Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS)

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Artikel aktualisiert am 22. Mai 2023

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) (engl.: attention-deficit/hyperactivity disorder, ADHD) beschreibt das Bild des überaus leicht ablenkbaren Zappelphilipps, der seinen Bewegungsdrang nicht unter Kontrolle bringen und seine Aufmerksamkeit nicht ausreichend lange fokussieren kann, und der die Umgebung nervt. Typische Auswirkungen sind Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit, Impulsivität und emotionale Dysregulation sowie ggf. auch Ungeschicklichkeit. Das Syndrom beruht auf einem biochemischen Defekt, der sich vor allem im Frontalhirn auswirkt. Die Behandlung basiert auf einer Verhaltensbeeinflussung sowie auf Medikamenten wie Methylphenidat. ((Can Fam Physician. 2020 Oct;66(10):732-736. PMID: 33077449; PMCID: PMC7571664))

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Definition

Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems mit meist schon im Kindesalter auftretenden Störungen der Konzentration und des Bewegungsmusters. Es wurde früher nur als Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) wahrgenommen, hat aber nach heutigen Erkenntnissen vielfache Erscheinungsformen unterschiedlicher Ausprägung. Häufig ist es mit einer ungewöhnlichen Hyperaktivität verbunden.

Häufigkeit

Weltweit sind etwa 6% der Bevölkerung vom Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom betroffen. ((Int J Epidemiol. 2014 Apr; 43(2):434-42.))

Entstehung

Familiäre Belastung

ADHS gehört zu den neurologischen Entwicklungsstörungen. Es wird meist im Kindesalter diagnostiziert. In etwa 25% ist ein Elternteil ebenfalls betroffen. Wenn umgekehrt ein Elternteil ADHS-Symptome aufweist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ADHS entwickelt, etwa 50%. ((Child Adolesc Psychiatr Clin N Am. 2001;10(2):299–316. viii–ix)) In genomweiten Assoziationsstudien wurde eine polygenetische Grundlage nachgewiesen. ((Curr Opin Psychiatry. 2023 May 1;36(3):257-262. doi: 10.1097/YCO.0000000000000852)) ((Behav Genet. 2020 Jul;50(4):203-212. DOI: 10.1007/s10519-019-09965-8))

Pränatale Risikofaktoren

Zu den pränatalen (vorgeburtlichen) Risikofaktoren für die Entwicklung von ADHS gehören

  • das Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft,
  • pränatale Alkoholexposition und
  • ein niedriges Geburtsgewicht.

Besonderheiten im Gehirn

Ursache und Entstehung der Erkrankung sind nicht völlig geklärt. Man weiß, dass der Stirnlappen des Gehirns (genauer der präfrontale Cortex, PFC) beim ADHS krankhaft verändert ist. ((J Clin Psychiatry. 2006;67 Suppl 8:7-12)) ((CNS Drugs. 2009;23 Suppl 1:33-41))

Normalerweise ist der Stirnlappen verantwortlich für Aufmerksamkeit, Hemmung nicht angemessener Emotionen, Gewohnheiten, Antrieb, Planung von Vorhaben und Ordnung von Gedanken. Stirnhirnläsionen führen zu Ablenkbarkeit, Vergesslichkeit, Sprunghaftigkeit, Impulsivität, Überaktivität und schlechter Planung von Vorhaben – Symptomen die in Einzelaspekten dem ADHS ähneln.

Neurotransmitter im Frontalhirn sind Noradrenalin und Dopamin. Sie werden bei Erregung und Stress vermehrt, bei angeregtem Interesse in mittleren Mengen und bei Müdigkeit und Langeweile vermindert freigesetzt. Noradrenalin stimuliert über postsynaptische Alpha(2A)-Receptoren; Dopamin schwächt irrelevante Impulse über D(1)-Receptoren ab (wie Rauschunterdrückung). Es wird vermutet, dass genetische Anomalien in diesen biochemischen Systemen zum ADHS beitragen.

Tierexperimentell lässt sich durch eine Hemmung der Alpha(2A)-Rezeptoren durch Yohimbin ein ADHS-ähnliches Verhaltensmuster auslösen. Umgekehrt können Medikamente (wie Guanfacine), welche die Alpha(2A)-Rezeptoren stimulieren, die Funktion des präfrontalen Cortex normalisieren. Methylphenidat und Atomoxetin verbessern indirekt die Stirnlappenfunktion durch Erhöhung der synaptischen Noradrenalin- und Dopaminkonzentration.

Bei Patienten mit ADHS ist die Aktivität des präfrontalen Cortex der rechten Hemisphäre weniger aktiv und ist zu anderen Hirnarealen weniger vernetzt. Es gibt Unterschiede in der Größe der Stirnlappen des Gehirns sowie im Lobus caudatus.

Auch morphologische Veränderungen begleiten die Entstehung des ADHS. fMRI-Untersuchungen weisen eine Verringerung des Volumens des ventralen Striatums nach. (( 2015 Jul;10(7):945-51. doi: 10.1093/scan/nsu135.))

Einfluss der Ernährung

„Junkfood“, „verarbeitete“ Nahrungsmittel, „Snack“, „Süßes“ und „westliche“ Ernährung sind in Statistiken mit erhöhten ADHS-Auftreten assoziiert worden. Umgekehrt wurden gesunde Ernährungsgewohnheiten mit einer Verminderung des ADHS-Risiko in Verbindung gebracht. Günstig wirkten Mittelmeerdiät, Dietary Approaches to Stop Hypertension (DASH) und vegetarische Ernährung. ((Nutrients. 2022 Oct 16;14(20):4332. DOI: 10.3390/nu14204332))

ADHS und Nahrungsmittelallergie

Eine Hypothese besagt, dass ADHS möglicherweise durch eine Nahrungsmittelallergie gefördert wird. Wenn sich Kinder an eine strikte Eliminationsdiät (siehe hier) halten, können sie sich in ihrer Symptomatik deutlich bessern. Durch Ausprobieren von Erweiterungen des Kostplans können die Nahrungsmittel, die zur Auslösung führen, weiter eingegrenzt werden. ((Lancet. 2011 Feb 5;377(9764):494-503 DOI: 10.1016/S0140-6736(10)62227-1))

ADHS und Dysbiose im Darm

Das Mikrobiom des Darms beeinflusst das Gehirn in seiner Funktion (gut-brain-axis). So können, wie Untersuchungen nahelegen, Stoffwechselprodukte von Bakterien die Produktion von Überträgerstoffen verändern. ((. 2017; 12(9): e0183509. Published online 2017 Sep 1. doi:  10.1371/journal.pone.0183509)) Diese pathogenetische Beziehungen können möglicherweise begründen, weshalb in manchen Fällen eine Nahrungsumstellung eine Verbesserung der Symptomatik bewirkt (s. u.).

Symptomatik

Der „Zappelphilipp“ ist die Paradefigur der Literatur, die den ADHS-Kranken beschreibt: unaufmerksam, ablenkbar, impulsiv, ständig in Bewegung, ohne Folgerichtigkeit in den Vorhaben.

Hauptkategorien Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität: Das Kind macht viele Flüchtigkeitsfehler, ist ablenkbar und vergesslich, platzt in der Schule mit Antworten heraus, unterbricht, stört, kann nicht warten, bis er/sie an der Reihe ist, ist impulsiv, oft aggressiv und launisch, neigt zu Wutausbrüchen und kann seine Arbeit nicht organisieren. Es inkt beim Lernfortschritt in der Klasse hinterher und wird oft als eine Belastung empfunden.

Die Symptomatik kann unterschiedlich ausgeprägt und abgestuft sein. Die Zappelkomponente kann geringer oder stärker ausgeprägt sein; auch kann die Aufmerksamkeitsstörung gelegentlich überwiegen.

Bei manchen Menschen wird die Diagnose nicht gestellt, andere dagegen werden mit dieser Diagnose belastet, obwohl sie nicht vorliegt. Nicht jedes lebhafte Kind hat ein ADS (oder ADHS)! Die Diagnose sollte von einem erfahrenen Psychiater gestellt und im Verlauf überprüft werden.

Bei ausgeprägter Symptomatik können Familien und Beziehungen zwischen den Eltern zugrunde gehen. Überforderte Erzieher können durch falsche Reaktionen zu einer entscheidenden Verschlechterung der Entwicklung mit einer sekundären Symptomatik beitragen, die oft mit der primären Symptomatik vermischt wird: Ungehorsam, Auflehnung, Mutwilligkeit etc.

Typischerweise ist die Erwartung einer sofortigen Belohnung dominierend und die Fähigkeit, auf eine Belohnung warten zu können, gering. Menschen mit ADHS zeigen im Vergleich zu gesunden Kontrollen eine sehr starke Präferenz für unmittelbare kleine Belohnungen, die sie einer größeren, aber verzögerten Belohnung vorziehen. (( 2015 Jul;10(7):945-51. doi: 10.1093/scan/nsu135.))

Diagnosekriterien

Für die Diagnosestellung ist der Nachweis von Symptomen aus beiden Hauptkategorien, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität, erforderlich, die über mindestens 6 Monate bestehen und vor dem 12. Lebensjahr aufgetreten sein müssen. ((Kriterien der American Psychiatric Association) Es sollten somatische Krankheiten, Hör- und Sehstörungen sowie TICs, Angststörungen, ASD, oppositionelle Trotzstörung und bei Älteren Suchtverhalten differenzialdiagnostisch mitbedacht werden.

Therapie

Beeinflussung des Verhaltens

Enfluss durch beruhigende Erziehung; multimodale Therapie: Die Behandlung sollte „multimodal“ über eine ruhige und übermäßige Einflüsse abschirmende Erziehung und – je nach Ausprägung – eine medikamentöse Behandlung erfolgen. ((Curr Psychiatry Rep. 2010 Oct;12(5):374-81. DOI: 10.1007/s11920-010-0142-6)) Unter Umständen benötigen die Eltern oder Erzieher eine Anleitung und ständige Supervision. Dies gilt insbesondere für Eltern von Kindern mit ausgeprägter Symptomatik. Sie benötigen oft immer wieder eine „Auszeit“ von der Familie. Die Therapie des ADHS beschränkt sich damit nicht auf die Behandlung des Kindes, sondern sie bezieht die Eltern und ggf. auch die Geschwister ein. Einige Studien zeigen, dass ein auf Achtsamkeit ausgerichtetes Erziehungstraining der Eltern zu einem deutlichen Abbau der ADHS-Symptomatik und des Stresses in der Familie führen kann. ((Iran J Med Sci. 2018 Nov;43(6):596-604. PMID: 30510336; PMCID: PMC6230940)) ((Hong Kong J Occup Ther. 2022 Jun;35(1):3-24. DOI: 10.1177/15691861211073826))

Medikamente

Methylphenidat: Unter den Medikamenten nimmt Methylphenidat (z. B. Ritalin®, CONCERTA®), ein Inhibitor des neuronalen Dopamin-Transporters mit psychostimulierender Wirkung, eine vorrangige Stellung bei der Behandlung des ADHS ein. (( 2015 Nov 25;(11):CD009885. doi: 10.1002/14651858.CD009885.pub2.)) Methylphenidat wirkt sich negativ auf den Appetit aus; dem kann einer Untersuchung zufolge durch Folsäure entgegengewirkt werden. (( 2018 Jan;43(1):9-17.))

Atomoxetin: Bei Methylphenidat-Resistenz kommt Atomoxetin (Strattera®) in Betracht. ((Drugs. 2010;70(1):15-40)) Amotexin hat eine besondere Indikation bei Suchtgefährdeten. Bei Jugendlichen mit ADHS ist ein Medikamentenabusus zu gewärtigen; er wird als Comorbidität (Begleiterkrankung) betrachtet und durch unzureichende medikamentöse Einstellung des ADHS mit Methylphenidat gefördert. ((Medscape J Med. 2008 Jan 31;10(1):24)) Atomoxetin wird als Alternativpräparat ohne Suchtpotential eingesetzt; es ist ein Noradrenalin-Reuptake-Hemmer und besitzt keine psychostimulierenden Eigenschaften. ((Paediatr Drugs. 2009;11(3):203-26))

Therapie durch Diät

Eine neue Therapie eröffnet sich durch die Hypothese einer Auslösung durch Nahrungsmittelellergene in einer Eliminationsdiät (s.o.). ((Lancet. 2011 Feb 5;377(9764):494-503)) Laut einer ersten Studie normalisiert sich die Symptomatik alleine durch Weglassen der auslösenden Nahrungsmittel, die durch sukzessive Erweiterung der Eliminationsdiät herausgefunden werden muss. Ziel und Rationale der Diät ist die günstige Beeinflussung des Darm-Mikrobioms (Zusammensetzung der Darmflora). (( 2017 Sep;26(9):1081-1092. doi: 10.1007/s00787-017-0969-z)) Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Darm-Gehirn-Achse, über die der Darm die Gehirnfunktion beeinflusst. Eine günstige Zusammensetzung der Darmflora (inkl. Erhöhung von Bifidum-Bakterien) führt zu einer Steigerung der Generierung von Lohnerwartung (im Belohnungssystem, das mit dem dopaminergen Striatum zusammenhängt), wie Untersuchungen durch fMRI nahelegen. (( 2017 Sep 1;12(9):e0183509. doi: 10.1371/journal.pone.0183509.)) Und bei ADHS ist die Lohnerwartungshaltung geringer als bei Normalpersonen.

Bedeutung für die soziale Entwicklung

Kinder mit ADHS haben ein erhöhtes Risiko für eingeschränkte schulische Leistungen, soziale Isolation unter Gleichaltrigen, später für Drogenmissbrauch, aggressives und kriminelles Verhalten. Allerdings gibt es unterschiedliche Ausprägungen; einige Betroffene können mit ihrer Veranlagung umzugehen lernen, sich sozial integrieren und beruflich leistungsfähig zu werden. ((J Abnorm Child Psychol. 2011 Jan; 39(1):21-32)) ((J Dev Behav Pediatr. 2008 Dec; 29(6):501-7.))


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Verweise

 


Autor: Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (s. Impressum)