Ärztliche Hilfe in Sri Lanka 02

Artikel aktualisiert am 14. Mai 2019

Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Sri Lanka.

Inzwischen haben sich die politischen Verhältnisse geändert.

 

 


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Teil 2

Mail vom 26.4.2008

Zuerst einmal danke allen, die sich schon gemeldet haben! Das hat mir sehr geholfen, die kleinen Reiseschwierigkeiten mit Geduld und Gelassenheit zu überstehen.

Der Flieger war – dem Himmel sei Dank! – nicht ganz voll, der Platz neben mir war frei, so dass ich mich zumindest zur Seite ausdehnen konnte. Nach vorne und hinten ist das ja sehr begrenzt. Schlafen geht da wirklich nur mit Knoten in den Beinen und im Bauch und das auch nur sehr kurz. Die Besatzung der Sri Lankan Airline war sehr freundlich und irgendwann gegen 4:30 Lokalzeit konnte ich aus dem klimatisierten, allerdings nicht sehr kalten Flieger in die feuchte heiße Morgenluft von Colombo steigen. Pass- und Gepäckkontrolle war weniger problematisch, als ich fürchtete, und draußen stand auch schon ein Fahrer …, der mich an meinen …Aufklebern auf dem Gepäck erkannte. In ziemlichem Tempo, auf der nicht beleuchteten 4 spurigen Straße mit Fußgängern, unbeleuchteten Motorrädern und Tucktucks, mal li., mal re. überholend, brachte er mich zunächst zum Office…, wo aber noch keiner war (6:00). Auf der Tafel fand ich die freudige Nachricht, dass ich schon am nächsten Tag weiter fliegen sollte nach Jaffna. Danach ging es zum Haus des HoM (Head of Mission), das ich ziemlich leer fand. Mir wurde ein Raum angewiesen und nach einer kalten Dusche habe ich erst einmal geschlafen. So gegen 11:00 bin ich dann den kurzen Weg zum Büro gelaufen und musste feststellen, dass inzwischen mein Weiterflug auf Donnerstag verlegt worden war. Ich hatte also erst einmal Zeit, viel Zeit!

… Der HoM Laurent ist Franzose, ein ruhiger umgänglicher Typ, er wird unterstützt im Büro in Bezug auf HRM (Human Ressource Management) und Logistik von einer Französin Anne, die mit einem kleinen 3-jährigen Pablo dort ist und mit dem HoM seit längerem schon zusammen lebt. So hat der kleine Pablo schon einige Länder im humanitären Einsatz kennen gelernt: Thailand, Birma, Malaysia und anderes. Doch Anne kam erst am Mittwoch wieder, da sie dienstlich für einige Tage in PPD (=Point Pedro) war.

Im Projekt scheint man die derzeitigen heftigen Angriffe der Regierungstruppen auf die LTTE (= Rebellen) dauernd zu hören, die sog. Front ist nur etwa 20 km entfernt. Jedoch bekommt das Hospital wohl wenig von den Verletzten mit, die gehen meist sofort in das sehr große Teaching Hosp. in Jaffna. …

In den beiden Tagen in Colombo habe ich erst einmal eine Site-seeing-tour gemacht. Die Stadt ist nicht sehr schön. Die wenigen alten Gebäude sind nur zum kleinen Teil erhalten, die Straßen sind nur für den motorisierten Verkehr ausgelegt, die Fußgänger mogeln sich irgendwie dazwischen durch. Der Verkehr ist dicht, aber nicht aggressiv, sondern nur sehr individuell-erfindungsreich. Die Straßen sind auch in schlechtem Zustand, alle Häuser liegen hinter großen Mauern, wenig gepflegt, und mit großen Metalltoren. Einzig die großen exotischen Bäume mit ihren Luftwurzel und farbenprächtigen Blüten lockern das Bild gelegentlich auf. Es gibt auch nicht die sonst üblichen reinen Einkaufszentren mit modernen Läden.

Überhaupt sieht man nicht sehr viele Europäer, Weiße. Auch die NGO’s oder INGO’s sind eher selten zu sehen. Ganz selten mal ein Auto mit UN Beschriftung. Überall hört und liest man Sinhala, die Singhalesische Sprache. Doch viele sprechen ein Asiatisch gefärbtes gutes Englisch. Daneben ist noch das Tamilisch offizielle Sprache. Etwa 82% der 20 Mill. Einwohner sind Singhalesen (meist Buddhisten), 8% sind Moors (meist Muslime), 5,1% Kandy oder Ind. Tamilen und 4,4% Sri Lanka oder Jaffna Tamilen (meist Hindus). Außerdem noch 0,2% Burghers (von Holländern und Portugiesen abstammend) und 0,3% Malaien. Christen sind etwa 6,9% (überwiegend Röm.-kath.).

Doch konnte ich schon in einem großen alten Buddhistischen Tempel mich umsehen, so unter der Woche nur wenige Leute, einige zum Gebet an einem alten Baum, andere einfach sich ausruhend, sich in der Stille des weitläufigen Geländes ergehend. In diesen Tempeln – wie auch in den meisten Wohnungen und manchmal auch Büros – geht man und frau barfuß. Das wird meine Fußsohlen bei den üblichen 20+ Temperaturen (In der Sonne weit über 30 – 40°) sehr abhärten.

Der Krieg zwischen Tamilen und Singhalesen ist schon Jahrhunderte alt und jetzt seit der Unabhängigkeit versuchen einige der Tamilen (nicht alle) eine staatliche Unabhängigkeit zu erreichen. Verhandlungen finden so gut wie keine statt, eine Norweg. Delegation hat gerade aufgegeben, nachdem das offizielle Waffenstillstandsabkommen von der Regierung offiziell wieder aufgehoben wurde und zurzeit die Aktivitäten sehr verstärkt werden, nachdem die Ost-Provinz „befreit“ wurde und im Mai dort Wahlen abgehalten werden. Das Ziel ist, bis Ende 2008 alles „befreit“ zu haben(?).

In den Zeitungen wird viel und durchaus kontrovers darüber berichtet. Immer wieder gibt es Bomben-Terror. Besonders in Zügen und Bussen und bei Versammlungen. Deshalb gibt es in Colombo auch ein Versammlungsverbot und massenhafte Checkpoints des Militärs, an denen wahllos die Autos und Menschen kontrolliert werden. … in Jaffna ist Ausgangssperre in der Dunkelheit. Am Sonntag wurde im Vanni – durch Tamilen kontrolliert – ein katholischer Priester in seinem Fahrzeug mit einer Bombe getötet. Eigentlich setzte er sich für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Die LTTE sagt, das war die Regierung mit einer Eingreiftruppe, die Regierung sagt, das waren die Rebellen. Wer war es nun??

Und auf der anderen Seite sind die Zeitungen mit den Nachrichten über die gestiegenen Lebensmittelpreise voll – dem „rice’ing“. Denn Sri Lanka muss Reis importieren und die Handelsbilanz wird immer negativer und die Inflation steigt. Der Krieg verschlingt 25% des Budgets, nicht gerechnet die nicht benutzbaren Felder im Norden und Osten, die alle vermint sind. Ich habe noch keine Antwort auf die Frage, wer die LTTE unterstützt, woher sie die Finanzen haben, ihre Waffen zu kaufen. Doch sicher gibt es da wieder Hinterleute, die an dem Konflikt gut verdienen, und wer badet es aus? – Richtig, die unbeteiligte Zivilbevölkerung.

Am Donnerstag sollte ich dann zum Flug nach PPD (Point Pedro) starten. Der Flug geht mit einer zivilen Airline von einem Militärflugplatz unter ganz großen Sicherheitsbedingungen. Doch wie es so kommt: Mit meinem Securitiy letter vom Min. of Defence stimmte etwas nicht, das Bestätigungsfax lag dem OiC (Officer in Charge) nicht vor. Er bemühte sich nach allen Kräften auch per Telefon, aber er konnte bis nachmittags im MoD niemand erreichen. Also musste ich dann nach 6 ½ Std. Warten wieder nach Hause. Allerdings waren auch die schon Durchgecheckten wieder heim geschickt worden, da der Flug aus militärischen Gründen gestrichen war.

In der Nacht habe ich einen der schlimmsten Regen in meinem Leben erlebt, eben ein erster Monsunsturm mit Gewitter und gewaltigen Wassermassen vom Himmel.

Am Freitag musste ich dann schon um 4:00 aufstehen, wieder warten am Sicherheits-Check, um 8:30 lag dann meine Clearance vor. Mit einem stickigen Bus ging es etwa 2 km weiter zur Gepäckkontrolle (die allerdings beim ersten Sicherheitscheck auch schon gründlichst durchgeführt worden war, dabei waren schon Handys und Fotoapp. getrennt von den Batterien aussortiert worden und in einen Extracontainer verfrachtet!), Leibesvisitation, dann flugmäßiges Einchecken mit Feststellen des Gepäck- und Körpergewichts, dann wieder warten, 50 m Rollfeld mussten wieder mit einem vollgepfropften Bus bewältigt werden, erneute Körperabtastung vor Besteigen des 2-motorigen Flugzeugs. Der Flug war ereignislos, leider hatte die beginnende Monsunzeit eine dichte Wolkendecke über die Insel gezogen.

Bei der Ankunft wieder Fahrt mit altem vollgestopftem Bus, diesmal mit geschlossenen und verhängten Fenstern – militärisches Gebiet(!) -, Kontrolle, Erstankömmlinge wie ich werden registriert und fotografiert, warten, wieder Busfahrt über 3-4 km Dirtroads bis zur Gepäckausgabe: mein Koffer war nicht dabei, er soll erst am nächsten Tag kommen. Aber der … Fahrer war da und fuhr mich dann die 25 km nach Point Pedro. Das Land ist sehr fruchtbar, überall sind Felder mit Chili, Tee und Tabak, Bananen-Plantagen und Palmen. Die Menschen haben kaum Autos, viele Fahrräder und Motorräder, meist mit 3 – 4 Personen beladen, die Frauen hinten im Damensitz, viele halten einen Schirm über sich und den Fahrer gegen die Sonne. Alle 200 – 300 m ist ein gesicherter Unterstand mit Soldaten, die aber einen sehr freundlichen Eindruck machen und das … Auto immer durchwinken (kontrolliert wird etwa alle 4-5 km, besonders an Straßenkreuzungen). Bis Donnerstag-Nacht waren etwa 20 km von hier heftige Kämpfe, nachdem die LTTE versucht hatte, einen Stützpunkt der SLA (Sri Lanka Armed Forces) anzugreifen. Sie wurden dann aber etwa 500 m selbst aus ihren eigenen Stellungen gezwungen. Vielleicht habt Ihr das in der Zeitung gelesen. Das Krankenhaus scheint davon aber nichts mit zu bekommen, da die Rebellen nach Süden und die Soldaten meist sofort mit ihren Ambulanzen nach Jaffna ins Lehrkrankenhaus transportiert werden.

Hier angekommen, bin ich freundlichst empfangen worden. Die Teamchefin (=FieldCo) Rita ist Deutsche, die Gynäkologin Yanti kommt aus Indonesien, der Anästhesist Skip aus Australien und die EU Emergency-Doktorin Natalie kommt aus GB. Der Chirurg „Bing“ kommt aus USA, Detroit, und ist sogar noch etwas älter als ich. Er wird am Sonntag Point Pedro verlassen und in die USA zurückkehren. Wir werden also noch 1 ½ Tage am WE zusammenarbeiten.

Danach habe ich dann erst einmal geduscht, mir frische Wäsche organisiert und mich durch Rita einführen lassen.

Die lokalen Mitarbeiter habe ich noch nicht ganz gespeichert, das wird etwas länger dauern. Aber sie sind alle sehr, sehr freundlich. Point Pedro Base Hospital – genauer: Manthikai Hospital Point Pedro – dient als Referenz Hosp. für 2 weitere kleinere Krankenstationen. Darüber ist dann das ca. 1000 Betten Lehrkrankenhaus in Jaffna. …

Der erste Tag im Hospital war ein ½ Tag, da samstags nur ½ gearbeitet wird. Ich werde mich gewöhnen müssen, mit Anästhesist zu arbeiten, mit allen Geräten der Überwachung, die ich bei meinen letzten Einsätzen vermisste. Damit ist zwar alles sicherer und besser, aber eben auch komplizierter. Wenn nämlich z.B. Natalie im Notfallraum zu viele allgemeine Notfälle hat – wie z.B. heute eben mit einer Frau mit partiellen Paralysen nach Schlangenbiss und 2 jungen Frauen mit suizidalen Vergiftungen – muss sie Patienten nach Jaffna Teaching Hospital bringen. Dann muss aber Skip, der Anästhesist, den Notfallraum weiter abdecken und damit kann es keine Ops. geben, zumindest nicht elektiv. Alles muss seinen geordneten Gang gehen, besonders in Sri Lanka Hospitals. Bisher wurden hier auch keine Knochen-Ops. durchgeführt, da es keine orthopaedic surgeons hier gab. Das Instrumentarium ist auch nicht ganz adäquat. Ob so etwas möglich sein wird, werde ich also sehen. Bis jetzt – der bisherige Chirurg hat mir erst gerade die Patienten übergeben und fliegt morgen – habe ich aber schon einmal eine Speiche reponiert (zur Freude des Anästhesisten in LA) und gegipst und einen kleinen Abszess geöffnet. Montag könnte eine Gallenblase dran sein.

Also: ich bin wieder im Geschäft unter sehr zivilen Bedingungen und ich denke ich werde die Zeit sehr gut überstehen.

Ich bin es ganz zufrieden und wir werden sehen, was die nächsten 6 – 8 Wochen bringen. Bis jetzt war es ja nur Information aus 2. Hand und das wenige Erleben meiner Ankunft.

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