Ernährung bei Diabetes mellitus

Artikel aktualisiert am 2. November 2022

Die „richtige“ Ernährung bei Diabetes mellitus ist ein wesentliches Standbein der Diabetes-Therapie. Ihr muss größte Aufmerksamkeit geschenkt werden. In der Frühphase eines Prädiabetes kann sie seine Manifestation verhindern, in späteren Phasen verhindert oder verzögert sie seine Verschlechterung sowie die vorzeitige Ausbildung diabetischer Spätfolgen. Und sie wirkt gegen Akutkomplikationen.

Diabetes mellitus.


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Vorbemerkungen

Der Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) beruht auf einer Störung des Zuckerstoffwechsels. Den beiden Haupttypen (Typ 1 und Typ 2) gemeinsam ist ein erhöhter Blutzucker, der bei starkem Anstieg zu Akutsymptomen und bei lang dauernder Erhöhung zu Folgeschäden an praktisch allen Organen des Körpers, den verschiedenen diabetischen Komplikationen, führt. Eine richtige Ernährung (Diabetesdiät) soll dazu beitragen, den Akutkomplikationen und Langzeitfolgen der Zuckerkrankheit vorzubeugen.

Da der Blutzuckerspiegel stark von der Zufuhr von Zucker und Kohlenhydraten der Nahrung abhängt, ist eine richtige Ernährung beim Diabetes mellitus als Basis der Behandlung  unabdingbar. Wie streng oder locker sie ausfallen darf, hängt von der Abweichung des Blutzuckers vom Normbereich ab, wobei sowohl akute Abweichungen nach Mahlzeiten als auch verborgene Abweichungen, die relativ einfach durch Urinzucker oder besser durch HbA1c nachweisbar sind, eine Rolle spielen.

Einfluss darauf, was „richtig“ bei der Ernährung beim Diabetes mellitus ist, haben der Diabetestyp, die Dauer der Stoffwechselstörung und die Ausprägung einer peripheren Insulinresistenz, bereits eingetretene Komplikationen, zusätzlich bestehendes Übergewicht und die individuelle Wirksamkeit antidiabetischer Medikamente.

Grundlagen einer Diabetesdiät

Ernaehrung: Obst, Gemüse, Milch
Obst, Gemüse, Milch: Quellen von Vitaminen und Ballaststoffen

Eine ausgewogene, überwiegend pflanzliche Kost bedeutet für die meisten Menschen eine „gesunde Ernährung“ (siehe unter „Gesunde Ernährung„).

Grundsätzlich ist eine normale, als gesund angesehene Ernährung auch für den Diabetes mellitus eine gute diätetische Basis.

  • Freier Zucker (in verschiedenen Nahrungsmitteln und Softdrinks in unterschiedlicher Menge enthalten) sollte minimiert werden. Keine zusätzliche Süßung durch Rohrzucker.
  • Der Fettanteil in der Nahrung sollte niedrig sein und nur etwa 10-15% betragen; ungesättigte Fettsäuren wirken günstig; keine gehärteten Fette.
  • Der Proteinanteil an der Kalorienzufuhr liegt i.d.R. bei 15%.
  • Milch und Milchprodukte mit ihrem hohen Gehalt an verzweigtkettigen Aminosäuren sollten eher verhalten verwendet werden. Allerdings muss für eine ausreichende Kalziumzufuhr aus alternativen Quellen gesorgt werden.
  • Pflanzliche Anteile an der Kostzusammensetzung sollten hoch sein. Ballaststoffe, die in westlicher Kost relativ gering vertreten sind, haben einen positiven Effekt auf die Blutzuckerkontrolle und die Blutfette inkl. dem LDL-Spiegel. Sie sollten reichlich (z. B. 45 g/d) in der Diabeteskost enthalten sein.

Früher galt kohlenhydratarme fettreichere Kost: Beim Insulinmangeldiabetes (Typ-1-Diabetes, „ausgebrannter“ Typ-2-Diabetes, Diabetes bei chronischer Bauchspeichelentzündung oder nach Bauchspeicheldrüsenoperation) gab es in der Vor-Insulin-Ära nur die Möglichkeit, die Kohlenhydratmenge in der Kost zu reduzieren, was das Risiko gehäufter Episoden einer Ketoazidose in sich barg. Dafür musste zum kalorischen Ausgleich der Fettgehalt erhöht werden, was die Arteriosklerose förderte.

Heute gilt kohlenhydratreichere und fettarme Kost: Beim Typ-1-Diabetes und beim späten Typ-2-Diabetes werden durch die Insulintherapie eine Kohlenhydratverwertung im Körper und damit eine fettarme und eine entsprechend kohlenhydratreichere Kost möglich.

Der Proteinanteil in der Diabetesdiät von um die 15% sollte nicht wesentlich erhöht oder gesenkt werden. Eine Senkung führt zum Muskelabbau, eine Erhöhung zu einer Beschleunigung der Stoffwechselproblematik, wobei insbesondere Proteine, die reich an verzweigtkettigen Aminosäuren sind (wie Proteine der Milch), die Erschöpfung der Insulinsekretion in den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse beschleunigen (1)Eur J Clin Nutr. 2014 Sep;68(9):973-9.

Übergewicht und Adipositas als modifizierende Faktoren der Diät: Beim Typ-2-Diabetes kommt häufig ein zunehmendes Übergewicht als ein wesentlicher Faktor hinzu, der die Ernährung beim Diabetes mellitus entscheidend einschränkt (siehe hier).

Wichtige Befunde zur Ernährung beim Diabetes mellitus

Studien zur Ernährung beim Diabetes mellitus ergeben noch nicht in jeder Beziehung ein schlüssiges Bild. Zu erstaunlich vielen Fragen fehlen große Studien. Einige wichtige Erkenntnisse aus neuerer Forschung seien hier wiedergegeben:

Ballaststoffe und proteinreiche Kost wirken günstig zur Blutzuckerkontrolle: Eine Diät, die ballaststoffreich (45 g/d), kohlenhydratreich (etwa 65% der Kalorienaufnahme) und fettarm (etwa 10-15% der Kalorienaufnahme) war, hatte gegenüber ballaststoffarmer (20 g/d), kohlenhydratreicher und fettarmer Diät Vorteile bezüglich der Blutzuckerkontrolle beim Typ-2-Diabetes. Einen etwa gleich guten Effekt auf die Stoffwechsellage hatte eine Diät, die kohlenhydratarm (um 25%), proteinreich (um 60%) und fettarm war. Eine kohlenhydratarme und fettreiche Kost verschlechterte die Stoffwechsellage deutlich (2)J Am Diet Assoc. 1989 Aug;89(8):1076-86.

Nahrungsproteine senken den Blutzucker nur solange die Inselzellen aktiv sind: Nahrungsproteine verursachen eine Insulinsekretion, die dazu beiträgt, den Glukosespiegel im Blut zu senken. Auf Dauer jedoch kann ein erhöhter Proteinanteil in der Nahrung das Risiko eines Diabetes mellitus erhöhen (durch Erschöpfung der Sekretionsfähigkeit der ß-Zellen). Dies gilt insbesondere für verzweigtkettige Aminosäuren (3)Eur J Clin Nutr. 2014 Sep;68(9):973-9.

Protein von Milch erhöht die Insulinproduktion: Eine erhöhte Protein-Aufnahme von Milch, aber nicht von Fleisch, führte bei Kindern (8-jährige Jungen) zu einer deutlichen Erhöhung des Nüchterninsulins im Blut und damit zusammenhängend der peripheren Insulinresistenz (4)Eur J Clin Nutr. 2005 Mar;59(3):393-8. Auch Wachstumsfaktoren (IGF-I, IGFBP-3) werden nach Milchgenuss vermehrt produziert (5)Eur J Clin Nutr. 2004 Sep;58(9):1211-6. Ursache sind wahrscheinlich die im Milcheiweiß enthaltenen verzweigtkettigen Aminosäuren, die die FTO-Expression (fat mass and obesity) über eine Genaktivierung anregen. Zudem enthält Milch exosomale Mikro-RNA (miRNA-29s), die im Milchtrinker epigenetisch die FTO -Expression erhöhen, die wiederum assoziiert ist mit dem Typ-2-Diabetes, aber auch mit verschiedenen Krebsarten, wie dem Prostata– und Mammakarzinom, und mit neurodegenerativen Erkrankungen (6)J Transl Med. 2015 Dec 21;13:385. doi: 10.1186/s12967-015-0746-z..

Kohlenhydratreiche und fettarme Kost günstig zur Gewichtsabnahme: Eine ad-libitum Ernährung (nach Maßgabe der Sattheit) mit einer Kost, die kohlenhydratreich und fettarm ist, führte bei Typ-2-Diabetikern innerhalb von 6 Wochen zu einer signifikanten Gewichtsabnahme, nicht dagegen mit einer Diät, die reich an ungesättigten Fettsäuren war. Beide Diäten hatten keine wesentliche Auswirkung auf  den Blutfettspiegel und die Blutzuckerkontrolle (7)Am J Clin Nutr. 2004 Sep;80(3):668-73.

Kohlenhydratarme Diät günstiger als fettarme Diät zur Gewichtsabnahme: Eine Metaanalyse von Studien ergab, dass bezüglich einer angestrebten Gewichtsreduktion eine kohlenhydratarme Diät innerhalb eines halben Jahres (um 3,3 kg) effektiver als eine fettarme Diät ist. Diese Differenz war nach 1 Jahr nicht mehr zu konstatieren (nur noch – 1 kg). Kohlenhydratarme Kost beeinflusste den Triglycerid– (TG) und HDL-Spiegel günstiger (TG -22,1 mg/dl; HDL-Cholesterin +4,6 mg/dl). Fettarme Kost jedoch beeinflusste den Gesamt-Cholesterin- und den LDL-Cholesterin-Spiegel (-5,4 mg/dl) günstiger (8)Arch Intern Med. 2006 Feb 13;166(3):285-93.

Gewichtsabnahme durch hypokalorische kohlenhydratarme Diät: Eine solche Kost (14% der Energie als Kohlenhydrate (<50 g/d), 28% als Protein, 58% als Fett (<10% gesättigt) ) erwies sich in einer Studie gegenüber einer gleich energetischen (hypokalorischen) kohlenhydratreichen Kost (53% als Kohlenhydrate, 17% als Protein, 30% als Fett (<10% gesättigt) ) jeweils in Kombination mit einem Bewegungsprogramm bei ähnlicher Gewichtsabnahme, ähnlicher Reduktion des HbA1c und der Nüchternglukose als vorteilhaft bezüglich der Fettwerte im Blut, der Stabilität des Blutzuckers und einer Reduktion der Diabetesmedikation. (9)Am J Clin Nutr. 2015 Oct;102(4):780-90. doi: 10.3945/ajcn.115.112581

Einfach ungesättigte Fettsäuren günstig zur Senkung der Nüchterninsulinwerte: Der Vergleich von 3 Diäten bezüglich der Gewichtsentwicklung nach einer initialen Gewichtsabnahme und der Entwicklung eines Diabetes bei nichtdiabetischen Übergewichtigen / Adipösen ergab bei ad-libitum-Ernährung (nach Maßgabe der Sattheit) Folgendes: Fettarme Kost (20-30% der Kalorien durch Fett) erbrachte innerhalb von 6 Monaten mit +2,2 kg einen geringeren erneuten Gewichtsanstieg als eine Kontrolldiät mit +3,8 kg (mit 35% der Kalorien durch Fett) oder eine Diät mit etwa 40% Fett und davon 20% einfach ungesättigten Fettsäuren (+2,5 kg). Interessant an dieser Untersuchung ist, dass nur die Diät mit 40% Fett, davon 20% einfach ungesättigten Fettsäuren, zu einer Reduktion der Nüchterninsulinwerte (-2,6 pmol/l) führte, die beiden anderen Diäten zu einem Anstieg (4,3 pmol/l bzw. 14,0 pmol/l). Der Proteinanteil lag bei den 3 Diäten bei 10-20%. (10)Am J Clin Nutr. 2008 Nov;88(5):1232-41

Proteinreichere Kost ist assoziiert mit höherem Blutdruck bei Typ-2-Diabetes: In einer Querschnittsstudie wurde mithilfe eines 24-Stunden Blutdruckmessgeräts festgestellt, dass ambulante Patienten mit Typ-2-Diabetes und erhöhten Blutdruckwerten (über 135 mm Hg systolisch oder über 85 mm Hg diastolisch) ein höheres HbA1c aufwiesen als normotone Patienten (8,4 vs. 7,6%) und mehr Eiweiß zu sich nahmen (20,0% vs. 18,2% der Energieaufnahme). Die Berechnungen ergaben, dass eine Fleischaufnahme, die höher als 3,08 g/kg Körpergewicht pro Tag liegt, das Risiko für erhöhten Blutdruck verdoppelt (11)J Am Coll Nutr. 2015;34(3):232-9.

Kohlenhydrate pflanzlicher Herkunft sind mit metabolischem Syndrom assoziiert: In einer chinesischen Studie war ein hoher Kohlenhydratanteil in der Nahrung verbunden mit einem erhöhten Risiko eines metabolischen Syndroms (2,24-fach) und einer Hyperlipidämie (3,05-fach). Wenn nur der aus Pflanzen stammende Kohlenhydratanteil (Reis, Getreide, Knollen) betrachtet wurde, so lag das relative Risiko um 1,48 bzw. 1,73 erhöht. Andere Kohlenhydratquellen zeigten keine solche Assoziation. Der Cut-off-Wert zu einem erhöhten Risiko lag bei 220 g (12)Sci Rep. 2015 Nov 19;5:16919. doi: 10.1038/srep16919.


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Verweise

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).


 

Literatur

Literatur
1Eur J Clin Nutr. 2014 Sep;68(9):973-9
2J Am Diet Assoc. 1989 Aug;89(8):1076-86
3Eur J Clin Nutr. 2014 Sep;68(9):973-9
4Eur J Clin Nutr. 2005 Mar;59(3):393-8
5Eur J Clin Nutr. 2004 Sep;58(9):1211-6
6J Transl Med. 2015 Dec 21;13:385. doi: 10.1186/s12967-015-0746-z.
7Am J Clin Nutr. 2004 Sep;80(3):668-73
8Arch Intern Med. 2006 Feb 13;166(3):285-93
9Am J Clin Nutr. 2015 Oct;102(4):780-90. doi: 10.3945/ajcn.115.112581
10Am J Clin Nutr. 2008 Nov;88(5):1232-41
11J Am Coll Nutr. 2015;34(3):232-9
12Sci Rep. 2015 Nov 19;5:16919. doi: 10.1038/srep16919