Ärztliche Hilfe in Sri Lanka 05

Artikel aktualisiert am 6. Februar 2018

Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Sri Lanka.

Inzwischen haben sich die politischen Verhältnisse geändert.

 

 


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Teil 5

Mail vom 14.6.2008

Die letzte Meldung aus Sri Lanka.

Im Prinzip hat sich alles so fortgesetzt, wie bereits ausführlich beschrieben. Nach den ersten 3 – 4 Wochen hat sich die Op.-Tätigkeit deutlich vermehrt, auf Befragen wurde mir erklärt, dass es sich jetzt bei einigen herumgesprochen hätte, was ich könnte. Wie überall werden auch in Sri Lanka über das Personal Nachrichten schnell verbreitet. Damit war auch meine Auslastung deutlich günstiger und entsprechend meine Stimmung. Marc, der franz. Anästhesist, war eine große Hilfe, da er bei der Arbeit ruhig, gelassen und kompetent war. Wir passten sehr gut zusammen. Da er nebenbei ein sehr guter Badminton Spieler war, und er nicht zögerte auch mit mir als Partner zu spielen – und auch zu verlieren, habe ich ihm auch in der Hinsicht einiges zu danken.

Leider konnte seine Ablösung nicht rechtzeitig organisiert werden, so dass wir jetzt ein Problem haben. Die nächste Anästhesistin (Deutsch) kommt frühestens nächste Woche, wir sind also 10 Tage ohne. Und das heißt: keine Chirurgie und Gynäkologie Op., entweder Verlegung nach Jaffna oder später. … wir werden kein legales Risiko eingehen, obwohl Natalie in ihrer Ausbildung Anästhesie gelernt hat und ich ja auch viele Narkosen alleine gemacht habe, genau wie Yanti. Dafür arbeiten wir jetzt mehr im Emergency Room um Natalie zu entlasten. Gestern Abend zum ersten Mal als “Resuscitation team“, zwar erfolglos: 60 j. Mann mit cardiac arrest, bei Einlieferung bereits pulslos und weite Pupillen, im EKG Kammerflimmern, bekannte 3-Gefäßerkrankung. Das ist das Paradoxe, in Jaffna schaffen sie solche Diagnosen, aber in der Peripherie werden Abszesse nicht rechtzeitig eröffnet, Frakturen für 5 Tage nicht erkannt und reponiert, blutige Gelenkergüsse mit breiten Schlitz eröffnet und offen gelassen. Wir 3 hatten ohne große Absprache alles getan, was nötig war: Yanti übernahm die Herzmassage, ich die schnelle Intubation und Beatmung und parallel Natalie die medikamentöse Seite und einen Versuch der Defibrilation. Letztlich war der Patient zwar tot, aber Natalie war sehr zufrieden, dass sie nicht alleine ist für 10 Tage, besonders in komplexen Situationen, wo viele Händegebraucht werden, und sie sonst den/die Anästhesie in Anspruch nimmt.

“Meine“ Ärzte, die beiden chirurgischen Assistenten, haben sehr viel Vertrauen zu mir gefasst. Sie fragen viel und haben viel gelernt, in Bezug auf Wunden und die Alltagstraumatologie. Und wenn ich jetzt die Visiten mache, sehe ich, dass auch die Nurses und Attendents viel gelernt haben und viele chronische Wunden doch etwas besser abheilen. Das sind dann so meine kleinen Erfolge, die mein Hiersein begründen. Auch die Beziehung zur Pflege ist viel besser geworden, alles ist viel lockerer geworden. Und doch kommt es vor, dass eine ältere Stationsschwester und ich vor einer engeren Türe stehen und nicht wissen, wie es weiter geht. Sie sagt: Bongo, bongo (Gehen Sie, Gehen Sie), ich sage: Please go ahead. So unterschiedlich können kulturelle Höflichkeitsriten sein. (Wir haben sehr herzlich gelacht dabei und letztlich hat sie es genossen, dass sie einmal die ubiquitäre Hierarchie umgekehrt erlebte und vor dem surgeon gehen durfte).

Im Team ist natürlich seid Marcs Abreise eine sehr deutliche Verschiebung: 3 starke Frauen und ein älterer Mann. Wir nehmen es mit Humor und Gelassenheit, auch, oder gerade weil wir die unterschwellige leichte Spannung und andere Beziehung in einem gemischten Team, das so nah miteinander lebt, durchaus realisieren und ernst nehmen. Ich fühle mich wohl dabei, besonders da ich in wenigen Tagen ja abreise … Und für das Team wird eine Änderung eintreten, ein Belgischer erfahrener Chirurg kommt nächste Woche und löst mich ab, Suzanne, die Deutsche Anästhesistin, wird – Inschallah – auch nächste Woche kommen. Dann heißt es, sich neu zu finden. Yanti und Natalie haben eine sehr enge Freundschaft und können sehr gut miteinander, da sie viele Dinge gemeinsam haben, die Frage ist dann immer, wie andere dazwischen und dazu kommen.

Der „Krieg“ hat an Heftigkeit zugenommen. Nahezu jeden Tag gibt es in Colombo aber auch hier in Jaffna Bombenanschläge und Schießereien. Die Hindus/Singhalesen beginnen Tamilen zu attackieren, wo sie sie sehen, besonders in Colombo. Noch spielt die Regierung alles herunter, aber die Spannung hat in den letzten Wochen zugenommen. Die militärischen Aktionen sind sehr merkwürdig dagegen. Die Jaffna Halbinsel ist militärisch besetzt, gelegentlich sieht man Fraternisierung zwischen Soldaten und Tamilen – junge Mädchen(!), aber insgesamt wird diese Besatzung abgelehnt. An der Grenze zum Vanni, dem LTTE Gebiet, wird heftig Geschützfeuer ausgetauscht, aber niemand weiß so recht, warum und ob überhaupt irgendwer oder irgendwas getroffen wird. Das hat etwas vom 1. Weltkrieg an sich mit den endlosen Stellungskriegen, bei denen nichts erreicht wird, allerdings hier ohne die entsetzlichen Zahlen an Toten. Und wir hören von allem: die Informationen über „Security“, die heftigen Schusswechsel, gelegentlich auch Schusstote, denen nicht mehr geholfen werden kann. Die Curfew, die Ausgangssperre, ist jetzt von 19:00 bis 5:00, d.h., dass wir viel mehr Ausnahmegenehmigungen beim Militär für Verlegungen nach Jaffna einholen müssen, und dass wir – um Auseinandersetzungen mit Soldaten zu vermeiden – ab 19:00 mit der Ambulanz zum und vom Hospital gefahren werden.

Im kulturellen Leben hatte ich das Glück im hiesigen Tempelbezirk das große jährliche Fest zum Dank an die Götter mit zu erleben, bei denen sich Menschen, die großen Grund zum Dank haben, – für uns kaum nachvollziehbar -, großen Qualen aussetzen: an einem federnden Gerüst auf einem Wagen, gezogen von einem festlich geschmückten Traktor, hängt ein Mensch an zwei Haken, die durch die Haut über den Schulterblättern gezogen sind, Menschen gehen barfuß über glühende Kohlen, Tänzer hängen an vielen kleinen Haken, die von Mittänzern an Schnüren gehalten und gezogen werden. Stockkämpfe, Süßigkeiten, laute Lautsprecher Musik, viele, viele Menschen, Kinder Erwachsene. Eben wie ein Jahrmarkt bei uns.

Dann die vielen Gewalttätigkeiten innerhalb der Familien, geschlagene Frauen, sich prügelnden Männer. Es ist frustrierend am Samstag oder Montag morgens jeweils 3 – 7 Menschen zu sehen, bei denen die Anamnese mit dem Begriff: „Assault“ beginnt. Natürlich sind dabei viele Entwurzelte, sozial tief stehende Menschen, aber das Personal beteuert, dass es in allen Schichten zu finden ist, besonders die Gewalt gegen die Frauen. Yanti bekommt das in ihren Sprechstunden besonders mit. Da sie schon in einigen Afrikanischen Ländern gearbeitet hat (Darfur, Somalia u.a.m.) und das Problem auch aus ihrer Heimat kennt, ist sie sehr engagiert, die Frauen zu stärken. Für sie ist es eminent wichtig, die Frauen zu Persönlichkeiten zu machen, die sich dagegen wehren können. Doch ist sie realistisch genug, wie wir alle in unserem Bestreben, die Folgen von Gewalt so gering wie möglich zu halten, dass wir nur einzelnen Betroffenen helfen können …

Ich habe eine Erfahrung mehr, wenn ich jetzt nächste Woche abreise. Auch wenn ich chirurgisch weniger getan habe, als ich gewünscht habe, es war gut und der Mühe wert. Ich denke, dass viele meiner Analysen bei den Verantwortlichen Gehör finden werden, da sie selbst auch schon nachdenken. …

 


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