Der Typ-1-Diabetes (T1D) ist die jugendliche Form der Zuckerkrankheit Diabetes mellitus. Es handelt sich um eine Stoffwechselkrankheit, die durch einen Insulinmangel von Beginn an gekennzeichnet und daher von vorneherein insulinpflichtig ist. Ursache ist eine Autoimmunkrankheit, bei das Immunsystem des Körpers die eigenen Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse angreift. Im Gegensatz zum Typ-2-Diabetes sind die Betroffenen nicht übergewichtig, sondern in der Regel schlank. Die erste Manifestation ist oft ein ketoazidotisches Koma mit den Vorboten einer Polydipsie (erhöhte Trinkmenge) und einer Polyurie (vermehrtes Wasserlassen).
Siehe auch:
- Diabetes mellitus – Übersicht
- Diabetes – einfach erklärt
- Patienteninformationen zum Diabetes
- Diabetes Typ 2
Inhaltsverzeichnis
Häufigkeit
Der Diabetes Typ 1 betrifft etwa 5% der Diabetespatienten. Seine Häufigkeit hat in den letzten Jahrzehnten um 3-4% zugenommen, wofür Umweltfaktoren verantwortlich gemacht werden. (1)Lancet Diabetes Endocrinol. 2020 Mar;8(3):226-238. doi: 10.1016/S2213-8587(19)30412-7. Epub 2020 … Continue reading
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Entstehung
Die Krankheit beruht auf einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Faktoren, wobei eine genetische Bereitschaft (Empfänglichkeit, Prädisposition) und zusätzlich auslösende Faktoren zusammenkommen müssen. Nur so lässt sich beispielsweise eine Konkordanz bei eineiigen Zwillingen von nur 50% erklären (2)BMJ. 1995 Oct 7; 311(7010):913-7.
Genetische Voraussetzungen
Eine genetische Prädisposition (Bereitschaft) zur Entwicklung eines T1D ist schon lange als gesichert angenommen worden. Die Tatsache, dass etwa 5% der Typ-I-Diabetiker gleichzeitig eine Sprue haben und auch eine Hashimoto-Thyreoiditis gehäuft vorkommt (beides Autoimmunkrankheiten), spricht für eine genetische Veranlagung zu einer autoimmunologischen Reaktionsbereitschaft. Offenbar sind mehrere Gene dafür verantwortlich. Folgende Gene sind in Assoziationsstudien identifiziert worden: PTPN22, IFIH1, SH2B3, CD226, TYK2, FUT2, SIRPG, CTLA4, CTSH und UBASH3A. (3)Immunol Cell Biol. 2021 May;99(5):496-508. doi: 10.1111/imcb.12438. Epub 2021 Feb 24. PMID: … Continue reading Inzwischen sind über 60 Genloci identifiziert, die mit dem Typ-1-Diabetes assoziiert sind. (4)Curr Diab Rep. 2019 Nov 4;19(11):116. DOI: 10.1007/s11892-019-1235-1 . PMID: 31686270.
Autoimmunreaktionen, Destruktion der Beta-Zellen
Im Zentrum der Pathogenese (Entstehung) wird seit langem eine Autoimmunreaktion gegen die Insulin bildenden ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) angesehen. Hierbei spielt das Darm-assoziierte Immunsystem (GALT) und die in ihm produzierten autoreaktiven Effektor-T-Zellen eine Rolle. Die regulatorischen T-Zellen, die normalerweise eine überschießende Immunreaktion in Richtung Autoimmunität verhindern, können durch die Wirkung entzündlicher (proinflammatorischer) Mediatoren (Zytokine) in ihrer Funktion defekt werden und so eine Autoimmunreaktion zulassen. (5)Front Immunol. 2021 Jun 3;12:653560. DOI: 10.3389/fimmu.2021.653560. PMID: 34149694; PMCID: … Continue reading Es werden vor allem Antikörper gegen 3 Autoantigene gebildet: Insulin, Glutamatdecarboxylase und Thyrisinphosphatase IA-2. Antikörper im Alter von 2-3 Jahren haben einen hohen Vorhersagewert bezüglich eines später auftretenden Typ-I-Diabetes, so dass ein Screening sinnvoll ist.
Wahrscheinlich sind eine Reihe von Faktoren in der Lage, bei einer autoimmunen Prädisposition die Erkrankung auszulösen. Neben diabetogenen Viren werden vor allem Milch und Milchprodukte sowie glykierte Proteine in prozessierten Nahrungsmitteln diskutiert:
Auslöser
Zur Auslösung eines Typ-1-Diabetes werden verschiedene Umweltfaktoren verantwortlich gemacht.
Diabetogene Viren: Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass Virusinfektionen zu den wichtigsten Auslösern zählen, insbesondere Enteroviren (6)BMJ. 2011 Feb 3; 342():d35 inkl. Coxsackie-Viren, besonders Coxsackie B4 (7)Rev Med Virol. 2015 Jan;25(1):19-32. doi: 10.1002/rmv.1815. Epub 2014 Nov 27. PMID: 25430610., und auch SARS-Cov-2 (8)N Engl J Med. 2020 Aug 20; 383(8):789-790 Auch eine intrauterine Rötelninfektion führt in bis zu 20% zum Diabetes. (9)Ann Pediatr Endocrinol Metab. 2019 Mar;24(1):68-70. doi: 10.6065/apem.2019.24.1.68. Epub 2019 Mar … Continue reading
Kuhmilch-Hypothese zur Erklärung des erhöhten Risikos von Kindern mit nur kurzer Stillzeit für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 1: Bovines Serumalbumin hat möglicherweise große Ähnlichkeit mit Inselzellproteinen. (10)Nutr Diabetes. 2017 May 15;7(5):e274. doi: 10.1038/nutd.2017.16. PMID: 28504710; PMCID: PMC5518798. Durch frühe Kuhmilch-Ernährung von Säuglingen kann möglicherweise eine autoimmune Destruktion von Inselzellen ausgelöst werden. Umgekehrt senkt Stillen mit Muttermilch das Risiko eines autoimmunen Diabetes (siehe hier). (11)Am J Clin Nutr. 2011 Dec; 94(6 Suppl):1821S-1823S.
Glykierte Proteine der Nahrung: Glykierte Proteine und Polypeptide können im Körper entstehen, indem sich reduzierende Zucker nichtenzymatisch mit freien Aminosäuregruppen verbinden (Beispiel HbA1C). Solche Proteine können mit anderen so reagieren, dass sie ihre Funktion verändern. Eine Hypothese besagt, dass solche Gebilde einen oxidativen Stress für die Zellen darstellen und entzündliche Stoffwechselwege anstoßen können. Solche Produkte finden sich auch in heutigen Nahrungsmitteln. Eine hohe Aufnahme solcher Produkte mit der Nahrung führte bei Versuchstieren zu einer ausgeprägten Insulitis (Entzündung der Pankreasinseln), eine geringe dagegen zu einer geringen und einem deutlich höheren Überleben. (12)Diabetes. 2003 Jun;52(6):1441-8. DOI: 10.2337/diabetes.52.6.1441. PMID: 12765955. (13)Nutr Metab (Lond). 2018 Oct 10;15:72. doi: 10.1186/s12986-018-0306-7. PMID: 30337945; PMCID: … Continue reading
→ Mehr zum Diabetes mellitus siehe hier.
Auswirkungen auf den Stoffwechsel
Durch den Insulinmangel in den Zellen kommt es zu folgenden Stoffwechelstörungen: Fettabbau (Lipolyse), Proteinabbau zugunsten einer Zuckerneubildung aus Aminosäuren: Glukoneogenese und Ketogenese.
- Überschießende Lipolyse (Abbau von gespeichertem Fett) durch Insulinmangel in den Zellen des Fettgewebes, damit Neigung zur Ketonkörperbildung und zur Azidose. Ziel ist ein Ersatz der mangelnden Energiequelle Glukose. Das übermäßig anfallende Acetyl-CoA kann nicht genügend im Zitratzyklus abgebaut werden; Folge ist die Bildung von Aceton, Acetoacetat und ß-Hydroxybutyrat.
- Ketoazidose: Diese “Ketonkörper” lassen sich bei gesteigerter Lipolyse im Urin nachweisen. Es kann sich eine diabetische Ketoazidose entwickeln, wenn wegen des intrazellulären Glukosemangels im Gehirn eine Bewusstlosigkeit eintritt ein ketoazidotisches Coma diabeticum. Die Patienten wirken ausgetrocknet (exsikkiert), ihr Atem riecht wegen der Ketonkörper fruchtig. Jugendliche mit einem Typ-1-Diabetes haben mehrheitlich solch ein Koma oder Präkoma erlebt. In der Vorphase haben sie durch die hohe Glukoseausscheidung mit dem Urin (Glukosurie), bei der sie ihr Lösungswasser aus dem Blut mitnehmen, eine Polyurie und besonderen Durst.
- Erhöhung der Glukoseneubildung (Glukoneogenese) in Leber und Nieren aus Aminosäuren: der Insulinmangel bewirkt, dass im Muskel Protein vermehrt zu Aminosäuren abgebaut werden; diese gelangen ins Blut und werden unter erhöhtem Glukagonspiegel in der Leber zu Glukose umgewandelt. Wegen des relativen Insulinmangels sind Menschen mit einem Typ-1-Diabetes meist eher schlank. In Phasen häufiger Unterzuckerungen wirkt sich der Stoffwechsel katabol (abbauend) aus.
- Frühzeitige Arteriosklerose: Bei einem schlecht eingestellten Typ-1-Diabetes entwickeln sich frühzeitig arteriosklerotische Folgeschäden und Komplikationen. Zwar werden die Komplikationen meist erst im Erwachsenenstadium erkennbar, entwickeln sich jedoch bereits in jüngeren Jahren. Dazu gehören auch eine diabetische Nephropathie und kardiale Komplikationen, ähnlich denen beim Typ-2-Diabetes (siehe hier). (14)Lancet Diabetes Endocrinol. 2018 Oct;6(10):809-820. DOI: 10.1016/S2213-8587(18)30035-4. Epub 2018 … Continue reading
Therapie des Typ-1-Diabetes
Meist wird die Stoffwechselkrankheit bei Kindern und Jugendlichen erst durch ein ketoazdotisches Koma diagnostiziert. Im Gegensatz zum Typ-2-Diabetes ist der Patient mit einem frisch entdeckten Diabetes Typ 1 von vorneherein insulinpflichtig.
Die Behandlung eines T1D bei Kindern und Jugendlichen ist besonders herausfordernd, da ihre Compliance gefördert und über die Pubertät hinüber gewährleistet werden muss. Während der Loslösungsphasen der Kinder aus dem Elternhaus entstehen die meisten Stoffwechselentgleisungen. Eine psychosoziale Begleitung ist oft erforderlich, in die die Familie und ggf. auch Freunde einbezogen werden sollten. (15)Curr Diabetes Rev. 2015;11(4):239-50. DOI: 10.2174/1573399811666150421114957. PMID: 25901502; … Continue reading Eine gute Stoffwechselseinstellung sollte eine normale Lebenserwartung gewährleisten und nicht mit dem Begriff “Krankheit” belegt werden. Die Betroffenen sollten wissen, dass eine unzureichende Einstellung diabetische Komplikationen und Folgekrankheiten fördert, ähnlich wie beim Typ-2-Diabetes.
Die Basis der Therapie des Typ-1-Diabetes ist – neben einem gesunden Lebensstil – die Insulin-Substitution. Heute erfolgt sie durch Insulinpumpen. Die Insulintherapie hat jedoch einen wesentlichen Nachteil: von außen zugeführtes Insulin gelangt nicht, wie das in der Bauchspeicheldrüse produzierte Insulin, in die Leber und kann daher den Zuckerhaushalt in ihr nicht regulieren. Es führt damit nur zu einer instabilen Zuckerkontrolle im Blut. (16)Diabetes. 2014 May;63(5):1445-7. DOI: 10.2337/db14-0056. PMID: 24757194.
Closed-Loop-System: Da kleine Kinder noch nicht selbst auf Veränderungen des Blutzuckers (BZ) reagieren können, liegen Hoffnungen auf einem „Closed-Loop-System“. Dabei werden Messergebnisse eines Sensors an einen externen Regler gesendet, der automatisch Korrekturbefehle an einen Insulininjektor sendet. In einer Studie an 74 Kindern im Alter von 1-7 Jahren wurde festgestellt, dass solch ein System im Vergleich mit einem offenen sensorunterstützten System Vorteile hat. Die Phasen einer Normoglykämie (normaler BZ) waren im Mittel 8,7% länger, und diejenigen einer Hyperglykämie (zu hohe BZ-Werte) um 8,5% kürzer. Unterzuckerungen (Hypoglykämien) traten nicht signifikant häufiger auf. (17)N Engl J Med. 2022 Jan 20;386(3):209-219. DOI: 10.1056/NEJMoa2111673. PMID: 35045227.
Zur Insulintherapie siehe hier.
Künstliches Pankreas: Die Tendenz geht zum künstlichen Pankreas mit “closed-loop-control”, bei der ein Blutzuckersensor mit einer Insulinpumpe in einem lernenden Regelkreis miteinander verbunden ist. (18)N Engl J Med. 2019 Oct 31;381(18):1707-1717. doi: 10.1056/NEJMoa1907863. Epub 2019 Oct 16. PMID: … Continue reading (19)N Engl J Med. 2020 Aug 27;383(9):836-845. doi: 10.1056/NEJMoa2004736. PMID: 32846062.
Perspektive Gentherapie: Eine Forschungsrichtung betrifft die Gentherapie des Typ-1-Diabetes, die im Tiermodell bereits erfolgversprechend gezeigt werden konnte. (20)Cells. 2020 Oct 2;9(10):2227. doi: 10.3390/cells9102227. PMID: 33023100; PMCID: PMC7600325. (21)Biomed Pharmacother. 2018 Dec;108:1188-1200. doi: 10.1016/j.biopha.2018.09.138. Epub 2018 Oct 2. … Continue reading
Weitere Optionen sind eine Pankreastransplantation / Inselzelltransplantation (22)Ann Pediatr Endocrinol Metab. 2021 Jun;26(2):86-91. DOI: 10.6065/apem.2142012.006. Epub 2021 Jun … Continue reading sowie eine Stammzelltransplantation (23)Cells. 2021 Jun 24;10(7):1589. DOI: 10.3390/cells10071589. PMID: 34202521; PMCID: PMC8304653. Erste Erfahrungen mit diesen hoch aufwändigen Methoden zeigen, dass sie für ausgewählte Indikationen in Betracht kommen zu können.
Impfung: Unter der Vorstellung, dass Viren (insbesondere Enteroviren, wie Coxsackieviren, und Sars-CoV-2) eine autoimmune Reaktion gegen ß-Zellen des Pankreas und damit einen Typ-1-Diabetes auslösen können, sind Ideen entstanden, Impfstoffe gegen solche diabetogenen Viren zu entwickeln. (24)Rev Med Virol. 2015 Jan;25(1):19-32. DOI: 10.1002/rmv.1815. Epub 2014 Nov 27. PMID: 25430610. (25)Expert Rev Vaccines. 2018 Dec;17(12):1071-1083. DOI: 10.1080/14760584.2018.1548281. Epub 2018 Nov … Continue reading
Perspektive: Immununterdrückung
Zwei Publikationen zeigen, dass sich die Insulinbildung länger aufrecht erhalten lässt, wenn man das Immunsystem an entscheidenden Stellen hemmt. In einem Fall gelang dies durch Teplizumab, einen Antikörper gegen CD3 (ein Oberflächenprotein, das an der Aktivierung sowohl der zytotoxischen T-Zellen als auch der T-Helferzellen beteiligt ist). (26)N Engl J Med. 2023 Dec 7;389(23):2151-2161. doi: 10.1056/NEJMoa2308743, im anderen Fall durch den JAK-Hemmer Baricitinib, der die überschießende Immunreaktion reguliert. Die mittlere tägliche Insulindosis nach 48 Wochen betrug in der Baricitinib-Gruppe 0,41 U pro Kilogramm Körpergewicht und Tag und in der Placebogruppe 0,52 U pro Kilogramm und Tag. (27)N Engl J Med. 2023 Dec 7;389(23):2140-2150. DOI: 10.1056/NEJMoa2306691 Die Behandlungen wurden jeweils relativ gut vertragen. In einzelnen Fällen trat ein beherrschbares Cytokin-Release-Syndrom auf.
Zur Diabetes-Therapie siehe hier.
Zur Insulin-Therapie siehe hier.
Verweise
Literatur