Kinderlähmung

Artikel aktualisiert am 22. September 2018

Die Kinderlähmung (Poliomyelitis, kurz „Polio“) ist eine virusbedingte Infektionskrankheit, die meist inapparent (unerkannt) verläuft, selten aber zu schwerwiegenden und auch lebensbedrohlichen Lähmungen führt. Weltweite Impfprogramme haben zu einer weitgehenden Eindämmung geführt, aber noch nicht zu einer kompletten Ausrottung.


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Ursache, Entstehung, Infektiosität

Das Poliovirus ist ein Enterovirus (RNA-Virus, Familie der Picornaviren). Der Mensch ist das einzige Reservoir! Das Virus wird über den Stuhl ausgeschieden und fäkal-oral (vom Stuhl über den Mund) von Mensch zu Mensch übertragen. Während der ersten Virusvermehrung im Rachen wird es auch per Tröpfcheninfektion übertragen.

Die Infektiosität beginnt über Tröpfchen nach 1 ½ Tagen und über den Stuhl nach 3 Tagen und dauert bis zu 6 Wochen, bei Menschen mit herabgesetzter Abwehrfähigkeit (Immuninkompetenz) deutlich länger (ggf. über viele Monate bis Jahre).

Symptomatik, klinischer Verlauf

Die Mehrzahl (über 95%) der Ansteckungsfälle verläuft still; in einigen Fällen kommt es zu unspezifischen grippeähnlichen Symptomen mit Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Fieber und Übelkeit.

Durch die Infektion bildet das Immunsystem neutralisierende Antikörper, die bei Schwangeren auch den Fötus und nach der Geburt den Säugling noch für wenige Monate schützen.

In seltenen Fällen (ca. 2%) kommt es durch die Infektion zu einer Hirnhautentzündung (Meningitis) mit Fieber, Nackensteife und Rückenschmerzen.

In sehr seltenen Fällen (bis ca. 1%) entwickeln sich in einer zweiten Krankheitsphase nach 2-3 Tagen Lähmungen, die unterschiedlich ausgeprägt sein können; am häufigsten sind die Beine betroffen. Aber auch alle anderen Muskelgebiete können (auch asymmetrisch) betroffen sein. Wenn die Atemmuskulatur betroffen ist, kommt es zur Ateminsuffizienz, so dass künstliche Atemhilfen (oft für den Rest des Lebens) nötig werden. Im Laufe der nächsten Monate bis Jahre kommt es bei solch schweren Verläufen zu Muskelschwund und seinen Folgeschäden (wie Knochenabbau, Gelenkschäden und Dekubitus).

Therapie

Eine antivirale Behandlung steht nicht zur Verfügung. Die Behandlung konzentriert sich auf die Beherrschung der Symptomatik. Wesentlich ist es, eine Ausbreitung zu vermeiden.

Vorbeugung

Isolation, Händedesinfektion, Stuhlentsorgung und in den ersten Tagen Mundschutz sind die wichtigsten Akutmaßnahmen. Die wichtigste Vorbeugung ist die Impfung mit IPV (inaktivierter Polio-Vakzine), die nach Empfehlung des Robert-Koch-Insituts (STIKO: ständige Impfkommission) schon bei Säuglingen (2. Monat) einsetzen sollte (siehe hier). Nach Deutschland können über Reisende aus der Ukraine und über Migranten aus Afghanistan und Pakistan, möglicherweise auch noch aus Nigeria, Virusausscheider kommen. Bei ihnen sollten bei Verdacht auf Polio-ähnliche Symptomatik (s. o.) Stuhlproben untersucht werden. Wegen der hierzulande guten Durchimpfung wird die Gefahr einer Ausbreitung als gering eingeschätzt (siehe hier).

WHO-Projekt der weltweiten Polioeradikation

Das Eradikationsprojekt besteht seit 1988 und hat inzwischen zu einer Poliofreiheit in Amerika, West-Pazifik, Europa (neu: Ausnahme offenbar Ukraine, s. o.!) und Südostasien geführt. Derzeit (Herbst 2015) verbleiben Nigeria, Afghanistan und Pakistan als einzige Polio-Endemiegebiete (1) 2016;2016:6837824. doi: 10.1155/2016/6837824.. Wie in einem Lancet-Artikel mitgeteilt wird, bemüht sich die WHO selbst in Kriegsgebieten, Impfungen durchzuführen: „I can tell you that polio teams are struggling to work in the war zones of these countries“ (Chris Maher, Manager des Polio Eradikationsprogramms der WHO in der Eastern Mediterranean Region) (2)Lancet Volume 386, No. 10003, p1521–1522, 17 October 2015. Nigeria scheint frei von Polio zu sein, allerdings wird festgestellt, dass in Konfliktgebieten viele (Borno, 33%) nicht sicher sagen können, dass ihr Kind bei der letzten Impfkampagne geimpft worden sei (3)Lancet Infect Dis. 2015 Oct;15(10):1183-92.

Die Schwierigkeit, die von der WHO angestrebte vollständige Eradikation zu vervollständigen, liegt in der oft unerkannten Übertragung des Virus. So wird berichtet, dass nach einer Polio-freien Zeit von 2 Jahren im Jahr 2016 erneut Polio mit Wildvirus im nordöstlichen Bundesstaat Borno von Nigeria nachgewiesen wurde. Eine anhaltende Impfkampagne ist daher generell und speziell in den gefährdeten Ländern unabdingbar  (4) 2017 May 26;17(1):367. doi: 10.1186/s12879-017-2443-4.

Erwartbare Rückschläge

Im Jahr 2017 brach die Kinderlähmung im Kongo erneut aus. Trotz der Maßnahmen zur Eindämmung wurde am 21. Juni 2018 ein neuer Fall festgestellt, diesmal weit weg von der bekannten Ausbruchszone im Inneren des Landes an der Grenze zu Uganda. Dies wird als sehr alarmierend eingestuft! Denn für den Ausbruch in Uganda ist nicht das Wildvirus, wie in Afghanistan und Pakistan, verantwortlich, sondern eine seltene, erneut virulent gewordene Mutante des oralen Impfvirus, die sich offenbar auch rasch und in Sprüngen ausbreiten kann. Es wird befürchtet, dass sich diese Poliovariante über Afrika ausbreiten könnte. (5)http://www.sciencemag.org/news/2018/07/polio-outbreaks-congo-threaten-global-eradication

 


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Verweise

Literatur

Literatur
1 2016;2016:6837824. doi: 10.1155/2016/6837824.
2Lancet Volume 386, No. 10003, p1521–1522, 17 October 2015
3Lancet Infect Dis. 2015 Oct;15(10):1183-92
4 2017 May 26;17(1):367. doi: 10.1186/s12879-017-2443-4
5http://www.sciencemag.org/news/2018/07/polio-outbreaks-congo-threaten-global-eradication