Akute Leberdystrophie

Artikel aktualisiert am 10. Januar 2024

Die akute Leberdystrophie ist eine akut lebensbedrohliche Zerstörung der Leber, bedingt durch eine Vergiftung oder eine fulminant verlaufende Hepatitis (foudroiante Hepatitis).


Allgemeines

Der rasche Verlust funktionsfähiger Leberzellen, der ohne eine Vorerkrankung der Leber eintreten kann, führt zu einem akuten Funktionsausfall. Er betrifft alle Leberfunktionen, so

  • die Syntheseleistung (z. B. Gerinnungsfaktoren, Albumin, Lipoproteine, Carnitin),
  • die Entgiftungsprozesse (z. B. von Toxinen, die aus dem Darm kommen, von Medikamenten), inkl. Abbau von nicht mehr gebrauchten Fetten, Mediatorsubstanzen und Hormonen,
  • die Gallebildung (inkl. der Ausscheidung großer toxischer Moleküle, die die Leber durch Entgiftungsprozesse gallegängig gemacht hat).

Die Auswirkungen betreffen alle Organe, deren Funktionen von der Leber abhängen. Es entwickeln sich in kurzer Zeit eine Immunschwäche, eine Herzinsuffizienz mit Neigung zu Rhythmusstörungen, eine Niereninsuffizienz und eine hepatische Enzephalopathie bis hin zum Multiorganversagen, Koma und Tod. (1)OGrady JG. Acute liver failure. Postgrad Med J. 2005; 81: 148-54

Die häufigsten Ursachen sind eine Vergiftung (Pilze, Medikamente, Chemikalien) oder eine akute Infektion (fulminante Virushepatitis).

Die extrem hohe Mortalität von über 90% hat sich, seit Lebertransplantationen möglich sind, erheblich verbessert, bleibt aber herausfordernd. In einer Studie lag das 90-Tage-Überleben bei 76%. (2)World J Gastroenterol. 2016 Sep 7;22(33):7595-603. DOI: 10.3748/wjg.v22.i33.7595. PMID: 27672280; … Continue reading

Zu der Leber und ihren Funktionen siehe hier.


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Entstehung und Differenzialdiagnosen

Ursachen der akuten Leberdystrophie können sein

Entstehung (Pathogenese)

Bei der toxisch ausgelösten akuten Leberdystrophie werden die Leberzellen (Hepatozyten) durch Gifte (Toxine) geschädigt und zerstört.

Bei der akuten, fulminant verlaufenden Hepatitis B kommt es durch eine überschießende Immunantwort des Körpers auf das auf der Zelloberfläche exprimierte Virusantigen zur Zerstörung der Leberzellen. Patienten mit fulminanten Non-A, Non-B Hepatitiden (wahrscheinlich großenteils Autoimmunhepatitiden) sind gehäuft für HLA A1-B8-DR3 homozygot (4)Eur J Gastroenterol Hepatol. 2005; 17: 141-3.

Die Lebergewebsnekrosen führen zu

Die in der Regel vorliegende Enzephalopathie kann verschiedene Ursachen haben (toxische Einflüsse, Hyperammoniämie, Hyperperfusion) und ist verbunden mit einem erhöhten intrakraniellen Druck (Hirndruck) (5)Jalan R. Neurochem Int. 2005 May 28.

Symptomatik – klinischer Befund

Bei der akuten Leberdystrophie tritt folgende Symptomatik auf:

  • plötzliche Verschlechterung einer vorbestehenden Lebererkrankung,
  • akuter Krankheitsbeginn aus Wohlbefinden heraus,
  • Ikterus,
  • Bewusstseinsstörungen, Eintrübung bis hin zum Koma,
  • Foetor hepaticus (Lebergeruch der Atemluft, siehe auch hier).

Eine Enzephalopathie (Hirnleistungsstörung) entwickelt sich praktisch immer und ist mit einem erhöhten Hirndruck verbunden.

Komplikationen

Folgende Komplikationen treten mehr oder weniger rasch ein und sind schließlich über ein Multiorganversagen lebensbegrenzend:

Hepatische Enzephalopathie, Hirnödem, Blutungen, Nierenversagen, hepatorenales Syndrom, Herzinsuffizienz, Hypoglykämie, Hypokaliämie, Hyponatriämie, Hypophosphatämie, Infektionen.

Diagnostik

Laborwerte

Erhöht sind

Erniedrigt sind

Diagnostik

  • Klinischer Verdacht bei zunehmender Gelbsucht und rascher Eintrübung bis hin zum Koma.

Therapie der akuten Leberdystrophie

Die akute Leberdystrophie ist ein medizinischer Notfall, der auf einer Intensivstation behandelt wird.

  • Intensivmedizinische Maßnahmen inkl. antibiotischer Abschirmung (Pneumonie– und Sepsisgefahr), Beatmung (mit Hyperventilation zur Senkung des intrakraniellen Drucks),
  • milde Hypothermie (Unterkühlung): sie wird diskutiert wegen des positiven Effekts auf den Hirndruck (6)Gastroenterology 2004; 127: 1338-46, J Hepatol. 2005; 42: 694-9 (7) J Clin Gastroenterol. 2005; 39 Suppl 2: S147-57, hat aber vielleicht negative Auswirkungen auf die Regeneration der Leber (8)Gastroenterology. 2005; 128: 1143-4; 1144-5,
  • Überbrückungsmaßnahmen bis zur ausreichenden Regeneration der eigenen Leber:
    • MARS-Dialyse (9)Liver Transpl. 2004;10: 1099-106, extrakorporale Perfusion einer Leber,
    • partielle Transplantation einer heterologen Leber, die nach der Regeneration der eigenen Leber entfernt wird: ungesicherte Effizienz) (10)Xenotransplantation. 2019 May;26(3):e12497. DOI: 10.1111/xen.12497  (11)Front Immunol. 2022 Feb 23;13:827535. DOI: 10.3389/fimmu.2022.827535.
    • Tissue-Engineering-Ansätze unter Verwendung von Stammzellaggregaten und dezellularisierten Lebergerüsten für das Bioengineering von funktionellen Leberkonstrukten: eine in Entwicklung begriffene neue Option. (12)J Tissue Eng. 2021 Feb 1;12:2041731420986711. DOI: 10.1177/2041731420986711
  • Lebertransplantation: etwa die Hälfte der Patienten mit akutem Leberversagen erhalten ein Lebertransplantat

Prophylaxe

Zur Vorbeugung werden empfohlen:

  • Aktive und passive Immunisierung gegen HAV-, HBV– und HDV-Infektion;
  • allgemeine hygienische Maßnahmen zur Vermeidung von HAV- und HEV-Infektionen;
  • Reduktion von Bluttransfusionen und Faktorenkonzentraten zur Vermeidung von HCV-Infektionen
  • Ausführliche Medikamentenanamnese zur Vermeidung absehbarer Gefährdungen
  • Keine unbekannten Pilze sammeln und essen

Prognose

Die akute Leberdystrophie hat eine hohe Mortalität. Bei Überleben besteht die hohe Gefahr einer postnekrotischen Leberzirrhose mit entsprechenden Komplikationen (portale Hypertension, Blutungen). Jedoch ist auch volle Wiederherstellung der Leberfunktion und eine volle Reversibilität des Krankheitsbildes möglich. Nach einer Lebertransplantation werden Überlebensraten von >75% beschrieben. (13)World J Gastroenterol. 2016 Sep 7;22(33):7595-603. DOI: 10.3748/wjg.v22.i33.7595. PMID: 27672280; … Continue reading


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Verweise

Patienteninfos

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Literatur

Literatur
1OGrady JG. Acute liver failure. Postgrad Med J. 2005; 81: 148-54
2World J Gastroenterol. 2016 Sep 7;22(33):7595-603. DOI: 10.3748/wjg.v22.i33.7595. PMID: 27672280; PMCID: PMC5011673.
3Eur J Gastroenterol Hepatol. 2005; 17: 141-3
4Eur J Gastroenterol Hepatol. 2005; 17: 141-3
5Jalan R. Neurochem Int. 2005 May 28
6Gastroenterology 2004; 127: 1338-46, J Hepatol. 2005; 42: 694-9
7 J Clin Gastroenterol. 2005; 39 Suppl 2: S147-57
8Gastroenterology. 2005; 128: 1143-4; 1144-5
9Liver Transpl. 2004;10: 1099-106
10Xenotransplantation. 2019 May;26(3):e12497. DOI: 10.1111/xen.12497
11Front Immunol. 2022 Feb 23;13:827535. DOI: 10.3389/fimmu.2022.827535
12J Tissue Eng. 2021 Feb 1;12:2041731420986711. DOI: 10.1177/2041731420986711
13World J Gastroenterol. 2016 Sep 7;22(33):7595-603. DOI: 10.3748/wjg.v22.i33.7595. PMID: 27672280; PMCID: PMC5011673.