Entstehung des Morbus Crohn

Artikel aktualisiert am 25. Juni 2023

Die Entstehung des Morbus Crohn, einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit, hängt mit einer abnormen Entzündungsreaktion der Darmschleimhaut und einer erheblich veränderten Keimbesiedlung des Darms (Mikrobiom) zusammen.

Endoskopisches Bild eines Crohn-Geschwürs

Eine genetische Empfänglichkeit (Prädisposition) bedeutet ein erhöhtes Risiko für immunologische und entzündliche Fehlregulationen. Umweltfaktoren und speziell diätetische Faktoren und Darminfektionen können eine auslösende Rolle spielen. Die Johne-Krankheit bei Wiederkäuern und der Morbus Crohn (MC) beim Menschen werden heute als dieselbe Infektionskrankheit angesehen, eine Paratuberkulose. (1)Microorganisms. 2019 Oct 17;7(10):466. doi: 10.3390/microorganisms7100466.

Morbus Crohn


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Bakterien als Auslöser

Schon 1895 wurde eine Beobachtung des Deutschen Veterinärs H. A. Johne über eine chronische Darmerkrankung einer Kuh im Oldenburger Land veröffentlicht. Sie entsprach einer später als Morbus Crohn beim Menschen bekannten Erkrankung. Bereits damals wurde eine Infektion mit säurefesten Stäbchen, die den Tuberkulosebakterien verwandt waren, als Ursache ausgemacht. Johne bezeichnete die Erkrankung als „Pseudotuberkulöse Enteritis“; sie wurde später als Johne’s disease bekannt (nach (2)http://www.johnes.org/history/index.html. Die Analogie zum später bekannt gewordenen Morbus Crohn beim Menschen ist weitgehend unbeachtet geblieben.

Mycobacterium avium ss. paratuberculosis (MAP)

Dieses Bakterium ist der Auslöser der Johne’schen Rinderkrankheit (3) 2017 Nov 6;4:187. doi: 10.3389/fvets.2017.00187. und ruft bei empfänglichen Menschen Autoantikörper hervor. Es wird als Auslöser verschiedener Autoimmunkrankheiten angesehen (4)Microorganisms. 2019 Oct 17;7(10):466. DOI: 10.3390/microorganisms7100466., so auch

MAP vermehren sich intrazellulär und entgehen auf diese Weise vielen Antibiotika. Zudem können sie in Sporenform Hitze überdauern und wurden selbst in pasteurisierter Milch nachgewiesen. (5)Appl Environ Microbiol. 1996 Sep;62(9):3446-52) Sie werden fast ubiquitär gefunden.

Grundlage der MAP-Pathogenität ist eine molekulare Mimikry zwischen Bakterienproteinen und menschlichen Proteinen (z. B. MAP 3865c und Znt8). Heute wird daher angenommen, dass eine gezielte antibiotische Behandlung einen therapeutischen Durchbruch beim Morbus Crohn bringen könnte (6)Front Immunol. 2015 Mar 4;6:96. DOI: 10.3389/fimmu.2015.00096.

Auf der Suche nach wirksamen Antibiotika wurde für 2 Phytochemikalien (Solasodin und Ursolsäure) eine bessere Wirksamkeit als für bisher bekannt wirksame Antibiotika nachgewiesen. (7)Molecules. 2022 Dec 29;28(1):274. doi: 10.3390/molecules28010274 (8)Molecules. 2023 Apr 15;28(8):3490. DOI: 10.3390/molecules28083490

Dysbiose

Die Keimbesiedlung des Darmkanals ist bei MC-Patienten gegenüber Gesunden verändert; während der aktiven Phase der Erkrankung findet sich eine ausgeprägte „Dysbiose“ (Fehlbesiedlung). Die Zahl der Bakterienarten nimm ab. Im Vergleich zu den Kontrollen kommt es zu einer

  • Verarmung an Butyrat-produzierenden Faecalibacterium prausnitzii und Roseburia und einer
  • Erhöhung anderer Bakteriengruppen, wie Enterobacteriaceae, zu denen Escherichia coli gehört.

Die Häufigkeit dieser Keimarten korrelieren mit dem Schweregrad der Erkrankung. (9) 2014 May;146(6):1489-99. doi: 10.1053/j.gastro.2014.02.009 Wenn die Entzündungsphase durch Therapie überwunden wird, normalisiert sich das Mikrobiom (die Keimzusammensetzung) wieder. (10) 2018 Oct 10;10:44. doi: 10.1186/s13099-018-0265-6.

Mikrobiom

Genetische Disposition

MC-Patienten weisen in ihrer Blutsverwandtschaft übernormal viele Mitglieder mit einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit, anderen Autoimmunkrankheiten oder Auffälligkeiten im Immunsystem auf, so dass eine genetische Prädisposition schon lange angenommen wurde.

NOD2-Mutation: in einer Schwedischen Studie fand sich eine Crohn-Konkordanz von 50% bei monozygoten Zwillingen. (11)Gastroenterology 2003; 124:1767–1773 Als eine wesentliche Ursache für eine Crohn-Empfänglichkeit wurde eine Mutation des NOD2-Gens identifiziert.

Das NOD2-Gen kodiert für einen intrazellulären „bacterial pattern „-Rezeptor (PRR) und wirkt sich auf die Bildung von „Defensinen“ und weiterer Abwehrstoffe aus. Alpha-Defensine werden als Reaktion auf mikrobielle Stimuli durch Paneth’sche Körnerzellen in den Krypten der Kolonschleimhaut gebildet und zum Darmlumen hin abgegeben. (12)Cell Mol Life Sci. 2011 Jul;68(13):2215-29 Sie beeinflussen die bakterielle Zusammensetzung in der Darmschleimhaut; umgekehrt beeinflussen die Darmbakterien die Bildung der Defensine. (13)Proc Natl Acad Sci U S A 2009; 106:15813–15818

  • NOD2 wird daher als die Spitze eines Schutzprogramms angesehen, welches das empfindliche Gleichgewicht zwischen dem Darmepithel und der Schleimhautflora reguliert. (14)J Immunol. 2007 Jun 15;178(12):8203-11

Das NOD2-Gen befindet sich auf Chromosom 16, das als „Caspase recruitment domain“ identifiziert wurde (CARD15). CARD15-Mutationen führen zu einer Erhöhung des Crohn-Risikos. Das Crohn-Risiko für den Zwilling eines Crohn-Patienten, der zwei CARD15-Mutationen trägt und raucht, beträgt etwa 35%; hingegen liegt das Risiko ohne CARD15-Mutationen und ohne Rauchen bei 2%. (15)J Med Genet. 2007 Nov;44(11):689-94

NOD2 reguliert die Konzentration von DMBT1 (einem sezernierten Cysteine-reichen Protein) (16)J Immunol. 2007 Jun 15;178(12):8203-11, das Pathogene binden kann. Das NOD2-System wird als antibakterieller Erkennungsmechanismus angesehen, das zur Bekämpfung eingedrungener Bakterien erforderlich ist. Es schützt die Schleimhaut und verhindert Entzündungsreaktionen. Eine gestörte NOD2-Funktion führt zu einer veränderten zellulären Abwehr eingedrungener Bakterien, d.h. zu einer gestörten Autophagie. Dies trägt entscheidend zur Pathogenese des Morbus Crohn bei. (17)PLoS One. 2013 Nov 5;8(11):e77773. doi: 10.1371/journal.pone.0077773 (18)Autophagy. 2010 Apr;6(3):412-4

Gestörte Autophagie: Bei der Suche nach weiteren Ursachen einer gestörten bakteriellen Abwehr wurden Polymorphismen in den Autophagie-Genen ATG16L und IRGM gefunden, die darauf schließen lassen, dass ganz generell ein Defekt des zellulären Abwehrsystems zu einer Crohn-Prädisposition führt. (19)J Innate Immun. 2013;5(5):434-43

Autophagie

Weitere genetische Ursachen: Neben NOD2/CARD15 wurden durch genetische Untersuchungen weitere Krankheits-Loci identifiziert, die bei der Entstehung des M. Crohn wie auch der Colitis ulcerosa eine Rolle spielen; einige von ihnen spielen auch bei anderen Krankheiten, wie dem Morbus Bechterew und der Psoriasis, eine Rolle. (20)Nature. 2012 Nov 1;491(7422):119-24 (21)Proc Natl Acad Sci U S A. 2007 Sep 11;104(37):14747-52

Immunologische Phänomene

Immunologische Phänomene: Bei MC-Patienten finden sich Antikörper gegen Membranproteine von E. coli (gegen Porin C, Anti-OmpC) und gegen Saccaromyces cerevisiae, allerdings unregelmäßig. (22)J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2007 Oct;45(4):409-13 Oft sind ANCA positiv. In einer neueren Studie wurden Assoziationen gefunden zwischen Antikörpern gegen bakterielle Flagellen (Flagelline) und Erkrankungen des Dünndarms an M. Crohn. Bei ihnen lag auch ein (23)J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2007 Oct;45(4):409-13e Assoziation mit NOD2-Mutationen vor.

Antikörper gegen Saccharomyces cerevisiae (ASCA) waren korreliert mit Crohn-Fisteln. (24)Inflamm Bowel Dis. 2009 Sep;15(9):1358-67 Solche Antikörper könnten diagnostische Bedeutung für die des Risikos eines komplizierten Verlaufs erlangen und helfen, den Morbus Crohn besser von der Colitis ulcerosa zu differenzieren. (25)Inflamm Bowel Dis. 2013 May;19(6):1139-48

Permeabilitätsstörung der Darmschleimhaut

Bakterieninvasion durch Permeabilitätsstörung der Darmschleimhaut: Eine gestörte Permeabilität der Schleimhaut scheint ätiologisch (für die Entstehung der Erkrankung) bedeutsam zu sein. Auch Verwandte von Crohn-Patienten haben eine erhöhte Bereitschaft, mit einer Permeabilitätsstörung zu reagieren. Sie reagieren auf ASS mit deutlich gestörter Permeabilität.

Die natürliche Toleranz gegenüber der normalen Darmflora ist bei erhöhter Permeabilität durchbrochen; es finden sich Antikörper bei Crohn-Erkrankten gegen bakterielle Allergene.

Ein kritischer Aspekt der immunmodulierenden Therapie des M. Crohn liegt darin, dass die verwendeten Medikamente das Risiko für eine Infektion mit MAP (s.o.) erhöhen können, die wiederum die Krankheit befördern. (26) 2018 Jul 7;24(25):2764-2775. doi: 10.3748/wjg.v24.i25.2764.

Weitere Einflussfaktoren

  • Antibiotika erhöhen das Risiko der Entstehung eines Morbus Crohn (1,74-fach), nicht dagegen einer Colitis ulcerosa (1,08-fach). Antibiotika erhöhen besondere bei Kindern das IBD-Risiko (2,75-fach. Am höchsten ist es für Metronidazol (5,01-fach) und Fluorochinolone, nicht dagegen für Penicillin. (27)Am J Gastroenterol. 2014 Nov;109(11):1728-38. DOI: 10.1038/ajg.2014.246
  • Kaiserschnitt: Kinder, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen, haben laut Auswertung verschiedener Studien ein bis 1,7-fach erhöhtes Risiko für einen Morbus Crohn. (28)Scand J Gastroenterol. 2014 Jul;49(7):834-44

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Verweise

Morbus Crohn – Kompendium

Patienteninfos

 

 

 


Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)


 

Literatur

Literatur
1Microorganisms. 2019 Oct 17;7(10):466. doi: 10.3390/microorganisms7100466.
2http://www.johnes.org/history/index.html
3 2017 Nov 6;4:187. doi: 10.3389/fvets.2017.00187.
4Microorganisms. 2019 Oct 17;7(10):466. DOI: 10.3390/microorganisms7100466.
5Appl Environ Microbiol. 1996 Sep;62(9):3446-52
6Front Immunol. 2015 Mar 4;6:96. DOI: 10.3389/fimmu.2015.00096
7Molecules. 2022 Dec 29;28(1):274. doi: 10.3390/molecules28010274
8Molecules. 2023 Apr 15;28(8):3490. DOI: 10.3390/molecules28083490
9 2014 May;146(6):1489-99. doi: 10.1053/j.gastro.2014.02.009
10 2018 Oct 10;10:44. doi: 10.1186/s13099-018-0265-6.
11Gastroenterology 2003; 124:1767–1773
12Cell Mol Life Sci. 2011 Jul;68(13):2215-29
13Proc Natl Acad Sci U S A 2009; 106:15813–15818
14J Immunol. 2007 Jun 15;178(12):8203-11
15J Med Genet. 2007 Nov;44(11):689-94
16J Immunol. 2007 Jun 15;178(12):8203-11
17PLoS One. 2013 Nov 5;8(11):e77773. doi: 10.1371/journal.pone.0077773
18Autophagy. 2010 Apr;6(3):412-4
19J Innate Immun. 2013;5(5):434-43
20Nature. 2012 Nov 1;491(7422):119-24
21Proc Natl Acad Sci U S A. 2007 Sep 11;104(37):14747-52
22J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2007 Oct;45(4):409-13
23J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2007 Oct;45(4):409-13
24Inflamm Bowel Dis. 2009 Sep;15(9):1358-67
25Inflamm Bowel Dis. 2013 May;19(6):1139-48
26 2018 Jul 7;24(25):2764-2775. doi: 10.3748/wjg.v24.i25.2764.
27Am J Gastroenterol. 2014 Nov;109(11):1728-38. DOI: 10.1038/ajg.2014.246
28Scand J Gastroenterol. 2014 Jul;49(7):834-44