Hyperhomocysteinämie (HHCy) bedeutet erhöter Spiegel an Homocystein (HCy) im Blut. Sie ist mit einem erhöhten Risiko von Thrombosen, Embolien, Herzinfarkt und Schlaganfall verbunden. Eine erhöhte Konzentration im Blut ist häufig Folge eines Vitamin-B12- und/oder Folsäuremangels.

Die Bestimmung der Homocysteinkonzentration im Blut ist für die Diagnostik thromboembolischer und kardiovaskulärer Ereignisse von Bedeutung.

Homocystein

Ursachen


Homocystein ist eine Aminosäure, die im Gegensatz zu anderen Aminosäuren nicht für die Synthese von Proteinen im Körper verwendet wird. Es wird aus Methionin gebildet und ist Ausgangssubstanz für eine Regenerierung des Methionin-Vorrats. Methionin wird ständig für Methylierungsprozesse benötigt. Erhöhte HCy-Werte zeigen an, dass ungenügend Methionin, z. B. für die Synthese von DNA und von Plasamembranbestandteilen, zur Verfügung steht (siehe hier).

Eine Erhöhung der Homocysteinkonzentration im Blut kann durch verschiedene Ursachen zustande kommen. Zu ihnen gehören

  • ein Gendefekt bezüglich des Enzyms Methionin-Synthase vorliegt, welches Homocystein mit Methyl-FH4 (Methyl-Tetrahydrofolat, ein Abkömmling der Folsäure) zu Methionin verbindet. Eine aktivitätsmindernde Mutation führt zu vermindertem Abbau/Umbau des Homocysteins.
  • ein Magnel an Vitamin B12 (Cobalamin), das als Coenzym der Methionin-Synthase erforderlich ist, (siehe unter Vitamin-B12-Mangel).
  • ein Mangel an Methyl-Tetrahydrofolat (Methyl-FH4, ein Abkömmling der Folsäure), mit dem sich Homocystein verbinden muss, um Methionin zu bilden (siehe unter Folsäuremangel).

Eine Erhöhung der Konzentration von Homocystein im Blut ist für den Fall, dass sie nicht genetisch bedingt ist, in der Regel Hinweis auf einen Mangel an Vitaminen des Komplexes Folsäure, B12 und B6.

Auswirkungen

Erhöhte Werte für Homocystein haben eine Reihe grundlegender Auswirkungen:

  • Oxidativer Stress: Homocystein enthält eine hochreaktive freie Sulfhydrylgruppe (-SH). Sie unterliegt einer Autoxidation, wobei reaktive Superoxidradikale erzeugt werden. Dies erzeugt einen oxidativen Stress, u.a in den Endothelzellen der Blutgefäße.
  • Entzündungsparameter: Homocystein gilt als proinflammatorische Aminosäure, die in Monozyten die Bildung von Entzündungsmediatoren (u. a. TNF-alpha, IL-10) induziert. (1) Front Biosci. 2013 Jan 1;18:685-95
    • Eine Homocystein senkende Behandlung mit B-Vitaminen (Folsäure/Vitamin B12) oder Vitamin B6 beeinflusst dagegen nicht die Entzündungsmarker. Im Gegenteil ergab eine post hoc-Analyse einer norwegischen Studie, dass die Kombination von Folsäure und den Vitamin B12 zu einer raschen Verschlechterung der koronaren Herzkrankheit führte. (2)Am J Cardiol. 2010 Jun 1;105(11):1577-84 Eine andere Studie fand keinen Zusammenhang zwischen Folsäure- und B12-Substitution und kardiovaskulärer Mortalität. (3)JAMA. 2008 Aug 20;300(7):795-804. DOI: 10.1001/jama.300.7.795. Auch eine Cochrane-Review erbrachte keinen signifikanten Effekt. (4)Cochrane Database Syst Rev. 2017 Aug 17;8(8):CD006612. DOI: 10.1002/14651858.CD006612.pub5. Die Problematik bleibt 2022 weiterhin ungeklärt. (5)Nutrients. 2022 Mar 28;14(7):1412. doi: 10.3390/nu14071412.
  • Zellschädigung: Auf zellulärer Ebene übt Homocystein einen negativen Effekt aus, bedingt durch eine Abnahme der NO-Verfügbarkeit, erhöhtem oxidativem Stress und einer Beschleunigung atherogener Prozesse. Es wird angenommen, dass eine low-dose Folat-Supplementierung das kardiovaskuläre Risiko senkt, wobei jedoch höhere Dosen nicht wirkungsvoller sind. (6)Eur Heart J. 2009 Jan;30(1):6-15 HHCy verursacht einen zellulären oxidativen Stress, der durch Vitamin B-Supplementierung behoben werden kann. (7)Cell Death Dis. 2016 Dec 8;7(12):e2513. doi: 10.1038/cddis.2016.374.

Ein Vitamin-B12- und ein Folsäuremangel, die bei einer alimentär erworbenen Ursache zugrunde liegen können, wirken sich (wegen ihrer gemeinsamen Wirkung auf die Bildung von Methionin aus Homocystein) gleichartig aus und verursachen klinisch die gleichen Symptome (siehe unter B12-Mangel und Folsäuremangel).

Komplexe Auswirkungen

  • Arteriosklerose: Ein erhöhter Spiegel an Homocystein (Hyperhomocysteinämie) ist als unabhängiger Risikofaktor für Arteriosklerose und kardiovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall bekannt. Er entsteht bei inadäquater Supplementierung der Nahrung mit Vitamin B12 und/oder Folsäure. Eine Senkung des Homocystein-Spiegels im Blut gelingt durch Folsäure, wie das folate-food-fortification-Programm in Nord Amerika zeigt. (8)Eur Heart J. 2009 Jan;30(1):6-15 Es wird vermutet, dass eine erhöhte Homocysteinkonzentration (Hyperhomocysteinämie) eine Folge eines Vitamin-B6- und/oder Folatmangels sein könnte. Es wurde angenommen, dass sie zu einer Endothelschädigung der Blutgefäße und verstärkten Atherogenese (Bildung arteriosklerotischer Plaques) führt.  (9)Biomolecules. 2022 Apr 1;12(4):536. DOI: 10.3390/biom12040536. HCy hemmt (experimentell) das Wachstum von Endothelzellen (EC), die Reendothelialisierung nach einer Verletzung, die Endothel-abhängige Gefäßrelaxation und die HDL-Biosynthese. Sie erhöht den TNF-α-Spiegel und induziert entzündungsfördernde Cytokine und Monozyten. (10)Circ Res. 2012 Jun 22;111(1):37-49. DOI: 10.1161/CIRCRESAHA.112.269472 Allerdings können statistische Auswertungen keinen kausaler Effekt des Homocysteinspiegels im Plasma bezüglich des Risikos einer koronaren Herzkrankheit nachweisen (11)Eur J Prev Cardiol. 2021 Apr 10;28(2):227–234. DOI: 10.1177/2047487319894679, ebenso wenig bezüglich eines Vorhofflimmerns. (12)Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2021 Feb 8;31(2):587-591. doi: 10.1016/j.numecd.2020.10.012
  • Prähypertonie und metabolisches Syndrom: Klinisch wirkt sich eine Erhöhung von Homocystein im Blut nicht aus. Sie ist vielmehr ein Zeichen, das auf die Ursache einer Neigung zu Thrombosen und Embolien hinweist und ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall anzeigt. Ein erhöhter Hcy-Spiegel ist bereits mit einer subklinischen Hypertonie (zwischen systolisch 120 und 139 mm Hg und diastolisch 80 und 89 mm Hg) assoziiert. Er lässt sich durch lösliche B-Vitamine senken. In einer Studie war die Hcy-Senkung durch eine 4-monatige Substitution von B-Vitaminen gleichzeitig assoziiert mit einer Verbesserung der Insulinresistenz beim metabolischen Syndrom sowie einer Senkung von  Entzündungsparametern (hs-CRP). (13)Cureus. 2023 Jan 7;15(1):e33481. DOI: 10.7759/cureus.33481. Auch eine Folat- und Vitamin-B12-Substitution hat den gleichen Effekt. (14)Eur J Endocrinol. 2004;151:483–489
  • Sepsis: Bei einer Sepsis steigt der Homocysteinspiegel frühzeitig an. Die Höhe korreliert mit dem Risiko zu sterben. (15)Mol Med. 2010 Nov-Dec;16(11-12):498-504
  • Thrombose: Eine Hyperhomocysteinämie wurde schon lange verdächtigt, ein Risikofaktor für eine tiefe Beinvenenthrombose zu sein; aber die Beweise waren lange schwach. (16)Ann Hematol. 2007 Jan;86(1):35-40 Metaanalysen von Studien zeigen, dass eine Assoziation besteht. (17)Rom J Intern Med. 2007;45(2):159-64 Eine Arbeit legt nahe, dass Frauen über 40J, die eine Hyperhomocysteinämie aufweisen, ein erhöhtes Thromboserisiko tragen. (18)Pak J Med Sci. 2015 Mar-Apr;31(2):398-402
  • Gehirn: Eine Hyperhomocysteinämie ist mit einer erhöhten Bereitschaft zur Schizophrenie (19)Neurochem Res. 2012 May; 37(5): 1057–1062 und einer verminderten kognitiven Leistungsfähigkeit sowie einem reduzierten Volumen der weißen Substanz des Gehirns (20)Am J Geriatr Psychiatry. 2013 Feb;21(2):164-72 verbunden. HHCy soll über eine Verminderung der Bluthirnschranke zur Entwicklung einer diskreten Entzündungsreaktion im Gehirn und der Alzheimer-Demenz beitragen. (21)Biomolecules. 2020 Jul 29;10(8):1119. DOI: 10.3390/biom10081119. (22)Int J Mol Sci. 2018 Mar 17;19(3):891. doi: 10.3390/ijms19030891.
  • Tumore: Eine Senkung eines erhöhten Homocystein-Spiegels verbessert die Prognose vieler Karzinome. (23)Oncogene. 2013 Oct 17;32(42):4995-5004. doi: 10.1038/onc.2012.623.

Diagnostik

Anlass einer Diagnostik

Bei thromboembolischen Ereignissen (wiederkehrende Thrombosen, Embolien, Herzinfarkt, Schlaganfall) wird nach einer erhöhten Neigung (Prädisposition) gesucht. In diesem Rahmen wird auch die Homocystein-Konzentration im Blut bestimmt. Wird sie erhöht gefunden, so kommen

  • familiäre (genetische) Ursachen (z. B. eine Mutation des Methionin-Synthase-Gens) und
  • alimentäre Ursachen (z. B. ein Folsäure- und/oder Vitamin-B12-Mangel) in Betracht.

Ursachendiagnostik

  • Genetische Ursachen: Wenn eine vererbliche Ursache (familiäre Häufung) verdächtigt wird, wird nach einer Mutation im Methionin-Synthase-Gen gefahndet.
  • Folsäure- und B12-Mangel: Während ein Mangel an Folsäure meist alimentär bedingt ist, so ist der an Vitamin B12 meist durch eine verminderte Resorption im Darm verursacht. Dieser liegt häufig eine Typ-A-Gastritis (mit mangelhafter Säureproduktion) zugrunde.
  • Langjährige Unterdrückung der Magensäure: Auch eine langjährige säurereduzierende Therapie des Magens (Behandlung mit  oder einem H2-Rezeptorantagonisten) ist eine mögliche Ursache einer Hyperhomocysteinämie durch Folsäure- und B12-Mangel bei älteren Menschen. (24)Ann Pharmacother. 2002 May;36(5):812-6. (25)World J Gastroenterol. 2010 May 21;16(19):2323-30. (26)JAMA. 2013 Dec 11; 310(22):2435-42 (27)Clin Diabetes. 2015 Apr;33(2):90-5. doi: 10.2337/diaclin.33.2.90

Werte

Normbereich

Als Normbereich im Blut wird meist 5-15 µmol/l angesehen. (Herstellerangaben der Testkits beachten!)

Erhöhte Werte

HCy-Spiegel zwischen 15 und 30 μmol/l gelten als leicht erhöht, zwischen 30 und 100 μmol/l als mäßig erhöht und über 100 μmol/l  als schwere Hyperhomocysteinämie. (28)Ann Biol Clin (Paris). 2022 Feb 1;80(1):7-14. DOI: 10.1684/abc.2021.1694.

Therapie

Diätetische Ursachen: Eine Hyperhomocysteinämie, die durch einen Vitaminmangel bedingt ist, kann alimentär meist gut ausgeglichen werden, es sei denn, dass eine Resorptionsstörung im Dünndarm die Ursache ist (z. B. bei einem Kurzdarmsyndrom oder einer ausgedehnten chronischen Enteritis, wie der Coeliakie).

Häufigste Ursache ist ein Folsäuremangel, noch vor einem Vitamin-B12-Mangel. Ist die Hyperhomocysteinämie im Rahmen einer langjährigen PPI zu sehen, wäre ein Ersatz des Magenschutzes zu empfehlen (oft werden PPI, einmal begonnen, nach Fortfall der Indikation fortgeführt).

Der tatsächliche Effekt einer B-Vitamin-Substitution ist schwer zu eruieren, da gleichzeitig verabreichte Medikamente (Statine etc.) den Effekt verwischen. Allerdings haben Studien gezeigt, dass eine Vitamin-B-Substitution bei der Primärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wirksam sein kann. Sie soll auch eine Option bei der Sekundärprävention von Krankheiten darstellen, wenn eine Statintherapie wegen schwerwiegenden Nebenwirkungen nicht möglich ist. (29)Cardiovasc Ther. 2014 Jun;32(3):130-8. doi: 10.1111/1755-5922.12064

Genetische Ursachen einer Hyperhomocysteinämie: Liegt eine durch Vitamine nicht behebbare Ursache (z. B. genetisch) vor, so ist meist eine Thromboembolievorbeugung durch Antikoagulation anzuraten.


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Verweise

Literatur[+]