Karzinoid

Artikel aktualisiert am 26. Juli 2023

Das Karzinoid ist ein seltener neuroendokriner Tumor, der zur Bildung des Hormons Serotonin befähigt ist. Die typischen Symptome Flush und Diarrhö sind unterschiedlich ausgeprägt, können jedoch, wenn sie vorhanden sind, bereits klinisch zur Diagnose leiten. (1)Dtsch Arztebl 2003; 100: A 1932-1942


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der
Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.



Nomenklatur

Das Karzinoid gehört zu den Tumoren im Magendarmtrakt, die früher als APUDome bezeichnet wurden. Nach der neuen WHO-Klassifikation aus dem Jahr 2000 ist der Begriff zugunsten der Begriffe „neuroendokriner Tumor“ oder „neuroendokrines Karzinom“ fallengelassen worden. Die Bezeichnung „gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumore“ (GEP-NET) berücksichtigt die Herkunft.

GEP-NET sind durch die Expression von neuronspezifischer Enolase und Chromogranin A gekennzeichnet. Karzinoide sind eine Untergruppe. Typisch bei diesen Tumoren ist, dass die Expression hormonaktiver Substanzen fehlen oder sich ändern kann. Oft können Zellen solcher Tumore mehrere hormonal aktive Substanzen in wechselnder Zusammensetzung und Ausprägung produzieren. Solche, die Serotonin produzieren, können unter bestimmten Bedingungen (foregut-Tumore, Lebermetastasierung) auch Durchfälle und andere Symptome (s. u.) hervorrufen. In diesen Fällen entsteht ein „Karzinoid-Syndrom“.

Epidemiologie

Das Karzinoid ist der häufigste gastrointestinale endokrin aktive Tumor. Inzidenz: 0,2-0,5/100000/Jahr

Lokalisation

  • Foregut-Karzinoide (20%): Lunge, Thymus, Magen
  • Midgut-Karzinoide (65%): Jejunum, Ileum, Appendix (ca. 50% aller Karzinoide, ca 0.5% aller Appendektomien), Coecum
  • Hindgut-Karzinoide (15%): Kolon, Rektum

Entstehung

Zellen des Karzinoids bilden Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) aus dem Tryptophan (eine Aminosäure) der Nahrung sowie in unterschiedlichem Ausmaß andere hormonell aktive Substanzen mit Auswirkungen vor allem auf das Herzkreislaufsystem und den Darm. Dies führt

  • zu Symptomen durch Wirkung des Serotonins, wenn es in den großen Kreislauf gelangt; treten solche Symptome auf, zeigen sie an, dass der Tumor bereits zu einer Lebermetastasierung geführt hat,
  • zu Tryptophan-Mangelerscheinungen, da durch die Serotoninbildung Tryptopha aufgebraucht wird und nicht mehr für die Eiweißsynthese im Körper mehr zur Verfügung steht. Es können leichte Symptome einer Pellagra wegen Niacin-Mangel zustande kommen.

Diarrhö: Serotonin bewirkt eine sekretorische Diarrhö. Es stimuliert die Darmmotilität; und es stimuliert die Bildung von Narbengewebe (Fibrogenese). Folgen sind eine rechtskardiale (seltener linkskardiale) Endokardfibrose (Hedinger-Syndrom) und Peritonealfibrose, die im Rahmen eines metastasierenden Karzinoids entstehen können.

Flush: Serotonin selbst ist nicht für die vaskulären Symptome verantwortlich. Jedoch erweitern andere Monoamine und Peptidhormone, die meist ebenfalls produziert werden, wenn sie in den großen Blutkreislauf gelangen, die Blutgefäße mit der Folge eines Flushs, einer Hypotonie und einer reflektorischen Tachykardie.

Klinik

Midgut- und Hindgut-Karzinoide machen sich erst dann durch Symptome bemerkbar, wenn Lebermetastasen vorliegen. Foregut-Karzinoide können selbst zu Symptomen führen, da ihr Blutabfluss nicht durch die Leber zieht, in der die biogenen Amine entfernt werden. Ihr Blut- oder Lymphabfluss erreicht direkt den großen Blutkreislauf.

Karzinoid-Syndrom: Etwa 5% aller Patienten mit Karzinoid-Tumoren haben eine typische Symptomatik mit Flush (anfallsartige Hautrötung), Durchfallattacken, Tachykardie und Hypotonie.

Diagnostik

Anfangsverdacht

Einen ersten Hinweis auf das Vorliegen eines Karzinoids bietet die Symptomatik des Karzinoid-Syndroms oder ein Zufallsbefund in einem bildgebenden Verfahren.

Labordiagnostik

  • 5-HIES (5-Hydroxyindolessigsäure) im Urin (meist mehr als 80 µmol/d oder 15 mg/d). Vor der 5-HIES-Bestimmung dürfen keine serotonin-/tryptophanhaltigen Nahrungsmittel wie Bananen eingenommen werden.
  • Chromogranin A im Serum (Marker für neuroendokrine Tumore)

Bildgebende Verfahren

Sonographie, CT, MRT zur Suche des Primärtumors und zum Nachweis von Lebermetastasen (siehe auch Sonographie der Leber).

Octreotid-Szintigramm (Somatostatinrezeptorszintigraphie) zur Suche des Primärtumors und von Metastasen, wenn sie mit anderen bildgebenden Verfahren nicht gefunden werden können.

Histologie

Eine Leberpunktion kann zur Klärung eines Leberherds führen. Findet man Gewebe eines neuroendokrinen Tumors, so kann eine weitere histochemische und immunologische Aufarbeitung den Typ festlegen.

Echokardiographie

Die Echokardiographie dient bei einem metastasierenden Karzinoid zum Nachweis einer Endokardfibrose.

Prognose

Bei der Diagnosestellung sind etwa 1/4 der Tumore multipel, 3/4 transmural-invasiv; 1/3 haben bereits Lymphknoten- und Lebermetastasen. Nach 4 Jahren sind etwa 20% an der Erkrankung und 15% an anderen Erkrankungen verstorben. Die Fünfjahresüberlebenswahrscheinlichkeit liegt bei 60% (2)Burke AP et al. Cancer 1997; 79: 1086-1093.

Wenn bereits ein Karzinoid-Syndrom vorliegt, ist die Prognose signifikant schlechter, als wenn der Tumor noch keine Symptomatik hervorruft; das Gesamtüberleben liegt dann durchschnittlich bei 5 im Vergleich zu 5,6 Jahren (3) 2017 Apr;18(4):525-534. doi: 10.1016/S1470-2045(17)30110-9..

Therapie

Operativ

Wenn bereits ein Karzinoid-Syndrom vorliegt, muss von einer Metastasierung ausgegangen werden. Daher kommt in den meisten Fällen keine operative Therapie mit kurativer Zielsetzung mehr in Frage.

Chemotherapie

In ca. 30% kann durch Chemotherapie eine Remission erreicht werden. Wirksam sind Kombinationen von Streptozotozin, Fluorouracil, Cyclophosphamid und Doxorubicin.

Symptomatisch

Loperamid ist das wichtigste Medikament zur symptomatischen Therapie der Durchfälle.

Alosetron ist ein 5-HT-Antagonist. Es beeinflusst in Dosierungen bis 2×2 mg/d die Kolonmotilität, nicht aber den Dünndarmtransit und damit kaum die Diarrhö.

Somatostatin kann heftige, sonst kaum beeinflussbare Durchfallsymptome lindern.

Octreotid (2-3 subkutane Injektionen pro Tag) beherrscht meist die Symptome des Karzinoids sicher und kann zur Therapie ausgeprägter, schwer therapierbarer und lebensbedrohlicher Komplikationen eingesetzt werden. In einer Studie an älteren Patienten wird festgestellt, dass Octreotid in einer speziellen Zubereitung (Octreotide long-acting repeatable; LAR) möglicherweise auch das Überleben günstig beeinflusst, besonders bei Vorliegen von Fernmetastasen (4) 2014 Jul 1;120(13):2039-49. doi: 10.1002/cncr.28653. (5) 2016 Mar;21(3):308-13. doi: 10.1634/theoncologist.2015-0381..

Telotristat ist ein oraler Tryptophanhydroxylase-Inhibitor, der zur Symptomkontrolle eingesetzt werden kann und gut vertragen wird. In einer Studie an Patienten, deren Symptomatik nicht ausreichend durch Somatostatin-Analoga kontrolliert werden konnte, kam es ab Woche 12 zu einer signifikanten Senkung der Stuhgangsfrequenz und der 5-HIES-Ausscheidung im Urin (6) 2017 Jan;35(1):14-23. Epub 2016 Oct 28. In wieweit es auch der Entwicklung einer Endokardfibrose vorbeugen kann, ist noch ungeklärt (7) 2016 Dec;17(18):2487-2498. Telotristat ethyl wurde inzwischen als Xermelo™ weltweit zur Behandlung des Karzinoid-Syndroms in Kombination mit einem Somatostatin-Analog (z. B. Octreotid) zugelassen (8) 2017 May;77(7):793-798. doi: 10.1007/s40265-017-0737-x..

Cave: Beta-adrenerge Medikamente müssen wegen der Gefahr einer Exazerbation (Symptomverschlechterung) vermieden werden.

Verweise

 


Literatur

Literatur
1Dtsch Arztebl 2003; 100: A 1932-1942
2Burke AP et al. Cancer 1997; 79: 1086-1093
3 2017 Apr;18(4):525-534. doi: 10.1016/S1470-2045(17)30110-9.
4 2014 Jul 1;120(13):2039-49. doi: 10.1002/cncr.28653.
5 2016 Mar;21(3):308-13. doi: 10.1634/theoncologist.2015-0381.
6 2017 Jan;35(1):14-23. Epub 2016 Oct 28
7 2016 Dec;17(18):2487-2498
8 2017 May;77(7):793-798. doi: 10.1007/s40265-017-0737-x.