Harnstoff

Artikel aktualisiert am 12. Juni 2019

Harnstoff ist ein Abbauprodukt des Eiweißstoffwechsels. Als niedermolekulare Substanz wird er über die Nieren ausgeschieden; er gehört mit Kreatinin zusammen zu den Nierenwerten. Das bedeutet, dass bei einer Nierenfunktionsstörung der Harnstoffwert im Blut frühzeitig ansteigt. Der Blutwert reflektiert im Wesentlichen die Nierenfunktion.


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Physiologie und Pathophysiologie

Im Folgenden werden wichtige Grundlagen zur Beurteilung einer erhöhten Harnstoffkonzentration im Blut besprochen.

Bedeutung der Leber

Harnstoff wird in der Leber aus CO2 und Ammoniak gebildet, das beim Abbau von Glutaminsäure entsteht. Die Synthese erfolgt im Harnstoffzyklus, der in den perivenösen Zellen des Leberläppchens vor sich geht.

Bei Schädigung oder Zerstörung dieser Zellschicht, wie sie durch eine akute Rechtsherzinsuffizienz oder durch toxische Substanzen (wie Tetrachlorkohlenstoff) zustande kommen kann, leidet die Harnstoffbildung. Auch bei einer Leberzirrhose wird weniger Harnstoff gebildet als normal.

Bedeutung der Niere

Harnstoff ist leicht löslich und diffundiert leicht in alle Gewebe und Organe. Er wird glomerulär filtriert und so durch die Nieren ausgeschieden. Allerdings gelangt er im Bereich der Tubuli durch Diffusion zum Teil auch wieder zurück in die Blutbahn.

Harnstoff und Niereninsuffizienz

Die Rückdiffusion von Harnstoff ist um so größer, je mehr Zeit dafür zur Verfügung steht, d. h. je langsamer die Passage des Harns durch die Tubuli der Niere vor sich geht. Bei geringer Primärharnbildung kommt es daher zu einer erhöhten Rückdiffusion von Harnstoff im Nierenparenchym. So erklärt sich, dass bei einer vaskulären Nierenerkrankung mit verminderter Urinproduktion ebenso wie bei einer Abnahme des zentral wirksamen Kreislaufvolumens (bei einer Hypovolämie, einer Exsikkose) die Harnstoff-Konzentration im Blut höher als bei hoher Diurese ist.

Bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit allmählich nachlassender Urinmenge steigt die Konzentration von Harnstoff u. U. rascher an als die von Kreatinin. Die Klärung des Bluts von Harnstoff wird in diesen Fällen oft zusammen mit der Kreatinin-Clearance zusammen verwendet, um den richtigen Zeitpunkt für den Beginn einer Dialyse festzulegen.

Bedeutung des Eiweißhaushalts

Bei normalem Proteingehalt der Nahrung von 70-80g bildet ein Erwachsener etwa 25-30g (ca. 0,5 mol) Harnstoff. Bei geringer Eiweißzufuhr sinkt die Harnstoffkonzentration im Blut.

Bei hohem endogenem Eiweißabbau, z. B. bei Muskelabbau, steigt die Harnstoffkonzentration im Blut.

Bedeutung für das Gehirn

Harnstoff diffundiert bei hoher Konzentration im Blut in vermehrtem Maße in alle Organe des Körpers, so auch in das Gehirn. Da es Lösungswasser mitnimmt, kommt es zur Organschwellung, was beim Gehirn zu Hirndruck und entsprechenden Hirndruckzeichen führen kann: Somnolenz, Bewusstlosigkeit, Krämpfe (so auch Mittelhirnsyndrom mit Streckkrämpfen) etc.

Harnstoff beim Lungenödem

Durch die rasche Diffusion von Harnstoff, der dabei sein Lösungswasser mitnimmt, gelangt er in alle Organe und Gewebe. Ödeme bilden sich dabei besonders leicht in lockeren Geweben. In den Lungen beispielsweise kommt es dadurch frühzeitig zum Lungenödem.

Harnstoff und Ergüsse

Harnstoff gelangt leicht in die Spalträume um die Lungen und das Herz; es entstehen Pleuraergüsse (urämische Pleuritis) und ein Herzbeutelerguss (urämische Perikarditis). Die Ergüsse beginnen oft mit fibrinösen Ausschwitzungen, so dass auskultatorisch Pleurareiben und Perikardreiben hörbar sein kann, bis die zunehmende Flüssigkeitsexsudation die Mesothelien von Pleura parietalis und visceralis bzw. die beiden Blätter des Herzbeutels voneinander abhebt.

Harnstoff und Ödeme

Bei einer Harnstoffvergiftung infolge einer Niereninsuffizienz kommt es über den Mechanismus der verstärkten Permeabilität für Harnstoff zu einem Ödem an allen Körperregionen mit lockerem Bindegewebe, so auch zum Gesichtsödem. Eine reine Überwässerung dagegen (z. B. bei einer hydropischen Herzinsuffizienz) oder eine Hypalbuminämie (z. B. bei einer fortgeschrittenen Leberzirrhose) bewirkt Ödeme, die an den abhängigen Partien des Körpers (so an den Fußrücken und an den Knöcheln) beginnen.

Harnstoffwerte

Normbereiche:

  • Männer: etwa 20 – 55 mg/dl (ca. 3,0 – 9,2 mmol/l)
  • Frauen: etwa 15 – 45 mg/dl (ca. 2,6 – 7,2 mmol/l)

(Die Werte liegen im Alter etwas höher als in der Jugend)

Harnstoff-N (BUN) ist der Wert für den Stickstoff des Harnstoffs. Er lässt sich mit dem Faktor 2,14 in den Wert für die Harnstoffkonzentration umrechnen.

Hohe Harnstoffkonzentrationen im Blut werden als Azotämie bezeichnet. Sie sind bei drohender Überwässerung mit Funktionseinschränkung von Organen, Hirndrucksymptomen und Ergüssen eine Indikation für eine Nierenersatztherapie.

Verweise

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).