Pathophysiologie der Herzinsuffizienz

Artikel aktualisiert am 23. September 2022

Das Verständnis der Pathophysiologie der Herzinsuffizienz (Entstehungsmechanismen der Herzleistungsschwäche) ist Grundlage für Überlegungen zur Behandlung. (1)Cardiovasc Diagn Ther. 2021 Feb;11(1):263-276. DOI: 10.21037/cdt-20-302.

→ Zur Herzinsuffizienz siehe hier.
→ Zur Anatomie und Funktion des Herzens siehe hier.


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Normale Herzaktion

Jeder Herzschlag beruht auf einer raschen Aufeinanderfolge elektrophysiologischer und biochemischer Prozesse. Taktgeber ist der Sinusknoten (siehe hier).

Der Sinusknoten im rechten Vorhof gibt die Frequenz vor, indem er rhythmisch Erregungen aussendet, die die Muskulatur der Vorhöfe und über den av-Knoten und das Reizleitungssystem die Muskulatur (das Myokard) der rechten und linken Herzkammer (Ventrikel) erreicht. In den einzelnen Muskelzellen laufen komplexe elektrophysiologische und biochemische Vorgänge ab, die repetierend zur Kontraktion und zu Erschlaffung und Regeneration führen.

Die Herzmuskelzelle hat in der Kontraktionsphase (der Systole) erhebliche mechanische Arbeit zu leisten mit hohem Energiebedarf. Sie hat aber auch in der Erschlaffungsphase (der Diastole) vor der erneuten Systole einen hohen Energiebedarf, da sie die Kraft für die nächste Kontraktion wieder aufbauen muss. Biochemisch erfolgt dies über den neuerlichen Aufbau des Konzentrationsgradienten der Elektrolyte an den Membranen.

Pathomechanismen

Im einzelnen kommen bei der Herzinsuffizienz folgende Pathomechanismen in Gang:

  • Frank-Starling-Mechanismus: eine Dilatation des Ventrikels führt über eine bessere Vordehnung zu erhöhter systolischer Kraft. Dieser Mechanismus funktioniert bei geschädigter Muskulatur nicht mehr,
  • Stimulation des Sympathikus: Sie soll über eine Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstands den Blutdruck erhöhen, der jedoch vom geschädigten Herzen nicht aufrecht erhalten werden kann. Zudem soll der Sympathicus die Leistung des Herzens durch eine Frequenzsteigerung (Tachykardie) erhöhen, was frustran ist und bei seiner Schädigung zu Rhythmusstörungen führt.
  • Ankurbelung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS, Kochsalz– und Flüssigkeitsretention, periphere Vasokonstriktion): Dieses System erhöht die Leistungsfähigkeit des Herzkreislaufsystems, überfordert jedoch das geschwächte Herz.
  • Erhöhte Aktivität des atrialen natriuretischen Peptids (ANP). Sie kommt bei erhöhter Vorlast zustande, wenn sich das Blut bereits vor dem rechten Herzen staut. Sie führt zu einer renalen Kochsalz- und Flüssigkeitsausscheidung, die das Herz entlasten. Bei einer latenten Herzinsuffizienz sorgt ANP dafür, dass nächtlich (im Liegen) eine vermehrte Harnproduktion stattfindet (nächtliche Diurese, Nykturie).
  • Erhöhte Aktivität des Pro-BNP: Das „Brain natriuretic Peptide“ (BNP, B-type natriuretic Peptide) ist mit dem ANP verwandt und ebenfalls ein natriuretisches Peptid. Es wird bei Dehnung der Herzmuskulatur, wie sie bei Herzbelastung und besonders bei Herzinsuffizienz auftritt, vermehrt gebildet und hilft durch Ausschwemmung von Flüssigkeit über die Nieren, das vom Herzen zu bewältigende Blutvolumen zu verringern. NT-proBNP dient als Labor-Marker für eine Herzinsuffizienz.
  • Hämodynamische Folgen: Eine chronische Linksherzinsuffizienz kann zu einer Mitralinsuffizienz, einer Lungenstauung, eine pulmonalen Hypertonie und schließlich auch zu einer Rechtsherzinsuffizienz führen.
  • Remodeling der Herzmuskulatur: Ein Dilatation der Herzkammern und eine veränderte Erregungsausbreitung fördern eine Umorientierung der Richtung, in denen die Herzmuskelzellen (Cardiozyten) angeordnet sind. Wenn das Herz rekompensiert (z.B. durch eine interventionelle Maßnahme), ist die geänderte Struktur nicht mehr optimal, so dass die normale Herzleistung nicht mehr völlig erreicht wird.

Forward-failure und Backward-failure

Eine Insuffizienz der linken Herzkammer führt zu einem Vorwärtsversagen („forward-failure“): Hierbei kann der linke Ventrikel nicht die geforderte Leistung aufbringen, um einen ausreichenden arteriellen Blutfluss (im großen Kreislauf) aufrecht zu erhalten. Die Leistungsschwäche kann zu einem Rückwärtsversagen („backward-failure“) führen, bei dem sich das Blut in den Lungen staut, was zu einer Atemnot und schließlich zu einem Lungenödem führen kann. Das Blut staut sich weiter in das rechte Herz hinein (Rechtsherzbelastung), das dagegen schließlich nicht anpumpen kann; es kommt zur Rechtsherzinsuffizienz.

Mechanismen auf zellulärer Ebene

Jede Muskelzelle besitzt in Ruhe intrazellulär eine hohe Kalium- und niedrige Natriumkonzentration und extrazellulär ein genau umgekehrtes Elektrolytverhältnis. Der hohe Konzentrationsunterschied bedingt ein Spannungspotential an der Zellmembran. Durch Natriumeinstrom und Kaliumausstrom bricht das Spannungspotential zusammen, und damit wird die Kontraktion des Herzmuskels eingeleitet. Elektrophysiologisch ist dies mit einer Depolarisation, einem Zusammenbrechen der Spannung an der Zellmembran verbunden, es entsteht ein Aktionspotential. In elektrophysiologischen Ableitungen an Einzelzellen sowie auch in Ableitungen der Stromkurve des gesamten Herzens, dem EKG, wird dies an Ausschlägen der Ableitungskurven erkennbar.

Im gesunden Zustand wird der elektrochemische Gradient an der Zelloberfläche bei guter Herzdurchblutung sofort wieder aufgebaut, indem durch eine membranständige ATPase das eingeströmte Natrium im Gegenzug zum herausgeströmten Natrium wieder aus der Zelle entfernt wird. Die ATPase funktioniert als Energie verbrauchende Natrium-Kalium-Pumpe.

Die Muskelkontraktion hängt von der Bereitstellung von Kalzium an den Aktomyosin-Fibrillen (Myofibrillen) ab. Das Kalzium stammt zum größten Teil aus den intrazellulären Speichern des sarkoplasmatischen Retikulums. Freigesetzt wird das Kalzium bei Ankunft eines Aktionspotentials durch spannungsgesteuerte Kalziumkanäle. Das Kalzium muss anschließend wieder in die Speicher zurück transportiert werden, um für eine neuerliche Kontraktion zur Verfügung stehen zu können. Genauso wie zum Austransport des eingeströmten Natriums ist für den Rücktransport des Kalziums in seinen intrazellulären Speicher Energie erforderlich.

Schließlich verbraucht die Kontraktion der Myofibrillen selbst in erheblichem Maße Energie in Form von ATP, das rasch regeneriert werden muss.

Herzaktion bei Sauerstoffmangel

Die Entstehung der Herzinsuffizienz ist an einen intrazellulären Energiemangel geknüpft. Häufigste Ursache ist ein Mangel an Sauerstoff, wie er bei einer koronaren Herzkrankheit auftritt; denn Sauerstoffmangel bedeutet für die Herzmuskulatur Energiemangel. Andere Ursachen sind eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) oder eine Überforderung der Herzmuskulatur bei eine Herzklappenerkrankung oder einer hypertonen Krise.

Bei unzureichender Sauerstoffversorgung gelingt die Regeneration der Herzmuskulatur, die nach jedem Schlag (Systole) rasch erfolgen muss, nicht mehr ausreichend. Der Aufbau eines Elektrolytgradienten von Natrium (außerhalb der Zelle hoch) und Kalium (innerhalb der Zelle hoch), der Voraussetzung für den nächsten Herzschlag ist, erfolgt nur verzögert. Nach jeder Herzkontraktion kommt es zu einem nachhinkenden Natriumeinstrom, weil er wegen des Energiemangels nicht gleich wieder hinaus befördert werden kann. Er wird als „später Natriumeinstrom“ bezeichnet. Dies kennzeichnet die Herzinsuffizienz.

Je mehr Natrium in die Zelle einströmt, desto mehr ist anschließend wieder hinauszupumpen. Dem sowieso schon energetisch beeinträchtigten Herzmuskel wird also eine zusätzliche Arbeit aufgebürdet.

Ein intrazellulärer Energiemangel schränkt auch die anderen ATP-verbrauchenden Prozesse ein: den Rücktransport des Kalziums aus dem Plasma in seine intrazellulären Speicher und den Kontraktionsvorgang selbst.

Wenn zum Austransport von Natrium und zur Sequestrierung von Kalzium in der Diastole bereits viel Energie verbraucht wird, und wenn die Energiereserve in der Diastole nicht wieder ausreichend aufgebaut werden kann, kann es eintreten, dass für die nachfolgende Kontraktion nicht mehr genügend Energie übrig bleibt und die Kontraktion (Systole) zu schwach ausfällt.

Da auch die Kalziumverschiebung in den Muskelzellen nicht rasch genug rückgängig gemacht werden kann, verbleibt eine relativ hohe Kalziumkonzentration an den Myofibrillen, die sich damit nicht voll entspannen können. Dies führt dazu, dass sich das gesamte Herz in der Diastole nicht mehr gut entspannen und mit Blut füllen kann.

Es kommt damit nicht nur zu einer zu schwachen systolischen Herzkontraktion sondern auch zu einer zu geringen diastolischen Füllung. Damit beginnt ein Circulus vitiosus (Teufelskreis), der schließlich im Pumpversagen, einer „dekompensierten Herzinsuffizienz“, und im Lungenödem endet.

Fatale Verstärkung der Herzinsuffizienz durch physiologische Mechanismen

Um den Kreislauf stabil zu halten, hat der Körper verschiedene regulierende Mechanismen zur Verfügung. Die Hauptmechanismen sind eine Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), die Aktivierung des Sympathicus und die Ausschüttung von Adrenalin. Entwicklungsgeschichtlich sollen diese Mechanismen dem Individuum ermöglichen, in Kampf- und Gefahrensituationen den Kreislauf auf Höchstleistungen vorzubereiten. Sie wirken auch bei Flüssigkeitsmangel und Durst einem frühzeitigen Kollaps entgegen.

Bei Herzinsuffizienz sind folgende Mechanismen von Bedeutung:

  • Die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), die Aktivierung des Sympathicus und die Ausschüttung von Adrenalin belasten das Herz so, dass es bei Energiemangel, so im Falle einer ischämischen Herzkrankheit, den Anforderungen nicht nachkommen kann.
  • Diese Regelkreise springen besonders stark an, wenn die Herzinsuffizienz so ausgeprägt ist, dass ein normaler Blutdruck in Ruhe bereits nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Sie verstärken so die Herzinsuffizienz auf fatale Weise. Der Teufelskreis (Circulus vitiosus) führt zum Lungenödem, zur nachfolgenden Rechtsherzdekompensation und schließlich zum völligen Kreislaufkollaps.

Konsequenzen für die Therapie

Die Kenntnis der Mechanismen der Entstehung der Herzinsuffizienz hat zu wirksamen therapeutischen Ansätzen geführt. Ziel ist es, die Anforderungen an die Herzkraft zu senken und die Herzkraft selbst zu stärken.

Medikamente, die dafür zur Verfügung stehen, sind

Eine Sauerstoffzufuhr über die Nasensonde unterstützt den Aufbau der Herzkraft ebenfalls.

Sonstige therapeutische Maßnahmen

Für einen anhaltenden Erfolg sollten die Mechanismen der Entstehung der Herzinsuffizienz erkannt und behoben werden:

  • Erweiterung von Koronarstenosen: Die Herzinsuffizienz durch eine Verengung von Herzkranzgefäßen ist ein Sonderfall, der zur Herzinsuffizienz führen kann. Wenn es gelingt, kritische Stenosen im Herzkranzgefäßsystem zu identifizieren und durch Katheterintervention aufzuweiten, kann die Begrenzung der Energiezufuhr des Herzmuskels manchmal sofort behoben werden, und die akute Herzinsuffizienz ist praktisch schlagartig behoben.
  • Behebung von Herzklappenfehlern: Die Herzinsuffizienz, die durch eine hämodynamisch stark wirksame Stenose oder Insuffizienz einer Herzklappe entsteht, kann zur Indikation zum akuten operativen Klappenersatz führen.
  • Behandlung eines Herzbeutelergusses (Perikarderguss): Wenn er abpunktiert wird, kann sich das Herz wieder besser ausdehnen und in der Diastole füllen; das Schlagvolumen steigt wieder.
  • Behandlung einer Anämie: Bei starker Blutarmut (Anämie) verbessert eine Anhebung der Zahl der Erythrozyten die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels und wirkt der Herzinsuffizienz entgegen.

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Verweise

Patienteninfos

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).


 

 


Literatur

Literatur
1Cardiovasc Diagn Ther. 2021 Feb;11(1):263-276. DOI: 10.21037/cdt-20-302.