[vc_row][vc_column][vc_column_text]Sichelzellanämie bedeutet Blutarmut durch sichelartig aussehende rote Blutkörperchen. Sie ist genetisch bedingt und kommt bei Menschen afrikanischer Abstammung vor. (1)BMJ Clin Evid. 2016 Jan 22;2016:2402. PMID: 26808098; PMCID: PMC4725622.

Allgemeines


Bei der Sichelzellanämie handelt es sich um eine Erkrankung, die durch einen genetisch bedingten krankhaft veränderten roten Blutfarbstoff (pathologisches Hämoglobin, eine Hämoglobinopathie) bedingt ist. Dieses atypische Hämoglobin führt dazu, dass sich die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) bei niedriger Sauerstoffsättigung sichelartig verformen und ihre elastische Verformbarkeit verlieren. Folge ist, dass sie in engen Blutkapillaren steckenbleiben und sie verstopfen. Dies führt zu schweren Durchblutungsstörungen von Geweben und Organen im Körper. Die Erkrankung kann tödlich verlaufen.

Das Hämoglobin der Sichelzellen bringt bezüglich Malaria einen Überlebensvorteil, so dass es sich in Malariagebieten ausbreiten konnte. (Dies gilt ebenso für die Thalassämie, einer weiteren Hämoglobinopathie.)

Die Manifestationen sind vielfältig und schwerwiegend. Zu ihnen gehören eine Vergrößerung der Milz , Anämie durch Blutzersetzung (Hämolyse), Thrombosen und Embolien, Gallensteine und Blut im Urin.

Die Behandlung richtet sich nach den Symptomen. Eine Gentherapie stellt sich als eine neue Therapieoption heraus (s. u.).


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Entstehung

Die Sichelzellkrankheit ist eine autosomal-rezessiv vererbte Krankheit. Sie beruht auf der Mutation eines Gens, welches für die Beta-Kette des Globinteils des Hämoglobins kodiert (Codon 6 des beta-Globin-Gens mit Austausch von Glutaminsäure gegen Valin).

Bei Homozygotie kommt es zu einem atypischen Hämoglobin (alpha2betas[s]2), das als HbS bezeichnet wird. Seine Eigenschaften sind gegenüber dem normalen HbA verändert, indem es bei niedrigem Sauerstoffpartialdruck geringer verformbar ist, was sich auf Form und Verformbarkeit der Erythrozyten negativ auswirkt. Die bei Sauerstoffmangel deformierten Erythrozyten führen

  • zu Gefäßverschlüssen: Verstopfung kleinster Blutgefäße und von Venen mit der Folge von Minderdurchblutungen (Ischämie) von Geweben und Organen und von Thrombosen
  • zur Hämolyse: mit der Folge einer erhöhten Nachbildung roter Blutkörperchen im Knochenmark (außer bei Knochenmarksischämie, s.u.)

Heterozygote Genträger sind nicht aparent erkrankt. Sie können jedoch bei starker Sauerstoffuntersättigung (Hypoxie; z. B. in großer Höhe) Symptome entwickeln.

Folgen der Krankheitskrisen

Die krisenartige Ischämie von Geweben kann zu Nekrosen und Infarzierungen führen, die mit starken Schmerzen einhergehen. Betroffen sind prinzipiell alle Körperregionen, besonders jedoch

  • die Knochen: dies führt zu Knochenschmerzen, aseptischer Hüftkopfnekrose, hypo- und aplastischem Knochenmark mit Störung der Bildung der Blutkörperchen und der Folge von Anämie, Leukopenie (mit Abwehrschwäche und Infektionsneigung) und Thrombopenie; es kann zu einer Wachstumsverzögerung kommen,
  • die Nieren: dies führt zur Niereninsuffizienz,
  • die Milz: es können kleine oder größere Milzinfarkte entstehen,
  • die Lungen: es kommt durch mikrovaskuläre Lungeninfarkte (diffuse kleine Infiltrate im Röntgenbild) zu einem „akuten Thoraxsyndrom“, das akut tödlich verlaufen kann; das Risiko einer Lungenembolie ist erhöht. Mikrovaskuläre Gefäßischämien können auf die Dauer zu einer Lungenfibrose führen.
  • das Gehirn: unabhängig von mikrovaskulären Verschlüssen können neurokognitive Beeinträchtigungen durch neuropsychiatrische Untersuchungen erkannt werden, die mit dem Alter und der Anämieausprägung korrelieren. (2)JAMA: Journal of the American Medical Association. 2010;303(18):1823–1831

Symptome

Zu den auffälligsten Symptomen, die schon bei Kindern auftreten, gehören Schmerzkrisen, besonders Knochenschmerzen, Osteomyelitis, Lungenaffektionen mit Atemstörungen, Niereninsuffizienz, Wachstumsverzögerung, verschiedene Organschäden, Thrombosen, Embolien, Priapismus, Schlaganfall und psychosoziale Auffälligkeiten. Die oft ausgeprägte Anämie verstärkt die Atemnot bei Belastung und führt zur Leistungsschwäche.

Klinische Auffälligkeiten

Bei der klinischen Untersuchung kann eine Hepatosplenomegalie auffallen. In Phasen starker Erythrozyten-Phagozytose kann die Milz auch rasch anschwellen und schmerzen. Schmerzhaft wird sie auch nach einem Milzinfarkt. In der Folge von Milzinfarkten kann die Milz narbig schrumpfen und klinisch nicht mehr nachweisbar sein.

Bei einer Sichelzell-Krise kann es zur Sequestrierung von Blut in der Milz oder im Durchblutungsgebiet des Darmkanals kommen mit der Folge eines akuten Volumenmangels im Blutkreislauf (Hypovolämie) mit Blutdruckabfall und Schock.

Bei ständiger Hämolyse ist die Bildung schwarzer Gallensteine (Bilirubinatsteine) mit dem Risiko von Gallenkoliken zu gewärtigen; im Alter von 18 Jahren haben etwa 30% der Patienten Gallensteine. (3)Ann Surg. 2007 Jan; 245(1):126-9

Diagnostik

Episodische Knochenschmerzen und eine Anämie bei Kindern und Jugendlichen afrikanischer Abstammung sind verdächtig auf eine Sichelzellanämie.

  • Eine Hämolyse ist in akuten Schmerzphasen immer nachzuweisen. Auch außerhalb solcher Krisen kann eine diskrete Hämolyse weiter bestehen. Eine verstärkte Hämolyse lässt sich durch Erniedrigung von freiem Haptoglobin, Retikulozytose, Erhöhung der LDH nachweisen (siehe hier).
  • Das Differenzialblutbild zeigt gelegentlich die atypisch, oft sichelartig verformten Erythrozyten.
  • Test in frischem Blutstropfen: Typisch ist das mikroskopisch erkennbare „Sichelzellphänomen“ in einem frischen Blutstropfen, der mit Natriumbisulfid (wirkt reduzierend) versetzt wird.
  • Eine Hämoglobinelektrophorese sichert die Diagnose.
  • Eine genetische Analyse ist alternativ möglich und wird Gesunden mit Sichelzellanämie in der Familie bei Kinderwunsch empfohlen.

Diagnostik der Komplikationen

Die Diagnostik beinhaltet die Überprüfung der betroffenen Organe. Besteht eine der folgenden häufigen Komplikationen: Niereninsuffizienz? Lungenfunktion? Knochenmarksfunktion? Herzinsuffizienz?

Therapie

Eine ursächliche medikamentöse Therapie existiert nicht; die Behandlung richtet sich im Wesentlichen nach den Symptomen. (4)ScientificWorldJournal. 2012;2012:949535 Epub 2012 Aug 1. Hydroxyharnstoff hat sich jedoch als effektiv erwiesen bei der Prophylaxe von Krisen durch Erhöhung des fetalen Hämoglobins (HbF); die Mortalität nach 9-jähriger Beobachtung sank in einer Studie um 40%. (5) JAMA. 2003 Apr 2;289(13):1645-51

Die Sichelzellkrisen mit extremen Knochen- und Thoraxschmerzen werden mit Analgetika und Opiaten symptomatisch behandelt.

Eine ausreichende Sauerstoffsättigung des Bluts ist zu gewährleisten (Sauerstoffnasensonde).

Die Anämie kann zur Indikation von Bluttransfusionen führen. In jedem Fall ist zu überlegen, ob eine partielle Austauschtransfusion indiziert ist, da durch sie die Mehrzahl der pathologischen Erythrozyten entfernt wird.

In der akuten Phase ist auf eine ausreichende Flüssigkeitssubstitution zu achten, die einer erhöhten Blutviskosität vorbeugen soll.

Bei einer Blutsequestration in der Milz und/oder in der Leber ist auf ausreichende Flüssigkeitsinfusionen zu achten, um einem lebensgefährlichen Schock vorzubeugen.

Akute aplastische Krisen können durch Virusinfekte verschlimmert werden. Einer bakteriellen Infektion ist durch eine Antibiotikaprophylaxe vorzubeugen.

Bei Kleinkindern ist eine Infektionsprophylaxe sinnvoll, wozu eine Impfung gegen Pneumokokken, Meningokokken und Hämophilus influencae gehört, wie auch eine Langzeitprophylaxe mit Penicillin bis zum Alter von 6 Jahren.

Eine Stammzelltransplantation kann zur klinischen Heilung führen, ist jedoch mit Komplikationen und einer mehrprozentigen Mortalitätsrate verbunden (siehe Therapie der Thalassämie). Sie wird daher eher zurückhaltend indiziert.

Gentherapie

Eine Gentherapie mit „LentiGlobin“ bei Sichelzellanämie führte zu einer anhaltenden Produktion von HbAT87Q in den meisten roten Blutkörperchen. Dies führte zu einer Abnahme der Hämolyse und einem vollständigen Abklingen schwerer vasookklusiver Ereignisse (Gefäßverschlüsse). 

Es handelt sich dabei um eine autologe Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen, die mit Lentiviren transduziert wurden. Die Lentiviren waren in einer Studie mit einem modifizierten „gesunden“ β-Globin-Gen (HbAT87Q) versehen worden. Die transplantierten modifizierten Stammzellen breiten sich aus und bewirken eine Bildung von normalen, sich nicht sichelförmig veränderten Erythrozyten. Der Erfolg war eine verringerte Hämolyse und ein vollständiges Abklingen schwerer vasookklusiver Ereignisse. (6)N Engl J Med 2022; 386:617-628 DOI: 10.1056/NEJMoa2117175

Verweise

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).


 


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Literatur[+]