Liraglutid

Artikel aktualisiert am 1. September 2023

Liraglutid (Victoza®) ist ein Medikament zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Es fördert die körpereigene Bildung von Insulin. Zu den günstigen Effekten gehören eine Senkung des Körpergewichts bei Übergewicht (Adipositas) und ein Schutz des Nervensystems und des Gehirns (Neuroprotektion).


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der
Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.



Das Wichtigste verständlich

Kurzgefasst
Liraglutid ist ein Medikament zur Behandlung der Typ-2-Zuckerkrankheit (subkutane Injektion mit einer Fertigspritze). Es regt die körpereigene Bildung von Insulin an, so lange die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse dazu in der Lage sind.

Diabetes: Wirksam ist Liraglutid damit nur in Vor- oder frühen Stadien des Typ-2-Diabetes, solange überhaupt noch Insulin gebildet werden kann. Es vermag zusammen mit anderen Diabetesmedikamenten (Antidiabetika) wie Metformin den HbA1c-Wert um bis zu 1,5% zu senken und die Entwicklung der Zuckerkrankheit bei Gefährdeten zu verhindern oder zu verlangsamen.

Diabetische Komplikationen: Liraglutid senkt das Risiko diabetischer Komplikationen, wie das Herzinfarkt-, Schlaganfall- und Nierenschädigungsrisiko.

Gewicht: Liraglutid fördert die Gewichtsabnahme bei Übergewicht. Es verbessert damit die mit Übergewicht assoziierten Risiken z. B. von Herz- und Kreislaufkrankheiten und des Schlafapnoe-Syndroms.

Gehirn: Liraglutid schützt das Gehirn (neuroprotektive Wirkung). Diese Wirkung wird vermutlich bei der Vorbeugung neurodegenerativer Erkankungen (z. B. Morbus Alzheimer) ausgenutzt werden können.

Verträglichkeit: Die Verträglichkeit von Liraglutid ist insgesamt gut. Das Risiko einer Unterzuckerung ist sehr gering. Unter den Nebenwirkungen, die vorkommen können, finden sich selten Kopfschmerzen und Magendarmsymptome wie Übelkeit und Durchfall.

Substanz

Liraglutid ist eine hormonähnlich wirkende Substanz mit einer Homologie von 97% zu menschlichem Glucagon-Like-Peptide-1 (GLP-1) (1)Pharmacotherapy. 2009 Dec;29(12 Pt 2):43S-54S (siehe unter Inkretine). Zusammen mit Exenatid gehört es zur Gruppe der Inkretinmimetika. Liraglutid ist weitgehend resistent gegen den Abbau durch Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) und wirkt damit gegenüber GLP-1 verlängert (2)World J Diabetes. 2015 Jun 25;6(6):807-27.

Liraglutid-Wirkungen

Liraglutid wird im Gegensatz zum endogenen Glucagon-Like-Peptide-1 (GLP-1) nur langsam durch die Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4) abgebaut (ca. 12 Stunden gegenüber 2 Minuten) und besitzt wegen seiner Bindung an Albumin im Blut eine auch gegenüber Exenatid verlängerte Wirkdauer.

Seine Wirkung besteht in einer Anregung der Synthese und Ausschüttung von Insulin in den Langenhans´schen Inseln der Bauchspeicheldrüse und einer Verzögerung der Magenentleerung.

Wirkung auf den Zuckerstoffwechsel beim Diabetes

Liraglutid vermag den HbA1c-Wert geringfügig zu senken. Zusammen mit Metformin oder einem Sulfonylharnstoff beträgt die Senkung etwa 1%, in einer Kombination mit zwei oralen Antidiabetika bis zu 1,5%. In einer Metaanalyse zeigte es eine bessere Reduktion des HbA1c-Werts als andere Inkretin-basierte Therapien wie Sitagliptin, Exenatid oder Vildagliptin (3)Pharmacology. 2010;86(1):44-57.

Wirkung auf Appetit und Gewicht

Liraglutid senkt, vermutlich über Beeinflussung des Appetits (s. u.), das Körpergewicht. Laut einer Studie verloren stark Übergewichtige mit einem Gewicht von im Mittel 106,2 kg und einem BMI von durchschnittlich über 38 unter Liraglutid (3,0 mg pro Tag subkutan) innerhalb 56 Wochen mit 8,4 kg signifikant mehr Gewicht als eine Kontrollgruppe, die unter Studienbedingungen (Lebensstilveränderungen) nur 2,8 kg verlor (4)N Engl J Med. 2015 Jul 2;373(1):11-22. Die gewichtsreduzierende Wirkung geschieht durch Unterdrückung des Appetits und eine Verzögerung der Magenentleerung. Ursache ist eine kombinierte Wirkung auf den Hypothalamus und den Magen-Darm-Trakt. (5)Int J Obes Relat Metab Disord. 2001;25:781–792 (6)J Endocrinol. 2014;221:T1–T16

Neuroprotektive Wirkung

Liraglutid weist neuroprotektive Eigenschaften (Schutzwirkung auf Gehirn und Nervensystem) auf. Rezeptoren für GLP-1 finden sich im gesamten Gehirn; GLP-1 selbst, das aus dem Magendarmtrakt stammt, vermag die Blut-Hirnschranke zu passieren und Wirkungen an den Nervenzellen entfalten. GLP-1 gehört zu den Substanzen, die die „Gut-Brain Axis“ funktionell etablieren. Eine Rückkopplung erfolgt über den Nervus vagus (gehört zum Parasympathicus), der das Energie-Gleichgewicht des Körpers, den Appetit und die Gewichtskontrolle beeinflusst (7)World J Diabetes. 2015 Jun 25;6(6):807-27.

In Tierexperimenten wurde gezeigt, dass Liraglutid die mikrovaskulären Strukturen im Gehirn, die bei der Alzheimer-Krankheit gestört sind, zu restaurieren vermag (8)Microcirculation. 2015 Feb;22(2):133-45, einen Plaque-Abbau bewirkt und das Gedächtnis verbessert (9)Neuropharmacology. 2014 Jan;76 Pt A:57-67 (10)World J Diabetes. 2015 Jun 25;6(6):807-27.

Weitere Wirkungen

Einfluss auf Schlafapnoe bei Übergewicht: Schlafapnoe ist stark mit Übergewicht (Adipositas) assoziiert. Eine Senkung des Gewichts mit Hilfe von Liraglutid (nach 32 Wochen -5,7% vs. -1,6% bei Placebo) verbessert die Stoffwechselparameter und reduziert zugleich die Anfallshäufigkeit der Schlafapnoe (−12.2 Ereignisse vs. −6.1 pro Stunde) (11)Int J Obes (Lond). 2016 Aug; 40(8): 1310–1319.

Einfluss auf das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko: In einer Studie wurde festgestellt, dass vaskuläre Hochrisikopatienten, die zusätzlich zu ihrer Diabetesbasistherapie Liraglutid erhielten, ein geringeres Risiko hatten, einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu erleiden. Im Beobachtungszeitraum von durchschnittlich 3,8 Jahren starben in der Liraglutidgruppe 4,7% versus 6,0% in der Placebogruppe an einem kardiovaskulären Ereignis  (12)N Engl J Med. 2016 Jul 28; 375(4): 311–322.

Einfluss auf das Risiko einer Verschlechterung der Nierenfunktion: Die Auswertung derselben Studie bezüglich einer Verschlechterung der Nierenfunktion (im Sinne einer diabetischen Nephropathie) ergab 22% weniger Fälle (268 von 4668 Patienten vs. 337 von 4672) mit einer neu aufgetretenen Makroalbuminurie, einer Verdoppelung des Creatitinwerts, einer Niereninsuffizienz im Endstadium oder eines Todes wegen der Nierenkrankheit. (13)N Engl J Med 2017; 377:839-848

Indikation

Blutzuckereinstellung: Liraglutid wird angewendet bei unzureichender Einstellung des Blutzuckers durch Diät und körperliche Aktivität sowie durch orale Antidiabetika. Kombinationen mit einem oder zwei oralen Antidiabetika (Metformin, Sulfonylharnstoffe oder Thiazolidindione) sind möglich und werden empfohlen.

Diabetes-Vorbeugung: Bei Patienten mit Adipositas (BMI > 30 kg/m2) und Diabetes-Risiko (Prädiabetes) verzögert Liraglutid die Entwicklung der Zuckerkrankheit. In einem Beobachtungszeitraum von 3 Jahren (160 Wochen) kam es unter der Therapie mit 1x tgl. 3 mg (gegen Placebo-Injektion) bei 2% (vs. 6%) zur Diabetes-Erstdiagnose; dabei waren mit 15% kaum mehr Nebenwirkungen (s. u.) als in der Placebogruppe (13%) zu beobachten (14)The Lancet Volume 389, No. 10077, p1399–1409, 8 April 2017.

Applikation und Dosierung

Appliziert wird Liraglutid mit Hilfe eines Fertig-Pens zu 0,6 mg. Die Dosierung kann (nach mindestens 1 Woche) auf 1,2 mg/d erhöht werden. Untersuchungen zur Abnahme von Körpergewicht wurden mit 3,0 mg/Tag durchgeführt (s. o.).

Nebenwirkungen

Nebenwirkungen sind selten und eher mild: Übelkeit, Völlegefühl, Durchfall, Kopfschmerzen. Das Risiko einer Hypoglykämie wird als sehr gering angesehen (15)Ann Pharmacother. 2009 Sep;43(9):1433-44. Gallenblasenkomplikationen waren in einer Studie über 56 Monate in der Liraglutidgruppe (mit 61 von 2481) gegenüber der Placebogruppe (12 von 1242) leicht erhöht (16)N Engl J Med. 2015 Jul 2;373(1):11-22.

Nicht empfohlen wird Liraglutid bei Leberfunktionsstörungen, Niereninsuffizienz, Kindern, Schwangeren und Stillenden.

Beim Typ-1-Diabetes ist Liraglutid wirkungslos.

Weitere Entwicklungen

Es werden GLP-1-Agonisten entwickelt, die eine verzögerte Wirkung aufweisen. Semaglutid und Dulaglutid sind Nachfolger des schon eingeführten Liraglutid. Sie brauchen nur 1x pro Woche unter die Haut gespritzt (s. c.) zu werden. Es wurde gezeigt, dass Semaglutid HbA1c stärker senkt als Dulaglutid (um 1,8 % bei 1,0 mg vs. 1,5% bei 1,5 mg wöchentlich über 40 Wochen bei Patienten über 18 Jahren mit HbA1c 7,0 – 10,5) und auch eine stärkere Gewichtsreduktion bewirkt (um 6,5 kg vs. 3,0 kg). Nebenwirkungen traten allerdings in etwa 40% auf und betrafen meist Magendarmprobleme. (17)The Lancet Diabetes & Endocrinology, Published: January 31, 2018; DOI: … Continue reading


→ Auf facebook informieren wir Sie über Neues und Interessantes.
→ Verwalten Sie Ihre Laborwerte mit der
Labor-App Blutwerte PRO – mit Lexikonfunktion.


Verweise

Diabetes-Kompendium

Patienteninfos

 

Literatur

Literatur
1Pharmacotherapy. 2009 Dec;29(12 Pt 2):43S-54S
2World J Diabetes. 2015 Jun 25;6(6):807-27
3Pharmacology. 2010;86(1):44-57
4N Engl J Med. 2015 Jul 2;373(1):11-22
5Int J Obes Relat Metab Disord. 2001;25:781–792
6J Endocrinol. 2014;221:T1–T16
7World J Diabetes. 2015 Jun 25;6(6):807-27
8Microcirculation. 2015 Feb;22(2):133-45
9Neuropharmacology. 2014 Jan;76 Pt A:57-67
10World J Diabetes. 2015 Jun 25;6(6):807-27
11Int J Obes (Lond). 2016 Aug; 40(8): 1310–1319
12N Engl J Med. 2016 Jul 28; 375(4): 311–322.
13N Engl J Med 2017; 377:839-848
14The Lancet Volume 389, No. 10077, p1399–1409, 8 April 2017
15Ann Pharmacother. 2009 Sep;43(9):1433-44
16N Engl J Med. 2015 Jul 2;373(1):11-22
17The Lancet Diabetes & Endocrinology, Published: January 31, 2018; DOI: doi.org/10.1016/S2213-8587(18)30024-X