Gestörte Glukosetoleranz

Artikel aktualisiert am 11. November 2023

Gestörte Glukosetoleranz (engl. impaired glucose tolerance) bedeutet unzureichende Regulation des Blutzuckers nach oraler Glukosezufuhr. Sie deutet auf eine schwache Insulinwirkung. Ursache ist eine Resistenz der peripheren Körperzellen gegen Insulin (Insulinresistenz). Der Nüchternblutzucker wird noch ausreichend einreguliert, aber unter Belastungsbedingungen (Blutzuckerbelastungstest) steigen die Zuckerwerte im Blut über das „erlaubte“ Maß an. Ein normaler Nüchternblutzucker lässt die gestörte Glukosetoleranz nicht erkennen. Menschen mit familiärer Belastung einer Zuckerkrankheit und stark Übergewichtige haben ein erhöhtes Risiko einer gestörten Glukosetoleranz und sollten mit einem Belastungstest diagnostiziert werden. (1)Diabetes Care. 2007 Mar;30(3):753-9. DOI: 10.2337/dc07-9920. (2)Diab Vasc Dis Res. 2005 Feb;2(1):9-15. DOI: 10.3132/dvdr.2005.007. (3)World J Diabetes. 2021 Jun 15;12(6):786-793. DOI: 10.4239/wjd.v12.i6.786.

Siehe auch Insulinresistenz – verständlich


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Das Wichtigste verständlich

Kurzgefasst

Gestörte Glukosetoleranz bedeutet, dass der Körper auf eine Erhöhung des Blutzuckers nach Zufuhr von Kohlenhydraten (Test: durch einen Glukosetrunk) nicht genügend mit einer Blutzuckersenkung reagiert. Normalerweise hält der Körper den Blutzucker in strengen Grenzen (siehe hier). Insulin ist das einzige blutzuckersenkende Prinzip, das der Körper zur Verfügung hat. Seine Wirksamkeit ist für die alltägliche Zuckerbelastung durch die Nahrung völlig ausreichend. Wenn jedoch die Wirksamkeit von Insulin abnimmt, erhöhen sich die Blutzuckerwerte nach Mahlzeiten über das gesunde Maß hinaus, und es beginnen krankhafte Veränderungen im Körper.  Sie sind der Grundstein für diabetische Folgeschäden, die vielleicht erst viele Jahre später zur vollen Ausprägung kommen. Daher ist es wichtig, so früh wie möglich eine gestörte Glukosetoleranz festzustellen.

Weitere Entwicklung: Im Laufe der Jahre nimm die Fähigkeit zur Glukoseverwertung allmählich ab. Bei Menschen mit familiärer Diabetes-Belastung und mit Fettsucht geschieht dies oft sehr viel früher. Ursache ist eine zunehmende Resistenz der Körperzellen gegen Insulin; sie nehmen Insulin schlechter wahr (periphere Insulinresistenz). Als Reaktion steigert die Bauchspeicheldrüse ihre Insulinproduktion bis an ihre Belastungsgrenze. Wenn diese schließlich schritten wird, entwickelt sich eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus). Ein frühzeitiger Blutzuckerbelastungstest kann oft schon viele Jahre vorher anzeigen, ob solch eine Entwicklung droht.

Folgen: Eine gestörte Glukosetoleranz bei noch normalem Nüchternblutzucker, also ohne Vorliegen eines manifesten Diabetes mellitus, führt bereits zu ersten Veränderungen an Blutgefäßen, Augen, Nerven und Nieren im Sinne einer diabetischen Angiopathie, Retinopathie, Neuropathie und Nephropathie (mehr dazu siehe hier).

Nachweis: Eine gestörte Glukosetoleranz wird durch einen oralen Glukosetoleranztest (oGTT) nachgewiesen, bei dem nach einem Zuckertrunk der 2-Stunden-Blutzuckerwert über einen festgelegten Grenzwert hinaus erhöht ist (Indikationen und Durchführung s. u.).

Bedeutung eines frühzeitigen Nachweises: Die frühzeitige Erkennung einer gestörten Glukosetoleranz, d. h. einer unter Glukosezufuhr nicht ausreichenden Blutzuckerregulation, sollte Anlass sein, die Lebensführung grundsätzlich zu überdenken und ggf. entscheidend zu ändern. Ziel ist es, der Entwicklung hin zu einer manifesten Zuckerkrankheit (Diabetesmellitus) vorzubeugen. Dies geschieht am effektivsten durch Umstellung der Ernährung und des Lebensstils.

Definition

Die Definition richtet sich nach den Leitlinien der Fachgesellschaften (4)Diabetologie 2008; 3 Suppl 2: S131–S133.

Eine gestörte Glukosetoleranz („impaired glucose tolerance“, IGT) liegt vor, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: der Nüchternblutzucker liegt unter 126 mg/dl plus der 2-Stundenwert des oralen Blutzuckerbelastungstests (oGTT) liegt zwischen 126 und 200 mg/dl (Messung im venösen Plasma oder im Kapillarblut).

Indikationen zur Prüfung auf eine gestörte Glukosetoleranz

Eine Untersuchung auf eine gestörte Glukosetoleranz durch den orale Glukosetoleranztest (oGTT) ist indiziert bei Patienten mit Nüchternblutzuckerwerten unter 126 mg/dl und folgenden Bedingungen:

Eine seltene Indikation ist die Diagnostik unerklärter Hypoglykämien. Hierbei wird nicht nur der Blutzucker, sondern auch Insulin und C-Peptid gemessen, um eine überschießende Insulinproduktion erkennen zu können.

Auch eine koronare Herzkrankheit sollte Anlass sein, den Glukosestoffwechsel zu überprüfen.

Test auf gestörte Glukosetoleranz

Eine gestörte Glukosetoleranz lässt sich durch einen Glukosetoleranztest erkennen.

  • Voraussetzung Nüchternheit.
  • Vor Beginn der Glukoseeinnahme wird der Blutzucker bestimmt (Kapillarblut bzw. venöses Blutplasma).
  • Einnahme von 75g Glukose als Probetrunk gelöst in z.B. 250 ml Wasser (bei Kindern 1,5 g pro kg Körpergewicht).
  • Bestimmung des Blutzuckers nach 1 und 2 Stunden. Bei der Diagnostik ungeklärter Hypoglykämien (s.o.) erfolgt auch nach 3 Stunden eine Blutabnahme.

Dazu siehe hier.

Ein Labormarker für eine gestörte Glukosetoleranz ist ein erhöhtes C-Peptid im Blut.

Interpretation

Eine gestörte Glukosetoleranz liegt vor, wenn

  • der Nüchternblutzucker zwischen 100 und 110 mg/dl (5,5–6,1 mmol/l) liegt, oder
  • der 2-Stundenwert (bei kapillärer Blutabnahme) zwischen 140–200 mg/dl (7,8–11,1 mmol/l) bzw. bei venöser Blutabnahme zwischen 120–180 mg/dl (6,6–10,0 mmol/l) liegt

(Vergl. Definition des Diabetes mellitus).

Bedeutung einer gestörten Glukosetoleranz

Eine gestörte Glukosetoleranz ist ein Risikofaktor für die Entstehung eines Diabetes mellitus und kardiovaskulärer Erkrankungen wie Arteriosklerose, koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt und Schlaganfall. (5)Diabet Med. 2010 Dec;27(12):1430-5. DOI: 10.1111/j.1464-5491.2010.03144.x. PMID: 21059096. Bereits in diesem frühen Stadium bei noch normalem Nüchternblutzucker beginnen mikrovaskuläre Veränderungen, die schließlich zum diabetischen Spätsyndrom führen. Die gestörte Glukosetoleranz wird bereits als Krankheit betrachtet. (6)Am J Cardiol. 2001 Sep 20;88(6A):16H-9H. DOI: 10.1016/s0002-9149(01)01832-x. PMID: 11576521. (Siehe auch unter Prädiabetes.)

Behandlung – Vorbeugung

Bei einer gestörten Glukosetoleranz ist zu empfehlen,

In einer Studie zeigte sich der Langzeiterfolg: Die kumulative Inzidenz eines inzwischen aufgetretenen Diabetes nach 6 Jahren betrug 67,7 % in der Kontrollgruppe, verglichen mit 43,8 % in der Diätgruppe, 41,1 % in der Gruppe mit körperlichem Training und 46,0 %  in der Diät-plus-Trainingsgruppe. (7)Diabetes Care. 1997 Apr;20(4):537-44. DOI: 10.2337/diacare.20.4.537. PMID: 9096977.

Pharmakologische Prävention: Eine frühzeitige Behandlung mit Metformin und Acarbose hat einen gewissen Effekt auf die Reduktion des Diabetes-Risikos. (8)Treat Endocrinol. 2002;1(4):205-10. DOI: 10.2165/00024677-200201040-00001. Für Metformin wurde im Diabetes Prevention Program (DPP) zusätzlich eine Reduktion der Entzündungsmarker (CRP) gefunden. (9)Diabetes. 2005 May;54(5):1566-72. DOI: 10.2337/diabetes.54.5.1566.

Verweise

 

Literatur

Literatur
1Diabetes Care. 2007 Mar;30(3):753-9. DOI: 10.2337/dc07-9920.
2Diab Vasc Dis Res. 2005 Feb;2(1):9-15. DOI: 10.3132/dvdr.2005.007.
3World J Diabetes. 2021 Jun 15;12(6):786-793. DOI: 10.4239/wjd.v12.i6.786.
4Diabetologie 2008; 3 Suppl 2: S131–S133
5Diabet Med. 2010 Dec;27(12):1430-5. DOI: 10.1111/j.1464-5491.2010.03144.x. PMID: 21059096.
6Am J Cardiol. 2001 Sep 20;88(6A):16H-9H. DOI: 10.1016/s0002-9149(01)01832-x. PMID: 11576521.
7Diabetes Care. 1997 Apr;20(4):537-44. DOI: 10.2337/diacare.20.4.537. PMID: 9096977.
8Treat Endocrinol. 2002;1(4):205-10. DOI: 10.2165/00024677-200201040-00001.
9Diabetes. 2005 May;54(5):1566-72. DOI: 10.2337/diabetes.54.5.1566.