Inkretine

Artikel aktualisiert am 26. März 2024

Inkretine sind Peptide (kleine eiweißartige Moleküle), die in der Dünndarmwand auf Glukosereiz hin ausgeschüttet werden und den Energiehaushalt des Körpers regulierend beeinflussen. Sie unterdrücken das Hungergefühl und die Bildung von Glukagon und regen die von Insulin an. Zu ihnen gehören GIP (Glucose-dependent Insulinotropic Polypeptide) und GLP-1 (Glucagon-Like Peptide).  Chemische Analoga von GLP-1 haben Bedeutung in der Therapie der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) erlangt. (1)Lancet. 2006 Nov 11;368(9548):1696-705


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Das Wichtigste verständlich

Kurzgefasst
Inkretine sind körpereigene Substanzen, die die Insulinproduktion anregen und den Appetit senken. Sie werden in der Dünndarmwand gebildet, wenn Zuckerstoffe nach einer Mahlzeit ankommen, und geben der Bauchspeicheldrüse den Befehl, Insulin zu produzieren und den Blutzucker wieder zu senken.

Inkretine sind daher als Hormone eng in die Regulation des Blutzuckers eingebunden. Sie können jedoch nur dann wirksam werden, wenn die Bauchspeicheldrüse gesund ist und genug Insulin bilden kann.

Künstliche Inkretin-Abkömmlinge (Inkretinmimetika) finden zur Behandlung der Zuckerkrankheit (Typ-2-Diabetes) Verwendung. Vorteile dieser Medikamentengruppe sind, dass sie nicht zur Gewichtszunahme führen, eher eine Gewichtsabnahme fördern und kein Risiko einer Unterzuckerung bergen.

Physiologie

Inkretine sind Hormone der Darmwand, die auf den Reiz von Glukose hin innerhalb von Minuten eine Ausschüttung von Insulin bewirkt und helfen, den aufgenommenen Zucker rasch verwertbar zu machen (2)Ther Adv Endocrinol Metab. 2016 Feb;7(1):24-42. Die Existenz solcher Inkretine erklärt, dass Glukose, wenn sie (z. B. als Bestandteil der Nahrung) über den Darm zugeführt wird, zu einer deutlich höheren Insulin-Ausschüttung der Betazellen der Bauchspeicheldrüse führen als Glukose, die unter Umgehung des Darms direkt ins Blut infundiert wird.

Die Bildung der Inkretine wird im Wesentlichen durch die Einfachzucker Glukose und Fruktose angeregt. Stimulierend wirken aber auch nicht verdauliche Kohlenhydrate. Sie wird zudem durch das autonome Nervensystem des Darms und Cholecystokinin beeinflusst. Ihre Wirksamkeit ist abhängig von der Anwesenheit einer Hyperglykämie (3)Br J Nutr. 2005 Apr;93 Suppl 1:S147-56.

Inkretine werden über Rezeptoren der Beta-Zellen des Pankreas wirksam (4)Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57.

Interessanterweise soll auch das Gehirn die Fähigkeit besitzen, Inkretine, speziell GLP-1, zu bilden (5)Br J Nutr. 2005 Apr;93 Suppl 1:S147-56. Es besitzt in den verschiedensten Regionen GLP-1-Rezeptoren, sodass GLP-1 Gehirnfunktionen beeinflussen kann. Zu seinen zentralnervösen Wirkungen, die im Einzelnen noch nicht geklärt sind, gehört offenbar die Neuroprotektion (s. u.). Es wird vermutet, dass Inkretinmimetika zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen des Gehirns dienen können (6)Pharmacol. Res. 2022 Dec;186:106550. doi: 10.1016/j.phrs.2022.106550.

Beide Inkretine werden rasch durch die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP4) abgebaut.

Inkretine

Als Inkretine wurden GIP und GLP-1 identifiziert (7)Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57. Die Rezeptoren für GIP und GLP-1 sind unterschiedlich, aber verwandt. Die Aktivierung der Rezeptoren in den Inseln des Pankreas führt zu einer Glukose-abhängigen Insulinsekretion, Beta-Zell-Proliferation und ihrer erhöhten Resistenz gegenüber Apoptose.

GIP

GIP (glukoseabhängiges insulinotropes Peptid, auch „gastric inhibitory peptide“) wird in K-Zellen der Duodenalschleimhaut gebildet. Seine Wirkung nimmt bei Anstieg des Blutzuckerspiegels ab. GIP wird nur durch Glukose, nicht aber durch Fruktose stimuliert (8)Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2014 Apr 1;306(7):G622-30.

GIP bewirkt eine Überführung von Glukose in Fett des Fettgewebes sowie eine Stimulation der Knochenbildung (über Osteoblastenaktivierung) (9)Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57.

GLP-1

GLP-1 (glucagon-like peptide 1) wird in L-Zellen der Darmschleimhaut gebildet. Sie kommen vor im proximalen Dünndarm, aber auch im Ileums und Coecum. GLP-1 scheint für den Hauptanteil der glukoseabhängigen Inkretinwirkung verantwortlich zu sein. Die Bildung von GLP-1 wird durch Glukose der Nahrung und auch durch Fruktose stimuliert (10)Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2014 Apr 1;306(7):G622-30. Ihr Abbau erfolgt durch die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4). DPP4-Hemmer verlängern die Wirksamkeit von GLP-1.

GLP-1 ist an der Messung der Glukosekonzentration im Pfortaderblut durch das autonome Nervensystem beteiligt (11)Br J Nutr. 2005 Apr;93 Suppl 1:S147-56.

GLP-1 wird nicht nur in der Darmschleimhaut sondern auch im Gehirn gebildet. Es beeinflusst dort über seine Rezeptoren die kognitiven Fähigkeiten und das Gedächtnis (12)Exp Neurol. 2013 Jan;239:170-82.

GLP-1-Wirkungen

Wirkungen betreffend Zucker- und Energiestoffwechsel: GLP-1 führt zu einer verzögerten Magenentleerung sowie einer Hemmung der Glukagon-Sekretion. Es hemmt das Hungergefühl und fördert die Gewichtsabnahme (13)Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57.

Neuroprotektive Wirkung: GLP-1 wirkt neuroprotektiv und scheint zur Behandlung neurodegenerativer Krankheiten (u. a. Morbus Parkinson und Morbus alzheimer) in Frage zu kommen (14)Br J Pharmacol. 2012 Jul;166(5):1586-99 (15)J Endocrinol. 2014 Mar 7;221(1):T31-41. Liraglutid (ein GLP-1-Abkömmling) beispielsweise verbessert das Gedächtnis in Mausmodellen der Alzheimer-Krankheit (16)Neuropharmacology. 2014 Jan;76 Pt A:57-67. Inkretin-basierte Behandlungen werden für solche Erkrankungen als aussichtsreich betrachtet (17)J Diabetes Investig. 2016 Jan;7(1):5-16. GLP-1 wirkt sich zudem günstig auf Herzmuskelzellen bei diabetischer Kardiomyopathie aus (18)Mol Med Rep. 2016 Feb;13(2):1593-601.

Zusammengenommen übt  GLP-1 im Körper folgende Wirkungen aus:

  • Die Inselzellen werden zur Produktion von Insulin angeregt.
  • Die Glukagon-Produktion wird gehemmt.
  • Die Magenentleerung wird verlangsamt.
  • Der Appetit wird gebremst.
  • Kognitive Fähigkeiten und Gedächtnis werden erhöht.
  • Schädigungen des Gehirns wird entgegengewirkt (Neuroprotektion).

GLP-1 würde sich damit nicht nur für die Behandlung des Diabetes mellitus, der Adipositas und degenerativer Hirnkrankheiten eignen. Die kurze biologische Halbwertszeit steht dem jedoch entgegen. Entwicklungen zur Verlängerung der biologischen Wirkung haben zu GLP-1-Analoga geführt, den Inkretinmimetika (s. u.).

Inkretinmimetika

Inkretinanaloga wirken als GLP-1-Rezeptoragonisten. Von medizinischem Interesse sind Verbindungen, die durch die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) nicht oder nicht so schnell wie GLP-1 abgebaut werden und daher eine verlängerte biologische Halbwertszeit und Wirksamkeit aufweisen. Sie führen zu einer relativ guten HbA1c- und Gewichtskontrolle und senken das kardiovaskuläre Risiko. (19)Gastroenterology. 2007 May; 132(6):2131-57 (20)J Am Pharm Assoc (2003). 2009 Sep-Oct; 49 Suppl 1():S16-29. (21)Int J Cardiol. 2017 Aug 1; 240():414-421.

Es wurden GLP-1-Analoga entwickelt, die als GLP-1-Rezeptoragonisten und damit als Inkretinmimetika wirken. Durch sie wird die Inkretinbildung stimuliert, was wiederum zu einer Anregung der körpereigenen Insulinproduktion führt. GLP-1-Rezeptoragonisten spielen in der Behandlung vor allem der Anfangsstadien der Zuckerkrankheit eine Rolle. Wirksam sind sie nur solange die Inselzellen noch funktionsfähig sind und mit einer Insulinausschüttung reagieren können. Ihr Vorteil sind das sehr geringe Hypoglykämierisiko (siehe hier), die fehlende Gewichtszunahme (eher Gewichtsabnahme!) und zudem die neuroprotektive Wirkung bezüglich eines beim Diabetes erhöhten Risikos einer degenerativen Hirnschädigung (das Demenzrisiko ist beim Diabetes erhöht).

Beispiel Liraglutid: Liraglutid ist ein Glucagon-like-peptide-1-Receptoragonists (GLP-1RAs), der in einer „real-world“-Feldstudie gut vertragen wurde und als Zusatz zu anderen Therapien zu einer größeren Gewichtsabnahme (3.57 vs 1.25 kg) und HbA1c-Reduktion (– 0.80% vs – 0.32%) führte als die Therapien inkl. Insulin ohne Liraglutid. (22) 2019 Apr;10(2):683-696. doi: 10.1007/s13300-019-0583-9.

Verweise


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Literatur

Literatur
1Lancet. 2006 Nov 11;368(9548):1696-705
2Ther Adv Endocrinol Metab. 2016 Feb;7(1):24-42
3Br J Nutr. 2005 Apr;93 Suppl 1:S147-56
4Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57
5Br J Nutr. 2005 Apr;93 Suppl 1:S147-56
6Pharmacol. Res. 2022 Dec;186:106550. doi: 10.1016/j.phrs.2022.106550
7Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57
8Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2014 Apr 1;306(7):G622-30
9Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57
10Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2014 Apr 1;306(7):G622-30
11Br J Nutr. 2005 Apr;93 Suppl 1:S147-56
12Exp Neurol. 2013 Jan;239:170-82
13Gastroenterology. 2007 May;132(6):2131-57
14Br J Pharmacol. 2012 Jul;166(5):1586-99
15J Endocrinol. 2014 Mar 7;221(1):T31-41
16Neuropharmacology. 2014 Jan;76 Pt A:57-67
17J Diabetes Investig. 2016 Jan;7(1):5-16
18Mol Med Rep. 2016 Feb;13(2):1593-601
19Gastroenterology. 2007 May; 132(6):2131-57
20J Am Pharm Assoc (2003). 2009 Sep-Oct; 49 Suppl 1():S16-29.
21Int J Cardiol. 2017 Aug 1; 240():414-421.
22 2019 Apr;10(2):683-696. doi: 10.1007/s13300-019-0583-9.