Das Belohnungssystem des Gehirns (engl.: reward system) verstärkt bestimmte Verhaltensweisen, Wünsche und Ziele und verstärkt die zu ihrer Verfolgung notwendige Risikobereitschaft und Ausdauer positiv. Es übt zudem einen günstigen Einfluss auf das Immunsystem aus und fördert die Widerstandskraft.

Beteiligte Gehirnstrukturen


Das Belohnungssystem des Gehirns besteht aus verschiedenen verteilten Schaltzentralen. Es handelt es sich um ein „mesokortikolimbisches Netzwerk“. Wesentliche Ergebnisse hierzu wurden durch fMRI-Untersuchungen erhalten (1)J Neurophysiol. 2016 Mar;115(3):1664-78. doi: 10.1152/jn.00333.2015. . Im Zentrum steht das „mesolimbische dopaminerge Belohnungssystem“. Seine Aktivierung wirkt sich auf verschiedene Großhirnrindenareale, insbesondere auf die ventrolaterale präfrontale Rinde, aus.

Im dopaminvermittelten Belohnungssystem spielen das Striatum (gehört zu Basalganglien, koordiniert Emotionen, Kognition und Bewegungsabläufe), speziell das dopaminreiche ventrale Striatum, der Nucleus accumbens (gehört zum Striatum, Funktion in emotionalen Lernprozessen) und der ventrale Tegmentalbereich des Hirnstamms besondere Rollen. Auch andere Regionen wie die Amygdala, das periaquaeduktale Grau und andere Bereiche in den thalamischen, hypothalamischen und subthalamischen (Pallidum) Regionen sind beteiligt (2)Neuropsychopharmacology. 2011 Jan;36(1):339-54.

Das Belohnungssystem ist differenziert zu betrachten. Es enthält affektive Eigenschaften, die Emotionen beeinflussen, und informative Eigenschaften, die helfen, zukünftige Belohnungen zu erhalten. Beide Untersysteme sind mit der Funktion des Nucleus accumbens verbunden. Das Striatum unterhält zudem eine Konnektivität mit dem ventrolateralen präfrontalen Kortex (Hirnrinde). Diese kortikostriatalen Interaktionen nehmen bei affektiven Belohnungen zu und werden bei informellen dagegen weniger benutzt wird (3)Sci Rep. 2016 Feb 2;6:20093. doi: 10.1038/srep20093. . Bei erwartbarer monetärer Belohnung werden die Entscheidungen zudem stark von sozialen Interaktionen mit Personen in gleicher Situation beeinflusst; es werden Entscheidungsn bevorzugt, die in der Gruppe getroffen werden (4)PLoS One. 2015 May 11;10(5):e0126656. doi: 10.1371/journal.pone.0126656. ; dasselbe wird bei jungen Cannabis-Rauchern gefunden. Informationen aus sozialen Interaktionen fließen in das Belohnungssystem ein, wobei das Caudatum (Nucleus caudatus, Teil des Striatums) eine Rolle spielt (5)Cogn Affect Behav Neurosci. 2016 Aug;16(4):646-61. doi: 10.3758/s13415-016-0421-8. .

Belohnungserwartung

Die Empfindlichkeit des Belohnungssystems hat Auswirkungen auf die Entscheidungen von Menschen, so auf die Auswahl unter verschiedenen Möglichkeit, wenn eine freie Wahl möglich ist. Eine Untersuchung zeigte, dass das mesolimbische dopaminerge Belohnungssystem in belohnungssensitiven Probanden bei freier Wahlmöglichkeit den ventrolateralen präfrontalen Kortex (Großhirnrinde, s.o.) aktivierte und die Konnektivität mit dem posterioren Cingulum und dem präzentralen Gyrus steigerte. Daraus wurde gefolgert, dass das Belohnungssystem bei freier Wahlmöglichkeit weitere Kontrollprozesse im Gehirn aktiviert (6)Front Neurosci. 2016; 10: 529. Published online 2016 Nov 18. doi:  10.3389/fnins.2016.00529 . Inzwischen ist eine Reihe von Großhirnarealen bekannt, die unter verschiedenen Situationen, in denen Entscheidungen mit Belohnungsaussichten getroffen werden sollen, aktiviert werden (7)Neural Regen Res. 2013 Dec 15;8(35):3344-52. doi: 10.3969/j.issn.1673-5374.2013.35.009 . Je unsicherer die Erwartung einer Belohnung ist, desto mehr Gehirnbezirke werden bei der Entscheidungsfindung aktiviert (desto mehr wird berechnet und „nachgedacht“) (8)Neural Regen Res. 2013 Dec 15;8(35):3344-52. doi: 10.3969/j.issn.1673-5374.2013.35.009. .

Belohnungssystem und Immunität

Positive Erwartungen wirken sich günstig auf das Immunsystem aus. Eine Aktivierung des ventralen Tegmentums, eines Bestandteils des Belohnungssystems, durch solche Erwartungen stärkt die Immunabwehr. Dies wurde durch bakterielle Exposition von Versuchstieren, deren ventrales Tegmentum direkt durch Dopamin aktiviert wurde, nachgewiesen; bei ihnen stieg die antibakterielle Aktivität von Monozyten und Makrophagen. Der Effekt war nach Ablation des Sympathicus nicht mehr nachweisbar, so dass der Effekt vom Gehirn über den Sympathicus zu den Bildungsstätten der Abwehrzellen gelangt (9)Nat Med. 2016 Aug;22(8):940-4. doi: 10.1038/nm.4133..

Abhängigkeitserkrankungen

Die dopaminergen Neurone dieser Systeme passen sich rasch an, indem sie auf diejenigen Reize zu reagieren lernen, die Belohnungen versprechen (10)Science. 2005 Mar 11;307(5715):1642-5 .  Solch eine Adaptation im Rahmen von durch Belohnung unterstützten Entscheidungsprozessen kann zu Abhängigkeitserkrankungen führen (11)Nat Neurosci. 2005 Nov;8(11):1481-9. (12)Clin Psychol Sci. 2016 Sep;4(5):760-774 .

In einer Arbeit wurde im Tierversuch nachgewiesen, dass die Suche süchtiger Ratten nach Kokain mit einer Aktivierung bestimmter Bereiche des ventralen Pallidums einhergeht (13)Nature Neuroscience 2014; 17, 577–585,  doi:10.1038/nn.3664.

Beim Menschen wurde festgestellt, dass Dopamin im Striatum assoziiert ist mit einer „Enthemmung“ von Entscheidungen im Sinne der erwartbaren sofortigen Belohnung, auch wenn sie weniger wert war als eine Belohnung, auf die man warten musste. Menschen mit niedrigerem Dopamin-Spiegel im Striatum lernten eher, auf eine Belohnung zu warten (14)Clin Psychol Sci. 2016 Sep;4(5):760-774 .

Geschlechtsdimorphismus

Während des Eisprungs (Oestrus) sind Frauen besonders für Abhängigkeitserkrankungen (z. B. Abhängigkeit von Kokain) empfänglich, was der Wirkung von Östradiol zugeschrieben wird. Unter physiologischen Bedingungen bedeutet dies sehr wahrscheinlich, dass während des Oestrus das Belohnungssystem besonders sensibel reagiert. Frauen berichten, dass sie während der Phase hoher Östrogenwerte im Zyklus ein besonders hohes „High“ mit Kokain erleben (15)Horm. Behav. 58, 13–21 (2010) (16)Psychopharmacology (Berl) 159, 397–406 (2002) .

Weibliche Mäuse, die mit speziellen Auslösern auf Kokain konditioniert worden waren (ein maximaler Belohnungsstimulus), hatten während des Oestrus, der Zeit der Paarungsbereitschaft, eine erhöhte mesolimbische Reaktion auf die Auslöser, ohne dass Kokain in der Nähe war. Solche Befunde weisen auf einen Östrogen-abhängigen Geschlechtsdimorphismus bei Abhängigkeitserkrankungen hin (17)Nature Communications 2017 8, Article number: 13877 (2017) doi:10.1038/ncomms13877.

Positive Erwartungen und Placeboeffekt

Das Belohnungssystem des Gehirns wird durch Erlebnisse mit Erfolgs- und Glücksgefühlen sowie durch positive Erwartungen angeregt. Auch die Erwartung einer positiven Wirkung von Medikamenten trägt erheblich zu ihrer Wirkung bei, was auch die Placebowirkung von Medikamenten erklärt (18)J Physiol. 2016 Oct 1;594(19):5367. doi: 10.1113/JP272209 (19)J Physiol. 2016 Oct 1;594(19):5647-60. doi: 10.1113/JP271322. .

Allein bereits positive Erwartungen, wie sie im medizinischen Bereich durch Placebo-Medikamente ausgelöst werden, bewirken günstige Wirkungen. Bei Parkinsonkranken beispielsweise wirken Placebo-Tabletten Symptom-mindernd; ihre Einnahme ist assoziiert mit einer kräftigen Dopaminerhöhung im Striatum (20)Science. 2001 Aug 10;293(5532):1164-6. .

Belohnung und Lernen

Die Erwartung einer Belohnung oder eines günstigen Ausgangs übt einen erheblichen Einfluss auf das Lernen aus. Dabei spielt das ventrale Striatum mit seinem dopaminergen System eine zentrale Rolle (21)Ann N Y Acad Sci. 2007 May; 1104():35-53 . Es reagiert auf eine Vielzahl unterschiedlicher Belohnungsreize, so beispielsweise auf einfache Verstärker (wie ein Bonbon, Geld), soziale Belohnung oder eine subjektive Befriedigung durch erreichte Korrektheit. Das Lohnsystem wird auch in sehr komplexen Lernaufgaben, die für wesentliche Entscheidungen wichtig sind, rekrutiert (22)Neurobiol Learn Mem. 2014 Oct; 0: 90–100. .

Belohnungssystem und Immunabwehr

Bedeutung des Hirnstamms

Untersuchungen zeigen, dass das ventrale tegmentalen Areal (VTA) des Hirnstamms eine zentrale Rolle im Belohnungssystem spielt. Überträgerstoff an den Neuronen (Gehirnzellen) ist Dopamin. Die Aktivierung dieses Gebiert stärkt die immunologische Abwehrkraft eines Menschen. Im Mausmodell lassen sich die Vorgänge aufschlüsseln. Nach Exposition mit Bakterien (E. Coli) führte die selektive Stimulierung dieser Neurone zu einer Zunahme der angeborenen und adaptiven Immunantworten, erkennbar an einer erhöhten antibakteriellen Aktivität von Monozyten und Makrophagen mit der Folge einer verminderten in vivo bakteriellen Belastung und einer erhöhten T-Zellantwort. Die Wirkungen wurden zumindest teilweise über das sympathische Nervensystem vermittelt (23)Nature Medicine 22, 940–944 (2016) doi:10.1038/nm.4133 .

Krankheiten des Belohnungssystems

Wird das Belohnungssystem nicht mit ausreichend positiven Informationen und günstig wirkenden Stimuli  „gefüttert“ , kommt es zur Resignation oder zur Depression.

Wird das Gehirn mit Reizen und Informationen überflutet, die positive Erwartungen auslösen, wirkt sich dies in einem erhöhten Risiko bezüglich Abhängigkeitserkrankungen aus.

Auch können Überempfindlichkeit und Unterempfindlichkeit des Belohnungssystems oder eine gestörte Informationsverarbeitung innerhalb des neuronalen Netzwerks dieses Systems Ursachen von Gemütsschwankungen, Abhängigkeitserkrankungen und psychischen Krankheiten, speziell von Depression, Schizophrenie und bipolaren Störungen, sein (24)Curr Opin Psychiatry. 2015 Jan;28(1):7-12. doi: 10.1097/YCO.0000000000000122. (25)Behav Ther. 2016 Sep; 47(5): 600–621. .

Menschen mit schwerer Depressionen und der Unfähigkeit, Freude zu empfinden, zeichnen sich durch eine verminderte Fähigkeit aus, ihr Verhalten durch die Aussicht auf Belohnungen zu modulieren (26)Curr Opin Psychiatry. 2015 Jan;28(1):7-12. doi: 10.1097/YCO.0000000000000122. . Bei ihnen findet sich der Dopamingehalt des Striatums vermindert (27)Int Rev Neurobiol. 1993; 35:161-278. , ebenso bei Menschen mit negativen Symptomen einer Schizophrenie. Bei Menschen mit hypomanen und manischen Zuständen einer bipolaren Krankheit oder einer Psychose ist er dagegen erhöht (28)Curr Opin Psychiatry. 2015 Jan;28(1):7-12. doi: 10.1097/YCO.0000000000000122. .

Anorexia nervosa

Bei der Anorexia nervosa spielt eine veränderte Fähigkeit, Belohnung als positiv verstärkend zu erfahren, eine ausschlaggebende Rolle (29)Compr Psychiatry. 2002 May-Jun; 43(3):189-94 .

Im Vergleich zu gesunden Kontrollen waren in fMRI-Untersuchungen an jungen Patienten mit einer sich entwickelnden Anorexie riefen Bilder untergewichtiger Personen eine vermehrte Aktivität des ventralen Striatums hervor, und Bilder normalgewichtiger Personen ein vermindertes Signal. Dies entsprach den mitgeteilten subjektiven Präferenzen (30)Transl Psychiatry. 2013 Oct 22;3:e315. doi: 10.1038/tp.2013.88. .

Es gab lange die Anschauung, dass eine allgemeine Unfähigkeit, Belohnung als positiv zu empfinden, die Anorexie erklären könnte. Das ist offenbar nicht der Fall. Vielmehr deuten die Untersuchungen darauf hin, dass die Bewertung von Reizen bezüglich einer Belohnung dysfunktional ist. Die bei der Anorexie negative Bewertung einer Gewichtszunahme führt zu einer Abneigung gegenüber lebensmittel- und geschmacksbezogenen Reize, und Stichworte und Reize, die diese abnormale Denkweise unterstützen, werden als belohnend empfunden (31)Neurosci Biobehav Rev. 2015 May;52:131-52. doi: 10.1016/j.neubiorev.2015.02.012. . Viele Untersuchungen stützen dies inzwischen und deuten auf das ventrale Striatum als Akteur (32)Transl Psychiatry. 2013 Oct 22;3:e315. doi: 10.1038/tp.2013.88. (33)Am J Psychiatry. 2010 Feb;167(2):206-12. doi: 10.1176/appi.ajp.2009.09010071. (34)PLoS One. 2016 Oct 20;11(10):e0165104. doi: 10.1371/journal.pone.0165104. eCollection 2016. .
Wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass die Anorexie zumindest zum Teil auf einem Lernprozess krankheitsfördernder Verhaltensweisen (wie insbesondere einer vermehrten körperlichen Bewegung, s.u.) beruht, die sich verfestigen und danach schwierig zu beheben sind (35)PLoS One. 2016 Oct 20;11(10):e0165104. doi: 10.1371/journal.pone.0165104. ECollection 2016. (36)Neurosci Biobehav Rev. 2015 May;52:131-52. doi: 10.1016/j.neubiorev.2015.02.012. . Das Belohnungssystem arbeitet offenbar adaptiv.

Frauen, die eine Anorexie überwunden haben, bleiben weiterhin für die Krankheit anfällig. Sie empfinden weiterhin Reize, die mit Untergewicht und körperlicher Bewegung assoziiert sind, i.d.R. als Versprechungen einer größeren Belohnung als Gesunde. Der mit der Anorexie verbundene vermehrte Bewegungsdrang verfestigt sich allerdings habituell (wird zur Gewohnheit) und entzieht sich danach einer Beeinflussung des Belohnungssystems. Abnormales belohnungsorientiertes Lernen trägt damit initial sehr wahrscheinlich zur Gewöhnung an ein Verhalten bei, das schließlich die Anorexie unterhält (37)PLoS One. 2016 Oct 20;11(10):e0165104. doi: 10.1371/journal.pone.0165104. ECollection 2016. .


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Verweise

Literatur[+]