden Entwicklung des Kindes beitragen; dazu gehören insbesondere eine ausreichende Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen. Einige Vitamine spielen auch nach der Geburt für das Kind eine besondere Rolle, so bezüglich einer Autismus-Prophylaxe vor allen Folsäure und Vitamin D. Beide spielen bei der Gehirnentwicklung eine Rolle; speziell von Vitamin D wird eine positive Beeinflussung des Autismus erwartet. (17)Med Hypotheses 2013;81:195-198 Studien besagen, dass bei 95% der ASD-Patienten zwischen 3 und 18 Jahren einen Vitamin-D-Mangel aufweisen. (18)J Int Med Res. 2020 Jul;48(7):300060520934638. DOI: 10.1177/0300060520934638. Eine Studienauswertung besagt, dass ein besserer Vitamin-D-Status mit einem geringeren Schweregrad des ASD verbunden ist. (19)Nutrients. 2021 Dec 22;14(1):26. DOI: 10.3390/nu14010026

Milch

Kasein aus Kuhmilch verschlechtert des Verlauf wahrscheinlich: Bei Milchtrinkern finden sich Casomorphine im Körper, die als exogene Opioid-Peptide wirken und mit Opioid- und Serotonin-Rezeptoren interagieren. Sie sollen die Entstehung von Synapsen beeinflussen. Bei Autismus-Kindern finden sich entsprechend dem Schweregrad der Symptomatik erhöhte Werte von Casomorphin-7 im Urin. Es wird die Hypothese vertreten, dass eine langzeitige Zufuhr von Casomorphinen aus Kuhmilch die Hirnentwicklung autistischer Kinder beeinflusst und zu einer Verschlechterung des Verlaufs beiträgt. (20)Peptides. 2014 Jun;56:68-71 Speziell aus Milch stammende Opioidpeptide sollen potenzielle Faktoren sein, die zur Entwicklung eines Autismus beitragen. (21)Nutrients. 2019 Jan 4;11(1):87. doi: 10.3390/nu11010087.

Beim „Fragilen-X-Syndrom“ entwickelt sich im Lafe des Lebens häufig ein ASD. Das ASD-Risiko und die gastrointestinale Symptomatik wird durch Brustmilchernährung vermindert. (22)Nutrients. 2021 May 24;13(6):1785. DOI: 10.3390/nu13061785  (23)J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2016 Feb;62(2):317-27. DOI: 10.1097/MPG.0000000000000907

Omega-3-Fettsäuren

Omega-3-ungesättigte Fettsäuren (omega-3 polyunsaturated fatty acids (n-3 PUFA)) spielen offenbar eine große Rolle bei der vorgeburtlichen ASD-Prävention. Eine gute Quelle dieser Fettsäuren ist beispielsweise Fischöl. Mais dagegen enthält Omega-6-Fettsäuren und keine Omega-3-Fettsäuren und sollte daher vermieden werden. Bei Müttern autistischer Kinder wurde in einer Erhebung ihrer Ernährungsgewohnheiten während der Schwangerschaft festgestellt, dass eine verminderte Omega-3-Fettsäure-Zufuhr (nur bis 5%) mit einem signifikanten Anstieg von kindlichem Autismus verbunden war (relatives Risiko bis 2,42). (24)Am J Epidemiol. 2013 Jul 15;178(2):209-20 Aus diesen Befunden lässt sich ableiten, dass während der Schwangerschaft auf eine ausreichende Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren geachtet werden sollte. Größere Studien sollten dies untermauern.

Gluten- und Casein-freie Diät

Immer wieder werden gluten- und kaseinfreie Diäten als günstig für den Verlauf der ASD beschrieben. Die Fallzahlen sind klein und nicht ausreichend, um eine allgemeine Empfehlung zu geben. (25)Nutrients. 2022 Apr 25;14(9):1797. DOI: 10.3390/nu14091797  (26)Eur J Nutr. 2018 Mar;57(2):433-440. DOI: 10.1007/s00394-017-1483-2 Beispiele:

  • Bereits 2004 wurde in einer Cochrane-Bewertung festgestellt, dass eine gluten- und kasein-freie Diät einen positiven Effekt auf autistische Symptome ausübt, wobei die kognitiven, sprachlichen und motorischen Fähigkeiten weniger gut ansprachen. (27)Cochrane Database Syst Rev. 2004;(2):CD003498 Allerdings fehlten große Studien, was auch 2008 noch bemängelt wurde. (28)Cochrane Database Syst Rev. 2008 Apr 16;(2):CD003498
  • Eine skandinavisch-britische, randomisierte verblindete Studie an ASD-Kindern zeigte, dass eine gluten- und kasein-freie Diät nach verschiedenen Scores einen positiven Effekt bewirkte. (29)Nutr Neurosci. 2010 Apr;13(2):87-100 Am meisten profitierten Kinder im Alter zwischen 7 und 9 Jahren. (30)Nutr Neurosci. 2014 Sep;17(5):207-13
  • Eine Gluten- und Casein-freie Diät (GFCF) hat in einer kleinen Pilotstudie an 7 Kindern (mittleres Alter 9 Jahre) laut Angabe der Eltern auf standardisierten Fragebögen zu einer Verbesserung der Verhaltensmuster und gastrointestinaler Symptome geführt. (31)Complement Ther Med. 2012 Dec;20(6):437-40

Pharmakotherapie

Eine sicher wirksame medikamentöse Therapie gibt es nicht. Einzelne Medikamente können jeweils in bestimmten Beziehungen nützlich sein und einzelne Symptome (je nach Ausprägung) mildern helfen. (32)Mol Autism. 2022 Mar 4;13(1):10. doi: 10.1186/s13229-022-00488-4.

  • Cholinergika: Cholinergika wirken durch Hemmung des Abbaus von Acetylcholin (Ach) in den synaptischen Spalten. Dadurch kommt es zu einer gesteigerten Wirkung in den Gehirnbereichen, in denen Ach als Überträger wirkt. So werden dadurch Aufmerksamkeit, Neugier und Gedächtnis beeinflusst. Untersuchungen mit Galantamin an autistischen Kindern haben ergeben, dass sich dadurch die Ablenkbarkeit, der soziale Rückzug, die Hyperaktivität und die sprachlichen Fähigkeiten verbesserten. (33)J Child Adolesc Psychopharmacol 2006;16:621-629 (34)BMJ 2002;325:1422
  • Glutamat-Antagonisten: Eine Hypothese besagt, dass beim Autismus hyperglutaminerge Bedingungen im Gehirn vorherrschen. Es findet sich eine zu hohe Aktivität des Neurotransmitters Glutamin, der in dieser überhöhten Konzentration toxisch wirkt.
    • Memantine hat entsprechend zu einer symptomatischen Verbesserung bezüglich Irritierbarkeit und Ablenkbarkeit, stereotypem Verhalten und Hyperaktivität geführt; aber größere aussagekräftige, doppelt verblindete Studien dazu fehlen. (35)Int J Neuropsychopharmacol 2013;16:783-789
    • Riluzol (Rilutek®) ist eine den Glutamat-Stoffwechsel modulierende Substanz. In einer Studie, in der es zusätzlich zu Risperidon verabreicht wurde, verbesserte es signifikant die Irritierbarkeit, den sozialen Rückzug, stereotype Verhaltensweisen und Hyperaktivität. Es bewirkte zudem eine Appetitsteigerung und Gewichtszunahme. (36)Paediatr Drugs. 2013 Dec;15(6):505-14
  • Sekretin: Durch Zufall wurde eine „dramatisch“ positive Wirkung von Sekretin, das während einer Endoskopie zur Steigerung der Pankreassekretion appliziert wurde, auf soziale, kognitive und kommunikative Fähigkeiten von Kindern mit Autismus festgestellt. (37)J Assoc Acad Minor Phys. 1998;9(1):9-15 Später wurde der Effekt in Folgeuntersuchungen relativiert. (38)Res Dev Disabil. 2005 Jan-Feb;26(1):87-97 Weitere Untersuchungen legen nahe, dass Sekretin den Dopamin-Stoffwechsel im Gehirn beeinflusst; nur diejenigen Kinder reagieren positiv, die nach Sekretin einen Anstieg von 6R-5,6,7,8-tetrahydro-L-biopterin (BH(4)) im Liquor aufweisen. (39)Brain Dev. 2006 Mar;28(2):99-103
  • Opioid-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Naltrexon): Es wird angenommen, dass eine Hypersekretion von endogenen Opioiden in einigen Fällen zur Symptomatik von Kindern mit Autismus beiträgt. Insbesondere bei Neigung zur Selbstverletzung und bei Hyperaktivität vermag Naltrexon in einigen Fällen (um ca. 50%) zu einer Verbesserung führen. (40)Ment Retard Dev Disabil Res Rev. 2004;10(3):193-200
  • Oxytocin: Der Neurotransmitter Oxytocin beeinflusst das soziale Verhalten (siehe hier). Es wird überwiegend von großzellulären Neuronen des Nucleus supraopticus und Nucleus paraventricularis gebildet und zum Hypophysenhinterlappen sowie zu verschiedenen Hirnstrukturen des limbischen Systems, zum Mittelhirn und zum Okzipitalhirn transportiert. Im Blut wirkt es als Hormon, im Gehirn als Neutrotransmitter und Neuromodulator. Oxytocin fördert Vertrauen und soziale Interaktionen und vermag aggressives Verhalten abzubauen, wie an einem exemplarischen Fall mit Langzeit-Therapie über einen Oxytocin-Nasalspray gezeigt wurde. (41)BMC Psychiatry. 2012 Aug 13;12:110
    • Eine Studie, die das Sozialverhalten nach einer standardisierten Skala registrierte (Aberrant Behavior Checklist modified Social Withdrawal subscale, ABC-mSW), hat jedoch keinen Einfluss von Oxitocin-Nasenspray erkennen lassen. (42)N Engl J Med 2021; 385:1462-1473 DOI: 10.1056/NEJMoa2103583 Eine weitere Studie zeigt keine wesentliche Modulation von Empathie-bezogenen, mit fMRI (funktionelle Magnetresonanztomographie) prüfbaren neuralen Effekten. (43)Sci Rep. 2021 Jul 23;11(1):15056. DOI: 10.1038/s41598-021-94407-x
    • Bei Menschen mit Autismus wurde ein genetischer Zusammenhang mit Plasma-OT festgestellt, von dem einige mit bekannten Autismus-Risikogebieten assoziiert sind. Es gibt einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Plasma-OT-Spiegeln und Genexpression und Epigenetik bei autistischen Menschen über mehrere Genwege hinweg. Dies mag zu dem Mangel an Sozialvertrauen beitragen. (44)Autism Res. 2023 Mar;16(3):502-523. doi: 10.1002/aur.2884 Eine experimentelle tägliche intranasale OT-Verabreichung über 4 Wochen bei ASD-Mäusemodellen. Mit OXT behandelte Tiere verbrachten bereits nach zweiwöchiger Behandlung doppelt so viel Zeit mit dem Sozialpartner. (45)Mol Psychiatry. 2024 Feb;29(2):342-347. doi: 10.1038/s41380-023-02330-6
  • Bumethanid, bekannt als ein Diuretikum (Hemmung des Natrium-Kalium-Chlorid-Kotransportetrs), erhöht die Zeit des Augenkontakts und die Fähigkeit Emotionen zu erkennen. (46)Sci Rep. 2018;8(1):1–8. doi: 10.1038/s41598-018-21958-x (47)Autism. 2015;19(2):149–157. doi: 10.1177/1362361313514141. In einer Studie wurde ein gewisser Effekt bezüglich repetitier Verhaltensweisen, nicht aber bezüglich sonstiger abartiger Verhaltensweisen gefunden. (48)J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2021 Jul;60(7):865-876. DOI: 10.1016/j.jaac.2020.07.888.
  • N-Acetyl-Cystein (NAC) beeinflusst den Stoffwechsel von Glutathion (GSH), welches für das Redox-Gleichgewicht der Zellen und damit die Bewältigung von oxidativem Stress (auch von Nervenzellen) wesentlich ist. Eine NAC-Administration (bis 2700 mg pro Tag) verringerte in einer Studie signifikant die Ablenkbarkeit und das repetitive Verhalten der Studienteilnehmer mit Autismus. (49)Biol Psychiatry. 2012 Jun 1;71(11):956-61 NAC erhöht den positiven Effekt von Risperidon signifikant. (50)BMC Psychiatry. 2013 Jul 25;13:196 In einer späteren Studie wurden keine Effekte auf das Sozialverhalten festgestellt. (51)Mol Autism. 2016 Apr 21;7:26. doi: 10.1186/s13229-016-0088-6. Im Tiermodell des Autismus allerdings wurde eine Abschwächung der sozialen Dysfunktion nachgewiesen. (52)Front Psychiatry. 2022 Feb 25;13:851679. DOI: 10.3389/fpsyt.2022.851679
  • Ubiquinon (CoQ10) spielt bei der mitochondrialen Zellatmung eine Rolle und vermindert den zellulären oxidativen Stress (auch von Nervenzellen). Die supplementäre Zufuhr von Ubiquinon (CoQ10-Total) verbesserte in einer Studie an 24 Kindern mit Autismus innerhalb von 3 Monaten die Kommunikation mit den Eltern (in 12%), die verbale Kommunikation (in 21%), das Spielen (in 42%), den Schlaf (in 34%) und das Essverhalten (in 17%). (53)Oxid Med Cell Longev. 2014;2014:798957
  • Eine Cannabinoid-Behandlung des Autismus hat kein eindeutiges Ergebnis geliefert. (54)Mol Autism. 2021 Feb 3;12(1):6. doi: 10.1186/s13229-021-00420-2 In einigen Studien wird jedoch über eine Verbesserung berichtet bezüglich Hyperaktivität, Anfällen von Selbstverstümmelung und Wut, Schlafstörungen, Angst, Unruhe, psychomotorische Erregung, Reizbarkeit, Aggressivität, Ausdauer und Depression. (55)Trends Psychiatry Psychother. 2022 Jun 13;44:e20200149. DOI: 10.47626/2237-6089-2020-0149.
  • Weitere in Testung befindliche Substanzen sind Arbaclofen, Trofinetid und andere. Ergebnisse müssen abgewartet werden. (56)Neurotherapeutics. 2022 Jan;19(1):248-262. doi: 10.1007/s13311-022-01183-1

Aggressives Verhalten

Aggressives Verhalten, wie es bei Menschen mit ASD gelegentlich vorkommt, lässt sich durch Verhaltenstherapie meist nicht ausreichend wirksam beeinflussen. Ein Tiermodell dafür sind Mäuse mit einem genetischen Defekt in Neuroligin-3. Bei ihnen findet sich ebenfalls ein gesteigert aggressives Verhalten. Der Einsatz von Risperidon vermag es auf Wildtyp-Niveau zu reduzieren  (57)Mol Autism. 2015 Nov 14;6:62. Dies entspricht der klinischen Erfahrung, nach der atypische Antipsychotika, vor allem Risperidon und Aripiprazol, Aggressivität und Hyperaktivität bei Autismus-Kindern dämpfen können (58)Curr Opin Psychiatry. 2015 Mar;28(2):91-101.

Vermehrte Erregbarkeit

Eine vermehrte Erregbarkeit gehört meist zum Autismus hinzu und ist ebenso oft durch Verhaltenstherapie nicht ausreichend beeinflussbar. Eine Studie belegt, dass die Kombination von Buspiron, einem Angst lösenden (anxiolytischen) psychotropen Pharmakon eigener Klasse, und Risperidon, das zur Behandlung der Hyperaktivität bei ADHS-Patienten verwendet wird, auf die Erregbarkeit von Autismus-Kindern einen günstigeren Effekt ausübt als Risperidon alleine (59)Pediatr Neurol. 2015 Jan;52(1):77-81.

Autismus bei tuberöser Sklerose

Die tuberöse Sklerose ist eine genetisch determinierte Erkrankung, bei der viele Organe des Körpers, so auch das Gehirn, involviert sein können. Epilepsie und Autismus gehören zu den Hauptsymptomen. Da inzwischen eine Überaktivierung des mTOR-Signalweges als Ursache herausgefunden werden konnte, boten sich Therapieversuche mit entsprechenden Hemmern (mTOR-Hemmer) an. Everolimus (ein mTOR-Hemmer) hat sich als ein wirksames Medikament herausgestellt, das in einzelnen dieser Fälle zu einer Besserung der autistischen Symptomatik führte (60)Mol Brain. 2016 May 23;9(1):56. doi: 10.1186/s13041-016-0222-6. (Dazu siehe hier.)


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Verweise

Literatur[+]