Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Liberia


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Teil 6

Mail vom 18.4.2007

… Meine Zeit hier geht unerbittlich dem Ende zu. Die Zeit läuft wirklich sehr schnell. Wenn ich die Berichte überfliege, die ich schon geschrieben habe, dann habe ich Euch alles, fast alles mitgeteilt, was man mitteilen kann. Viele kleine Erlebnisse brauchen noch Zeit, Erlebnisse mit kleinen und großen Patienten, gelungene Hilfen, aber auch weniger gelungene und auch misslungene Behandlungen. Ich habe meine Grenzen wieder erkannt, die ich auch nicht mehr unbedingt überwinden kann. Dazu bin ich fast zu alt. Doch andererseits sind da auch die vielen glücklichen Momente, wo alles stimmte, wo wir gut und schnell und kompetent helfen konnten.

Ein herausragendes Beispiel ist eine Mutter, die zum Wehenbeginn eine Blutung bemerkte, sofort zur Entbindungsstation kam, von einer Hebamme betreut wurde, die sofort auf die richtige Idee kam, und meine Kollegin und mich suchte, ich auch gerade aus einer Op. kam, und im Sono eine ganz kleine Plazentaablösung sehen konnte. Die Patientin sah sofort die Notwendigkeit einer Sectio ein, und weniger als 10 Minuten nach Diagnosefindung war das Kind – noch lebend!!!! und gut weiterlebend – draußen, da die Op. Mannschaft so schnell wie nie war. Die vorzeitige Plazentalösung ist normalerweise das Todesurteil für das Kind, und eine große Gefahr für die Mutter. Ich werde die Freude der Mutter, der Op.-Mannschaft und meine nicht vergessen.

… Leider war es nicht möglich, das Innenland zu sehen, ich wäre gerne in Richtung Norden in das andere Projekt einmal gefahren. Doch es war zu schwierig, alle Termine unter einen Hut zu bringen. Seit März liegt in dem verwaisten Freihafen ein Schiff der sog. Mercy Ships, eine Missionsorganisation aus den USA, die mind. 2 Schiffe – in Afrika und Asien – haben, die in Afrika, bzw. in Asien arbeiten und dann für Monate in Häfen liegen und zum einen med. Hilfe anbieten – Augen-Ops, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plast. Chirurgie, gelegentlich auch vesiko-vag. Fistel-Chirurgie – und zum anderen in Gemeinden arbeiten, missionarisch, aber auch praktisch mit Bauteams usw. An Bord sind ca 350 Personen unterschiedlich lange (zwischen 2 Wo und 25 Jahre!!), davon 50 Kinder, die unterrichtet werden. Die Mitarbeiter sind – bis auf einige Schiffsingenieure – alles Freiwillige, die nicht nur nichts für ihren Einsatz bekommen, sondern noch dafür bezahlen.

Das Schiff hier in Monrovia habe ich mir in 2 Besuchen angesehen. Sie können in 3 Ops arbeiten, haben unendlich viel Material – viel Einmalmaterial – hervorragende technische Ausrüstung für Anästhesie, Labor und Rö., die einem Kreiskrankenhaus bei uns kaum nachsteht. Etwa 60 Patienten können stat. betreut werden, Aufwachraum und kleine Intensivstation fehlen nicht.

… Wenn ich jetzt eine Bilanz meines Einsatzes ziehen sollte, fällt mir das schwer. Meine chirurgische Tätigkeit muss ich noch auswerten. Ich glaube, sie sieht nicht schlecht aus, ich konnte einigen Menschen helfen und ich hatte das Gefühl, bei den Patienten akzeptiert zu sein. …

… In mir ist eine Zufriedenheit, da ich Momente der Nähe erlebt habe, in denen ich erlebte, wie die Vorbehalte gegen den Weißen, den Fremden, den Intellektuellen in Frauen, Männern und Kindern verschwanden, wie der “musungu” – entspr. Weißer Mann oder böser Geist – nicht mehr Ängste auslöste, und in mir die Barrieren aus Hochmut und Distanz zusammenbrachen und zwischen uns plötzlich das war, was ich unter dem Bergriff Liebe – Agape verstehe.

Natürlich kam zwischendurch auch immer wieder einmal die Frage auf: “Was tust du eigentlich hier?” – “Was für einen Sinn hat das?” Ich bin dankbar, dass das auf der Ebene der Arzt-Patienten Beziehung ganz klare Antworten findet. Ich bin für viel Menschen dieser Welt Nächster, meine Fähigkeiten können noch vielen Menschen helfen. Die Lösung der Gesundheitsprobleme generell muss ich anderen überlassen.

… Doch eines weiß ich sicher: ich werde weiter versuchen mit meinen Kräften persönliche Not zu lindern, indem ich das gebe, was ich habe und kann: chirurg. Handwerk. <<“Und man schenkt nur dann im angemessenen Verhältnis, wenn man sich selber mitschenkt. Entweder man schenkt sein Fleisch und Blut, man schenkt Schweiß und Arbeit, oder man schenkt gar nichts, sondern ruiniert nur (unüberlegte materielle Zuwendung ohne Folgenabschätzung.).” Thielicke>> Dieses Motiv ist Zeit meines Berufslebens – neben dem Bestreben, mir und meiner Familie eine soziale und ökonomische Basis zu geben – Teil meiner Antriebskraft gewesen und wird es weiter bleiben.


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