Williams-Beuren-Syndrom

Artikel aktualisiert am 30. Juni 2023

Das Williams-Beuren-Syndrom, (WBS, oft nur als Williams-Syndrom,WS, bezeichnet; „7q11.23-Deletionssyndrom“) ist eine genetische Erkrankung mit einem abnormen Erscheinungsbild und hypersozialen Verhaltensauffälligkeiten. Die Diagnose wird meist erst im späten Jugendalter gestellt. (1)Nat Rev Dis Primers. 2021 Jun 17;7(1):42. doi: 10.1038/s41572-021-00276-z


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Inzidenz

Das Williams-Beuren-Syndrom ist selten. Es wird bei etwa 1 von 8000 Geburten beobachtet. (2)Front Psychol. 2012 Jun 8;3:186

Genetische Grundlage

Die vielfältige Symptomatik des Williams-Beuren-Syndroms beruht auf dem hemizygoten Verlust der Gene des langen Arms von Chromosom 7 (7q11.23, 28 Gene). Unter den betroffenen Genen befindet sich auch das für Elastin (ELN), was die Auswirkungen auf das Bindegewebe erklärt, sowie die Gene LIMK1, GTF2I und GTFIIRD1, deren Verlust die kognitive Entwicklungsverzögerung und die visuell-räumliche Schwäche erklären soll. (3)Mol Autism. 2013 Aug 23;4(1):29

Nahe verwandt ist das „22q11.2 deletion syndrome“ (22q11.2DS), bei dem das visuell-räumliche und numerische Begreifen intakt, die Verarbeitung verbaler Äußerungen aber beeinträchtigt ist. (4)J Intellect Disabil Res. 2017 Dec;61(12):1083-1093. doi: 10.1111/jir.12424

Die Auswirkungen des Williams-Beuren-Syndroms (WBS) auf das Sozialverhalten sind konträr zu denen des Autismus, was in sofern von Interesse ist, als eine Duplizierung derjenigen Gene, deren Verlust zum WBS führen, unter den genetischen Konstellationen gefunden wird, die dem Autismus zugrunde liegen. (5)Mol Autism. 2013 Aug 23;4(1):29

Erscheinungsbild und Symptomatik

Das WBS mit seiner Hypersozialität ist bezüglich seiner Symptomatik ein Gegenbild der Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) mit seiner sozial restriktiven Verhaltensweise. Seine Symptomatik beinhaltet verschiedenartige Symptome und Auffälligkeiten, die jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und nicht immer alle vorhanden müssen. Personen mit WBS weisen eine leichte bis mittelschwere geistige Störung auf. Ihr Verständnis für mentale Zustände (z. B. die falschen Überzeugungen) anderer ist beeinträchtigt. Komplizierte oder ironische Sachverhalte können sie oft nur schwer verstehen. Es bestehen oft erhebliche Ängste vor sozial abträglichen Ereignissen. (6)Mol Autism. 2013 Aug 23;4(1):29 (7)Front Psychol. 2012 Jun 8;3:186 (8)J Intellect Disabil Res. 2010 Mar;54(3):194-203

Charakteristische körperliche Befunde:

  • Entwicklungsverzögerung, relativ geringe Körpergröße und Körpergewicht,
  • engelsartiges Gesicht,
  • Herzklappenstenosen (meist eine Aortenstenose),
  • Zahnprobleme,
  • Nierenveränderungen,
  • Hyperkalzämie (nicht immer vorhanden).

Charakteristische neurologische und Verhaltensauffälligkeiten:

  • Essstörungen,
  • Probleme beim Schlafen,
  • instabiles Gangbild,
  • gesteigerte Reflexe,
  • kognitive Defizite,
  • Schwächen in visuell-räumlicher Beurteilung,
  • Überfreundlichkeit, „Cocktailparty-Persönlichkeit“,
  • Distanzschwäche (auf Fremde zugehen, direkter langer Blick ins Gesicht, Sprechen in enger Nähe),
  • erhöhte emotionale Reaktivität gegenüber Musik,
  • gesteigertes Interesse an anderen Gesichtern und darüber an sozialen Beziehungen,
  • gesteigerter Redefluss.
  • besondere Ängstlichkeit und Phobien.

Die hypersozialen Verhaltensweisen lassen Patienten mit WBS oft als bezaubernd erscheinen; sie vermitteln das Gefühl von Glück. (9)Am J Ment Retard. 2000 Sep;105(5):363-71 (10) 2016 Apr 26;19(6):647-655. doi: 10.1038/nn.4276. Beuren bemerkte: Sie lieben jeden und werden von jedem geliebt. (11)Circulation. 1962 Dec;26:1235-40

Vorschulkinder mit WBS waren deutlich eher bereit als Kontrollgruppen, sich auf Fremde einzulassen, selbst wenn deren Gesicht nicht zu sehen war. (12)J Intellect Disabil Res. 2010 Mar;54(3):194-203. doi: 10.1111/j.1365-2788.2009.01241.x

In einer brasilianischen Untersuchung wurden bei nachgewiesener Genanomalie (Mikrodeletion in der Region 7q11.23) folgende Merkmale festgestellt: typische (engelsartige) WBS-Fazies (98,2 %), neuropsychomotorische Verzögerung (98,2 %), hypersoziales Verhalten (94,5 %), Hyperakusis (94,5 %) und angeborene Herzkrankheit (81,8 %). (13)Biomed Res Int. 2015;2015:903175. doi: 10.1155/2015/903175.

Diagnostik

Meist bedarf es eines Verdachts auf WS. Eine genetische Analyse bestätigt ihn. Zum Nachweis der 7q11.23-Mikrodeletion steht ein für WBS spezifisches Kit zur Verfügung. (14)Biomed Res Int. 2015;2015:903175. doi: 10.1155/2015/903175

Anomalien im Gehirn

Neuroimaging-Studien haben ergeben, dass das WS mit strukturellen Veränderungen von Schlüsselregionen für das Sozialverhalten im Gehirn assoziiert ist. Einbezogen in diese Veränderungen sind der Hippocampus, der Mandelkern (Amygdala), der Gyrus fusiformis und der Gyrus orbitofrontalis. (15)Cereb Cortex. 2014 Oct;24(10):2796-806. DOI: 10.1093/cercor/bht135. Es wird eine geringere Faserdichte oder Axonmyelinisierung in präfrontalen Amygdala-Bahnen beobachtet. Daraus wird geschlossen, dass die dadurch bedingte veränderte Konnektivität die extremen Ängste vor sozialem Kontaktverlust erklären, die beim Williams-Syndrom beobachtet werden. (16)Neuroimage. 2012 Jan 16;59(2):887-94 Anomalien in den frontostriatalen und frontoamygdalären Schaltkreisen tragen wahrscheinlich zu der Angst um soziale Ablehnung bei. (17)Brain Sci. 2018 Nov 29;8(12):209. DOI: 10.3390/brainsci8120209

Das Williams-Beuren-Syndrom dient als Beispiel dafür, wie genetische Veränderungen Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns haben. (18)PLoS One. 2014 Aug 8;9(8):e104088

Behandlung

Die Behandlung hat vor allem folgende Schlüsselbereiche zu berücksichtigen, die Elastin-assoziierte Vaskulopathie, Bluthochdruck und geistige Behinderung, soziales Funktionieren und Angstzustände. Gefäßstenosen können interventionell angegangen werden, eine Hypertonie (oft schon im Kindesalter) medikamentös und die räumlichen Koordinationen (inkl. Handschrift) durch Training. Die Verhaltensauffälligkeiten und die mit ihnen assoziierten Empfindungen werden nach Analyse durch Beratung und Verhaltenstherapien, ggf. unter Einbeziehung eines Psychiaters, angegangen. Die Behandlung von Angstzuständen ist in jedem Fall meist schwierig. Neben Medikamenten ist eine kognitive Verhaltenstherapie oft vielversprechend. (19)Nat Rev Dis Primers. 2021 Jun 17;7(1):42. doi: 10.1038/s41572-021-00276-z

Verweise

 

 


Autor der Seite ist Prof. Dr. Hans-Peter Buscher (siehe Impressum).


 


Literatur

Literatur
1Nat Rev Dis Primers. 2021 Jun 17;7(1):42. doi: 10.1038/s41572-021-00276-z
2Front Psychol. 2012 Jun 8;3:186
3Mol Autism. 2013 Aug 23;4(1):29
4J Intellect Disabil Res. 2017 Dec;61(12):1083-1093. doi: 10.1111/jir.12424
5Mol Autism. 2013 Aug 23;4(1):29
6Mol Autism. 2013 Aug 23;4(1):29
7Front Psychol. 2012 Jun 8;3:186
8J Intellect Disabil Res. 2010 Mar;54(3):194-203
9Am J Ment Retard. 2000 Sep;105(5):363-71
10 2016 Apr 26;19(6):647-655. doi: 10.1038/nn.4276.
11Circulation. 1962 Dec;26:1235-40
12J Intellect Disabil Res. 2010 Mar;54(3):194-203. doi: 10.1111/j.1365-2788.2009.01241.x
13Biomed Res Int. 2015;2015:903175. doi: 10.1155/2015/903175.
14Biomed Res Int. 2015;2015:903175. doi: 10.1155/2015/903175
15Cereb Cortex. 2014 Oct;24(10):2796-806. DOI: 10.1093/cercor/bht135.
16Neuroimage. 2012 Jan 16;59(2):887-94
17Brain Sci. 2018 Nov 29;8(12):209. DOI: 10.3390/brainsci8120209
18PLoS One. 2014 Aug 8;9(8):e104088
19Nat Rev Dis Primers. 2021 Jun 17;7(1):42. doi: 10.1038/s41572-021-00276-z