Akute myeloische Leukämie

Allgemeines

Die akute myeloische Leukämie (engl.: acute myeloid leukemia, AML) ist ein weißer Blutkrebs. Sie ist charakterisiert durch eine unkontrollierte Bildung von Vorstufen der Granulozyten, einer großen Gruppe weißer Blutkörperchen im Knochenmark (hematopoietic stem and progenitor cells, HSPCs), mit rasch progredientem (fortschreitendem) Verlauf. Unbehandelt führt sie innerhalb weniger Wochen bis Monate zum Tod.

Charakteristika: Die akute myeloische Leukämie tritt überwiegend im Erwachsenenalter auf, im Gegensatz zur akuten lymphatischen Leukämie (ALL), die überwiegend im Kindesalter auftritt. Im Knochenmark findet man >30% Blasten, die bei Fortschreiten der Erkrankung erheblich zunehmen und die Bildung anderer Blutzellen (Erythrozyten und Thrombozyten) verdrängen kann: die Erythropoese und Thrombopoese werden unterdrückt. Folgen sind eine Anämie mit Schlappheit und eine Thrombozytopenie mit Blutungsneigung. Die Blutungsneigung ist zuerst meist an der Haut erkennbar (typischerweise Petechien und Ekchymosen). Die sich rapide vermehrenden Blasten werden ins Blut ausgeschwemmt und lassen sich dort im Blutbild und Differenzialblutbild nachweisen. Eine massive Überschwemmung des Bluts mit den Tumorzellen (Blastenkrise) führt häufig zum Tod. (1)Am J Hematol. 2020 Nov;95(11):1399-1420. doi: 10.1002/ajh.25950. PMID: 32744763.

Entstehung

Ursprung der akuten myeloischen Leukämie ist ein von einer entarteten myeloischen Stammzelle (Knochenmarkstammzelle) ausgehender Zellklon.

Verschiedene Formen: Je nach Differenzierungsgrad lassen sich verschiedene Formen der AML unterscheiden. Zu ihnen gehören :

  • Myeloblastenleukämie ohne Reifung
  • Myeloblastenleukämie mit Reifung
  • Promyelozytenleukämie
  • monozytäre Leukämie
  • Erythroleukämie
  • Megakaryozytenleukämie

Risikofaktoren und Auslöser: Als Auslöser für die Entstehung akuter Leukämien gelten die Folgenden:

Genetische Grundlagen: Die Entwicklung in Richtung einer de novo AML startet mit einer Spontanmutation. Es gibt eine Vielzahl solcher genetischer oder epigenetischer Veränderungen, die verantwortlich gemacht werden könne. Darunter sind Gene für Signalproteine, epigentische Modulatoren und chromosomale Rearrangements. (2)Biomedicines. 2021 Aug 19;9(8):1051. DOI: 10.3390/biomedicines9081051. PMID: 34440253; PMCID: … Continue reading Sie führen zur Bildung von Vorläuferzellen, aus denen Blutkrebszellen entstehen. Es sind sog. “präleukämische hämatopoetische Stammzellen und Progenitorzellen” (HSPCs), die beginnen sich auszubreiten.

Altersabhängige clonale Hämatopoese: AML-Mutationen findet man auch in HSPCs (hematopoietic stem and progenitor cells) von Menschen, die gesund bleiben. Dies wird als altersabhängige clonale Hämatopoese bezeichnet (age-related clonal haematopoiesis, ARCH). Prä-AML und ARCH zu unterscheiden, war bisher nicht möglich. Jetzt können sie durch tiefe Genanalyse unterschieden werden. Es kann damit erkannt werden, wer gefährdet ist, eine AML (akute myeloische Leukämie) zu bekommen, und zwar schon viele Jahre vor der klinischer AML-Entwicklung. Es ist möglich geworden, eine Prä-AML von ARCH zu unterscheiden. Ziel ist es, die AML-Gefährdeten schon früh einer besonderen Überwachung zuführen zu können. (3) 2018 Jul 9. doi: 10.1038/s41586-018-0317-6.

Chemotherapie als Risiko: Da eine Chemotherapie eines anderen Malignoms zur Prädisposition einer AML führen kann, spricht man in diesen Fällen von “therapy-related myeloid neoplasms” (TRMN). Die meisten Mutationen findet man bei ihnen in den Genen TP53 (31%), DNMT3A (19%), IDH1/2 (13%), NRAS (13%), TET2 (12%), NPM1 (10%), PPM1D (9%) und PTPN11 (9%). (4)Hemasphere. 2021 Aug 18;5(9):e632. DOI: 10.1097/HS9.0000000000000632. PMID: 34423258; PMCID: … Continue reading

MDS als Vorstadium: Ein Vorstadium einer AML kann ein myelodysplastisches Syndrom (MDS) sein. Es ist charakterisiert in einer Hemmung der Weiterentwicklung von Knochenmarksstammzellen zu reifen Blutzellen, so dass eine Blutarmut (Anämie), eine Infektionsneigung und eine Blutungsneigung auftreten. Allerdings fehlen noch die unkontrolliert ablaufenden Zellteilungen in Richtung einer AML. Jedes MDS ist jedoch mit einem hohen Risiko des Fortschreitens zu einer akuten myeloischen Leukämie verbunden. (5)Blood. 2020 Jul 2;136(1):50-60. doi: 10.1182/blood.2019000942. PMID: 32430504; PMCID: PMC7332895.

AML beim Down-Syndrom: Die Trisomie 21 trägt ein etwa 500-faches Risiko für eine AML innerhalb der ersten 4 Jahre. Man findet dabei eine somatische Mutation im hämatopoetischen Transcriptionsfaktor GATA1. Diese Form der AML ist meist empfindlich auf Cytosin-Arabinosid. Da Patienten mit AML ein hohes Risiko für Infektionen haben und Menschen mit Down-Syndrom auch gehäuft kardiale Fehlbildungen aufweisen, muss bei ihnen besonders auf Kardiotoxizität der Medikamente und auf die Entwicklung einer Endokarditis geachtet werden. (6)Blood. 2017 Jun 22;129(25):3273-3274. doi: 10.1182/blood-2017-04-778977. PMID: 28642354.

Klinik

Symptomatik: Sie ist bestimmt von Abgeschlagenheit und Müdigkeit, wobei diese Symptome zum großen Teil auch als Folge der entstehenden Anämie zu deuten sind. Auffällig ist oft eine ausgeprägte Blässe.

Körperliche Untersuchung: Bei ihr ist auf Petechien und andere Blutungszeichen (z.B. Zahnfleischblutung, Nasenbluten, gastrointestinale Blutung) zu achten. Manchmal ist die Milz tastbar vergrößert. Eine Vergrößerung von Lymphknoten kann fehlen. Hin und wieder findet sich eine Zahnfleischwucherung (Gingivahyperplasie) und eine durch Hautinfiltrationen auffällig vergröberte Gesichtshaut (Facies leontina).

Diagnostik

Petechiale Hautblutungen und Suggilationen

Auf die Diagnose einer akuten Leukämie kann man aufmerksam werden, wenn folgende Symptome zusammen kommen:

Beweisend sind Blutbild und Differenzialblutbild (auch im Bereitschaftsdienst und nachts anfertigen!), in denen Blasten erkennbar sind. Sind zudem Auerstäbchen (längliche, sich blau anfärbende Plasmaeinschlüsse) in ihnen erkennbar, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine AML.

Die Differenzierung erfolgt durch Knochenmarkpunktion: Es finden sich >30% Blasten und eine erhebliche Verringerung der 3 Blutbildungsreihen bis hin zur Panzytopenie. Zwischen den überwiegenden Blasten und den physiologischen Blutbildungsreihen existiert eine Reifungslücke, der Hiatus leucaemicus.

Histochemisch färben sich Blasten einer akuten myeloischen Leukämie an; sie sind Peroxidase-positiv. Die einer ALL sind dagegen Peroxidase-negativ. Bei der AML finden sich Auer-Stäbchen (basophile Stäbchen im Zytoplasma der Blasten, siehe hier).

Bei einer genetischen Analyse werden vor allem die Fusionsgene RUNX1-RUNX1T1, CBFB-MYH11, PML-RARA und
KMT2A
untersucht. Prognostische Bedeutung haben auch FLT3-ITD, WT1, C-KIT, CEBPA, NPM1 und KMT2A-Veränderungen.

Zur Diagnostik gehört die Bestimmung von Milz- und Lymphknotenvergrößerungen, die im Verlauf kontrolliert werden.

Therapie

Als wichtigste Therapieoptionen steht die Chemotherapie zur Verfügung. Die ersten 1-3 Zyklen lassen das primär kurative Ziel oft schon erreichen. Weitere Zyklen werden zur Remissionserhaltung angeschlossen. Verwendet werden Chemotherapeutika wie Daunorubicin, Etoposid, Decitabin oder Azacitin. Während der Therapie ist die Gefahr einer Infektion und Sepsis besonders hoch. Inzwischen werden durch gezielte Angriffe auf besondere Signalwege im Zellstoffwechsel neue Behandlungsmöglichkeiten entwickelt.

Bei älteren Patienten über 65 Jahre führte in einer Studie Venetoclax (anti-apoptotischer B-Zell-Lymphom-2-Proteininhibitor) zusammen mit einem hypomethylierenden Agens (Azacitidin, Decitabin) in etwa 65% zu einer Remission. (7)Lancet Oncol. 2018 Feb;19(2):216-228. DOI: 10.1016/S1470-2045(18)30010-X. Epub 2018 Jan 12. PMID: … Continue reading Das mittlere Überleben bei neu diagnostizierten Patienten lag in einer Studie bei 18,1 Monaten und bei 7,8 Monaten bei erneut aufgetretener oder therapieresistenter Erkrankung. (8)Lancet Haematol. 2020 Oct;7(10):e724-e736. DOI: 10.1016/S2352-3026(20)30210-6. Epub 2020 Sep 5. … Continue reading In einem “real world setting” haben unter Venetoclax/Decitabin 10 von 22 Patienten (mittleres Alter 47,5 Jahre) angesprochen. Von ihnen haben nach 1 Jahr 3 überlebt. ; die mittlere Überlebenszeit lag bei 6 Monaten. (9)Cancer Manag Res. 2021 Jul 12;13:5613-5621. DOI: 10.2147/CMAR.S316561. PMID: 34285581; PMCID: … Continue reading Diese Behandlung wird auch für junge Erwachsene mit AML als effektive Option angesehen. (10)Ther Adv Hematol. 2021 Aug 28;12:20406207211040335. DOI: 10.1177/20406207211040335. PMID: … Continue reading

Lenalidomid (Revlimid®), ein Thalidomid-Analogon mit immunmodulatorischer Wirksamkeit scheint eine gewisse Wirksamkeit bei der akuten myeloischen Leukämie zu entfalten. Cyclosporin erhöht experimentell die Empfindlichkeit gegenüber Lenalidomid. (11)Exp Hematol. 2020 Jun;86:21-27.e2. doi: 10.1016/j.exphem.2020.05.001. Epub 2020 May 8. PMID: … Continue reading

Bei der akuten Promyelozytenleukämie hat das Vitamin-A-Derivat Retinsäure (“all-trans retinoic acid, ATRA) eine positive Wende herbeigebracht. In Kombination mit Anthracyclinen, oder Arsentrioxid sind komplette Remissionsraten von 90% und Heilungsraten von etwa 80% erzielt worden. (12)Blood Cancer J. 2015 Apr 17;5:e304. doi: 10.1038/bcj.2015.25

In der kompletten Remission (kein Nachweis einer Krankheitsaktivität) kann eine Knochenmarkstransplantation durchgeführt werden. Dies ist eine Option insbesondere für pädiatrische Patienten mit AML. Dafür wird zuvor wird das körpereigene Knochenmark durch Bestrahlung und Chemotherapie zerstört. Besonders effektiv ist die Kombination Busulfan, Cyclophosphamid und Melphalan. Die in einer Blutkonserve übertragenen gesunden Knochenmarkstammzellen suchen sich im Körper ihren Einnistungsort wieder im Knochenmark und bilden innerhalb der nächsten 2 Wochen erneut die 3 Blutbildungsreihen. Eine Relapsrate von 14,7% innerhalb von 5 Jahren ist bei guter Vorbereitung erreichbar. (13)Biol Blood Marrow Transplant. 2017 Mar;23(3):467-474. DOI: 10.1016/j.bbmt.2016.11.022. Epub 2016 … Continue reading


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der
Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.


Verweise

Literatur[+]