Allergie

Artikel aktualisiert am 30. Juni 2023

Als Allergie wird eine immunologische Überempfindlichkeit des Körpers auf Substanzen bezeichnet (hypererge Reaktion), mit denen er mehr als einmal in Kontakt kommt. Die ursprüngliche Bedeutung war die einer andersartigen Reaktionsbereitschaft und beinhaltete auch eine mangelhafte Reaktionsbereitschaft („Hypoergie“); im Sprachgebrauch hat sich die Bedeutung meist auf die „Hyperergie“ begrenzt.

Als Allergene werden Substanzen bezeichnet, die ohne Verletzung der Körperoberfläche und ohne Infektion eine solche Reaktion auslösen.

Überempfindlichkeitsreaktionen
Das Immunsystem: Basics


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Häufigkeit

Allergien nehmen weltweit in den letzten Jahren zu. Etwa 40% der europäischen und nordamerikanischen Bevölkerung haben in ihrem Leben allergische Reaktionen. Dies betrifft nicht nur die klassischen Allergien Asthma und Rhinitis, sondern zunehmend auch Nahrungsmittelallergien. Parallel dazu wird auch eine Zunahme vieler Autoimmunkrankheiten festgestellt.

Es wird angenommen, dass das sich entwickelnde Immunsystem im Säugling extrem empfindlich auf die Veränderungen der Umwelt in industrialisierten Gebieten reagiert. Insbesondere sind Nahrungsmittelallergene in das Zentrum des Interesses gerückt. Sie haben weitgehende Auswirkungen auf das Verhalten des gesamten Immunsystems, so dass sie nicht nur Darmsymptome sondern auch ein allergisches Asthma hervorrufen können. (1)J Allergy Clin Immunol 2010; 126: 798.e13–806.e13

Einteilung

  • Allergische Reaktion vom Soforttyp (Überempfindlichkeitsreaktion Typ 1; zur Allergie siehe hier): Dieser Typ ist IgE-vermittelt. Das Allergen lagert sich an spezifisches Immunglobulin E, das auf Mastzellen und basophilen Granulozyten rezeptorgebunden vorliegt, an und vermittelt so deren Degranulation, d. h. eine Freisetzung von gespeicherten Mediatorstoffen (wie Histamin) und Serotonin und die Bildung von Interleukinen und Zytokinen wie TNF-alpha, Prostaglandinen und Leukotrienen, die zum klinischen Bild der Allergie führen – je nach betroffenen Organen mit Gefäßerweiterung (Folge: Rötung) und Erhöhung der Kapillarpermeabilität (Folge: lokale Ödeme (Angioödem), Juckreiz und Quaddelbildung bei der Urtikaria, Schleimsekretion (Folge: rasselnde Atmung, Heuschnupfen, tränende Augen) und Bronchospasmus (Folge: Atemnot beim allergischen Asthma), Anregung der Darmperistaltik (Folge dünne Stühle, Diarrhö). Als Auslöser können beispielsweise Medikamente, Nahrungsmittelallergene (z. B. Erdbeeren), Inhalationsallergene (z. B. Pollen, Hausstaub) und Kontaktallergene (z. B. Latex, Katzenhaare) fungieren. Typische Typ-1-Reaktionen sind das allergische Asthma, die allergische Rhinitis (allergischer Schnupfen), die allergische Conjunctivitis (allergische Bindehautentzündung) sowie die Nahrungsmittelallergie (abzugrenzen von der nicht-allergischen Nahrungsmittelunverträglichkeit). Eine extrem starke Reaktion liegt bei der „Serumkrankheit“ und beim „anaphylaktischen Schock“ vor. Die Bereitschaft zu einer IgE-vermittelten allergischen Reaktion vom Soforttyp an auch anderen Stellen als der Allergeneinwirkung wird als Atopie bezeichnet. Eine atopische Dermatitis kann anderen IgE-vermittelten Allergien, wie dem allergischen Asthma, vorangehen. (2)Immunol Rev. 2011 Jul;242(1):233-46
  • Allergische Reaktion vom verzögerten Typ (Überempfindlichkeitsreaktion Typ 4): Die übersteigerte Reaktion kommt durch eine Sensibilisierung bei einem Erstkontakt mit dem Antigen und eine Überreaktion nach erneutem oder bei prolongiertem Kontakt zustande. Hierzu gehören die Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantationen, die atopische Dermatitis (Neurodermitis), die exogen allergische Alveolitis und die Kontaktallergien.

Die Überempfindlichkeitsreaktionen Typ 2 und 3 sind ebenfalls immunologische Fehlreaktionen, zählen im Sprachgebrauch jedoch nicht zu den Allergien (dazu siehe hier).

Entstehung

Auch wenn offenbar eine familiäre Prädisposition zu allergischen Reaktionen besteht, wird heute den Umweltfaktoren eine Schlüsselrolle bei der Allergieentstehung zugesprochen. Entsprechend liegt hier auch das Schwergewicht bei der schon im Säuglingsalter einsetzenden Prophylaxe. (3)Ann Nutr Metab. 2011;59 Suppl 1:28-42

  • Mangelhafter Allergenkontakt im Kindesalter: Eine mangelhafte Auseinandersetzung des Immunsystems mit Allergenen der Natur in früher Kindheit vermag das Allergierisiko zu erhöhen.
  • Feinstaub kann die Entstehung von Allergien offenbar fördern.
  • Eine gestörte Darmflora ist mit der Entwicklung einer Allergie assoziiert: Eine Hypothese besagt, dass eine Veränderung der Darmflora durch Antibiotika (z. B. auch verborgen im Fleisch der Nahrung) zu einer veränderten Immunreaktion des Körpers führt und zur Allergie-Bereitschaft beiträgt. Dazu siehe auch hier.
  • Rauchen: Auch bereits können Faktoren, denen Mütter in der Schwangerschaft ausgesetzt sind, zur Allergie-Prädisposition ihres Kindes beitragen (4)J Allergy Clin Immunol 2009; 123: 774.e5–782.e5 (5)J Investig Allergol Clin Immunol 2010; 20: 289–294, darunter auch Rauchen. (6)Allergy 2003; 58: 1053–1058

Kinder, die später eine Atopie entwickeln, zeigen bereits in der neonatalen Entwicklungsperiode Unterschiede sowohl in der Darmflora (7)J Allergy Clin Immunol 2001; 107: 129–134 als auch im Immunsystem zu nicht allergisch prädisponierten Kindern. Es besteht eine Veränderung in der Zusammensetzung und Funktion der Lymphozyten, nämlich eine Unreife der Funktion von Typ-1-Helferzellen (Th1) sowie eine verminderte Funktion der T-regulatorischen Zellen und eine Bereitschaft zu überschießender entzündlicher Reaktion. (8)J Allergy Clin Immunol 2011; 127: 470.e1–478.e1 Die Prädisposition kann genetisch, aber auch epigenetisch verankert sein. (9)J Allergy Clin Immunol 2011; 127: 470.e1–478.e1 (10)Chest 2011; 139: 640–647

Diagnostik

Am Beginn steht eine ausführliche Anamnese nach den Symptomen (Hautrötung? Quaddeln? Juckreiz? Atemnot? Wässriger Schnupfen? Augenrötung? Durchfall?) und möglichen Allergenen (Pollen? Hausstaub? Waschmittel? Tierhaare? Erdbeeren oder andere Nahrungsbestandteile?). Bei einer Kontaktallergie ist das auslösende Agens oft leicht zu eruieren (z. B. Uhrenarmband), manchmal aber kann dies auch schwer sein (z. B. neues Waschmittel).

Es folgt die Bestimmung von Immunglobulin E (IgE) und der eosinophilen Granulozyten im Differenzialblutbild.

Wenn IgE erhöht ist, ist eine Suche nach dem auslösenden Allergen durch einen PRIC-Test (Hauttest auf Allergene) oder einen RAST (Labortest auf Allergen-Spezifität des zirkulierenden IgE) sinnvoll.

Therapie

Allergenvermeidung

Um eine akute allergische Symptomatik in den Griff zu bekommen, ist es am wichtigsten, das auslösende Allergen zu vermeiden.

Medikamente

  • Glukokortikoide können die überschießende immunologische Reaktion sowohl beim Soforttyp als auch beim verzögerten Typ unterdrücken.
  • Antihistaminika: Bei einer leichten allgemeinen und einer lokalen allergischen Reaktion können Kortikoide durch Anwendung von Antihistaminika oft vermieden werden.
  • Cromoglicinsäure wirkt als Mastzellstabilisator eher prophylaktisch als in einer akuten Situation therapeutisch.

Desensibilisierung

Eine De- bzw. Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie, SIT) führt beim Soforttyp (Typ 1) zu einer Normalisierung der immunologischen Reaktionsbereitschaft für das betreffende Allergen und damit zu einer Heilung. Die Hyposensibilisierung wird vom Allergologen durch subkutane Injektionen, sublinguale Tropfen oder in Tablettenform (Gräser-Impftablette) durchgeführt.

Beeinflussung über die Ernährung

Eine Umstimmung der Ernährung kann über Auswirkung auf die Darmflora zu einer Besserung der überschießenden Immunreaktionen führen. Allerdings sind die Studien zum Einfluss von Probiotika nicht alle konsistent; am ehesten wird Lactobacillus rhamnosus eine positive Wirkung gemessen an der Vorbeugung eines allergischen Ekzems zugeschrieben. (11)Ann Nutr Metab. 2011;59 Suppl 1:28-42

Vitamin D

Vitamin D übt eine immunregulatorische Funktion aus. Es scheint bei Einnahme durch die Mutter in der Schwangerschaft eine protektive Rolle für das Kind bezüglich allergisches Asthma (12)Pediatrics 2011; 127:e180–e187 und Heuschnupfen (13)Clin Exp Allergy 2009; 39: 875–882 zu spielen.

Psychosomatische Behandlung

Eine psychosomatische Begleittherapie scheint in einigen Fällen eine positive Wirkung auf den Verlauf einer allergischen Reaktionsbereitschaft zu entfalten. Im akuten Fall kann sie helfen mit einem Juckreiz oder einer Atemnot besser zurecht zu kommen.

Allergievorbeugung

Nach neueren Erkenntnissen ist es von erheblicher Bedeutung, eine gesunde Balance in der mikrobiellen Flora des Darms herzustellen. Die Rolle der Ernährung bei der Entwicklung einer gesunden Immuntoleranz und Vermeidung einer Allergie ist nicht zu unterschätzen. (14)Curr Opin Pediatr 2010; 22: 635–641 Sie hat bereits in der Schwangerschaft und bei der Säuglingsernährung anzusetzen (siehe oben).

Die Bedeutung der Brustmilchernährung von Säuglingen muss erkannt und bereits in den ersten Lebensmonaten umgesetzt werden. (15)Ann Nutr Metab. 2011;59 Suppl 1:28-42 (16)Isr Med Assoc J. 2012 Jan;14(1):58-62 Eine ergänzende Zusatzkost sollte erst ab dem 4. – 6. Monat erfolgen; erfolgt sie früher, steigt das Risiko einer Allergie. (17)Pediatrics 2006; 117: 401–411 Eine Verzögerte Zufuhr von Getreide über den 6. Lebensmonat hinaus erhöht das Risiko ebenfalls, wie an der Weizenallergie festgestellt wurde. (18)Pediatrics 2006; 117:2175–2182

Pseudoallergie

Die nicht allergische Hypersensitivität wird auch als Pseudoallergie bezeichnet. Symptome wie bei einer Allergie können auch durch nicht-immunologische Aktivierung von Mastzellen und Basophilen erfolgen; die pathophysiologische Endstrecke entspricht der einer immunologischen Auslösung durch Allergene. Häufige Auslöser einer Pseudoallergie sind Medikamente (19)Pharmacology. 2018;101(1-2):104-110. doi: 10.1159/000479878., Röntgenkontrastmittel, Dextran, NSAR, Salizylate oder Konservierungsstoffe von Nahrungsmitteln. (20)Med Princ Pract. 2022;31(6):501-515. DOI: 10.1159/000527481

Verweise

 


Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)


 

Literatur

Literatur
1J Allergy Clin Immunol 2010; 126: 798.e13–806.e13
2Immunol Rev. 2011 Jul;242(1):233-46
3Ann Nutr Metab. 2011;59 Suppl 1:28-42
4J Allergy Clin Immunol 2009; 123: 774.e5–782.e5
5J Investig Allergol Clin Immunol 2010; 20: 289–294
6Allergy 2003; 58: 1053–1058
7J Allergy Clin Immunol 2001; 107: 129–134
8J Allergy Clin Immunol 2011; 127: 470.e1–478.e1
9J Allergy Clin Immunol 2011; 127: 470.e1–478.e1
10Chest 2011; 139: 640–647
11Ann Nutr Metab. 2011;59 Suppl 1:28-42
12Pediatrics 2011; 127:e180–e187
13Clin Exp Allergy 2009; 39: 875–882
14Curr Opin Pediatr 2010; 22: 635–641
15Ann Nutr Metab. 2011;59 Suppl 1:28-42
16Isr Med Assoc J. 2012 Jan;14(1):58-62
17Pediatrics 2006; 117: 401–411
18Pediatrics 2006; 117:2175–2182
19Pharmacology. 2018;101(1-2):104-110. doi: 10.1159/000479878.
20Med Princ Pract. 2022;31(6):501-515. DOI: 10.1159/000527481