Medikamentenschaden der Leber

Artikel aktualisiert am 16. Februar 2024

Ein Medikamentenschaden der Leber (medikamenteninduzierte Hepatopathie; engl.: idiosyncratic drug-induced liver injury, DILI) ist eine verhältnismäßig häufige Nebenwirkung. Neu verordnete Medikamente bedürfen einer Kontrolle der Verträglichkeit, wobei nicht nur das subjektive Empfinden, sondern auch verschiedene Laborwerte zu überprüfen sind. Insbesondere die Leber kann mit einer Erhöhung der Blutwerte reagieren. (1)Clin Med (Lond). 2016 Dec;16(Suppl 6):s104-s109. DOI: 10.7861/clinmedicine.16-6-s104 (2)Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931

Medikamente und Leberkrankheiten


Das Wichtigste verständlich

Kurzgefasst
Unerwünschte Wirkungen (adverse Effekte) werden nicht nur von Umweltgiften, sondern auch von Medikamenten ausgelöst; die Mechanismen sind sehr ähnlich. Treten sie bei Medikamenten bei einer Dosierung in ihrem therapeutischen Bereich auf, wird von Nebenwirkungen gesprochen. Die Nebenwirkungen sind häufig typisch für eine Substanz oder eine ganze Substanzgruppe (Idiosynkrasie: Eigentümlichkeit).

Medikamentenschaden der Leber: Die Leber ist relativ häufig von Medikamentennebenwirkungen betroffen. Tritt nach Einnahme eines neuen Medikaments eine Dunkelverfärbung des Urins bzw. eine Gelbverfärbung der Augen ein (Sklerenikterus), so ist an eine Medikamentennebenwirkung zu denken und das verdächtigte Medikament abzusetzen. Bessern sich die Leberwerte, kann ein „Reexpositionsversuch“ in der Praxis den Verdacht auf eine schädigende Wirkung des neuen Medikaments bestätigen.

Je nach Ausprägung kann der Medikamenteneinfluss alle Funktionen der Leber bis hin zu einem völligen Leberausfall betreffen. Zumeist ist er jedoch gering und wird erst durch Bestimmung der Leberwerte bemerkt. Insbesondere die Gamma-GT und die Transaminasen reagieren sensibel.

Zwei Mechanismen: Medikamente können über 2 Wege die Leber schädigen, nämlich über

  • einen toxischen, direkt schädigenden Einfluss und
  • eine indirekte Schädigung durch Auslösung einer Überempfindlichkeitsreaktion des Immunsystems.

Der direkt toxische Effekt tritt unmittelbar (akut) ohne wesentliche zeitliche Verzögerung ein und ist dosisabhängig (je mehr, desto stärker die Wirkung). Er löst sich mit Absetzen des Medikaments oder Entfernung der toxischen Substanz meist völlig auf.

Der indirekte Effekt ist weitgehend dosisunabhängig und tritt erst verzögert nach einer Latenzzeit einiger Tage auf. Geringe und größere Mengen schädigen in etwa gleich stark. Er kann lange anhalten und ist bei chronischem Verlauf (über 6 Monate) eine mögliche Ursache einer Lebervernarbung (Leberfibrose und Leberzirrhose). Selbst geringgradige Leberwerterhöhungen nach einer neuen Medikation sind ernst zu nehmen. Therapeutisch können bei ausgewählten Patienten mit chronischer Leberwerterhöhung, die durch ein Medikament ausgelöst wurden, zusätzlich zum Absetzen des verdächtigten Arzneimittels N-Acetylcystein und Kortikosteroide, einen gewissen Nutzen bringen.

Allgemeines

Ein Medikamentenschaden der Leber führt zu einer Erhöhung der Leberwerte und kann einen Umbau mit Vernarbung des Lebergewebes bewirken. Meistens bleiben toxische Leberschäden lange Zeit unentdeckt. Sie machen sich lediglich durch eine Erhöhung der Leberwerte bemerkbar, wobei die Gamma-GT und die Transaminasen relativ sensibel reagieren.

Bei einer schwereren akuten Schädigung kann es in seltenen Fällen zu einer Gelbsucht und zu einem Leberversagen kommen. Bei einer chronischen Schädigung können narbige Veränderungen im Sinne einer Leberfibrose und eine Leberzirrhose entstehen. Ein chronischer Verlauf kann eine Autoimmunerkrankung der Leber imitieren und Ähnlichkeit mit einer „Venoocclusive disease“ aufweisen.  (3)Clin Liver Dis. 2000 Feb;4(1):73-96, vi. DOI: 10.1016/s1089-3261(05)70097-0. PMID: 11232192

Praktisch jedes Medikament kann eine Leberschädigung hervorrufen. Es empfiehlt sich in vielen Fällen, nach Ansetzen einer neuen Medikation die Leberwerte zu kontrollieren. Die Behandlung besteht im Wesentlichen im Absetzen bzw. Umsetzen des verantwortlichen Medikaments.


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Ursachen und Entwicklung

Medikamente können prinzipiell auf mehreren Wegen die Leber schädigen: toxisch und über eine allergisch-hypererge Reaktion (idiosynkratisch); seltener findet sich eine Schädigung durch Stoffwechselprozesse. Eine schützende Rolle spielt die Autophagie, indem sie in Hepatozyten geschädigte Mitochondrien (Mitophagie) und andere störende Zellbestandteile und krankhafte veränderte Zellorganellen entfernt. (4)Food Chem Toxicol. 2020 Feb;136:111075. DOI: 10.1016/j.fct.2019.111075. (Dazu siehe auch hier.)

Einer Leberschädigung durch Medikamente tritt relativ häufig bei der Behandlung einer Tuberkulose auf. Bei findet sich in 2% – 28% der Fälle eine Erhöhung der Leberwerte. Risikofaktoren sind Langsamacetylierer und eine vorbestehende Leberkrankheit. Für die Entstehung werden toxische Metaboliten verantwortlich gemacht. (5)J Gastroenterol Hepatol. 2008 Feb;23(2):192-202. DOI: 10.1111/j.1440-1746.2007.05207.x

Auch pflanzliche Inhaltsstoffe und Medikamente können hepatotoxisch wirken und müssen bei einer neu einer neu aufgetretenen laborchemischen Leberschädigung (z. B. Erhöhung der Transaminasen) als Ursache in Betracht gezogen werden. (6)Curr Drug Metab. 2019;20(4):275-282. DOI: 10.2174/1389200220666190325141422.

Toxisch (am häufigsten)

Die schädigende Wirkung tritt sofort ein, ist dosisabhängig und vorhersagbar. Die Leberzellen (Hepatozyten) und oder die Zellen der kleinen Gallenwege werden direkt geschädigt; ein programmierter Zelluntergang findet nicht statt. Histologisch betreffen die Nekrosen die einzelnen Zonen der Leberläppchen unterschiedlich ausgeprägt.

Ein toxischer Leberschaden wird durch viele Medikamente ausgelöst. Ein ähnliches Bild findet sich bei einer Vergiftung mit Phosphor, Pilzgiften oder Vinylchlorid.

Idiosynkratisch (seltener)

In diesem Fall handelt es sich nicht um einen direkt schädigenden Einfluss eines Medikaments auf die Leber, sondern um eine indirekte Schädigung. Die schädigende Wirkung auf die Leber ist nicht vorhersagbar und nicht dosisabhängig, jedoch abhängig von der Reaktion des Körpers. Vor allem zwei Reaktionstypen lassen sich unterscheiden:

  • immunologisch (Hypersensitivität, Beginn nach etwa 2 (1-5) Wochen); histologisch meist diffuse oder multifokale Nekrosen, oft Hepatitis-ähnlich, Infiltrationen mit mononukleären Zellen, manchmal ausgeprägte Gewebseosinophilie (eosinophile Hepatitis, Beispiele: manche Medikamente, so z. B. Ajmalin)
  • metabolisch (Beginn meist erst nach mehreren Tagen; Beispiel: bei lang anhaltendem Hunger wie beim Kwashiorkor).

Histologie

Ein akuter Medikamentenschaden der Leber bewirkt histologisch folgende Veränderungen:

  • azidophile Degeneration der Hepatozyten bei vielen Substanzen,
  • zonale Nekrosen: periportal (Trinitrotoluol, einige Medikamente), mittzonal (Furosemid, sehr selten), perivenös (Tetrachlorkohlenstoff, Halotan, Paracetamol),
  • Cholestase bei Chlorpromazin, Kontrazeptiva, C17-alkylierte Anabolika,
  • Peliosis hepatis, thrombotische Zentralvenenverschlüsse (venoocclusive disease) und hepatische Venenthrombose bei Zytostatika, Kontrazeptiva bei chronischer Schädigung,
  • Histologisches Bild ähnlich dem der PBC: Chlorpromazin, Haloperidol, Imipramin, Thiabendazol, Tolbutamid,
  • Histologisches Bild ähnlich dem der PSC: intraarterielle Infusion von 5-Fu (5-Fluoruracil), Peliosis hepatis bei Azathioprin, Progesteronderivat, Vinylchlorid,
  • Venoocclusive disease und hepatische Venenthrombose bei Einnahme von Kontrazeptiva, Zytostatika,

Eine chronische Medikamenteneinnahme kann zu folgenden Veränderungen führen:

  • Malignome (HCC, Angiosarkome) bei Anabolika, Kontrazeptiva, Thorotrast, CuSO4.

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Diagnostik

Bei Erhöhung der Leberenzyme sind zunächst Leberkrankheiten, wie eine Hepatitis und eine Galleabflussstörung, auszuschließen. DILI ist eine Ausschlussdiagnose.

Besteht ein zeitlicher Zusammenhang mit einem neu angesetzten Medikament, so sollte das verdächtigte Medikamente ab- oder umgesetzt werden. Bei Besserung kann gegebenenfalls ein Reexpositionsversuch (erneute Verabreichung unter strenger Kontrolle) durchgeführt werden, um Unsicherheiten auszuschließen (bei schwerer Leberschädigung kann dies nicht vertretbar sein). Wenn trotz Entfernung der angeschuldigten Auslöser die Leberwerterhöhung länger anhält, sollte das Lebergewebe histologisch untersucht werden.

Therapie

Die Behandlung richtet sich gegen die Ursachen der Schädigung und berücksichtigt die Folgen (symptomatische und vorbeugende Therapie).

  • Wird ein Medikamentenschaden der Leber vermutet, so sollte das angeschultigte auslösende Medikament in Zukunft vermieden werden.
  • Es sollte geklärt werden, ob es sich bei der Nebenwirkung um ggf. um eine mögliche Nebenwirkung der Substanzklasse handeln kann.
  • In Einzelfällen kann eine zusätzliche Medikation von Kortisonpräparaten (7)J Dig Dis. 2019 Mar;20(3):122-126. doi: 10.1111/1751-2980.12697. und von N-Acetylcystein (8)Br J Clin Pharmacol. 2016 Jun;81(6):1021-9. doi: 10.1111/bcp.12880. zu einer Besserung beitragen (9)Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931.
  • Patienten mit DILI, die eine fortschreitende Gelbsucht entwickeln, sollten in einem Leberzentrum mit Anbindung an ein Zentrum für Lebertransplantation behandelt werden (10)Am J Gastroenterol. 2021 May 1;116(5):878-898. doi: 10.14309/ajg.0000000000001259.

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Verweise

Patienteninfos

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Literatur

Literatur
1Clin Med (Lond). 2016 Dec;16(Suppl 6):s104-s109. DOI: 10.7861/clinmedicine.16-6-s104
2Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931
3Clin Liver Dis. 2000 Feb;4(1):73-96, vi. DOI: 10.1016/s1089-3261(05)70097-0. PMID: 11232192
4Food Chem Toxicol. 2020 Feb;136:111075. DOI: 10.1016/j.fct.2019.111075.
5J Gastroenterol Hepatol. 2008 Feb;23(2):192-202. DOI: 10.1111/j.1440-1746.2007.05207.x
6Curr Drug Metab. 2019;20(4):275-282. DOI: 10.2174/1389200220666190325141422.
7J Dig Dis. 2019 Mar;20(3):122-126. doi: 10.1111/1751-2980.12697.
8Br J Clin Pharmacol. 2016 Jun;81(6):1021-9. doi: 10.1111/bcp.12880.
9Liver Int. 2019 Jan;39(1):31-41. doi: 10.1111/liv.13931
10Am J Gastroenterol. 2021 May 1;116(5):878-898. doi: 10.14309/ajg.0000000000001259