Nierenzellkarzinom
Artikel aktualisiert am 5. Oktober 2023
Das Nierenzellkarzinom (RCC, renal cell carcinoma) ist eine bösartige Geschwulst der Niere, die oft erst spät und in fortgeschrittenem Stadium erkannt wird und daher schwer zu therapieren ist.
Beim RCC handelt es sich um ein Adenokarzinom der Tubuluszellen der Niere. Es wird auch als Hypernephrom oder hypernephroides Nierenkarzinom bezeichnet. Typischerweise tritt es in der zweiten Lebenshälfte gehäuft auf, überwiegend bei Männern. In frühen Stadien kann eine Radikaloperation zur Heilung führen, in späteren Stadien kommen medikamentöse Therapieoptionen in Betracht, wobei zunehmend Biologika eine Rolle spielen.
Im Kindesalter treten Nephroblastome (Wilms-Tumore) auf. Sie gehen aus embryonalem Nierengewebe hervor. Es besteht eine genetische Disposition durch Mutationen im Wilms-Tumorgen auf Chromosom 11.
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Inhaltsverzeichnis
Epidemiologie
Das Nierenzellkarzinom tritt überwiegend im 5. und 6. Lebensjahrzehnt auf. Männer erkranken dreimal häufiger. Die Inzidenz liegt bei 9/100.000 pro Jahr. Sie steigt langsam, vor allem die frühen Stadien treten häufiger auf, was auf eine frühere Diagnosestellung zurückzuführen ist. (1)Cancer Epidemiol. 2021 Apr;71(Pt A):101883. doi: 10.1016/j.canep.2020.101883. Epub 2021 Jan 22. … Continue reading Das Nierenzellkarzinom stellt den dritthäufigsten urologischen Tumor dar.
Entstehung
Genetische Grundlage: Etwa 3-5 % der RCC-Fälle haben eine familiäre Vorgeschichte mit autosmal-dominanter Vererbung. (2)Recent Results Cancer Res. 2016;205:85–104 (3)Hematol Oncol Clin North Am. 2023 Oct;37(5):841-848 Manche RCC ohne familiäre Vorgeschichte können eine neu entstandene Mutation aufweisen oder gehen auf eine unvollständige Penetration zurück. (4)World J Urol. 2018 Dec;36(12):1891-1898 (5)J Cancer. 2021 Feb 22;12(8):2359-2370. DOI: 10.7150/jca.50462. PMID: 33758612; PMCID: PMC7974878. Unter den autosomal-dominant vererbten RCC-Syndromen finden sich keimbahnpathogene Varianten bei VHL, MET, FH, TSC1/TSC2, FLCN, SDHA/B/C/D, BAP1, CDC73 und MITF. (6)Eur Urol. 2019 Dec;76(6):754-764. DOI: 10.1016/j.eururo.2019.06.015 Eine Umlagerung des TFE3-Gens trägt zu einer schlechten Prognose bei. Dieser Typ wird als „TFE3-rearranged RCC“ bezeichnet (7)Am. J. Pathol. 2001;159(1):179–192. (8)Heliyon. 2023 May 6;9(5):e16076. doi: 10.1016/j.heliyon.2023.e16076 und findet sich häufig bei Kindern mit Nierentumoren, selten bei Erwachsenen. (9)Am. J. Surg. Pathol. 2012;36(5):663–670
Risikofaktoren und Auslöser sind Rauchen, eine chronische Analgetika-Einnahme, Übergewicht und Hypertonie. Patienten mit einer Niereninsuffizienz oder der von-Hippel-Lindauschen Krankheit (einem hereditären Krebssyndrom vaskulärer Tumore) haben ein erhöhtes Risiko. (10)BMJ. 2014 Nov 10;349:g4797. doi: 10.1136/bmj.g4797. PMID: 25385470; PMCID: PMC4707715.
Klassifikation
Das Nierenzellkarzinom lässt sich histologisch in verschiedene Typen einteilen. Die häufigsten sind folgende: (11)BMJ. 2014 Nov 10;349:g4797. DOI: 10.1136/bmj.g4797.
- Klarzell-RCC (clear cell renal cell carcinoma, ccRCC): es ist mit 70% die häufigste Form. Die Tumorzellen sehen klar aus und sind umgeben von einem dichten Netzwerk von Endothelzellen. Wegen ihrer ungewöhnlich hohen Dichte an Rezeptoren für epitheliale Wachstumsfaktoren sind VEGFR-Hemmer wirksam, s. u.). Dieser Typ ist durch den Verlust des Hippel-Lindau-Tumor-Suppressorgens charakterisiert. (12)Annu Rev Pathol. 2007; 2():145-73. Heute werden molekulare Subtypen differenziert. (13)J Cancer. 2021 Feb 22;12(8):2359-2370. DOI: 10.7150/jca.50462. PMID: 33758612; PMCID: PMC7974878. Sie können unterschiedliche Medikamentenempfindlichkeit und Prognose aufweisen. (14)Int J Gen Med. 2021 Jul 23;14:3761-3773. DOI: 10.2147/IJGM.S318271
- Papilläres RCC: imponiert histologisch papillär, enthält schwammig aussehende Histiozyten.
- Chromophobes RCC: die Tumorzellen sehen leer aus; Mitosen und eine Metastasierung sind selten zu finden.
Eine neuere Klassifikation (WHO) berücksichtigt weitere Differenzierungen: (15)Pathologica. 2022 Feb;115(1):8-22. doi: 10.32074/1591-951X-818.
- „klarzellige Nierentumore“, „papilläre Nierentumore“, „onkozytäre und chromophobe Nierentumore“, „Sammelgangstumore“ sowie „andere Nierentumore“ und „molekular definierte Nierenkarzinome“.
Symptomatik
Das Nierenzellkarzinom ist im Frühstadium häufig symptomlos. Im Spätstadium kommt es oft zur spontan auftretenden, schmerzlosen Hämaturie. Bei Bildung von Blutkoageln im Nierenbecken können Koliken auftreten.
Weitere Symptome: Flankenschmerz, B-Symptomatik (Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß).
Paraneoplasien (Fernwirkungen von Tumoren) treten bei ca. 5% der Nierenkarzinome auf.
- metabolisch: Stauffer Syndrom
- hämatologisch: Polyglobulie (vermehrte Blutbildung)
- endokrin: Renin (-> Hypertonie), ACTH (-> Hyperkaliämie), Parathormon (→ Hyperkalzämie)
Diagnostik
Erste Hinweise: Meistens wird ein Nierenzellkarzinom im Frühstadium bei weitgehender Symptomlosigkeit bei einer Routineuntersuchung durch Nachweis von Blut im Urin oder als Zufallsbefund bei einer Sonographie entdeckt.
Die Befundsicherung erfolgt durch bildgebende Verfahren, wie der Sonographie und der Computertomographie. Im Urogramm (Röntgenuntersuchung der Harnwege durch Kontrastmittel) ist eine Kelchverdrängung sichtbar.
In späteren Stadien dominieren Hämaturie (blutiger Urin, früher Einbruch des Tumors in das Nierenbecken), Flankenschmerzen, Gewichtsverlust, Anämie, palpabler Tumor.
Metastasen: Bei 1/3 der Patienten werden bei Erstdiagnose des Primärtumors bereits Fernmetastasen festgestellt, vorwiegend in Lunge, Knochen, Leber und Gehirn. Befall der ipsilateralen Nebenniere in 7% der Fälle.
Laboruntersuchungen: Laborwerte sind unspezifisch verändert. Erhöhung der BSG, Anämie (evtl. sogar Polyzythämie), Harnanalyse zum Nachweis von Blut im Urin, Bestimmung von alkalischer Phosphatase, Kalzium und Kreatinin.
Differenzialdiagnosen von Nierenraumforderungen
Relativ häufige gut abgrenzbare Raumforderungen in einer Niere, die im Ultraschallbild sehr reflexreich sind, können einem Angiomyolipom entsprechen. Differenzialdiagnostisch ist bei einer Raumforderung auch an ein Leiomyom oder an Metastasen eines Tumors zu denken.
TNM-Klassifikation
T 1 | Tumor < 7cm, auf die Niere begrenzt |
T 2 | Tumor > 7cm, auf die Niere begrenzt |
T 3a | Gerota-Faszie intakt, perirenales Fett infiltriert |
T 3b | Gerota-Faszie intakt, Infiltration der Nierenvenen oder V. cava inf. |
T 3c | Gerota-Faszie intakt, Infiltration der V. cava. inf. bis oberhalb des Zwerchfells |
T 4 | Durchbruch der Gerota-Faszie |
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Therapie
Operative Therapie
Bei T1-Tumoren unter 4cm ist eine Teilresektion möglich. Ausgedehnte M1-Tumoren (d. h. Metastasen vorhanden) werden nur dann operativ versorgt, wenn die Raumforderung Schmerzen bereitet oder Blutungen verursacht.
Radikale Nephrektomie
Sie ist die Therapie der Wahl bei M0-Tumoren und evlt. bei Solitärmetastasen. Es wird durch eine komplette Entfernung der tumortragenden Niere mit ihrer Fettkapsel und ggf. der Nebenniere und Gefäße eine vollständige Heilung des Patienten angestrebt. Der Eingriff erfolgt je nach Tumorlage und -ausbreitung transperitoneal (d.h. von der vorderen Bauchhöhle aus) oder retroperitoneal (d.h. vom hinteren Bauchraum aus). Chemotherapie erlangen einen Wirkungsgrad von 20-30%, wirken sich aktuellen Studien nach aber nicht auf die Überlebenszeit aus.
Ist die kontralaterale Niere funktionstüchtig, ist postoperativ die Lebensqualität des Patienten nicht eingeschränkt. Ist dies nicht der Fall, muss auf Dialysepflichtigkeit hingewiesen werden.
Der Eingriff wird bei kleinen Tumoren an spezialisierten Zentren auch laparoskopisch vorgenommen.
Komplikationen: Milzverletzung, Nachblutungen, Pleuraverletzungen mit Pneumothorax, postoperative Darmatonie
Strahlentherapie
Strahlentherapeutische Ansätze haben bislang keinen besonderen Nutzen gezeigt; Ausnahme ist das oligometastatische Nierenzellkarzinom. Eine sequenzielle Strahlentherapie bei gering metastasierenden Klarzellkarzinomen kann es in individuellen Fällen ermöglichen, nach einer Nierenentfernung (Nephrektomie) den Beginn einer systemischen medikamentösen Therapie zu verschieben. (16)Lancet Oncol. 2021 Dec;22(12):1732-1739. doi: 10.1016/S1470-2045(21)00528-3
Die Methode einer stereotaktischen Strahlentherapie (SRT, mit hoher lokaler Strahlenintensität) hat sich in einer Untersuchung ebenfalls als günstig erwiesen. Es wurden schwach progressive Tumoren mit SRT behandelt, danach wurde im Abstand die medikamentöse Therapie (mit einem Tyrosinkinase-Hemmer, TKI) fortgesetzt. Im Mittel konnte die neuerliche medikamentöse Behandlung um ein Jahr verschoben werden. (17)Eur Urol. 2021 Dec;80(6):693-700. doi: 10.1016/j.eururo.2021.07.026
Medikamentöse Therapie
Bevacicumab
Studien besagen, dass Bevacizumab (ein Antikörper gegen vaskulären Epidermal Growth Factor) und Erlotinib (ein Tyrosinkinase-Inhibitor, TKI) in Kombination einen Progress wirkungsvoll verhindern können. (18)J Clin Oncol. 2005 Nov 1;23(31):7889-96 Auch die Kombination von Bevacizumab mit Interferon alfa-2a führt zu einer Verbesserung des progressionsfreien Überlebens i. G. zu Interferon alfa-2a alleine. (19)Lancet. 2007 Dec 22;370(9605):2103-11
Sunitinib und neuere Kombinationstherapien
Inzwischen ist Sunitinib , ein Hemmer des VEGFR (vascular endothelial growth factor receptor), zur Standardtherapie von inoperablem Nierenkrebs geworden. Allerdings reagiert er häufig unzureichend oder wird resistent. Von einem ungewöhnlich großen Erfolg berichtet eine neue Studie, die eine Kombination verschiedener Wirkprinzipien getestet hat: Lenvatinib stört die Bildung neuer Blutgefäße im Tumor (VEGFR-Hemmer); Pembrolizumab hemmt den programmierten Zelltod (PD-1-Hemmer). Die Kombination beider Medikamente führte zu einem mittleren progressionsfreien Überleben (ohne Krankheitsfortschritt) von 23,9 Monaten vs. 9,2 Monaten unter einer Monotherapie mit Sunitinib. Höhergradige Nebenwirkungen traten jedoch auch häufiger auf. (82,4% vs. 71,8%). (20)N Engl J Med 2021; 384:1289-1300 DOI: 10.1056/NEJMoa2035716
Die Kombination eines VEGFR-Hemmers (Axitinib), der die Bildung von Tumor-Blutgefäßen hemmt, mit einem Hemmer des programmierten Zelltods (Avelumab), der es den abnormalen Zellen wieder erlaubt, sich geordnet selbst zu zerstören, weist einer Studie zufolge einen besonders guten Effekt auf. Das mittlere progressionsfreie Überleben erhöhte sich auf 13,8 Monate (vs. unter Sunitinib 7,2 Monate) (21)N Engl J Med . 2019 Mar 21;380(12):1103-1115. DOI: 10.1056/NEJMoa1816047 . Epub 2019 Feb 16.
Die 3er-Kombination von Cabozantinib (ein Tyrosinkinasehemmer, hemmt die Gefäßneubildung in Tumoren), Nivolumab (ein Antikörper gegen PD-1, zielt auf den programmierten Zelltod) und Ipilimumab (Antikörper gegen CTLA-4, reaktiviert zytotoxische T-Zellen) führte bei mehr Patienten zu einem progressionsfreien Überleben (nach 12 Monaten 57%) als die Behandlung mit Nivolumab und Ipilimumab allein (49%). Bei 79 % traten unerwünschte Ereignisse 3. oder 4. Grades auf. (22)N Engl J Med. 2023 May 11;388(19):1767-1778. DOI: 10.1056/NEJMoa2212851
Prognose
Die postoperative 5-Jahres-Überlebensrate ist stark abhängig von der Ausdehnung des Primärtumors:
Ausdehnung | Mittlere 5-J- Überlebenszeit |
auf Niere begrenzt | 86% |
Kapselinfiltration | 64% |
Veneninfiltration | 41% |
N 1 | 18% |
N 2 | 20% |
N 3 | 0% |
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Verweise
Patienteninfos
Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)
Literatur
↑1 | Cancer Epidemiol. 2021 Apr;71(Pt A):101883. doi: 10.1016/j.canep.2020.101883. Epub 2021 Jan 22. PMID: 33493782; PMCID: PMC7988458. |
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↑2 | Recent Results Cancer Res. 2016;205:85–104 |
↑3 | Hematol Oncol Clin North Am. 2023 Oct;37(5):841-848 |
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↑9 | Am. J. Surg. Pathol. 2012;36(5):663–670 |
↑10 | BMJ. 2014 Nov 10;349:g4797. doi: 10.1136/bmj.g4797. PMID: 25385470; PMCID: PMC4707715. |
↑11 | BMJ. 2014 Nov 10;349:g4797. DOI: 10.1136/bmj.g4797. |
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