Darmflora

Artikel aktualisiert am 8. August 2023

Als Darmflora wird die Gesamtheit der im Darm, speziell im Dickdarm befindlichen Bakterien bezeichnet. Die Bakterienmasse im Dickdarm von 1-1,5 kg (etwa 1014, also 10 Millionen mal 10 Millionen Bakterien) mit über 36000 verschiedenen Spezies übertrifft die Zahl der Körperzellen um das Vielfache. (1)J Gastroenterol. 2011 Apr;46(4):479-86

Mikrobiom.


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Funktion der Darmflora, Übersicht

Die Darmflora ist nicht nur ein „Resteverwerter“ sondern nützt in vielfältiger Weise dem Körper. Die aktuell vorliegende Zusammensetzung der Darmflora eines Menschen wird als dessen Mikrobiom bezeichnet.

Die Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst das körpereigene Immunsystem entscheidend. Sie ist individuell sehr unterschiedlich. Körper und Darmbakterien bilden eine Symbiose, von der beide profitieren. In gesundem Zustand besteht eine gewisse Immuntoleranz gegenüber den Darmkeimen. Siedeln sich Krankheitserreger an, kommt es dagegen zu einer Abwehr durch das Immunsystem mit lokaler und ggf. auch systemischer Entzündungsreaktion. Auch bei gestörter Immunantwort des Körpers kommt es zu einem Ungleichgewicht zwischen bakteriellem Angriff und Abwehr mit Krankheitsauswirkung.

Die Artenvielfalt und Zusammensetzung der Darmflora ist abhängig von den Arten, die vom Immunsystem des Körpers toleriert werden, aber auch von der Ernährung. Ungesunde Ernährung kann über eine Veränderung der Zusammensetzung der Darmkeime über nachteilige Veränderung des Immunsystems zu Krankheiten führen.

Bei chronischen Darmkrankheiten finden sich beispielsweise anhaltend abnorme Veränderungen der Darmflora (Dysbiose), was die Lokale Abwehr der Darmschleimhaut schwächt und die Bereitschaft des Körpers zu Infektionen und pathologischen Entzündungsreaktionen fördert. (2)Autophagy. 2020 Jan;16(1):38-51. DOI: 10.1080/15548627.2019.1635384 (3)Comput Struct Biotechnol J. 2023 Mar 25;21:2215-2227. doi: 10.1016/j.csbj.2023.03.017 (4)J Leukoc Biol. 2020 Sep;108(3):925-935. doi: 10.1002/JLB.3MR0720-472RR

Umgekehrt kann eine spezielle Diät therapeutisch wirksam sein. Beispielsweise können Probiotika einige Darmkrankheiten mildern oder verhindern (siehe ausführlich auch hier), oder eine Elementardiät kann einen akuten Schub eines Morbus Crohn verkürzen (siehe hier).

Inzwischen weiß man, dass eine Umstellung der Ernährung auf eine gesunde Diät bei entzündlichen Darmkrankheiten nicht nur die Zusammensetzung der Darmflora günstig beeinflusst, sondern auch zu einem Abfall der Entzündungsmarker in der Darmschleimhaut und im Blut führt (siehe hier).

Hauptkeime

Die Darmflora übt eine Reihe von Funktionen aus; die Hauptfunktionen sind:

  • Verdauung und Abbau von Nahrungsbestandteilen, die im Magen und Dünndarm nicht vollständig enzymatisch zersetzt und resorbiert wurden.
  • Bildung von Vitaminen (z. B. in probiotischen Nahrungsmitteln).
  • Beeinflussung des Immunsystems des Darms und des gesamten Körpers.

Proteolytische Bakterien bewirken eine Restverdauung von Eiweiß. Dazu gehören z. B. Bacteroides, Proteus, E. coli, Clostridium und von Kohlenhydraten sacchacholytische (zuckerspaltende) Bakterien, z. B. Bifidobacterium, Lactobacillus, Streptokokkus faecalis. Mit dem Alter erhalten E. coli, Enterokokken und Clostridien zunehmende Bedeutung.

Zu den gramnegativen Bakterien des Kolons gehören E. coli, Proteus, Enterobacter, Serratia, Yersinien und Salmonellen. Unter den Coli-Bakterien finden gibt es neben den physiologischen auch pathogene Stämme (z.B. EHEC).

Erstbesiedlung des Darms bei Neugeborenen

Die Erstbesiedlung des Darms beim Säugling erfolgt ganz vorzugsweise durch bestimmte Clostridien und Coli-Bakterien, die eine Reihe lokaler Funktionen übernehmen. Sie „trainieren“ das darmeigene Immunsystem (GALT, gut associated lymphoid tissue) und erhöhen damit den Schutz vor pathogenen Keimen („mikrobielle Barriere“). Sie beeinflussen zudem das systemische Immunsystem. Ihre Stoffwechselprodukte beeinflussen den Stoffwechsel der Darmschleimhaut (Mukosa).

Pathogene Darmkeime

Zu den pathogenen (krankmachenden) Darmkeimen gehören Salmonellen, Shigellen, Yersinien, Campylobacter, Clostridium difficile, verschiedene enteropathogene (enterotoxische oder enterohämorrhagische) Kolibakterien, die alle eine Diarrhö (Durchfallkrankheit) auslösen können. In tropischen Ländern mit geringer Hygiene kommen eine Reihe anderer pathogener Keime vor, die bei Reisenden ebenfalls zu Durchfallerkrankungen führen (z.B. Cholera-Vibrionen). Sie werden in der Stuhlkultur nachgewiesen. Einige können jedoch auch indirekt durch Antikörperbestimmung im Serum bestimmt werden.

Darmflora und extraintestinale Krankheiten

Das Immunsystem des Darms und des Körpers kann durch „gesunde“ Darmflora gestärkt und durch pathogene Darmkeime geschwächt werden. Die Zusammensetzung der Darmflora spielt auch bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten und der Arteriosklerose eine entscheidende Rolle. Mehr dazu siehe hier.

Bakterielle Überwucherung des Dünndarms

Darmkeime sind physiologische (normale) Besiedler des Dickdarms. Wenn sie in größerer Menge auch im Dünndarm vorkommen, können sie dagegen zu erheblichen abdominalen Beschwerden und Durchfällen führen.

Die Ursachen einer „bakteriellen Überwucherung des Dünndarms“ können vielfältig sein. Zu ihnen gehören u. a. eine Abwehrschwäche des Körpers, Stenosen im Dünndarmbereich, eine „blinde Schlinge“ oder sonstige Zustände nach Darmoperationen oder Subilieuszustände. Therapeutisch kommt Metronidazol oder Rifaximin in Betracht. Mehr dazu siehe hier.

Darmflora und Reizdarm

Durch Darmbakterien können in der Mukosa des Darms die Bildung von Zytokinen (TNF-alpha, IL-1ß) angeregt oder gehemmt werden. Folgen können eine Barrierestörung und entzündliche Reaktionen sein. (5)Gastroenterology 2000; 119: 1188 Eine viscerale Hypersensilbilität (Überempfindlichkeit des Magendarmtrakts) scheint ebenfalls komplex damit zusammenzuhängen. Experimentelle Befunde zeigen eine Beeinflussung der Darmmotorik durch E. coli Stamm Nissle. (6)Z Gastroenterol 1997; 35: 832-833 Solche Befunde sprechen dafür, dass das Reizdarmsyndrom mit der Darmflora zusammenhängt. Dazu passt die Beobachtung, dass ein Reizdarmsyndrom oft durch einen Darminfekt ausgelöst oder verschlimmert wird (siehe hier).

Darmflora und Ballaststoffe

Ballaststoffe werden von Bakterien verstoffwechselt. Unter den entstehenden Produkten wirken einige protektiv auf das Kolon, wie z. B. Butyrat, welches einen Tumor-unterdrückenden Signal-Pathway fördert. (7)Ann Surg. 2006 May;243(5):619-25; discussion 625-7 Ballaststoffe können vor Darmkrebs schützen.

Darmflora und Darmgase

Die Neigung zur Entwicklung von Darmgasen (Meteorismus) hängt mit der Ernährung und der Darmflora zusammen. Bakterien des Dickdarms zersetzen die im Dünndarm nicht verdauten Nahrungsbestandteile, insbesondere die verdauliche Ballaststoffe, und produzieren dabei Darmgase. Die Dehnung der Darmwand durch die Gase kann schmerzhaft sein und verstärkt abdominelle Missempfindungen beim Reizdarmsyndrom (siehe hier).

Probiotika

Probiotika sind definierte Bakterienspezies mit günstiger Wirkung auf den Körper. Sie werden bei einigen Krankheiten prophylaktisch und therapeutisch eingesetzt. Inzwischen kennt man weitgehend ihre Wirkungsweise. Dazu siehe hier. Präbiotika dagegen sind Substanzen, welche die Bakterienflora, vor allem die „guten“ Bakterien, fördern und damit indirekt auf die Darmschleimhaut, das Immunsystem und chronische Entzündungsreaktionen im Körper günstig wirken (siehe hier).

Stuhltransplantation

Da Darmbakterien einen erheblichen Einfluss auf das Immunsystem des Menschen ausüben, wird angenommen, dass die Immunreaktion des Körpers durch die Veränderung der Dickdarmflora beeinflusst werden kann. Die Einführung von Bakterienaufschwemmungen aus Stuhl gesunder Personen kann bei bestimmten Krankheiten (wie einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit) eine therapeutische Wirkung erzielen (siehe hier).

→ Mehr zur bakteriellen Besiedlung des Darms siehe hier.


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Verweise

Fachinfos

Patienteninfos

 

Literatur

Literatur
1J Gastroenterol. 2011 Apr;46(4):479-86
2Autophagy. 2020 Jan;16(1):38-51. DOI: 10.1080/15548627.2019.1635384
3Comput Struct Biotechnol J. 2023 Mar 25;21:2215-2227. doi: 10.1016/j.csbj.2023.03.017
4J Leukoc Biol. 2020 Sep;108(3):925-935. doi: 10.1002/JLB.3MR0720-472RR
5Gastroenterology 2000; 119: 1188
6Z Gastroenterol 1997; 35: 832-833
7Ann Surg. 2006 May;243(5):619-25; discussion 625-7