Schock

Artikel aktualisiert am 28. September 2023

Schock ist ein kritischer Kreislaufzustand mit Blutdruckabfall und reflektorischer Herzbeschleunigung (Tachykardie). Er ist immer lebensbedrohlich. (1)Br J Nurs. 2022 Apr 21;31(8):422-428. DOI: 10.12968/bjon.2022.31.8.422


Pathophysiologie

Beim Schock besteht ein Missverhältnis von Blutvolumen und Größe des im Kreislauf zur Verfügung stehenden Gefäßbetts. Das Blutstrombett ist größer als das Blutvolumen.

Die Ursachen des lebensbedrohlichen Blutdruckabfalls sind entweder

  • ein Prozess, der zu einer Erweiterung des Gefäßbetts (Blutgefäßerweiterung) führt, dem die normalerweise gegenregulatorischen Mechanismen (Aktivierung des Sympathicus und das RAAS) nichts entgegenzusetzen haben, wie bei einer bakteriellen Blutvergiftung (septischer Schock),
  • ein Flüssigkeitsverlust, speziell ein Blutverlust, dem durch reaktive Verengung des Gefäßbetts (Folge blasse Haut) nicht genügend gegengesteuert werden kann (Blutungsschock),
  • ein Herzversagen (Pumpversagen mit Leistungsabfall).

Der Abfall des Blutdrucks im Schock führt zu einer drastischen Mangeldurchblutung des Körpers. Durch die Hypoperfusion der Organe, speziell von Herz, Nieren und Gehirn, kommt es rasch zu zellulären Funktionsstörungen und sekundären Symptomen, wie Kreislaufschwäche (die den Schock rasch verstärkt), Nierenvergiftung (was zur Notwendigkeit einer Dialyse führt, die aber bei dem niedrigen Blutdruck nicht durchführbar ist), und Bewusstseinseintrübung bis Bewusstlosigkeit. Ein Multiorganversagen wird kaum überlebt.


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Schockindex

Zur groben Orientierung über die Kreislaufsituation wird der Schockindex verwendet (Herzfrequenz / systolischer Blutdruck). Liegt der Index über 1,0, so liegt Schockgefahr vor. Je höher er ist, desto größer ist die Schockausprägung. Beispiel: Herzfrequenz 120, Blutdruck 80/min: Schockindex: 120 / 80 = 1,5.

Ursachen

Das klinische Bild lässt zwei Hauptformen des Schocks unterscheiden:

  • roter Schock, warme, gefäßerweiterte Peripherie, Haut livide (rötlich-bläulich), blutgefüllt,
  • weißer Schock: kalte, weiße, gefäßerverengte Peripherie, Haut blutleer.

Den Erscheinungsformen liegen unterschiedliche Ursachen zugrunde.

Schock mit weiter Peripherie

Schockzustände, bei denen eine Erweiterung der peripheren Blutgefäße (Arterien, Arteriolen, venöses Stromgebiet) zu einem Blutdruckabfall führt, weisen bei der klinischen Untersuchung eine warme und gerötete Haut auf. Der „rote Schock“ lässt sich folgendermaßen einteilen:

  • Anaphylaktischer Schock: Immunogene (Allergene) führen zur Freisetzung von Mediatoren, wie Histamin, Bradykinin und Serotonin, die eine Gefäßerweiterung und den Schock bewirken.
  • Septischer Schock: Er kommt durch eine systemische Entzündungsreaktion des Körpers auf bakterielle Erreger zustande. Ohne nachweisbaren Erreger wird die Reaktion als SIRS (systemic inflammation response syndrome) bezeichnet. Es herrschen ein niedriger Blutdruck bei erweiterten peripheren Gefäßen (bedingt durch bakterielle Endotoxine und NO) und eine reflektorische Tachykardie vor. Meist liegt eine Zellhypoxie mit Bildung von Laktat (Laktatazidose) trotz guter Blutoxigenierung vor. Ursachen sind i.d.R. gramnegative Infektionen. Häufige Erreger sind E. coli, Bacteroides, Klebsiellen, Pseudomonas, und Haemophilus, sowie Staphylokokken und Meningokokken,. Über Mediatorstoffe, wie Interleukin-1 (IL1), werden viele Symptome, wie Fieber, Inappetenz, eine Abnahme der Bildung von Albumin in der Leber und eine Stimulierung der Granulozytenbildung vermittelt. Bradykinin und TNF-alpha bewirken Gefäßdilatation und Organversagen. Mehr zum septischen Schock siehe hier.
  • Toxischer Schock: Er kommt durch bakterielle Exotoxine von Staphylokokkus aureus und Streptokokkus pyogenes zustande. Das „toxic shock syndrom“ (TSS) trat eine Zeit lang gehäuft bei Frauen bei Menstruation, die Tampons verwendeten, gehäuft auf (siehe auch hier). Die Symptome bestehen in Fieber, Diarrhö, Hypotonie und münden in einem Organversagen.

Schock mit enger Peripherie

Schockzustände, bei denen eine Verengung der peripheren Blutgefäße und zudem eine Tachykardie und ein Blutdruckabfall vorliegen, weisen bei der klinischen Untersuchung eine weiße, blutarme und kalte Haut auf.

Der „weiße Schock“ lässt sich folgendermaßen einteilen:

  • Hypovolämischer Schock: Er kommt durch Flüssigkeitsmangel zustande, z. B. bei starkem Schwitzen, Mangel an trinkbarer Flüssigkeit. Der hämorrhagische Schock ist eine besondere Form des hypovolämischen Schock (bedingt durch Volumenmangel, s. u.).
  • Hämorrhagischer Schock: Er ist eine Sonderform des hypovolämischen Schocks und kommt durch Blutverlust zustande, z. B. durch eine Blutung bei Gefäßverletzung (traumatisch) oder Arrosion von Gefäßen (z. B. durch einen Tumor), nach außen, in den Darm (Ulkus, Ösophagusvarizen), in die Leibeshöhle, ins Gewebe (großer Bluterguss, hämorrhagische Pankreatitis), innerliche Blutung bei Extrauteringravidität.
  • Kardiogener Schock: Durch einen Forward-Failure bei Linksherzinsuffizienz kommt es zu einer erniedrigten Füllung des arteriellen Schenkels der Blutbahn mit Hypotonie und reaktiver Aktivierung des RAAS. Die adrenerge Stimulation bewirkt eine Tachykardie und eine Engstellung der peripheren Blutgefäße. Ursachen können eine koronare Herzkrankheit, eine myokardiale Erkrankung (z. B. Myokarditis), ein Klappenfehler (z. B. Mitralinsuffizienz oder Aortenstenose) oder eine Perikardtamponade sein. Eine Anämie verstärkt die Herzinsuffizienz. Es kommt zur Orthopnoe (Atemnot im Sitzen), Kaltschweißigkeit und Somnolenz.
  • Schock bei Lungenembolie: Bei der großen Lungenembolie kommt es zu einem plötzlichen Blutstau vor der Lunge und einem drastisch verminderten Blutzufluss zum linken Herzen. Folge ist ein Blutdruckabfall, eine reflektorische Tachykardie und akute Atemnot.

Besondere Schockformen

  • Hypoglykämischer Schock: Ausgelöst wird er
    • bei Diabetikern meist iatrogen durch eine zu hohe Insulininjektion ohne dass anschließend eine zeitgerechte Nahrungsaufnahme erfolgt.
    • durch ein Insulinom mit unkontrollierter Insulinüberproduktion.
    • Beim sog. hypoglykämischen Schock handelt es sich um die Kombination einer Bewusstlosigkeit durch Mangel an Glukose im Gehirn und einer Tachykardie (schnellem Herzschlag)  bedingt durch eine adrenerge Gegenregulation. Durch Adrenalin (wirkt Blutzucker steigernd) sind die peripheren Blutgefäße eng, und der Blutdruck ist in der Regel eher erhöht. Daher liegt meist kein echter Schock vor.
  • Hyperglykämischer Schock: Bei einer stark ausgeprägten Hyperglykämie im Rahmen eines entgleisten Diabetes mellitus) kann es durch Glukosurie zu einem starken Flüssigkeitsverlust mit Hypovolämie und Hypotonie kommen; es folgt eine adrenerge Gegenregulation mit Tachykardie und eine Schockreaktion.
  • Spinaler Schock: Bei einer Spinalanästhesie kann es zu einer so ausgeprägten Erweiterung der Blutgefäße in den anästhesierten Bereichen kommen, dass das Blut dort (z. B. den Beinen) versackt und für den Kreislauf nicht mehr zur Verfügung steht. Der Blutdruck sinkt entsprechend und der Puls steigt reaktiv an.

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Labordiagnostik

Die Diagnostik zielt auf die Ursachen und die Auswirkungen des Schocks. Bestimmt werden u.a. häufig:

Therapie

Die Behandlung richtet sich nach der Ursache und den Auswirkungen des Schocks.

Grundlage der Behandlung ist eine Flüssigkeitssubstitution unter intensivmedizinischer Beobachtung bei Kontrolle des zentral-venösen Drucks (zvD), der Elektrolyte und der Nierenwerte.

Bei infektiöser Ursache wird eine Kombination von Antibiotika (kalkulierte Antibiose) mit möglichst breiter Abdeckung des in Frage kommenden Keimspektrums gewählt, bis Blutkulturen es erlauben, eine gezielte Antibiose durchzuführen (siehe unter septischer Schock).

Beim Schock mit peripherer Gefäßerweiterung (z. B. beim septischen oder allergischen Schock) sind Katecholamine wie Adrenalin zur Blutdruckanhebung i.d.R. Mittel der Wahl.

Bei einem anaphylaktischen Schock werden Adrenalin, Antihistaminika und Glukokortikoide eingesetzt.

Beim septischen Schock ist der Einsatz von Angiotensin II ist eine neue sehr  effektive Möglichkeit, die Tonisierung des Gefäßsystems akut zu steigern. Sie steigt um mindestens 10 mm Hg oder auf mindestens 75 mm Hg systolisch bei 70% der Verumgruppe  nach 3 Stunden einer Angiotensin-II-Infusion versus 23% in der Placebogruppe unter laufender herkömmlicher blutdrucksteigernder Therapie. Die Chance, innerhalb der nächsten 4 Wochen zu überleben, steigt im Zeitraum von 4 Wochen geringfügig an (46% vs. 54%)  (2)N Engl J Med 2017; 377:419-430 DOI: 10.1056/NEJMoa1704154.

Bei Multiorganversagen im Rahmen eines septischen Schocks sind die Aussichten einer Therapie nur begrenzt. Ein Nierenversagen kann durch Dialyse überbrückt werden. Allerdings muss dafür der Blutdruck zuvor auf Mindestwerte (z. B. über 80 mm Hg systolisch) angehoben worden sein. Bei einer Hypalbuminämie wird Albumin substituiert. Es sollte während der Therapie der Erfolg ständig überprüft und – im Fall eines Nichtansprechens – rechtzeitig festgestellt werden, wenn eine kurative Zielsetzung nicht mehr aufrechterhalten werden kann.


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Verweise


Literatur

Literatur
1Br J Nurs. 2022 Apr 21;31(8):422-428. DOI: 10.12968/bjon.2022.31.8.422
2N Engl J Med 2017; 377:419-430 DOI: 10.1056/NEJMoa1704154