Ärztliche Hilfe in Darfur 04

Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Darfur 2005/6.
Die politischen Gegebenheiten haben sich seither erheblich geändert.


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Teil 4

Mail vom 20.01.2006

… Meine Zeit in Darfur neigt sich dem Ende zu …

Was gibt es Neues:

Viele von Euch machen sich Gedanken um die Sicherheitslage in Darfur, da immer wieder einmal schlechte Nachrichten über die internationalen Nachrichtenkanäle verteilt werden. Das ist – wie vieles – relativ zu sehen. Die Lage war und ist angespannt, da viele Darfuriens keinen Fortschritt sehen, die Menschen ganz einfach weiter in ihrer armen Situation belassen
werden. Es bestehen Verhandlungs- und geographische Fronten, die sich kaum verändern. Sehr viele graue Zonen existieren, in denen lokal Mächtige ihre eigenen Geschäfte betreiben (Bandenkriege, Räubereien etc). Viele der Schussverletzten, die wir hier behandeln, klagen über Viehdiebstahl im Zusammenhang mit den Schießerein, Plünderungen und Räubereien. Jede Seite – sowohl die sudan. Regierung als auch die Rebellen – klagen bei Übergriffen
dieser Djanjawidhs die Gegenseite an. Fest scheint zu stehen, dass die Regierung ein Interesse an diesen Konflikten hat, da sie damit sagen kann, dass es sich um lokale Fehden handelt, die die internationale Staatengemeinschaft nichts angeht.

Internationale Korrespondenten kommen nicht nach Darfur, sie bekommen keine Travelpermits. Wenn überhaupt, kommen sie nach Khartoum, gelegentlich auch bis Nyala, die offizielle Hauptstadt der Provinz. Und dann werden die üblichen Bilder und Berichte aus dem großen Internally Displaced People Camp Kalma gezeigt, nichts aber über die tatsächlichen Problemgebiete. …

Der andere Informationskanal sind Internationale Organisationen. Da zuletzt Kofi Annan einen warnenden UN Bericht bezgl. Darfur losgelassen hat, tauchen wieder Berichte in den Nachrichten auf. Die Ursachen für diese Berichte liegen aber Monate zurück, konkret im September letzten Jahres. Zur Zeit scheinen wieder einmal Verhandlungen gestartet zu werden, wobei aber die Rebellen noch sehr zurückhaltend sind, da nur wenige ihrer Vorbedingungen erfüllt sind.

Überlagert wird das Ganze – wie so oft – durch internationale Probleme: Tschad klagt Sudan an, mit den Djanjawidhs den Tschad zu stabilisieren, unsere Rebellen hier tragen neue Unifomen und Waffen, die ganz so aussehen, als ob sie aus Libyen kommen. Und wie schon früher gesagt: hier soll es Öl geben, und Rechte wurden bereits nach China verkauft (?).

In unserem Bereich scheint es ruhig zu sein. Allerdings hatten wir (vor kurzem) ein Ereignis, das uns etwas beunruhigte: ein nicht zu indentifizierendes 2-motoriges Flugzeug in mittelhoher Höhe kreiste über dem Ort, gleichzeitig wurde aus dem Ort heraus zunächst mit Handfeuerwaffen, später auch mit schweren Waffen – mein noch Bundeswehr-geschultes Ohr meinte das einem Mörser zuordnen zu können – allerdings nur vereinzelt geschossen. Natürlich kann man mit Handfeuerwaffen und Mörser kein Flugzeug beschießen, aber die Koinzidenz und Nähe des Schießens hat uns irritiert. Der örtliche SLA Kommandeur meinte nur, es sei eine Party gefeiert worden, das Flugzeug hatte er gar nicht registriert.

Das Team ist gut, wir verstehen uns auch in gegensätzlichen Ansichten sehr gut, können gut miteinander. So macht die nie endende Arbeit Freude. … Wir haben mit unserem PC (Project Coordinator) Glück, da er schon fast 3 Jahre Sudan-Erfahrung … hat. Bei diesem System gibt es natürlich neben dem humanitären idealistischen Hintergrund auch viel Ehrgeiz, Machtspielchen, Eitelkeiten. Andere Projekte haben Probleme mit zu unerfahrenen PCs oder nicht akzeptierten PCs – erfahrene Pfleger/innen (engl. Nurses), die von Ärzten nicht ernst genommen werden. Schlimm wird es, wenn das Ganze noch mit Beziehungskisten zwischen PC und Nurse oder umgekehrt aufgemischt wird, und sachliche Probleme auf emotionaler Basis torpediert werden. Ein weiteres Problem liegt in dem großen logistisch-administrativen Apparat, der nötig ist… Administrativ tätige Mitarbeiter tun sich überall auf der Welt schwer, die Bedürfnisse der Medics an der „Front“ richtig einzuschätzen. Das kann zu Frust führen, wenn Wünsche einfach nicht verstanden werden, wenn medizin. Bedürfnisse nicht erkannt werden, wenn der Papier- und Statistikkram am Notebook ganze Tage frisst.

Gesundheitlich halte ich ganz gut durch, gelegentlich ein wenig Durchfall, gelegentlich ein wenig Schlaflosigkeit wg. kleinerer und größerer Sorgen um kleine und große Patienten und all der Geräusche auf der „Straße“: Ziegengemecker, Eselgeschrei, Geblöke von Kamelen und Kühen, Hähne und Hühner, Tauben, Generatoren, Menschenstimmen, Trommeln, Gekreische – das geht Tag und Nacht durch. Und die Kukulls sind aus Holz und Schilfmatten und Tücher dienen als Tür.

Mental wird es nach mehr als 8 Wochen etwas eng im wahrsten Sinn des Wortes, da wir aus Sicherheitsgründen auf das Hosp. und unseren Compound angewiesen sind. Es ist so gut wie nicht möglich – ohne offizielle Fahrt zu mobilen Clinics oder auf Transportfahrten zu Nachbarprojekten, für die ich als Chirurg kaum in Frage komme – den Ort zu verlassen. Da auch die Themen in den Gesprächen – obwohl wir uns gut verstehen – langsam ausgehen, da jeder seine eigene Welt hat und in anderen Themen zuhause ist, und alle beobachten, dass das Interesse der Freunde und Verwandten nach anfänglichem großen Interesse nachlässt und damit auch die Frequenz der privaten Post, wird das Lesen und DVD (= Glotze-Geniessen) zum Daseinszweck.

Doch alles geht vorüber, das ist keine Klage, eher ein Stimmungsbild. Weihnachten hat hier für uns nur ganz kurz ein wenig Weihnachtsstimmung gebracht, es fällt schwer bei mehr als 35 Grad und dieser urzeitlichen Umgebung unsere Vorstellung von Weihnacht umzusetzen. Doch unser PC Paul hatte für Dekoration, für kleine Geschenke gesorgt und uns mit hervorragendem Essen – selbst zubereitete Steaks und Folienkartoffeln auf dem Grill, Saucen und Salate – erfreut. Silvester haben wir mit der anderen NGO – Solidarites aus Frankreich – verbracht, eine Abwechslung mit anderen Gesprächen und Gesprächspartnern. Doch bei allen schimmerte ein wenig die Wehmut und das Heimweh durch.

Medizinisch sieht es so aus:

Bis jetzt sind ca. 160 Patienten durch meine chirurg. Verantwortung gegangen mit ca. 230 Ops. D.h. bei den chirurg. Notfällen, bes. den Schussverl. sind mind. 2 Eingriffe im Schnitt nötig. Von den Patienten waren 130 chirurg. (100 Notfälle), 12 gebh. Notfälle, 5 gyn. Notfälle, 5 urol. Notfälle (gestern ein 3-jähriges Kind mit einem gut 4 cm Durchmesser Blasenstein!). Von den chirurg. waren 60 Schussverl., 40 sonst. Notf. und Unfälle und 30 elekt. Patienten. Einige der Schussfrakturen sind bereits auf den Beinen, allerdings noch ohne Belastung. Das ist hier mit Krücken aus Holz, ohne Gummistopper, bei dem unebenen Betonboden der „Stationen“ und den Löchern und Hindernissen im Boden überall ein Risiko. Einer rutschte mit den Krücken auf Wasser aus und musste wieder in die Extension. Davon abgesehen ist es nicht ganz einfach die Festigkeit einer Fraktur ohne Rö. zu beurteilen, nicht zu reden von dem möglichen Infekt im Knochen. Ein Lungendurchschuss heilte binnen 4 Tagen gut aus, außer den initialen Todesfällen der abdominal Verletzten haben wir keine weiteren Todesfälle.

Der 15 j. Mohaidin, der eine Jejunumfistel entwickelte bei ganz offenem Bauch, hat sich in den letzten Tagen sehr gut erholt. Die große Wunde ist auf weniger als ein Viertel geschlossen, die Fistel sondert nur noch wenig ab und wird sich wohl bald schließen. Als er vorgestern zum ersten Mal mit Hilfe gehend (und nicht auf einer Trage getragen) zum Verbinden kam, war das ganze Hosp. und er selbst furchtbar stolz und glücklich. Die Patientin mit Tetanus ist uns wg. Ateminsuffizienz gestorben.

Anderen Patienten können wir nur wenig helfen: was tun mit Schlaganfall, Altersdemenz usw.?? Die Menschen hier – wie in anderen Teilen der Welt – glauben so intensiv an Medizin und Tabletten, dass ihnen solche eher sozial-familiären Probleme kaum zu erklären sind.

Betroffen waren wir vor 1 Wo. als wir von einem sehr entfernten Dorf zwei 12 und 13 j. Buben bekamen, die am Vortag in einer Schießerei verwundet wurden. Der eine hatte einen Unterarmdurchschuss mit Radiusfraktur der andere einen so zerfetzten Fuß und unteren Unterschenkel, mit Dreck verschmiert, beginnend infiziert und nur noch an ein paar Sehnen und einer Arterie, wenigen Venen und einem Nerv hängend, d.h. er hatte noch ein wenig
Gefühl in den Zehen. Eine Amputation war unvermeidlich. Inzwischen geht es beiden gut, die Wunden heilen ohne Infekt. Doch das nur zur Demonstration der Schwere der Verletzung. Beide Buben waren vollkommen cool, klagten nicht, versuchten ihr minimales Englisch an uns auszuprobieren. … (Der Eine akzeptierte) die Amputation ohne mit der Wimper zu zucken,
möchte ich sagen. Wir beide, Jim, der die Narkosen machte, und ich, waren fassungslos über das Nichtvorhandensein irgendeiner Traumareaktion, die sicher irgendwo in der Tiefe stattfindet. Die Eltern waren geschockt und reagierten, die Kinder nicht. Wie mächtig verändert die tägliche Gewalt die Seelen der Kinder? Es gehört zum guten Ton, Kleinkinder in Tarnanzüge an Feiertagen zu stecken, die sie sehr stolz herumtragen. Hier wächst die
nächste Generation der Rebellen heran, die – die Verletzung und den Tod vor Augen – die Gewalt fortführen wird – siehe oben!!!

Ich bin dankbar, dass unsere Kinder in einer weniger gewaltgewöhnten Welt aufwachsen, aber wir müssen aufpassen, dass nicht über andere Kanäle wieder die tief schlummernden Lösungsstrategieen geweckt werden, die auf Gewalt und Macht und Totalität fußen. Zuviele Rattenfänger laufen frei auf der Welt herum, die damit viel Geld verdienen.

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