Ibrutinib (zuvor PCI 32765) ist ein Wirkstoff zur Behandlung von lymphatischen Systemerkrankungen, wie

  • der chronisch lymphatischen Leukämie,
  • dem Mantelzelllymphom und
  • der Makroglobulinämie Waldenström,

und entfaltet auch Wirksamkeit bei Autoimmunkrankheiten (1)Proc Natl Acad Sci U S A. 2010 Jul 20;107(29):13075-80. Die empfohlene orale Dosis ist 420 mg einmal täglich (2)Am Health Drug Benefits. 2015 Mar; 8(Spec Feature): 66–69..

Wirkmechanismen


Ibrutinib ist das erste Medikament einer neuen Wirkstoffgruppe, die die Hemmung von Bruton’s Thyrosinkinase (BTK) zum Ziel hat.

Diese Tyrosinkinase ist ein Enzym, dessen irreversible Hemmung in B-Lymphozyten zur Unterbrechung eines Signalweges führt, der für das Überleben dieser Zellen sowie ihre Proliferation (Vermehrung durch Zellteilung), Adhäsion und Absiedlung erforderlich ist (3)Ann N Y Acad Sci. 2015 Nov;1358(1):82-94.

Die Unterbrechung dieses Signalweges hat einen günstigen Effekt auf Krankheiten mit unreguliertem und ungebremstem Wachstum von B-Zellen und ihrer Verwandten.

Ibrutinib hat zudem verschiedene immunmodulatorische Effekte, die durch seine negative Beeinflussung von T-Helferzellen (Th2-Zellen) und die Verschiebung der Th1/Th2-Balance in Richtung Th1-Zellen bedingt ist. Da Th1-Zellen die Hauptakteure gegen Krebszellen sind, kann dies Auswirkungen auf die Therapie verschiedener Krebsarten und auch von Autoimmunkrankheiten haben, jedoch auch auf die Abwehrfähigkeit von Infektionen (4)J Drug Target. 2015 Sep 11:1-13.

→ Zu den verschiedenen Lymphozytentypen  siehe hier.

Erfahrungen in Studien

Studienergebnisse liegen für verschiedene maligne Erkrankungen des lymphatischen Systems vor, so zur chronisch lymphatischen Leukämie, der chronisch myeloischen Leukämie, dem Morbus Waldenström und dem Mantelzelllymphom.

Bösartige Lymphome: Unter Ibrutinib kommt es zu einer raschen Verkleinerung tumoröser Lymphome, wobei die in ihnen befindlichen Lymphozyten ins Blut abwandern und dort zu einer Lymphozytosewelle führen. Nach Wochen bis Monaten kontinuierlicher Ibrutinib-Therapie nimmt die Lymphozytose ab, und es kommt bei der Mehrzahl der Patienten zu einer Normalisierung der Lymphozytenzahlen im Blut (Remission) (5)Leuk Lymphoma. 2013 Nov;54(11):2385-91.

Erstlinientherapie bei der chronisch myeloischen Leukämie: In einer Studie an 269 zuvor unbehandelten Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie über 65 Jahre zeigten Patienten während eines im Mittel 18,9 Monate langen Beobachtungsintervalls im Ibrutinib-Arm ein um 84 % geringeres Risiko für eine Progression oder Tod als diejenigen im Chlorambucilarm. Die über-alles-Ansprechrate lag bei Ibrutinib mit 86 % deutlich höher als mit Chlorambucil mit 35 %. Insgesamt hatten 87 % die Therapie nicht abgebrochen. Als Nebenwirkungen traten Diarrhö, Müdigkeit, Husten und Übelkeit und bei 5 Patienten schwere Blutungen auf (6)N Engl J Med. 2015 Dec 17;373(25):2425-37.

Morbus Waldenström: In einer Studie an 63 symptomatischen Patienten mit Morbus Waldenström, die bereits mindestens eine herkömmliche Therapie hinter sich hatten, wurde mit Ibrutinib eine Ansprechrate von 90,5 % (mit einer Rate sehr guten Ansprechens von 73 %) erzielt. Es kam zu einem mittleren Abfall von Immunglobulin M (IgM) von 3520 auf 880 mg/dl und einem Anstieg des Hämoglobins von 10,5 auf 13,8 g/dl. Die mittlere Zeit bis zum Ansprechen betrug 4 Wochen. Unter den Nebenwirkungen waren in 22 % Neutropenie, in 14 % Thrombopenie, selten auch Blutungen und Vorhofflimmern (7)N Engl J Med. 2015 Apr 9;372(15):1430-40.

Mantelzelllymphom: In einer Studie an 280 Patienten mit einem Relaps eines Mantelzelllymphoms (ein aggressives B-Zelllymphom) wurde Ibrutinib gegen Temsirolimus getestet. In der Ibrutinib-Gruppe zeigte sich ein deutlicher Vorteil von Ibrutinib bezüglich des mittleren progressionsfreien Überlebens (14,6 vs. 6,2 Monate). Ibrutinib wurde auch besser vertragen: Nebenwirkungen Grad 3 traten in 68% vs. 121% auf, Therapieabbrüche waren mit 6 % vs. 26 % seltener (8)Lancet. 2015 Dec 4. pii: S0140-6736(15)00667-4. doi: 10.1016/S0140-6736(15)00667-4..

Chronisch lymphozytäre Leukämie (CLL): Die Kombination von Ibrutinib und Venetoclax (fördert den programmierten Zelltod von CLL-Zellen durch Blockade des antiapoptotischen B-Zell-Lymphom-2-Protein, Bcl-2) verbessert den Verlauf einer CLL im Vergleich zu einer Chemoimmuntherapie. In einer Studie an 523 Patienten wurde die Hälfte mit Fludarabin-Cyclophosphamid-Rituximab (FCR), die andre Hälfte mit Ibrutinib-Venetoclax (IbVe) behandelt; die Venetoclax-Behandlung erfolgte bis zu 6 Jahre lang. IbVe war FCR deutlich überlegen. Während einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 44 Monaten starben nur 9 vs. 25 Patienten. Nach 5 Jahren Ibrutinib-Venetoclax-Therapie hatten 65,9 % der Patienten eine nicht nachweisbare MRD (messbare Resterkrankung) im Knochenmark und 92,7 % im peripheren Blut. Nach 3 Jahren hatten 58,0 % der Patienten in der Ibrutinib-Venetoclax-Gruppe die Therapie abgebrochen, da keine Krankheitsaktivität mehr nachweisbar war. (9)N Engl J Med. 2024 Jan 25;390(4):326-337

Verträglichkeit und Nebenwirkungen

Die Verträglichkeit von Ibrutinib ist relativ gut. Von 357 Patienten haben in einer Studie nur 6 % die Behandlung wegen Nebenwirkungen abgebrochen. Am häufigsten traten Magendarmsymptome (Übelkeit, Durchfall, auch Verstopfung), Infektionen (Atemwegsinfekte inkl. Pneumonie) und eine Unterdrückung des Knochenmarks (inkl. Anämie, Neutropenie und Thrombopenie mit (z. B. gastrointestinalen) Blutungskomplikationen) auf. Wegen der erhöhten Blutungsgefahr bei Thrombopenie sollten Gerinnungshemmer nicht gleichzeitig mit Ibrutinib gegeben werden. Es wird ein erhöhtes Risiko von Vorhofflimmern, besonders während Infektionen, festgestellt. Es muss nach Therapiebeginn mit einer verstärkten Lymphozytose gerechnet werden (10)Aust Prescr. 2015 Oct; 38(5): 178–180.

Die Nebenwirkungen werden durch weiterentwickelte Hemmer von Bruton’s Tyrosinkinase, die spezifischer wirken, minimiert. Ein Tyrosinkinasehemmer der zweiten Generation mit günstigeren Eigenschaften ist beispielsweise Acalabrutinib (ACP-196) (11)J Hematol Oncol. 2016 Mar 9;9(1):21. doi: 10.1186/s13045-016-0250-9..


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Verweise

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