Ärztliche Hilfe in Papua Neuguinea 04

Artikel aktualisiert am 14. Mai 2019

Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Papua-Neuguinea

 


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Teil 4

Mail vom 19.10.2009

Ich liege in einem kuscheligen Bett in einem runden Häuschen – Tukull genannt – und habe einen wunderschönen Blick aus einer Höhe von etwa 1800 m über ein weites Tal mit einzelnen Gärten, in der Ferne – vielleicht 15 – 20 km – sind Berge, jetzt Nebelverhangen, wie der Urwald gleich rechts in meinem Blickfeld. Wir – d.h. Claire, unsere Teamchefin, Otas, unser Logistiker, und ich haben R&R = Rest and Recreation. Drei Tage kein Hospital, keine Visiten, keine Op.s, keine Meetings, kein Funkgerät: krk krk Dieter for Nadja/Brenda/Jenna/Norman/Rose oder wen auch immer. Wir sind seit heute Mittag – Freitag – für ein Wochenende in Ambua Lodge, ca. 25 km von Tari entfernt, und werden erst am Montag in der Frühe zurückfahren.

Wir haben uns wie die Kinder gefreut, und erst einmal ein Mittagessen genossen mit einem kühlen Bier, uns dann in die Hütten zurück gezogen, unsere Körper gepflegt und uns den Luxus erlaubt, zu schlafen, niemanden zu sehen und zu hören, abschalten. Claire sollte ihre Erholung eigentlich letztes WE haben, doch sie wurde auf dem Weg nach Port Moresby richtig krank und brauchte dortige ärztliche Hilfe, Otas ist wie ich 6 Wochen hier und auch ganz schön alle und es ist ein zweiter Log hier, der – eigentlich am Ende seines Jahresvertrags in einem anderen Projekt – in Tari hilft, Ordnung in unsere Apotheke und Lager zu bekommen, da mehrere Monate lang hier kein beständiger Log war, wie jetzt Otas, und ein heilloses Chaos bestand. Das Team wird die wichtigsten Dinge übernehmen und hat mich beruhigt. Jenna, die junge Englische Kollegin ist bereit im – eher unwahrscheinlichen Fall – mit Brenda, der Kanadischen Op. Schwester, die viel Erfahrung in Gynäkologie / Geburtshilfe hat, einen Kaiserschnitt zu wagen, und die anderen Dinge können von Norman und Rose, den PNG Mitarbeitern erledigt werden. Sie haben sich vieles abgeschaut bei mir in den letzten 6 Wochen und werden vieles in meinem Sinn machen.

Doch jetzt ein wenig zu den 6 Wochen PNG, die hinter mir liegen. Mein erster Bericht hat wahrscheinlich zunächst nur einmal ein sehr grob gerastertes Bild gezeichnet, das was mir in den ersten Tagen so auffiel. Ein Schwarz-Weiß-Bild, dazu noch Kontrast-verstärkt (das Schwarze schwärzer, das Weiße weißer). Ich hoffe, dass meine Erzählung differenzierter wird, obwohl ich immer noch weit davon entfernt bin, alles gelassen und selbstverständlich hinzunehmen. Das wichtigste Defizit bei mir ist die Sprachunkenntnis, ich kann mit vielen der Patienten – und auch Mitarbeiter – nur über Mittler reden. Und es ist schwer, über Motive und Gefühle, Sitten und Gebräuche in einem Sprachgemisch zu reden, das gerade ausreicht, die Notwendigkeiten des Lebens zu regeln.

Hilfreich sind aber die Gespräche im Team, besonders mit denen, die sich gerade um die ethnischen und kulturellen Probleme kümmern…: familiäre und häusliche Gewalt, einschließlich sexuelle Gewalt und Vergewaltigung. Häufig bin ich ja erster Anlaufpunkt, da blutende Verletzungen zunächst im Vordergrund stehen. Doch danach kommen jetzt nahtlos Jan, eine Amerikanische Psychologin, etwa mein Alter, und Jenna, die Englische junge Kollegin mit Ausbildung in Notfallmedizin und Gyn., die für die Vergewaltigungsfälle im Speziellen und für Schwangerschaftsprobleme hauptsächlich eingestellt wurde, zum Zug, für die ein FSC, ein Family Support Center, ausgebaut wurde mit Untersuchungsräumen, Wartebereich, und einigen Betten, so dass sie auch Klienten über Nacht behalten können. Und wir, besonders Jan und ich reden manchmal länger über einzelne Patienten und ihre Motive. Sie hat eine sehr gute Übersetzerin zur Seite, eine Gesundheitsassistentin, die offenbar einen sehr sensiblen Zugang zu den Leuten findet.

An der Art meiner Schilderung merkt Ihr schon, dass ich immer noch sehr berührt bin von der zivilen Gewalt, die uns begegnet. Norman, unser Op. Supervisor – er kommt nicht aus der Gegend hier, er hat manchmal ähnliche Sprachprobleme wie ich, da er nur auf Pidgin mit den Leuten verhandeln kann, das viele nicht verstehen -, meinte, Gewalt ist hier ein Teil der Kommunikation, der Sprache. Das scheint so zu sein. Wie anders ist es zu erklären, dass ein älterer Mitarbeiter, der schon 38 Jahre im Gesundheitswesen arbeitete …, der jeden Morgen im Meeting die Frage nach „Security“ – sprich Gewaltvorkommnissen gehört hat, dass dieser Mann vor 2 Wochen seine erwachsene Tochter mit dem Buschmesser am Kopf verletzte, nicht aus Versehen, sondern brutal (er ist suspendiert und ihm wird gekündigt). Eine sog. 2. Mutter – die 2. Frau des Vaters – wird von einem minderjährigen Sohn mit dem Buschmesser „gezüchtigt“, offener Wadenbeinbruch mit Durchtrennung des oberflächlichen Wadenbeinnervs, da der Reis nicht pünktlich fertig war. Ein Mann schlägt seinen Neffen, da der eine Zuckerrohrstange aus seinem Garten genommen hatte. Resultat: Unterarm subtotal durchtrennt mit Ellenfraktur, Ellennerv- und partieller Mittelnervdurchtrennung, Muskel- und Gefäßverletzungen, gebrauchsunfähiger Hand auf Dauer. Der Betroffene selbst sagte auf meine Frage, dass es richtig war! Ein junger Mann „züchtigt“ seine Schwester, da sie sich ohne Erlaubnis mit einem jungen Mann einer verfeindeten Familie traf – um die Ehre der Familie wieder herzustellen(!) – mit einem Hieb in den linken Gesichts- und Nackenbereich mit fast vollständiger Abtrennung der Ohrmuschel. Ich habe heute nach 8 Tagen die Fäden entfernt, die Gesichts- und Nackenwunde ist gut verheilt, die replantierte Ohrmuschel ist grenzwertig durchblutet und ich fürchte der Randbereich wird nicht überleben. Hier tauchen natürlich so Assoziationen wie Ehrenmord und Anatolien auf.

Zwischen 2 Dörfern nicht weit von uns schwelt ein Konflikt. Der Tod einer Frau führte zu erheblichen Gewaltakten auf beiden Seiten, Krieg mit Buschmessern und Bambusspeeren und selbst gebastelten Schrotflinten. Einer der vielen Beteiligten kam mit einer solchen Speerwunde in der Flanke zu uns. Nach einigen Tagen entwickelte er ein retroperitoneales Hämatom, einen Bluterguss im hinteren Bauchraum. Die Op. ergab: ein Bambusstück in der rechten Beckenarterie und unteren Hohlvene. Sofort Massenblutung, da ich eben keine 4 Hände zum Blutstillen hatte, kein Arterienersatz um die 3-4 cm zu überbrücken. Nach 4 Stunden und 5 Transfusionen und zweifelhaften Nähten der beiden Gefäße konnte der Patient auf die Station. Doch nach 6 -7 Tagen hatte er wieder eine arterielle Blutung aus dem sehr zerstörten Stück Arterie, das man eben nicht so einfach unterbinden kann, da das ganze Bein davon abhängt. Wieder der Versuch, es irgendwie zu nähen. Nach mehr als 4 Stdn., ohne Möglichkeit mehr Blut zu finden, der gemeinsame Entschluss auf zu hören und den Tod des Mannes in Kauf zu nehmen – er war am Ende der Op. pulslos. Ich habe einfach ein Bauchtuch auf die Arterie gestopft und den Bauch zugenäht. Doch was geschah? Binnen 2 Stdn. saß der Mann im Bett, hochgradig anämisch aber lebend. Und er lebt immer noch und ich weiß nicht, was ich tun soll. Auf Grund einer Darmdurchblutungstörung hat er eine Dünndarmfistel entwickelt, er ist nur noch Haut und Knochen. Wenn ich das Bauchtuch aus dem Bauch entferne, stirbt er sofort an der Blutung (?), wenn ich nichts tue, stirbt er auch. Mehrere Familienmitglieder sind Tag und Nacht um ihn und pflegen ihn, haben aber auch schon mehrmals die Totenriten an ihm ausgeübt. Ich spreche mehrmals in der Woche mit ihnen. Sie wollen auch nicht, dass ich noch einmal operiere, irgendwie scheinen sie die Zwangslage zu verstehen, in die ich mich durch die erste Op. gebracht habe. 5 cm Arterienersatz, in Europa ca. € 50,-, bei der 1. Op. und der Mann wäre jetzt zuhause, vielleicht schon in die nächsten Auseinandersetzungen verwickelt.

Viele solcher Fälle könnte ich jetzt weiter beschreiben, doch es würde das Bild sehr verfälschen, besonders da ich jetzt schon weiß, dass das Bild bei Euch falsch ankommt. Denn ich sehe ja hier ein sehr ausgewähltes Publikum. Die Gesunden, ja auch die eher „nur“ medizinisch Kranken, sehe ich ja nicht. Also lasst Euch nicht in ein Vorurteil jagen von mir. Ich schildere meinen sehr subjektiven Erfahrungsinhalt. Doch er beschäftigt mich sehr, die Frage des „Warum“, der Motivation solcher Verhaltensweisen ist wichtig für mich.

Wie sehr Gewalt das tägliche Leben … prägt, erlebten wir vor 3 – 4 Wochen. Der einzige PNG Arzt im Hospital, das ja eigentlich unter der Verwaltung des Ministeriums of Health steht, der sich als CEO (Chief Executive Officer) bezeichnet, hat Probleme mit einer Tari Familie wegen einer jungen Frau, die er wohl mit einem seiner persönlichen Guards (sic!) verkuppelte; und weil ein Mitglied der Familie von ihm gekündigt wurde, sah er sich einen Nachmittag verfolgt von 50 – 60 Männern und Frauen mit Buschmessern und Stöcken. Er rannte den Zaun entlang zu einem Seitentor, um zu entkommen. Seine persönlichen Guards verhinderten, dass Schlimmeres geschah, allerdings mit Schusswaffen, die aber nicht zum Einsatz kamen. Er verschwand für ein paar Tage und kam mit einigen Polizisten wieder, da er den 5 örtlichen Polizeibeamten nicht traute. Er erreichte, dass der Hauptübeltäter – nach seiner Version – vorübergehend ins Gefängnis kam, doch viele Einwohner vor dem Gefängnis veranlassten die Polizisten, ihn frei zu geben. Selbst die neuen Polizisten aus Port Moresby scheinen zu begreifen, dass es nicht möglich ist, Recht zu sprechen. Ein Richter war hier nur für ein Jahr, er verließ Tari ohne Angabe von Gründen vor mehr als einem Jahr. Seit der Zeit gibt es praktisch keine Rechtsprechung hier, alles wird nach eigenem Empfinden „gelöst“.

Das ein wenig zu verstehen, hat mir geholfen die fortlaufende Lesung in den Herrnhuter Losungen im Lukas Evangelium 18, die Erzählung von dem Richter und der Witwe, die ihn so anmacht, dass er denkt, ich muss ihr Recht geben, bevor sie mir etwas antut. War nicht die Zeit Jesu, oder unser Mittelalter bis in die Neuzeit ähnlich? Und denken nicht unsere Richter auch so? Ich muss daran denken, dass der Eingang im Landgericht Siegen ähnlich der Kontrolle auf einem Flughafen ist.

Eine Folge dieser Ereignisse ist, dass wir unsere eigenen 3 Häuser in dem Wohncompound neben dem Krankenhaus mit einem Holzpalisadenzaun umgeben haben mit eigenen Guards, da wir mit diesen örtlichen Querelen nichts zu tun haben wollen. … Auf Betreiben etlicher Hospital-Mitarbeiter … war vor kurzem eine Kommission der Provinzbehörden hier, um das Problem des örtlichen Arztes zu untersuchen. Wir gehen mal davon aus, dass es gut war, darüber zu reden. Allerdings ist der Kollege seit nunmehr 3 Wochen nicht da gewesen, die HEOs (Health Executive Officers) werden nicht mehr überwacht, sind oft nicht da, und die Patienten der anderen Stationen sind sich selbst überlassen, bzw. werden von Jenna, die eigentlich andere Aufgaben hat, mitversorgt. So haben wir auch Klein-Nickson gefunden!

Ansonsten gibt es aber viel Erfreuliches zu berichten. Ein kleiner 4 jähriger Held, Nickson mit Namen, der sehr elend kam. Vor 2 -3 Monaten wegen einer Typhus Entzündung den Bauch operiert, jetzt alle Zeichen eines Darmverschlusses. Ich habe zunächst etwas abgewartet, obwohl das Bübchen heftige Schmerzen hatte, da ich kindliche Verwachsungsbäuche kenne, die mich viele Stunden an Operation gekostet haben, und wir ja keinen Anästhesisten hatten. Der ist erst vor einer Woche gekommen. Doch es war unvermeidlich. Jenna war bereit, die Narkose zu machen und seit dem vertraue ich ihr grenzenlos, sie ist einsame Spitze. Die Verwachsung war nicht schlimm, der Strang, der den Dünndarm abschnürte, schnell gefunden, und Klein-Nickson saß am nächsten Morgen mit erhobenem Daumen im Bett und wurde am 5. Tag bei noch liegenden Fäden – wieder mit lässig erhobenem Daumen – in die Obhut seiner rührenden Eltern entlassen.

Oder Jack John, 12 Jahre, der vor 3 – 4 Wochen kam. Er ist in einem epileptischen Anfall mit beiden Beinen ins Feuer gefallen, wurde 3 Wochen zu Hause mit Plastiktüten-Umschlägen behandelt. Als er kam, flüchteten etliche Patienten (und Expats!) aus seiner Nähe, da die abgestorbene Haut grausam stank und er mit einer maximalen Kontraktur im rechten Knie – die Rückseite war auch verbrannt – eigentlich nur getragen werden konnte. Jetzt ist das linke Bein schon mit Haut gedeckt, das re. Bein gerade – allerdings mit Gipsschiene – und etwa zur Hälfte gedeckt. Er braucht noch eine Weile, aber die vielen Verbände in Ketamine-Kurznarkose, manchmal auch ohne Narkose, übersteht er inzwischen mit Absingen von fröhlichen selbst erfundenen Liedern.

Und so gibt es viele gute Erlebnisse und oft müssen wir mit dem Personal und den Patienten herzhaft lachen. Das ist so eine Einstellung, die vielen unserer verwöhnten Zivilisierten verloren gegangen ist, der „Humor im Elend“, wie Steffensky das in einem sehr guten Büchlein über das Problem mit dem Lebensende in unserer Gesellschaft nennt, welches mir ein sehr guter Freund vor meiner Reise schenkte.

Zum Abschied von Renate, der Op. Schwester, die 9 Monate hier war und vor 3 Wochen nach Hause fuhr, gab es ein großes „Sing-sing“. Das ist ein Fest zum Ende der Initiation der Männer und wird jetzt vielfach bei touristischen und folkloristischen Ereignissen vorgeführt. Zuerst wurde auf traditionelle Art ein Schwein geschlachtet und entsprechend zubereitet, Borsten abgebrannt, zerlegt (sehr exakt, sehr kenntnisreich!), zerteilt und in einem Erdofen aus glühend heißen Steinen, abgedeckt mit Bananenblättern und weiteren Kräutern gar gekocht. Ähnlich wurde mit einer Ziege verfahren, gut 20 Hühner umgebracht, gerupft zerlegt und gegart, Reis und Gemüse gekocht, Bier beschafft und Cola. Während das Essen dann vor sich hin garte – an der Vorbereitung waren viele Krankenhausmitarbeiter und Tari-Einwohner beteiligt – wurde Renate mit Naturfarben „tätowiert“ und angemalt – sich einen Bastrock anlegen zu lassen hat sie sich geweigert! Dann kam das eigentliche Sing-sing. Acht Männer mit großen Perücken aus Wolle und bunten Federn und Zähnen und vielem mehr, angemalt und eingeölt, mit Baströcken und Hals- und Nasenschmuck (quer durch die Scheidewand!), barfuss wie 80% aller Leute hier, traten in 2 Reihen, Gesicht zueinander, an und hüpften seitwärts unter Singen bis vor das Hospital mit Renate und allen Gästen im Gefolge. Dort wurden offizielle Reden gehalten. Zurück dann, zwischen unseren Häusern – das viele Essen wurde ordentlich auf langen Tischen ausgelegt – durften dann die Mitarbeiter etwas sagen und Renate wurde beschenkt. Sie war ganz gerührt und am Abend auch ziemlich geschafft.

Jetzt nimmt Brenda aus Calgary ihre Stelle ein. Sie ist lebenslustig und sehr kommunikativ, wobei ich mit ihrem Kanadischen Akzent meine Probleme habe. Während der Spannungen mit dem PNG Arzt waren Jan und Jenna 10 Tage „evakuiert“ in POM (Port Moresby), wir waren in der Zeit nur 4 Expats, haben uns aber sehr gut verstanden, und gerade Otas und Claire haben zu ihren Aufgaben noch anderes getan, nachts geholfen zu operieren – Instrumente und Medikamente aus dem Store und der Pharmacy zu holen, Blutspender zu suchen ua. Dann kamen schnell die beiden wieder zurück, dazu Cecile aus Toulon als Laborassistentin. Sie schult die Laboranten in dem Labor, das eigentlich zu dem Regierungsbereich des Hospitals gehört. Nadia, die Kanadische Hosp. Nurse aus Montreal, war 2 Wochen in Urlaub auf den Philippinen und ist jetzt auch wieder aktiv. Und vor einer Woche kam noch Raju, ein älterer Anästhesist aus Kerala/Indien. Im Moment ist er noch ein wenig verloren und – ich denke – unglücklich, da alles so anders ist, als er es kennt. Er ist … gewöhnt, etliche Assistenten zu haben, die ihm helfen, um nicht zu sagen die Arbeit machen. Jetzt muss er erst einmal seine Sachen suchen und finden – wobei wir ihm helfen…

Wir sind also jetzt ein recht großes Team von 8 Expats. Spannungen gab es keine großen, die kleinen Alltagskonflikte können wir gut in abendlichen Gesprächen lösen. Ich bin dankbar, wie gut sie mich als Senior akzeptieren, integrieren und über meine kleinen Handicaps hinwegsehen, manchmal auch mit mir lachen. Einige gaben mir positive Rückmeldungen, weil sie es positiv finden, dass ich sie ernst nehme und nicht die „normally arrogant way of surgical behaviour“ habe, wie es jemand ausdrückte. Ich fühle mich in ihrem Kreis relativ jung, auch wenn ich merke, dass mein Gedächtnis manchmal alt ist, und besonders meine Knochen in dem morgens recht feucht kalten Klima mich an mein Alter erinnern. Eigentlich sollte ich morgens um den Flugplatz herum joggen, doch das will ich mir nicht antun vor dem Aufstehen. Ich genieße es, morgens in unserem Haus der erste zu sein, das Wasser auf zu setzen, mein Müsli mit Milch und Ananas oder Banane zu machen, den Tee ziehen zu lassen, mit Cecile, der ruhigen Französin dann zusammen zu frühstücken – wir haben schon eine gemeinsame Routine entwickelt, einer schneidet die Ananas, der andere macht den Tee oder umgekehrt. Dann kommen so langsam die Anderen, während ich dann schon meine E-Post mit Irmela erledige, die mir treu jeden Tag schreibt, und im Anschluss meine Stille Zeit mit den Texten der Losungen habe, um gut gestärkt in den Tag zu gehen.

Die politischen Strukturen sind hier rudimentär. Die Zivilisation, die Banken, die Wirtschaft sind noch nicht da, werfen aber ihre Schatten voraus. Es werden Öl und andere Bodenschätze hier vermutet. Zunehmend kommen große Firmen in die Gegend und es werden Abbaufelder eingezäunt. Manche Menschen ziehen in die Gegenden und werden dort sesshaft. Traditionell können Stämme/Familien so Land als Eigentum beanspruchen. Das nutzen sie, um dann von den Firmen Kompensationen zu bekommen. Das führt auch gelegentlich zu Straßensperren und tätlichen Auseinandersetzungen. Doch auch das ist ja so symptomatisch für die chronischen Krisenherde der Welt. Großkonzerne holen sich Konzessionen mit Bestechungen, die Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung werden von den Beteiligten missachtet bzw. mit Waffengewalt unterdrückt. Dabei hat jedes einzelne Unglück ein Gesicht mit einer Seele dahinter.

Das Wetter in der gut 1400 m hoch gelegenen Tari-Gegend kann mittags recht warm werden, doch nachmittags gibt es fast regelmäßig heftige Gewitter und längeren Regen, so dass es auch unangenehm kalt werden kann. Eigentlich ist es also sehr schön hier, und ich denke, dass die nächsten 6 Wochen sehr schnell vergehen werden.

So, jetzt habe ich genug geredet. Denkt ein wenig darüber nach. Vielleicht hilft es Euch dankbar für Euer Leben zu sein. So wie hier lebt die Mehrheit unserer Mitmenschen auf unserem schönen Planeten, ohne Schuhe, ohne Teerstraßen, ohne ordentliche Unterwäsche oder Schulmahlzeit, ohne Auto, ohne TV., vielleicht mit Handy und Gucchi-Imitatbrille aber mit zerrissenem T-Shirt, ohne vorfabrizierter Biokost, ohne sicheres Wasser – in PNG gibt es Cholera, nicht weit von uns(!) – mit 40 uralt, mit hoher Säuglingssterblichkeit und anderen Todesursachen, aber ohne Fettsucht, mit wenig Diabetes oder Hypertonie, kaum Herzinfarkten, ohne CT oder MRT oder Chemotherapie oder Bestrahlungen, sehr vertraut mit Leiden und Tod. Mich beschämt immer wieder die Lebenskraft, die Vitalität der Menschen.

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