Chronische Pseudoobstruktion des Darms

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Chronische Pseudoobstruktion des Darms (engl.: chronic intestinal pseudo-obstruction, CIPO) bedeutet lang anhaltende Verstopfung (Obstipation) durch eine Bewegungsstörung des Darms – wie bei einem mechanischen Hindernis. Im Fall einer Pseudoobstruktion besteht jedoch kein solches Hindernis. Ursache ist vielmehr eine Störung des Vortransports des Darminhalts durch eine gravierende Motilitätsstörung der Darmwand oder eines Darmsegments. Die Erkrankung beginnt oft allmählich und harmlos mit leichten Symptomen und kann bis zu einer Ileus-Symptomatik fortschreiten, die eine künstliche (parenterale) Ernährung und ggf. auch einen operativen Eingriff notwendig macht.


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Einteilung

Die chronische intestinale Pseudoobstruktion kann durch folgende Ursachen ausgelöst werden: (1)MJ Case Rep. 2022 Nov 2;15(11):e252319. DOI: 10.1136/bcr-2022-252319

  • eine Erkrankung der Muskeln des Darms (Myopathie),
  • eine Fehlfunktion der Darmnerven (Neuropathie),
  • der interstitiellen Cajal-Zellen,
  • eine Durchblutungsstörung (z. B. im Rahmen einer Vaskulitis).

Entstehung

Wesentlich für die Erklärung der Symptomatik und die Behandlung ist die Tatsache, dass der Darmkanal in seiner Wandung eine Muskulatur enthält, die normalerweise nach Bedarf koordinierte Bewegungen durchführt, welche den Darminhalt vorwärts treibt. Die Koordinierung erfolgt durch Dehnung und Antrieb bzw. Hemmung durch ein darmeigenes Nervengeflecht, das wiederum durch den Sympathicus gehemmt und durch den Vagus (Parasympathicus) stimuliert werden kann. (Dazu siehe hier.) Bei der Pseudoobstruktion ist die Darmmotilität gestört.

Ursachen und Differenzialdiagnosen

Folgende Ursachen kommen infrage:

  • neuronale Anomalien, oft mit Autoimmunreaktion und Bildung antineuronaler Antikörper und enterischer neuronaler Degeneration, (2)Gut. 2005; 54: 1206-7 (3)Virchows Arch. 2014 May;464(5):529-37. doi: 10.1007/s00428-014-1565-y
  • Die intestinalen Cajal-Zellen in der Muskulatur des Gastrointestinaltrakts sind auf nicht geklärte Weise bedeutsam für die elektromechanische Aktivität und damit für die gesamte gastrointestinale Motilität. (4)Clin Gastroenterol Hepatol. 2005; 3: 449-58 Ihre Störung oder ihre Rarefizierung (histologisch) kann zur Pseudoobstruktion führen, z. B. bei der paraneoplastischen Form (beobachtet bei kleinzelligem Bronchialkarzinom) (5)Am J Gastroenterol 2002; 97: 1828-1833, bei der slow-transit constipation (6)Gastroenterology 2002; 123: 1459-1467, aber auch bei der idiopathischen Form. (7)Am J Gastroenterol 2002; 97: 2120-2126
  • eine autoimmune enterische Leiomyositis,  (8)Hum Pathol. 2005; 36: 576-80 (9)Z Gastroenterol. 2021 Apr;59(4):326-330. English. doi: 10.1055/a-1310-4500.
  • eine paraneoplastische Genese, (10)Lung Cancer. 2005; 48: 137-40 (11)Intern Med. 2017 Oct 1;56(19):2627-2631. doi: 10.2169/internalmedicine.8574-16
  • Kawasaki-Syndrom (fieberhafte Multisystemvaskulitis), (12)Virchows Arch. 2015 Nov;467(5):619-20. doi: 10.1007/s00428-015-1844-2
  • eine Pseudoobstruktion des Darms in der Folge neurologischer Krankheiten wie einer ALS oder einer MS, (13)BMC Neurol. 2022 Sep 22;22(1):366. doi: 10.1186/s12883-022-02893-x
  • Assoziation mit anderen internistischen Krankheiten. Beispiele sind die hepatische Enzephalopathie bei Leberzirrhose, kongestive Herzerkrankung, andere Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes, die Systemsklerose und chronische Darminfektionen.
  • eine Desmose des Kolons (Degeneration der lockeren bindegewebigen Verschiebeschicht innerhalb der Muskularis propria ungeklärter Genese mit der Folge einer erschwerten Muskelkontraktion). (14)Pediatr Surg Int. 2001 Mar;17(2-3):140-3. doi: 10.1007/s003830000475
  • eine genetisch bedingte Myopathie, z. B. im Sinne eines “Megacystis-Mikrokolon-intestinales Hypoperistaltik-Syndrom” (MMIHS). Sie lässt sich durch Genanalyse differenzieren und führt zu einer Pseudoobstruktion bei Kindern. (15)Curr Gastroenterol Rep. 2019 Dec 17;21(12):70. doi: 10.1007/s11894-019-0737-y.

Diagnostik

Endoskopische Untersuchungen einschließlich Kapselendoskopie ergeben keine Darmverengung. Die Dünndarmtransitzeit ist verzögert, erkennbar an der verzögerten Wanderung der Kapsel bei einer Kapselendoskopie durch den Darm.

Die Diagnose bedarf eine endoskopisch entnommenen tiefen Darmwandbiopsie und Histologie mit Spezialfärbungen für die Nervenplexus.

Ein spät manifester Morbus Hirschsprung muss durch endoskopische, radiologische, manometrische und histologische Methoden ausgeschlossen werden.

In der Regel liegt begleitend eine Motilitätsstörung des Magens und Duodenums sowie des gesamten Dünndarms vor, die auch ein frühes Völlegefühl verursachen können. Dies lässt sich über eine Druckmessung (antroduodenale Manometrie) nachweisen.

Sekundäre Ursachen einer chronischen Pseudoobstruktion sollten ausgeschlossen werden. Beispiele sind chronische Infektionen der Darmwand, wie ein Befall mit Giardia lamblia. (16)BMJ Case Rep. 2022 Nov 2;15(11):e252319. DOI: 10.1136/bcr-2022-252319

Klinische Symptomatik

Klinische Symptome bestehen in

  • Stuhlverhalt bis hin zur Ileussymptomatik,
  • Völlegefühl durch verzögerte Magenentleerung (oft begleitend).

Die Symptome beginnen leicht und schreiten allmählich bis zum Darmverschluss (Ileus) fort. Wegen des oft langsamen Beginns werden die Beschwerden meist relativ spät, oft erst Jahre nach ihrem Beginn, richtig gedeutet.

Therapie

Eine kausale Therapie steht meist nicht zur Verfügung. Blähende Speisen führen zu einer Symptomverschlechterung und werden vermieden.

Starke schmerzhafte Blähungen können ggf. endoskopisch abgesaugt werden. Kolonmassage kann helfen, gefangene Darmgase vorwärts zu treiben. In fortgeschrittenen Stadien kann eine Kolostomie, ein Anus praeter oder eine totale Kolektomie infrage kommen. (17)BMC Neurol. 2022 Sep 22;22(1):366. DOI: 10.1186/s12883-022-02893-x

Wenn vorrangig der Dünndarm von der Motilitätsstörung betroffen ist, kann auch eine Dünndarmtransplantation infrage kommen. (18)Clin Colon Rectal Surg. 2018 Mar;31(2):99-107. doi: 10.1055/s-0037-1609024.

Eine parenterale Langzeiternährung wird bei Subileus und Ileussymptomatik erforderlich und kann über einen Port erfolgen. (19)Clin Gastroenterol Hepatol. 2005 May;3(5):449-58

In Einzelfällen einer paraneoplastischen Genese mit inhibierenden Mediatorstoffen wurde Oktreotid erfolgreich eingesetzt. (20)Lung Cancer. 2005; 48: 137-40 (21)Paediatr Drugs. 2016 Oct;18(5):387-92. DOI: 10.1007/s40272-016-0189-x

Prognose

Eine chronische Preudoobstruktion läuft im Laufe der Zeit auf eine künstliche (parenterale) Ernährung hinaus, die nach entsprechender Einübung unter häuslichen Bedingungen durchgeführt werden kann. In einer Nachbeobachtungsstudie über durchschnittlich  8,3 Jahre ließ sich bei parenteraler Ernährung folgender Verlauf feststellen: Bei 84 % der Patienten war eine Operation erforderlich und führte bei 19 (37 %) Patienten zu einem Kurzdarmsyndrom. Die rechnerische Überlebenswahrscheinlichkeit nach 1, 5, 10 und 15 Jahren betrug 94, 78, 75 und 68 % . (22)Am J Gastroenterol. 2009 May;104(5):1262-70. doi: 10.1038/ajg.2009.58

Verweise

-> Obstipation
-> Akute idiopathische intestinale Pseudoobstruktion
-> Morbus Hirschsprung
-> Ileus
-> Laxantien

 

Literatur[+]