Gastrinom

Artikel aktualisiert am 26. Oktober 2023

Das Gastrinom ist ein Hormon-produzierender neuroendokriner Tumor, der für das Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES) verantwortlich ist.


Allgemeines

Das Gastrinom ist der häufigste neuroendokrine Tumor der Bauchspeicheldrüse. Die Tumore treten meist in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und in selteneren Fällen auch extrapankreatisch auf. In 1/5 der Fälle liegt eine Assoziation mit einer neuroendokrinen Neoplasie Typ 1 vor. Der Tumor produziert unreguliert das Hormon Gastrin und macht sich durch eine exzessive Übersäuerung des Magens mit großen und tief sitzenden Geschwüren und saurem Reflux in die Speiseröhre bemerkbar (siehe hier). Wegen der frühen Metastasierung ist eine chirurgische Heilung in weniger als 50% möglich, so dass in den nicht heilbaren Fällen eine lebenslange medikamentöse Kontrolle des Tumors und der Gastrinwirkung erforderlich wird. (1)Endocrinol Metab Clin North Am. 2018 Sep;47(3):577-601. doi: 10.1016/j.ecl.2018.04.009. PMID: … Continue reading (2)Dtsch Med Wochenschr 2003; 128: S81-S83

Häufigkeit

Das Zollinger-Ellison-Syndrom (ZE-Syndrom) soll für weniger als 1% der Zwölffingerdarmgeschwüre (Duodenalulzera) verantwortlich sein. Die Inzidenz des Gastrinoms ist sehr gering. Die des durch ein Gastrinom ausgelösten ZE-Syndroms liegt bei 0,5 – 4 neuer Fälle pro Jahr und 1 Mio Einwohner. (3)Br J Surg. 2007 Nov; 94(11):1331-41.

Entstehung

Gastrin ist ein Hormon der Magenschleimhaut, das wird hauptsächlich im Antrum gebildet wird. Es trägt wesentlich zur Säurestimulation des Magens bei und ist ein Wachstumsfaktor für die Schleimhaut. Beim Gastrinom erhöht sich daher die Masse der Parietalzellen im Magenfundus und damit die Kapazität zur Säurebildung erheblich. Die übermäßige und dauernde Säurebildung führt zur häufig wiederkehrenden (rezidivierenden) Geschwüren (Ulcera ventriculi und duodeni, manchmal auch jejuni). Tiefsitzende Schleimhautgeschwüre kommen zustande, wenn die Neutralisationskapazität des Duodenums nicht ausreicht. Die mangelhafte Neutralisation des in den Dünndarm gelangenden Mageninhalts führt dazu, dass sie nur unzureichend verdaut werden kann. Osmotisch wirksame Produkte des unvollständigen Nahrungsabbaus kommen in den Dickdarm (Kolon) und verursachen eine Diarrhö. Zudem verhindert die Säure eine Aktivierung der Pankreasenzyme, was zu Fettstuhl (einer Steatorrhö) führt. Die unzureichende Ausnutzung der Speisen führt zur Malnutrition und zu Vitaminmangelzuständen.

In Tumoren, die als Gastrinome klassifiziert werden, können individuell auch andere Hormone, wie Parathormon, ADH (antidiuretisches Hormon), VIP (vasoaktives intestinales Polypeptid) oder Glukagon gebildet werden. In 30% findet man eine ACTH-Sekretion (adrenocortikotropes Hormon). Dies sind Hormone, die man in neuroendokrinen Tumoren häufig findet.

Lokalisation

Gastrinome sind meistens in der Duodenalwand (> 50%, Submukosa) und im Pankreaskopf und lokalisiert („Gastrinomdreieck“) und treten häufig multifokal auf. Sie können sehr klein sein, so daß sie mit bildgebenden Verfahren nicht erkannt werden. Wenn sie diagnostiziert werden, sind sie bereits in ca 2/3 der Fälle maligne. In 1/4 der Fälle bestehen Lebermetastasen.

Außer im Gastrinomdreieck wurden primäre Gastrinome auch extrapakreatisch, so beispielsweise in der Leber (4)Surg Case Rep. 2020 Nov 18;6(1):290. doi: 10.1186/s40792-020-01072-9. PMID: 33206240; PMCID: … Continue reading, in Lymphknoten (5)World J Surg Oncol. 2020 Apr 28;18(1):80. doi: 10.1186/s12957-020-01860-5. PMID: 32345299; PMCID: … Continue reading und im Ovar (6)Am J Obstet Gynecol. 2001 Jan; 184(2):237-8. gefunden.

Klinik

Die klinische Erscheinungsform des Gastrinoms ist das Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES). Symptome treten meist im Alter von etwa 50 Jahren auf:

Das Gastrinom kann im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie auftreten (MEN Typ 1). Es muß daher auch nach anderen endokrin aktiven Tumoren (Tumore der Nebenschilddrüse mit HPT und Hypophysen-Prolaktinome) gesucht werden. Speziell nach einem Hyperparathyreoidismus, der oft ersten Manifestation eines MEN I (schon im Alter von 20-15 Jahren), muss gesucht werden.

Diagnostik

An ein Zollinger-Ellison-Syndrom muss bei folgenden Symptomen / Konstellationen gedacht werden:

  • bei rezidivierenden, multiplen, besonders großen oder schlecht heilenden Geschwüren, besonders wenn sie tief im Duodenum oder Jejunum lokalisiert sind,
  • bei ungeklärter Diarrhö,
  • bei gastroskopisch erkennbarer erheblicher Hypersekretion.

Gastrinbestimmung: die Gastrinbestimmung erfolgt in einer PPI-Pause. Die Werte beim Gastrinom liegen typischerweise weit über 1000 pg/ml (normal nüchtern: unter 40 pg/ml). (Neben hormonell aktiven Formen des Gastrins werden beim Gastrinom große Mengen inaktiver Formen sezerniert, die immunreaktiv sind und beim Gastrin-Test mitbestimmt werden.)Eine G-Zell-Hyperplasie in der Schleimhaut des Antrums führt zu weniger erhöhten Gastrinspiegel; sie liegen meist unter 1000 pg/ml. Eine solche Hyperplasie kann im  Rahmen einer atrophischen Gastritis und medikamentös durch Protonenpumpeninhibitoren auftreten. Beide Ursachen sind bei der Bewertung des gemessenen Gastrinspiegels zu berücksichtigen.

Der Chromogranin-A-Spiegel ist meist deutlich erhöht (normal 10 – 110 ng/ml).

Gastroskopie: Die endoskopisch gewonnene Biopsie aus dem Antrum des Magens ergibt keine G-Zell-Hyperplasie, die differenzialdiagnostisch ebenfalls für erhöhte Gastrinwerte verantwortlich gemacht werden könnte; allerdings liegen die Werte dabei meist unter 1000 pg/ml und sinken nach Absetzen von PPI.

Provokationstest bei Patienten ohne starke Hypergastrinämie: Eine Sekretin-Injektion führt beim ZES zu einer dramatischen Erhöhung des Serum-Gastrins, nicht dagegen beim Gesunden.

Lokalisationsdiagnostik

Da die Tumore zum Zeitpunkt er ersten Symptome noch sehr klein sind, ist der Nachweis ihrer Lokalisation oft problematisch. Es hilft zu wissen, dass die Mehrzahl im „Gastrinomdreieck“ am Zusammenfluss des Gallengangs und des Pankreasgangs zu finden ist; dort wird zuerst gesucht.

Bildgebende Verfahren: Folgende bildgebende Verfahren werden zur Lokalisationsdiagnostik eingesetzt: Sonographie, Endosonographie, Computertomographie, Magnetresonanztomographie zur Diagnostik des Primärtumors und von Metastasen. Weitere Verfahren sind die Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (SRS) und der selektive arterielle Kalziuminjektionstest (SACI-Test). Bei unsicherer Lokalisation kann eine intraoperative Ultraschalluntersuchung Sicherheit verschaffen. (7)World J Surg Oncol. 2020 Apr 28;18(1):80. doi: 10.1186/s12957-020-01860-5. PMID: 32345299; PMCID: … Continue reading

Der Octreotid-Scan (Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie) ergab in einer Zusammenstellung von 80 Patienten eine Gastrinom-Erkennungsrate von 58 %, während herkömmliche bildgebende Verfahren wie Ultraschall (US), Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT) und Angiographie eine Erkennungsrate von 9 % bis 31 %aufwiesen. (8)Yale J. Biol. Med. 1997;70:509–522

Endoskopischer Ultraschall (EUS) ist zur Lokalisierung von Gastrinomen besonders wichtig geworden, da auch relativ kleine Raumforderungen (z. B. 2 cm) gut erkannt werden können; seine Sensitivität und Spezifität betragen 75–100 % bzw. 95 % für Pankreastumoren. (9)World J Gastroenterol. 2021 Sep 21;27(35):5890-5907. DOI: 10.3748/wjg.v27.i35.5890

Therapie

Wenn keine Metastasierung vorliegt, sollte eine gezielte Resektion des Tumors oder – wenn eine Lokalisation nicht gelingt (10%) – des Gastrinomdreiecks erwogen werden, da dort > 95% der Gastrinome lokalisiert sind. Ziel ist die Verhinderung einer Malignomentstehung. Gleichzeitig wird die Gastrinproduktion normalisiert. Bis zu 30% der Patienten mit symptomatischem Gastrinom können wegen Lebermetastasen nicht mehr operativ geheilt werden. Bis zu 70% haben bereits Lymphknotenmetastasen, die möglicherweise noch vollständig entfernt werden können. (10)Endocrinol Metab Clin North Am. 2018 Sep;47(3):577-601. doi: 10.1016/j.ecl.2018.04.009. PMID: … Continue reading

Operative Therapie: Die meisten Leitlinien empfehlen eine Enukleation der größten Tumormasse im Pankreas. Wegen der guten Langzeitprognose wird meist keine Whipple-Resektion (Entfernung des Pankreaskopfs und der Duodenalwand unter Mitnahme lokaler Lypmphknoten) durchgeführt. Eine kleine Restaktivität nach Enukleation rechtfertigt demnach nicht generell die Risiken, Komplikationen und Langzeitfolgen einer solch großen Operation. (11)Endocrinol Metab Clin North Am. 2018 Sep;47(3):577-601. doi: 10.1016/j.ecl.2018.04.009. PMID: … Continue reading (12)Best Pract Res Clin Gastroenterol. 2005 Oct;19(5):799-805. doi: 10.1016/j.bpg.2005.05.003.

Wenn eine operative Heilung nicht möglich ist, kann mit ausreichend hoher Medikation von Protonenpumpenblockern (PPI) die Säuresekretion und damit die Symptomatik effektiv unterdrückt werden. Eine Langzeit-PPI-Therapie führt zu einer Proliferation von ECL-Zellen im Magen, was in Nagetieren eine erhöhte Bereitschaft zur Bildung von Karzinoidtumoren mit sich bringt. Eine Langzeittherapie mit PPI über Jahrzehnte ist zwar alternativlos, steht daher immer noch in Diskussion. (13)Int J Mol Sci. 2019 Oct 16;20(20):5128. doi: 10.3390/ijms20205128. PMID: 31623145; PMCID: … Continue reading

Eine Hemmung der Tumorprogression ist ein weiteres Ziel der nicht-operativen Therapie. Erfolge wurden erzielt mit Everolimus, Sunitinib und einer Radiorezeptortherapie. Solche Therapieverfahren kommen speziell bei einer Assoziation des Gastrinoms mit einem MEN Typ 1 in Betracht. (14)Surg Oncol Clin N Am. 2015 Oct;24(4):795-832. doi: 10.1016/j.soc.2015.06.008. Epub 2015 Jul 27. … Continue reading (15)Expert Opin Pharmacother. 2013 Feb;14(3):307-21. doi: 10.1517/14656566.2013.767332. Epub 2013 Jan … Continue reading

Prognose

Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist abhängig von der Metastasierung. Metastasen in Lymphknoten scheinen keinen wesentlichen Einfluss auf das Überleben zu haben (5-Jahresüberlebensrate von 90%). Lebermetastasen bedeuten eine Verschlechterung der Prognose (5-Jahresüberlebensrate von 25%).


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Verweise

Patienteninfos

 

 

Literatur

Literatur
1Endocrinol Metab Clin North Am. 2018 Sep;47(3):577-601. doi: 10.1016/j.ecl.2018.04.009. PMID: 30098717; PMCID: PMC6092039.
2Dtsch Med Wochenschr 2003; 128: S81-S83
3Br J Surg. 2007 Nov; 94(11):1331-41.
4Surg Case Rep. 2020 Nov 18;6(1):290. doi: 10.1186/s40792-020-01072-9. PMID: 33206240; PMCID: PMC7674545.
5World J Surg Oncol. 2020 Apr 28;18(1):80. doi: 10.1186/s12957-020-01860-5. PMID: 32345299; PMCID: PMC7189517.
6Am J Obstet Gynecol. 2001 Jan; 184(2):237-8.
7World J Surg Oncol. 2020 Apr 28;18(1):80. doi: 10.1186/s12957-020-01860-5. PMID: 32345299; PMCID: PMC7189517.
8Yale J. Biol. Med. 1997;70:509–522
9World J Gastroenterol. 2021 Sep 21;27(35):5890-5907. DOI: 10.3748/wjg.v27.i35.5890
10Endocrinol Metab Clin North Am. 2018 Sep;47(3):577-601. doi: 10.1016/j.ecl.2018.04.009. PMID: 30098717; PMCID: PMC6092039.
11Endocrinol Metab Clin North Am. 2018 Sep;47(3):577-601. doi: 10.1016/j.ecl.2018.04.009. PMID: 30098717; PMCID: PMC6092039.
12Best Pract Res Clin Gastroenterol. 2005 Oct;19(5):799-805. doi: 10.1016/j.bpg.2005.05.003.
13Int J Mol Sci. 2019 Oct 16;20(20):5128. doi: 10.3390/ijms20205128. PMID: 31623145; PMCID: PMC6829234.
14Surg Oncol Clin N Am. 2015 Oct;24(4):795-832. doi: 10.1016/j.soc.2015.06.008. Epub 2015 Jul 27. PMID: 26363542; PMCID: PMC4571281.
15 Expert Opin Pharmacother. 2013 Feb;14(3):307-21. doi: 10.1517/14656566.2013.767332. Epub 2013 Jan 30. PMID: 23363383; PMCID: PMC3580316.