Ärztliche Hilfe in Liberia 02

Artikel aktualisiert am 6. Februar 2018

Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Liberia

 


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Teil 2

Mail vom 10.02.2007

Heute also mein erster Bericht. … Monrovia/ Liberia … Ihr werdet Euch fragen, warum dort, denn dort ist doch gar kein Krieg … (Mir scheint die Arbeit sinnvoll)… eigentlich überall dort, wo Menschen keinen Zugang zu medizin. Einrichtungen haben, wo sich der Gesundheitszustand destabilisiert – die Sterblichkeit hoch ist, das mittl. Alter niedrig, wo Epidemien und Infektionskrankheiten nicht behandelt werden können, der Hygienestandard niedrig ist.

Liberia hat bis 2003 einen 14 j. Bürgerkrieg erlebt, der mit ungeheurer
Grausamkeit geführt wurde, und mehr als 450. der etwa 3,5 Mill.
Einwohner vertrieben hat (intern und nach extern). Der ehemalige
Diktator Taylor – bis Aug. 2003 – ist jetzt in Den Hague vor Gericht,
seit 2005 ist Ellen Johnson gewählte Präsidentin, sie hat – neben vielen
einflussreichen Männern – auch die Frauen als Wählerinnen gehabt, die es
leid waren, das Kriegsspiel der Männer und insbesondere die
Nebenwirkungen wie Vergewaltigung von allen Parteien und andere Gewalt
und Unsicherheit zu erleiden.

Die Infrastruktur ist total zerstört, selbst in der Hauptstadt Monrovia gibt es keine Wasserversorgung oder Stromversorgung durch ein öffentliches Netz, jeder, der es sich leisten kann, hat einen Hochtank und einen Generator im Garten. Die Strassen sind katastrophal, die Häuser sehr zerstört, doch die Menschen leben und haben wieder Vertrauen in die Zukunft. An vielen Stellen wird gebaut.

Die Eisenminen sollen bald wieder arbeiten, der Handel mit Diamanten
wieder legalisiert werden. Aus dem Grund sind wieder unzählige Gov.
Organisations und Ausländer im Land – einschließlich China. Offene kriegerische Auseinandersetzungen gibt es nicht, aber kriminelle Energie ist sehr hoch, die öffentliche Ordnung ist mehr oder weniger noch nicht wieder etabliert, es gilt noch weitgehend das Recht des Stärkeren.

Damit die öffentliche Ordnung und der Friedensschluss und die neue Regierung funktioniert, ist eine sehr große UN Truppe – UNMIL – im Land (hauptsächlich Afrik. Staaten, aber auch Amerikaner, Libanesen und andere). Sie trainieren Polizei und Militär und man sieht sie allerorten.

Die öffentlichen medizinischen Einrichtungen – Krankenhäuser, Polikliniken, Ambulanzen – sind nur spärlich vorhanden und arbeiten sehr ungenügend, außerdem fordern sie Bezahlung für Behandlung, richten also nahezu unüberwindbare Hürden insbesondere für die am meisten Betroffenen auf. Auch und gerade hier in Monrovia gibt es nur extrem wenige Einrichtungen, die gebührenfrei arbeiten. (Im grössten öffentlichen Krankenhaus hier musste eine Frau –sie wurde später hier vorstellig-, bei der ein Rectum-Ca … vermutet wurde, für ein Lungen-Rö.-Bild, dessen Sinn noch nicht einmal recht einsehbar war, 18,- USD bezahlen, eine Summe, die sie erst einmal arm machte.). …

(Das) Benson Mother and Child Hospital in Peynesville (Vorort von Monrovia): Ehemals eine Gyn./Gebh. Privatklinik, immer noch in privatem Besitz. Vom Besitzer seit 2003 gemietet. Ein 3 Etagen Gebäude mit 100 Betten, 1 Gebh./Gyn. Station (Für die Sectio Patientinnen und die
anderen Gyn. Patientinnen), 1 Paediatrie Station. Im Prinzip ist jetzt alles in gutem Zustand – nach weitgehender Renovierung, teilweise mit Hilfe der GTZ (Ges. für techn. Zusammenarbeit der Bundesrepublik) …. Es gibt einen Sono- und U-Raum mit einem kleinen Sonogerät, 2 – sogar klimatisierte – Ops (1 asept., 1 kleinere u. Sept Eingriffe). In der 2. Etage sind die Büros. Dann gibt es eine Notaufnahme und eine Intensiveinheit für die Frühchen und dystrophen Kinder (allerdings sehr bescheiden, ohne Inkubator oder Beatmungsmöglichkeit)

Ausgelagert in die Nachbarschaft:

  • Poliklinik für amb. Patienten, geleitet von Liberian. PA = Physian Assistant (Hilfsdoktor).
  • Maternity – Kreissaal. Manchmal 300 Geburten im Monat(!!!!), gemanaged nur von Hebammen, z.Zt. überwacht von einer Argentinischen Hebamme.
  • ANC – Antenatal = Schwangerschaftsvor- und nachsorge, mit VCT = Voluntary counselling and testing = freiwillige Beratung und Testung (HIV), mit PMTCT = Prevention of mother to child transmission (Prävent. der Übertragung von Krankheiten von Mutter auf Kind – HIV, Lues, etc), und SGBV = Sexual and gender based violence = Befundaufnahme und Dokumentation von sexueller Gewalt und Missbrauch (für Gerichtsverfahren).

Und in dieses Projekt bin ich nun hineingekommen, als Chirurg. Ein solcher wurde auch gesucht, insbesondere um die operative Seite mit zu gestalten, zu der eben die Notfall-Geburtshilfe (Sectios und anderes), die Betreuung der vielen Aborte (spontan und auch nach illeg. Abort außerhalb), oder auch einmal Notfälle bei Kindern – wie z.B. ein ausgedehnter Knochenabszess.

Das Team besteht aus:
• Projectleiter: Asun aus Spanien (wird gerade durch eine Amerikanerin abgelöst,
• Med. Teamleiter: Daniel aus Spanien,
• Gynäkologin: Veronika aus Deutschland,
• Pädiater: Florencia aus Argentinien,
• Hebamme für Maternity: Natalia aus Argentinien (wird in 10 Tagen
abgelöst),
• Hospital Nurse: J.Lisa aus New York,
• SGBV Superviser: Linda aus Amerika (? Ist z.Zt. in Urlaub),
• Administrator: Lynda aus Algerien … ,
• Pharmacist: aus Kenia (wird noch erwartet),
• Logistiker: Simon aus Spanien,
• Liberianische Mitarbeiter ca 180 (gut ausgebildete Hebammen und Schwestern, PAs (Hilfsdoktoren), Pfleger, Administratoren, Fahrer, Handwerker, Wächter usw.

Wir wohnen in Congo Town, etwa 20 Autominuten von Monrovia-Mitte entfernt und genauso weit vom Krankenhaus in Peynesville. Das Wohnhaus liegt gleich am Atlantik, sehr ruhig, das Meer rauscht einen in den Schlaf. Allerdings ist es sehr heiß – ca. 30 – 34 Gr. und feucht. Jeder/Jede hat ein eigenes Zimmer, ich habe sogar ein Bad dabei. Das Wasser rinnt sehr spärlich, da der Tank nicht sehr hoch ist. Strom gibt es tags aus Batterien und nachmittags und abends aus dem Generator.

Die Verpflegung ist gut, die Stimmung im Team ist auch gut. Umgangssprache ist Englisch, aber nicht das Oxford E. Das ist ganz schön schwierig zu verstehen, unabhängig davon, dass ich so wie so mit meinen Ohren und Englisch mein Problem habe. “You go small small to MaternitY” (Geh ganz langsam zur Maternity zurück). “You have big popo?” (Hattest
Du viel Stuhlgang?) “Pepe color taxi” (Der Urin ist gelb). Und vieles andere, über das man erst einmal nachdenken muss. Gott sei Dank ist Veronika nicht nur eine fröhliche Gynäkologin (vorher fertige Gastroenterologin), sondern auch extrem sprachbegabt. Sie hilft mir ungemein, auch im Umgang mit den Spaniern, da sie perfekt Spanisch spricht. Wir kommen sehr gut miteinander aus, sie zeigt mir all die Dinge, die ich noch nicht kenne, gerade bei den sehr sensiblen Fragen nach sexueller Gewalt und HIV Infektion – die durch einen Arzt abgesegnet werden müssen, dafür nehme ich ihr sehr viel vom Operieren ab.

Z.Zt. geht es uns auch noch sehr gut, da eine liberianische Gynäkologin als angestellte Ärztin mitmacht. Sie hilft sehr viel im Stations- und Op.-Betrieb und beteiligt sich an den Nachtdiensten. Wahrscheinlich wird sie uns aber bald verlassen, da sie angeblich von der Regierung in ein anderes Gebiet versetzt wird.

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