Reizdarm

Artikel aktualisiert am 30. November 2023

Als Reizdarm oder Reizdarmsyndrom (Synonym: Irritables Darmsyndrom (IDS); engl.: irritable bowel syndrome (IBS)) wird eine Veranlagung zu Durchfällen oder Verstopfung bezeichnet, die phasenhaft in unterschiedlicher Ausprägung oder auch im Wechsel zutage tritt, und bei der man sonst keine andere Krankheit als Ursache findet. Oft ist es mit Blähungen und einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit des Darms verbunden. Je länger die Symptomatik geht, ohne dass sich eine sonstige Krankheit als Ursache zeigt, desto sicherer wird die Diagnose. Der Reizdarm geht oft mit einem Reizmagen (funktionelle Dyspepsie) einher. (1)World J Gastroenterol. 2023 Jul 14;29(26):4120-4135.

Reizdarmsyndrom – Neues
Reizdarm – einfach erklärt
Die Verdauung und ihre Regulation: Basics


Einteilung

Vielfach wird das Reizdarmsyndrom (IBS) je nach Stuhlverhalten in verschiedene Untergruppen eingeteilt: (2)Lancet. 2020;396:1675–1688. doi: 10.1016/S0140-6736(20)31548-8

  • IBS mit Durchfall (IBS-D),
  • IBS mit Verstopfung (IBS-C),
  • IBS mit gemischtem Stuhlmuster (IBS-M) und
  • IBS ohne Klassifizierung.

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Ursache und Entstehung

Es wird davon ausgegangen, dass eine genetische Veranlagung vorliegt und ein Auslöser (z. B. ein Darminfekt, s. u.) zur Symptomatik führt. Ein zentraler Mechanismus scheint eine pathologisch veränderte Reagibilität auf die Darmflora zu sein (3)J Neurogastroenterol Motil. 2012 Jul;18(3):258-68, die mit einer Undichtigkeit der Schleimhaut assoziiert ist. Die beobachtbaren Veränderungen und Folgen erstrecken sich auf den Darm selbst als auch auf das Gehirn.

Folgende Erkenntnisse nehmen eine Schlüsselstellung im Gesamtbild ein:

Familiäre Belastung, Genetik: Es gibt Hinweise auf eine genetische Prädisposition; eine familiäre Häufung ist bekannt. (4)Am J Gastroenterol. 1998 Aug; 93(8):1311-7 Es gibt inzwischen mehrere Gen-Kandidaten; darunter ist eine Assoziation mit einem Polymorphismus des Serotonin-Transporter-Gens festgestellt worden (5)Gut Liver. 2012 Apr;6(2):223-8. In einer genomweiten Studie wurde ein Genort (9q31.2 auf Chromosom 9) gefunden, der speziell bei Frauen mit dem Reizdarmsyndrom assoziiert ist. (6)Gastroenetrology July 2018 Volume 155, Issue 1, Pages 168–179

Barrierefunktion der Darmschleimhaut: Ein Defekt der Schleimhautbarriere wird als einer der wesentlichen Auslöser für das Reizdarmsyndrom angesehen. Bestimmte Bakterien können die Barrierefunktion offenbar besonders schädigen, andere, wie Lactobacillus rhamnosus GG, wiederherstellen. (7)Gut Microbes. 2018 Jul 24:1-18. doi: 10.1080/19490976.2018.1479625

Darmflora: Die Zusammensetzung der Bakterienstämme im Darm (Darmmikrobiom) von Patienten mit Reizdarm ist gegenüber Normalpersonen verändert: es wird eine signifikant erhöhte Zahl von Veillonella und Lactobacillus gefunden. Der Stuhl enthält laut einer Untersuchung zudem signifikant höhere Konzentrationen von Essigsäure und Propionsäure. (8)Neurogastroenterol Motil. 2010 May;22(5):493-8 Da aber das Mikrobiom stark abhängig ist von der Art der Ernährung und entsprechend nicht einheitlich als gesund oder normal eingeordnet werden kann, so bleiben heute eher folgende Aussagen als zutreffend übrig:

  • „Gesundes Mikrobiom“ ist gekennzeichnet durch eine hohe Diversität (Vielfalt) und eine ausreichende Menge an Butyrat-produzierenden Bakterien. Es zeigt eine Widerstandsfähigkeit gegen Störung und die Fähigkeit, nach einer Störung zu seiner ursprünglichen Zusammensetzung zurückzukehren.
  • Beim Reizdarmsyndrom dagegen ist die Diversität des Mikrobioms eingeschränkt und die Balance zwischen Mikrobiom und Wirt gestört.  (9)Nat Rev Microbiol. 2017 Oct;15(10):630-638. DOI: 10.1038/nrmicro.2017.58 Es wird daher auch als eine Krankheit des Darmmikrobioms angesehen. (10)Front Cell Infect Microbiol. 2020;10:468. … Continue reading

Entsprechend wird eine Stuhltransplantation (mit „gesundem Mikrobiom“) bzw. die Zufuhr geeigneter Bakterienspezies als eine potenzielle Therapieoption betrachtet. (11)Scand J Gastroenterol. 2021 Jul;56(7):761-769. DOI: 10.1080/00365521.2021.1915375.

Einfluss von Gallensäuren

Die in der Leber gebildeten primären Gallensäuren werden durch einige Bakterien (vor allem bestimmte Clostridien) in sekundäre Gallensäuren umgewandelt. Diese wirken je nach ihrer Struktur günstig oder ungünstig auf die Darmwand. Sie beeinflussen sowohl die Motilität, als auch die Schleimsekretion und zudem die Dichtigkeit des Epithels.

Bei Reizdarm mit überwiegendem Durchfall wurde ein signifikanter Anstieg der primären Gallensäuren im Stuhl und ein Rückgang des sekundären Gallensäuren gefunden. Entsprechend wurden vermindert solche Bakterienstämme im Darm gefunden, die primäre Gallensäure zu sekundären umwandeln. (12)J Neurogastroenterol Motil. 2022 Oct 30;28(4):549-561. DOI: 10.5056/jnm22129

Gallensäuren im Stuhl können als Marker dienen. Bei IBS-D waren Chenodesoxycholsäure (CDCA), Cholsäure (CA) und primäre Gallensäuren signifikant höher als bei Gesunden oder IBS-C. Dagegen war Desoxycholsäure (DCA) bei IBS-C signifikant niedriger als bei IBS-D. (13)Aliment Pharmacol Ther. 2019 Mar;49(6):744-758. Aufgrund der Gallensäurezusammensetzung des Stuhls kann möglicherweise ein jeweils individuelles Therapiekonzept aufgestellt werden. (14)Gut. 2023 Mar;72(3):590-599. doi: 10.1136/gutjnl-2022-328515

Bakterien und Antibiotika

Als Auslöser des Reizdarmsyndroms bzw. einer erneuten symptomatischen Phase kommen Bakterien und auch Antibiotika in Betracht: (15)World J Gastroenterol. 2022 Mar 28;28(12):1204-1219. doi: 10.3748/wjg.v28.i12.1204

  • Eine vorangegangene Antibiotikatherapie stellt ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Reizdamsyndroms dar. Es ist anzunehmen, dass sie zu einer Alteration der Kolonflora (Dysbiose) führt.
  • Eine akute Gastroenteritis (infektiöse Durchfallkrankheit) bildet ein erhöhtes Risiko. (16)BMJ. 1999 Feb 27;318(7183):565-6. doi: 10.1136/bmj.318.7183.565. PMID: 10037630; PMCID: PMC27756. (17)Exp Ther Med. 2020 Oct;20(4):3517-3522. doi: 10.3892/etm.2020.9018. Epub 2020 Jul 16. PMID: … Continue reading
  • Eine Infektion mit Mycobacterium avium subsp. paratuberculosis (oft durch Verzehr von handgemachtem Käse erworben) wird als mögliche Ursache eines Reizdarmsyndroms (wie auch des Morbus Crohn) diskutiert. (18)J Clin Microbiol. 2007 Dec;45(12):3883-90

Antibiotika können die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verschieben, so dass Keime aufkommen, die den Mix der Gallensäuren im Darm und damit die von ihnen abhängigen Eigenschaften des Darms und des Stoffwechsels (siehe hier) ungünstig beeinflussen.

Weitere Einflussfaktoren

Emotionaler Stress: Stress und neurotische Fehlhaltung sind als Auslöser möglich; psychologische Faktoren tragen offenbar zu einer veränderten Schmerzwahrnehmung bei (19)Scand J Gastroenterol. 2007 Apr;42(4):441-6, liegen aber nicht bei jedem Patienten vor. Heute wird die wechselseitige Beeinflussung von Gehirn und Darm (brain-gut axis) als gegeben angesehen.

Die Psyche scheint über diesen Weg vielfachen Einfluss auf Auslösung und Verlauf des Reizdarmsyndroms zu nehmen. Diskutiert wird, dass im Einzelfall traumatische Ereignisse und familiäre Belastungssituationen in der Kindheit, neurotische Entwicklung und Medikamenten- oder Drogenabhängigkeit eine Rolle spielen können. (20)World J Gastroenterol. 2012 Feb 21;18(7):616-26

Ursache kann sein, dass bei emotionalem Stress in bestimmten Regionen des Gehirns durch Fehlregulation ein Tryptophan- und Serotonin-Mangel (Serotonin: 5-Hydroxytryptamin; 5-HT) eintritt, der sich auch in einem erhöhten Schmerzempfinden und vermehrter Darmmotilität inklusive gesteigertem Stuhldrang auswirkt. (21)Eur J Gastroenterol Hepatol. 2012 Nov;24(11):1259-65 (22)Gut. 2011 Sep;60(9):1196-203.

Rolle von Serotonin: Darmmikrobiota beeinflussen über Mastzellen (Prostaglandin E2, PGE2) die Expression des mukosalen Serotonin-Wiederaufnahmetransporters beim Reizdarmsyndrom. Fäkales Lipopolisaccharid stimuliert zusammen mit Trypsin bei Patienten mit Reizdarmsyndrom Mastzellen der Schleimhaut, PGE2 freizusetzen. Dadurch wird die Schleimhaut-SERT (Serotonin-Wiederaufnahmetransporter) herunterreguliert, was zu einem erhöhten 5-HT in der Schleimhaut führt. (23)Gastroenterology. 2022 Jun;162(7):1962-1974.e6. DOI: 10.1053/j.gastro.2022.02.016 Interessant in diesem Zusammenhang ist es, dass ein genetischer Polymorphismus des Serotonin-Transportergens mit einem Reizdarmsyndrom assoziiert ist (s. o.).

Veränderte rektale Empfindlichkeit: Sie spielt bei vorherrschender Obstipation eine Rolle.

Hormonelle Beeinflussung. Eine prämenstruelle Verschlechterung deutet auf hormonelle Beeinflussungen.

Laktoseintoleranz: Eine Laktoseintoleranz stellt keine Ursache dar; sie sollte ausgeschlossen sein. Allerdings kann sie zu einer erheblichen Verschlechterung der Symptomatik bei Reizdarm führen.

Interkurrenter Darminfekt: Jeder Darminfekt und jede Darmentzündung geht mit einer Beeinflussung des Darmmikrobioms einher und kann bei einer entsprechenden Veranlagung ein Reizdarmsyndrom auslösen. So kann eine Salmonellenenteritis im Kindesalter ein Risikofaktor für das Reizdarmsyndrom im Erwachsenenalter darstellen. (24)Gastroenterology. 2014 Jul;147(1):69-77. DOI: 10.1053/j.gastro.2014.03.013 Eine Untersuchung zeigt, dass das Risiko eines Reizdarmsyndroms 4,2-fach erhöht ist, wenn innerhalb der letzten 12 Monate eine bakterielle Enteritis durchgemacht wurde. Ein Darmbefall mit Protozoen oder Parasiten führte besonders oft zu einem Reizdarmsyndrom. (25)Gastroenterology. 2017 Apr;152(5):1042-1054.e1. DOI: 10.1053/j.gastro.2016.12.039.

Interferon-Gamma: Die IFN-γ-mRNA-Spiegel in der Darmschleimhaut von PI-IBS-Patienten (PI: post infectionem) waren in einer Untersuchung signifikant höher als in der von Nicht-PI-IBSPatienten. (26)BMC Gastroenterol. 2012 Jul 20;12:91. doi: 10.1186/1471-230X-12-91 Das IFN-γ-Gen und die IFN-γ-Proteinexpression sind in der Dickdarmschleimhaut von Patienten mit Reizdarmsyndrom erhöht. IFN-γ reguliert die SERT-Genexpression (Serotonin-Wiederaufnahmetransporter) in vitro herunter und spielt daher wahrscheinlich eine Rolle beim veränderten Serotoninstoffwechsel in der Schleimhaut von Reizdarmpatienten. (27)Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2016 Mar 15;310(6):G439-47. doi: 10.1152/ajpgi.00368.2015

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Symptome des Reizdarms

Bauchschmerzen
Bauchschmerzen

Die Symptome des Reizdarms sind variabel sowohl unter den verschiedenen Patienten als auch innerhalb eines Krankheitsverlaufs. Es können Phasen vermehrter Gasbildung (Meteorismus), von Bauchschmerzen und von Durchfall (Diarrhö) oder Verstopfung (Obstipation) abwechseln oder wochen- bis monatelang vorherrschen. Oft sind die Beschwerden mit funktionellen Magenbeschwerden (Dyspepsie) kombiniert. Gelegentlich wird von Betroffenen berichten, dass die Reizdarmbeschwerden in der Folge einer infektiösen Durchfallkrankheit (Enteritis) entstanden.

Meteorismus: Es findet sich beim Reizdarmsyndrom eine signifikant vermehrte Gasproduktion gegenüber Normalpersonen, was mit der Ernährung wie auch mit der veränderten Darmflora zusammenhängt. Sie führt über eine Dehnung der Darmwand zu Schmerzen. Es besteht zudem eine erhöhte Empfindlichkeit auf Dehnungsreize.

Verändertes Schmerzempfinden: Eine gesteigerte intestinale Sensitivität (Schmerzwahrnehmung) sowie eine Dysfunktion des enterischen autonomen Nervensystems werden heute als wesentlich für die Symptomatik des Reizdarmsyndroms angesehen (28)J Physiol Pharmacol. 2007 Aug;58 Suppl 3:131-9 (29)Scand J Gastroenterol. 2007 Apr;42(4):441-6. Sie führen zu einer veränderten Motilitätsantwort auf Dehnung nach Nahrungszufuhr und durch Blähungen.

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Diagnostik

Lang anhaltende wechselhafte Bauchbeschwerden im Zusammenhang mit Blähungen und/oder Veränderung der Stuhlfrequenz und/oder Stuhlkonsistenz ohne sonstige Erkrankung eines Verdauungsorgans sind verdächtig auf das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms.

Im Wesentlichen handelt es sich bei ihm um eine Ausschlussdiagnose. Daher sind in aller Regel Untersuchungen erforderlich, um die wichtigsten organischen Erkrankungen und Stoffwechselkrankheiten, die als Differentialdiagnosen in Frage kommen, auszuschließen.

Dazu gehören: Laborwerte (Entzündungsparameter, Pankreaswerte (Lipase und Amylase) inklusive Elastase im Stuhl, Leberwerte, Gastroskopie, Koloskopie, H2-Atemtests auf Laktoseintoleranz, auf eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms und auf eine zu rasche Dünndarmpassagezeit (orozökale Transitzeit) ).

Bei negativen Ergebnissen der Voruntersuchungen sollten eine Nahrungsmittelallergie oder -unverträglichkeit ausgeschlossen (Ausschlussdiät) und ein Quantalan-Test auf Gallensäure-spill-over durchgeführt werden. Die Stufenleiter der Diagnostik muss individuell angepasst werden.

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Rom-Kriterien

Nach den Rom-II-Kriterien (30)Gut 1999; 45 Suppl 2: 43-47 sind zur Diagnose eines Reizdarmsyndroms folgende Kriterien zu berücksichtigen:

  • Beschwerden über mindestens 12 Wochen (kontinuierlich oder diskontinuierlich) innerhalb des letzten Jahres,
  • zusätzlich mindestens zwei folgender Kriterien
    • Veränderung der Stuhlfrequenz (zu selten oder zu häufig)
    • Veränderung der Stuhlkonsistenz (zu fest oder breiig/flüssig)
    • Symptombesserung nach Defäkation (Stuhlentleerung)

Die Rom-III-Kriterien (31)Gastroenterology 2006; 130: 1480-1491 beinhalten folgende Feststellungen:

  • abdominelle Beschwerden an mindestens 3 Tagen im Monat während der letzten 3 Monate mit Beginn insgesamt vor mehr als 6 Monaten

plus mindestens zwei der folgenden Kriterien

    • Besserung durch / nach Stuhlgang
    • Beginn in zeitlichem Zusammenhang mit Änderung der Stuhlfrequenz (häufiger / weniger häufig)
    • Beginn in zeitlichem Zusammenhang mit Veränderung der Stuhlkonsistenz (breiiger / fester)

Andere Ursachen (z. B. infektiös, tumorös etc.) müssen ausgeschlossen sein.

Die Prävalenz nach den Rom-III-Kriterien ist wesentlich höher als nach den Rom-II-Kriterien. (32)Eur J Gastroenterol Hepatol. 2007 Jun;19(6):441-7

Differenzialdiagnosen

Als Differenzialdiagnosen kommen in Frage:

Beim Reizdarmsyndrom können funktionelle Störungen (wie beispielsweise eine Laktoseintoleranz) zu einer Akzentuierung der Symptomatik führen. Funktionelle Störungen schließen also ein Reizdarmsyndrom nicht aus.

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Therapie des Reizdarmsyndroms

Die Therapie des Reizdarmsyndroms ist oft problematisch. Vielfach müssen verschiedene Ansätze nacheinander verfolgt werden. Folgende Behandlungsoptionen können erfolgreich sein:

  • Pfefferminzöl scheint eine Besserung (weniger Blähungen, Reduktion der Stuhlfrequenz) zu bewirken. Dies wird durch eine Cochrane-Bewertung von Studien unterstrichen. (33)Cochrane Database Syst Rev. 2011 Aug 10;(8):CD003460
  • Antidepressiva können über eine psychische Beeinflussung der Toleranz gegenüber Darmgas-bedingtem intestinalem Schmerz erhöhen. Die Wirkung bei IBS ist widersprüchlich. Antidepressiva waren in einer Bewertung von Studien im Hinblick auf Ansprechrate und Verringerung der gastrointestinalen Symptome wirksamer als Placebos. (34)Front Psychiatry. 2018 Dec 4;9:659. doi: 10.3389/fpsyt.2018.00659
  • Spasmolytika: Eine Übersicht zeigt eine Wirksamkeit für mehrere Substanzen, so für Trimebutin und Mebeverin. (35)Aliment Pharmacol Ther. 1994 Oct;8(5):499-510 Eine Cochrane-Bewertung deutet ebenfalls auf eine Wirksamkeit von Spasmolytika, so von Cimetropium/Dicyclomin, Pfefferminzöl, Pinaverium und Trimebutin. (36)Cochrane Database Syst Rev. 2011 Aug 10;(8):CD003460
    • Mebeverin: (z. B. Duspartal®) wird vielfach verwendet; es kann laut praktischer Erfahrung bei spastischer Komponente der Beschwerden eine Besserung bewirken.
  • Ondansetron: Ein 5-Hydroxytryptaminantagonist (Ondansetron) führte in einigen Fällen zu einer deutlichen Besserung.
  • Alosetron: Ähnlich wie Ondansetron verbessert dieser selektive 5-HT3-Rezeptorantagonist vielfach die Reizdarmbeschwerden. In einer randomisierten Studie sprachen bei einer Dosis von 0,5 bis 2 mg/d besserten sich die Beschwerden in etwa 50%, bei Placebo in ca 30%. Nach Therapieende verstärkten sich die Beschwerden wieder. Nebenwirkungen bestanden hauptsächlich in Obstipation; es wurden zudem einige Fälle einer ischämischen Kolitis beobachtet. (37)Am J Gastroenterol 2007; 102: 1709-1719
  • Fedotozin kann günstig wirken; die Wirksamkeit nimmt über die ersten Wochen zu.
  • Cisaprid wirkt häufig günstig bei Obstipation-dominiertem und nicht günstig bei Diarrhö-dominiertem Reizdarmsyndrom (Cisaprid ist wegen kardialer Nebenwirkungen bei Koronarpatienten vom Markt zurückgezogen worden). Nachfolgepräparat ist Prucaloprid.
  • Linaclotid (Constella®) beschleunigt die Darmpassage, erhöht die Flüssigkeitssekretion im Darm und erniedrigt die Schmerzempfindlichkeit des Darms auf Dehnung (z. B. durch Darmgase). Damit lindert die Beschwerden des Reizdarms mit überwiegender Obstipation und hebt die Lebensqualität deutlich.
  • Pregabalin: Pregabalin hebt die bei IBS-Patienten erniedrigte intestinale Schmerzschwelle auf etwa das normale Niveau an. Es senkt die intestinale Hypersensitivität und scheint eine Therapieperspektive darzustellen.
  • Entschäumer können helfen, die Darmgase (Meteorismus) zu reduzieren – aber nur für den Fall, dass Schaumbildung im Darm vorliegt.
  • E. coli Stamm Nissle (als Mutaflor im Handel) hat als Probiotikum in einigen Fällen eine günstige Wirkung auf Symptome des Reizdarmsyndroms (38)Med Klin 2007: 102: 888-892.
  • Ernährung: Bei der Personengruppe mit vermehrtem Meteorismus wirkt eine Ausschlussdiät günstig (ohne Milch-, Hefe- und Getreideprodukte, und unter Ausschluss von Früchten und Fruchtsäften, die zur Gasbildung führen). Die Kost sollte anschließend unter Beobachtung der Gasbildung bzw. der Verträglichkeit sukzessive wieder komplexer gestaltet werden. Was nicht vertragen wird, sollte gemerkt und weggelassen werden. Einseitigkeit der Kost ist jedoch möglichst zu vermeiden. Wenn Milch nicht vertragen wird: für genügend Kalzium (+ Vitamin D) sorgen. Wenn Obst nicht vertragen wird, Vitamine und Ballaststoffe zuführen.
    • FODMAP: Eine sich ausbreitende Diätrichtung (low FODMAP) berücksichtigt, dass Einfach- und Zweifachzucker sowie Oligosaccharide und Zuckeralkohole, die in den Dickdarm gelangen, zu Blähungen und Reizdarmsymptomen führen. Eine Metaanalyse von Studienergebnissen bestätigt die Wirksamkeit beim Reizdarmsyndrom. (39)Nutrients. 2017 Aug 26;9(9):940. doi: 10.3390/nu9090940. PMID: 28846594; PMCID: PMC5622700. In einer Metaanalyse von Studien war ein niedriger FODMAP-Gehalt bezüglich Schwere der Bauchschmerzen, Schwere der abdominellen Blähungen und der Stuhlgewohnheiten wirksam und belegte den ersten Rang. (40)Gut. 2022 Jun;71(6):1117-1126. DOI: 10.1136/gutjnl-2021-325214
  • Antibiotika: Da manche Patienten mit Reizdarmsyndrom eine Fehlkolonialisation des Darms oder eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms aufweisen, können Antibiotika zur Therapie infrage kommen. Nicht resorbierbare Antibiotika, wie Rifaximin, haben in Studien zu einer deutlichen Symptombesserung geführt (siehe hier). (41)Aliment Pharmacol Ther. 2012 Dec;36(11-12):1084-93
  • Stuhltransplantation: Zur Korrektur einer Dysbiose kann eine Stuhltransplatation in Frage kommen. Eine entsprechende Studie über 1 Monat wies eine überzeugende Besserung bezüglich Bauchschmerzen, Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz und -form nach. (42)Scand J Gastroenterol. 2021 Jul;56(7):761-769. DOI: 10.1080/00365521.2021.1915375. Eine andere Studie an Probanden mit überwiegender Blähungssymptomatik zeigte ähnliche Ergebnisse, allerdings ließen die positiven Effekte innerhalb eines Jahres nach. (43)Gastroenterology. 2021 Jan;160(1):145-157.e8. DOI: 10.1053/j.gastro.2020.07.013. Eine skandinavische Studie konnte keinen positiven Effekt nachweisen. (44)Scand J Gastroenterol. 2021 Jul;56(7):761-769
  • Psychologische Interventionen: Sie scheinen gute Effekte zu zeitigen. Eine kognitive und Verhaltenstherapie dient der eigenen bewussten Gegensteuerung krank machender auch innerer Einflüsse. Eine Hypnotherapie durch einen Therapeuten versetzt den Patienten in eine Art von Trance mit Tiefenentspannung zur Förderung kreativer Lösungen für Reizdarm-verstärkende Faktoren. Für Ablenkung, Entspannung und Yoga wurde ein signifikanter Effekt nicht nachgewiesen. (45)Arch Dis Child. 2020 Oct;105(10):938-944. doi: 10.1136/archdischild-2020-318825. Epub 2020 Mar 9. … Continue reading
  • Serotonin-Reuptake-Hemmer: Sie werden von der AGA-Leitlinie für die klinische Praxis 2022 nicht empfohlen. (46)Gastroenterology. 2022 Jul;163(1):118-136. doi: 10.1053/j.gastro.2022.04.016 Für Citalopram wurde früher allerdings festgestellt, dass es Bauchbeschwerden nach 6 bis 12 Behandlungswochen lindert. (47)Ann Pharmacother. 2014 Jun;48(6):777-84 Andere Studien verliefen negativ.
  • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: Duloxetin führte in einer Pilotstudie zu einer signifikanten Verbesserung gastrointestinaler Symptome sowie von depressiven Symptomen. Die Stärke der Bauchschmerzen bei IBS-Patienten nahm um 56 % ab. (48)J Clin Psychopharmacol. 2016 Dec;36(6):710-715. (49)Adv Biomed Res. 2021 Jun 28;10:14. doi: 10.4103/abr.abr_247_20.
  • Tenapanor: Dies ist ein Inhibitor des Natrium-Protonen-Austauschers NHE3 und hemmt bei oraler Verabreichung selektiv die Natriumaufnahme im Darm. Eine Studie belegt, dass es die IBS-C-Symptome (C: constipation, Verstopfung) über 26 Wochen verbessert und gut vertragen wurde. Nebenwirkung war eine in einigen Fällen auftretende vorübergehende Diarrhö. Tenapanor wird als neues Therapieprinzip für eine Langzeitbehandlungsoption angesehen. (50)Am J Gastroenterol. 2021 Jun 1;116(6):1294-1303. doi: 10.14309/ajg.0000000000001056

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Pragmatisches Vorgehen

Wenn bei einer sonst gesunden Person ohne besondere Gewichtsabnahme und bei normaler Blutsenkung der Verdacht auf ein Reizdarmsyndrom aufkommt, kann folgendermaßen pragmatisch vorgegangen werden:

  • Anamnese: Fragen nach Erkrankungen des Darms, des Pankreas oder der Leber; Verträglichkeit von Nahrungsmitteln, speziell von Milchprodukten; Prädisposition zu Gallensäuren-spill-over oder bakterieller Überwucherung des Dünndarms,
  • Klinische Untersuchung: Darmgeräusche, Resistenzen im Abdomen, Hernien, Hinweis auf Verwachsungen,
  • Laborwerte: Blutbild, Entzündungsparameter, Lipase, Leberwerte, ggf. Porphyrine),
  • Abdomensonographie: Leber, Gallenwege, Gallenblase, Pankreas, Darmwände, Raumforderungen.
  • Therapieversuch:
    • Wenn eine Besserung der abdominellen Beschwerden durch Ablassen von Darmgasen zustande kommt (Anamnese), sollte ein therapeutischer Versuch mit einem Entschäumer (hohe Dosierung) ggf. zusammen mit einem Enzympräparat und einer diätetischen Einschränkung (Vermeidung blähender Speisen) erfolgen. Das Enzympräparat dient einer beschleunigten Verdauung, was sich bei Hypermotilität des Darms und beschleunigter Dünndarmpassage günstig auswirkt: Ziel ist es dabei, die Nahrung rechtzeitig vor Eintritt in das Kolon aufzuschließen und resorbierbar zu machen.
    • Wenn der Eindruck einer larvierten Depression vorliegt, kann ein Versuch mit Amitryptilin (Kontraindikationen und Nebenwirkungen beachten!) sinnvoll sein. Eine Placebo-kontrollierte Studie besagt, dass niedrig dosiertes Amitriptylin (10 mg/d) als Zweitlinienbehandlung überlegen wirkt und gut verträglich war. Der subjektive Schweregrad (IBS-SSS score von 100 Punkten) sank um 27 Punkte (vs. -7 unter Placebo). (51)Lancet. 2023 Nov 11;402(10414):1773-1785. doi: 10.1016/S0140-6736(23)01523-4
    • Wenn an der Symptomatik eine intestinale Dyskinesie beteiligt sein kann, sollte – ggf. zusätzlich – Metoclopramid oder Domperidon, bei Hypermotilität (IBS mit überwiegenden Durchfälle) u. U. Loperamid in kleiner Dosierung versucht werden. Bei Verdacht auf ein spastisches Kolon kann der Versuch mit Hymechromon oder Mebeverin erfolgversprechend sein. Ein Therapieerfolg kann die Reizdarm-Diagnose untermauern.

Eine ausufernde Diagnostik, die häufig bis zu CT, MRT, hepatobiliärer Sequenzszintigraphie und MRCP führt, sollte anfangs möglichst vermieden werden.

Ex-juvantibus-Therapie

Wenn eine andere Erkrankung durch das ansonsten anhaltend gute Befinden sowie die oben genannten Untersuchungen weitgehend ausgeschlossen werden kann, kommt eine ex-juvantibus-Therapie in Betracht,

  • beginnend mit Umstellung der Kost mit Weglassen blähender und Stuhl-verändernder Bestandteile, ggf. Start mit einer Low-FODMAP-Kost
    • über Beeinflussung der Darmflora durch Probiotika,
      • und der Darmmotilität durch Medikamente (wie Domperidon, Loperamid oder Mebeverin), bei überwiegender Verstopfung Linaclotid,
        • sowie ggf. über Veränderung der Schmerzschwelle des Darms durch z. B. Pregabalin (Lyrica®),
          bzw. über Amitryptilin in niedriger Dosierung,

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Verweise

Patienteninfos

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Literatur

Literatur
1World J Gastroenterol. 2023 Jul 14;29(26):4120-4135.
2Lancet. 2020;396:1675–1688. doi: 10.1016/S0140-6736(20)31548-8
3J Neurogastroenterol Motil. 2012 Jul;18(3):258-68
4Am J Gastroenterol. 1998 Aug; 93(8):1311-7
5Gut Liver. 2012 Apr;6(2):223-8
6Gastroenetrology July 2018 Volume 155, Issue 1, Pages 168–179
7Gut Microbes. 2018 Jul 24:1-18. doi: 10.1080/19490976.2018.1479625
8Neurogastroenterol Motil. 2010 May;22(5):493-8
9Nat Rev Microbiol. 2017 Oct;15(10):630-638. DOI: 10.1038/nrmicro.2017.58
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