Immunsystem und Krebs“ zeigt auf, wie das Immunsystem durch Krebs beeinflusst wird, und wie es den Krebs beeinflusst. Es ist ein aktuelles und hochinteressantes Kapitel der Forschung, das bereits zu neuen Ansätzen der Krebsbekämpfung geführt hat. Hier werden die Rolle des Immunsystems bei der Krebsentwicklung und die Ansätze zur Immuntherapie besprochen.

Das Immunsystem: Basics

Ambivalenz des Immunsystems


Das Immunsystem spielt eine doppelte Rolle bei Krebs: Es kann

  • Krebs bekämpfen: durch die Zerstörung von Krebszellen und Hemmung ihrer Verbreitung,
  • Krebs fördern: dadurch dass es Tumorzellen züchten hilft, die besser in einem immunkompetenten Wirt überleben können oder durch Förderung von Bedingungen innerhalb der Mikroumgebung, welche die Ausbreitung der Tumorzellen erleichtern (1)Science. 2011 Mar 25;331(6024):1565-70. doi: 10.1126/science.1203486 .

Phasen der Auseinandersetzung

Die Auseinandersetzung des Immunsystems mit Krebszellen („Immunoediting“) ist ein dynamischer Prozess. Sie umfasst drei Stufen: Elimination, Gleichgewicht und Entkommen von Krebszellen.

  • Elimination von Krebszellen: Während der ersten Phase der Elimination greift das Immunsystem des Körpers Krebszellen intensiv an und zerstört sie früh, noch bevor klinische Veränderungen auftreten.
  • Gleichgewicht: Im lang anhaltenden Stadium des Gleichgewichts zwischen Immunangriff und Abwehr der Krebszellen überleben wenige Resttumorzellen in einer Nische.
  • Entkommen von Krebszellen: In der letzten Phase gewinnen Tumorzellen die Fähigkeit, sich der Identifizierung und dem Immunangriff durch den Körper zu entziehen, so dass sie sich aus der Nische heraus wieder ausbreiten können. Dazu verwenden sie verschiedene Mechanismen (s. u.) (2)Onco Targets Ther. 2017 Mar 14;10:1561-1573. doi: 10.2147/OTT.S126424 .

Immunüberwachung (Immunosurveillance)

Die Immunüberwachung des Körpers schützt ihn sehr sicher gegen Krebs. In besonderen Fällen einer Prädisposition jedoch gelingt es ihr nicht ausreichend, so dass einzelne Krebszellen entkommen und sich ausbreiten können.

Die Mechanismen, durch die Krebszellen, die sich neu bilden, dem Immunsystem entkommen, sind beim Mammakarzinom, wo sie besonders ausgeprägt sind, gut untersucht worden (3)Mol Cell Endocrinol. 2014;382:673–682 .

Eine Rolle bei der Entstehung von Krebszellen spielen Genmutationen. Sie treten in allen somatischen Zellen entweder gelegentlich ohne erkennbare Ursache spontan auf; oder sie werden durch verschiedene Krebs erregende Faktoren der Umwelt gefördert.

Einige der mutierten Zellen können sich durch Selbstreparatur erholen, während sich andere durch programmierten Zelltod (Apoptose) selbst zerstören. Dazu trägt das Immunsystem bei, indem es eine Apoptose auslösen kann. Beide Mechanismen, Selbstreparatur wie Apoptose, helfen dem Körper, sich von gelegentlich entstandenen Krebszellen zu befreien. Eine Steigerung der Apoptose kann beim Mammakarzinom therapeutisch durch mTOR-Hemmer erzielt werden (siehe hier) (4)BMC Cancer. 2016 Jul 16;16:487. doi: 10.1186/s12885-016-2490-z.

Eliminierung von Krebszellen

Einige mutierte Zellen exprimieren Neoantigene (neue untypische Oberflächenantigene) auf ihrer Membranoberfläche. Zellen mit Neoantigenen werden vom Immunsystem als fremd identifiziert und abgetötet. So geht der Körper über das Immunsystem sehr effektiv gegen die sporadische Entstehung von abnormalen Zellen und Krebszellen vor (5)Clin Cancer Res. 2015 Apr 1;21(7):1549-57. doi: 10.1158/1078-0432.CCR-14-1186 .

Eine Reihe von Tumoren entgehen der Immunüberwachung. Tumorzellen werden über die von ihnen präsentierten Tumorantigene erkannt. Sie entkommen ihre Erkennung, indem sie die dafür erforderlichen Hilfsproteine, die Tumor-Stressproteine MICA und MICB, rasch proteolytisch abbauen. Dadurch können sie von zytotoxischen T-Zellen und natürlichen Killerzellen sie damit nicht mehr erkannt und eliminiert werden. Dies lässt sich durch eine Impfung gegen das abbauende Enzym verhindern – worin eine große Perspektive steckt. (6)Nature. 2022 May 25.  DOI: 10.1038/s41586-022-04772-4 .

Die Eliminierung von Krebszellen (Eliminationsphase) ist meist charakterisiert durch eine akute, tumorhemmende Entzündung. Sie wird hervorgerufen durch die Infiltration von Zellen des Abwehrsystems und die von ihnen abgegebenen Zytokine.

Im Stadium, in dem die Krebszellen der Immunüberwachung entkommen, dominieren eine schwelende chronische Entzündung und Tumor fördernde Zytokine. Es findet sich eine Infiltration inhibitorischer Immunzellen. Sie bewirken über ihre Zytokine, dass sich Krebszellen weiterentwickeln und neuer Blutgefäße aussprossen können (Tumorangiogenese). Zu den dafür verantwortlichen Zytokinen gehören beispielsweise (7)Onco Targets Ther. 2017 Mar 14;10:1561-1573. doi: 10.2147/OTT.S126424

  • Nekrosefaktoren wie TNF-α,
  • Interleukine wie IL-6 (fördert Invasion), IL-10 (fördert Angiogenese) oder IL-18, -19 und -20 (fördern Tumorbildung und Metastasen), IL-23 (fördert Entzündung), und IL-33 (hemmt Apoptose),
  • Interferone und
  • Kolonie-stimulierende Faktoren.

Krebsentstehung durch Immunentkommen

Einige Krebszellen können dem Angriff des Immunsystems entkommen und sich festsetzen, zu Tumoren entwickeln, Metastasen bilden und für Rückfälle nach Chemotherapie verantwortlich sein. Wie sie dies schaffen ist teilweise bekannt. Daran beteiligt sind verschiedene Mechanismen. Zu ihnen gehören nach einer umfassenden Zusammenstellung (8)Onco Targets Ther. 2017 Mar 14;10:1561-1573. doi: 10.2147/OTT.S126424 beispielsweise folgende:

  • die Modifizierung von Oberflächenantigenen,
  • die Beeinflussung ihres Umgebungsmilieus (microenvironment) über parakrine Mechanismen,
  • Faktoren, die gegen eine Apoptose wirken (Antiapoptose) (9)J Exp Clin Cancer Res. 2011;30:87 ,
  • und die die Wirkung von Immunzellen schwächen,
  • lösliche HLA-Antigene, die für die Herstellung ungünstiger Bedingungen für Immunzellen (z. B. für natürliche Killerzellen und zytotoxische T-Lymphozyten) verantwortlich gemacht werden (10)Tissue Antigens. 2008 Oct;72(4):321-34. doi: 10.1111/j.1399-0039.2008.01106.x. (11)Immunobiology. 2014;219(2):158–165 .

Zur Veränderung der Mikroumgebung gehört bei einigen Tumoren auch die vermehrte Ansammlung immunsuppressiv wirkender Tregs (regulatorischer T-Lymphozyten). Sie unterdrücken die Abwehrfunktion der T-Helferzellen und ihre Zerstörung. So können Tumorzellen dem Immunsystem entkommen. Tregs sind daher zu einem Ziel in der onkologischen Therapie geworden. (12)Mol Cancer. 2023 Feb 4;22(1):26. doi: 10.1186/s12943-023-01714-0. (13)Front Oncol. 2023 Apr 27;13:1157345. DOI: 10.3389/fonc.2023.1157345.

Therapeutische Perspektive

Die Krebsentstehung sowie die Aggressivität eines Tumors wird durch eine außerordentlich komplexe gegenseitige Beeinflussung von Immunsystem und Krebs bestimmt. Entscheidend sind

  • die Faktoren (vom Körper selbst, aus der Umwelt und von den Krebszellen), die auf die Immunzellen wirken und ihre Aktivität bestimmen,
  • die sehr variable Mischung der Mediatorstoffe, die von Entzündungs- und Immunzellen ausgehen und auf die Immunzellen rückwirken und die Krebszellen beeinflussen,
  • die Aktivität ihrer jeweiligen Rezeptoren auf den Zielzellen, die ihre „Befehle“ vermitteln, damit sie (für den Körper oder für die Krebszellen) günstig wirken können, und
  • die Mechanismen der entarteten Zellen, mit denen sie der Immunüberwachung des Körpers entkommen.

Diese Faktoren und Mediatorstoffe spielen je nach ihrer „Mischung“ bei verschiedenen Tumoren unterschiedliche Rollen; sie können Krebs auf verschiedene Art fördern, in anderer Mischung aber auch hemmen (14)Onco Targets Ther. 2017 Mar 14;10:1561-1573. doi: 10.2147/OTT.S126424 (15)J Interferon Cytokine Res. 2015 Jan;35(1):1-16. doi: 10.1089/jir.2014.0026 .

Wie ihr komplexes Zusammenspiel therapeutisch so beeinflusst werden kann, dass die Krebsbekämpfung gefördert wird, ist Hauptziel der Forschung des „Immunsystem und Krebs“-Gebiets geworden.

Immuntherapie von Krebs

Die Wirkung tumorspezifischer T-Zellen wird für die Krebs-Immuntherapie als von entscheidender Bedeutung angesehen. Seit einigen Jahren wird dieser Ansatz therapeutisch verfolgt. Einzelne spektakuläre Therapieerfolge, z. B. bei der akuten lymphblastischen B-Zellleukämie (16)Science Translational Medicine. 2014;6(224) doi: 10.1126/scitranslmed.3008226.224ra25 haben die Entwicklung vorwärts getrieben.

Eine Immuntherapie von Krebs durch Beeinflussung von „immune checkpoints“ ist am besten untersucht: Antikörper gegen spezielle Rezeptorproteine von zytotoxischen Lymphozyten, die das Immunverhalten regulieren, beeinflussen deren Aktivität so, dass sie Krebszellen besser angreifen können.  Eine günstige Wirkung wurde beispielsweise für das nicht kleinzellige Lungenkarzinom, das Melanom, das Nierenzellkarzinom und das Hodgkin-Lymphom gefunden.

Jeder Eingriff in das Immunsystem ist mit dem relativ hohen Risiko von Nebenwirkungen und Komplikationen (Autoimmunreaktionen, z. B. einer Pneumonitis) verbunden, die jedoch im Vergleich mit einer üblichen Chemotherapie meist geringer ausfallen (17)Expert Opin Drug Saf. 2017 Jan;16(1):101-109.

→  Immuntherapie von Krebs

CAR-T-Zell-Therapie

CAR-T-Zellen sind Konstrukte von T-Lymphozyten, die einen Rezeptor transferiert bekommen haben, welcher gegen Oberflächenproteine von Tumorzellen gerichtet ist. Über sie erhalten CAR-T-Zellen Kontakt mit solchen malignen Zellen und können sie zerstören. Diese Therapiemethode ist für die akute lymphozytische Leukämie (ALL) bereits getestet und wirkt hoch effektiv. Sie ist jedoch wegen der Cytokinfreisetzung nebenwirkungsbelastet.

CAR-T-Zellen.


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Verweise

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