Ärztliche Hilfe in Papua Neuguinea 03

Artikel aktualisiert am 6. Februar 2018

Ausschnitt aus Berichten von Dr. Dieter Stracke über seine
Erfahrungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in Papua-Neuguinea

 


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Teil 3

Mail vom 1.9.2009

Eine Woche Leben und Arbeit in Tari liegt hinter mir und es wird Zeit, dass ich ein Lebenszeichen von mir gebe.

Zunächst zur Reise. Über Amsterdam ein langer Flug nach Singapore, dort Umsteigen mit Wartezeit und Weiterflug mit Air Niugini über Kuala Lumpur nach Port Moresby, der Hauptstadt von PNG (Papua Neuguinea). Während des sehr langen Fluges Amsterdam – Singapore konnte ich gut schlafen, da ich 3 freie Plätze belegen konnte. Trotzdem hatte ich danach 3 – 4 Tage Probleme, da ich Euch ja jetzt 8 Stdn. voraus bin. In Port Moresby wurden die administrativen Angelegenheiten geregelt und ein Briefing auf die Situation im Land und besonders in Tari durchgeführt. Die Stadt ist wie viele Hauptstädte in der 3. Welt: großartig angelegt, breite, aber schlecht gepflegte Alleen, viele Flachbauten mit vergitterten Fenstern, hohen Zäunen, Stacheldraht, Wachleuten, streunenden Hunden, primitive Verkaufsstände an den Straßenrändern, alte verbeulte Autos neben Luxuslimousinen, Tuktuks, daneben eine wunderschöne Vegetation.

Von Port Moresby ging es dann mit einer 2 motorigen Fokker in das Hochland. Im Flugzeug neben 3 – 4 Touristen in der typischen Pseudoabenteuer Tracht, 1 – 2 Geschäftsleuten und 2 weiteren Leuten (außer mir noch der neue Logistiker Otas für Tari) saßen dann die „echten“ Papuas, dunkle Hautfarbe, eher kleinwüchsig, recht grobe Gesichtszüge, vorgealtert, krause schwarze Haare, die Männer teilweise wilde Bärte. Es mutet schon seltsam an, neben einer älteren Frau zu sitzen, die barfüßig, dem Fluggerät kaum trauend, sich krampfhaft während der ganzen Flugzeit von 1 1/2 h am Vordersitz festhält. Die Nasenscheidewand durchbrochen, da sie dort normalerweise ein Bambusrohr durch trägt, eine Bunte gewebte Tasche, in der alle ihre Sachen untergebracht sind, nicht aus der Hand geben will, so dass die Flugbegleiterin sie ihr sanft-gewalttätig aus der Hand nehmen muss. Steinzeit meets Neuzeit!

In Tari, einem Ort von etwa 3000 – 4000 Menschen, ist das Flugfeld – keine geteerte Landebahn! – Mittelpunkt des Ortes, das Leben spielt sich auf einer Strasse rings um das Feld ab. Unzählige Menschen standen hinter dem Zaun, neugierig auf das, was da aus dem Flugzeug steigen würde. Die Touristen wurden von 2 wilden Männern in Baströcken und mit großen Perücken aus Bambus, Federn und Schweinezähnen begrüßt, für uns stand das ganze Tari-Team … bereit. Die Abfertigung ist sehr einfach: man nimmt sich sein Gepäck von einem riesigen Handkarren, zeigt sein Ticket und verlässt das Flugfeld durch ein Gittertor mit schwerer Kette.

Da ich am Sonntag ankam, war zunächst nur „Ankommen“ angesagt. Die
Wohnhäuser – 3 Stück – sind vom Hospitalbereich etwas abgesetzt, und der Wohnbereich wird von Wachleuten bewacht. Die Häuser sind einfach, aber sehr sauber, alle Wände aus beschichtetem Plattenmaterial, die Schiebefenster vergittert, der Fußboden Kunststoff. Es gibt fließendes Wasser, sogar mit Warmwasserleitung aus Boilern. Das Wasser wird durch Röhrensysteme von den Dächern in sehr großen Tanks gesammelt und dann in Hochtanks gepumpt. Die Zimmer sind groß genug mit großem Bett, Tisch und Stuhl und Schrank und Nachtschränkchen. Je 3 Leute wohnen in einem Haus. Der Wohnbereich in unserem Haus ist Social Area für das Team, hier ist auch der PC Anschluss zum Rest der Welt und das Sat-Telefon. Hier wohne ich zusammen mit Renate aus Wien, ca. 50 J. und verantwortlich für den chirurgisch-operativen Teil als Nurse (Schwester/Pfleger) und Jan, etwa gleich alt. Sie kam 1 Tag nach mir, aus Kalifornien, und sie ist als MHO (Mental Health Officer) verantwortlich in Zukunft für den Aufbau einer Betreuung für Opfer von ziviler/familiärer Gewalt und damit auch von sexueller Gewalt. Ich beneide sie nicht.

Im 2. Haus wohnt Claire, ca. Mitte 30, aus … Frankreich. Sie ist Teamchefin. … Sie leitet das Team … Nur ihr Englisch macht mir manchmal zu schaffen. Dann wohnt da noch Nadia, Anfang 30, aus Montreal/Kanada. Sie hat den chirurgisch-pflegerischen Bereich mit 2 Stationen (etwa 28 Betten) unter sich. Zuletzt ist da noch Otas, auch Mitte 30. Er ist 1/2 Nigerianer und ist in Berlin zuhause und er wird jetzt 9 Monate die logistische Versorgung hier leisten (Häuser in Schuss halten, die Generatoren am Laufen halten, Nachschub organisieren, neue Häuser bauen (lassen), die Wasserversorgung überwachen, den Müll entsorgen, usw. usw.

Tari liegt auf einem kleinen Plateau mitten in dem Bergen auf etwa 1000 m Höhe, in der Provinz Southern Highlands. Allerdings werden die Provinzen seit einiger Zeit neu geordnet. Es kommt eine sehr beschwerliche Dirty Road von Osten aus dem Küstenland hier hoch, die allerdings sehr unsicher zu befahren ist, so dass unsere Nachschubsachen nahezu alle – bis auf Baumaterialien – per Flugzeug kommen. Von hier gehen einige kleinere Straßen in die Berge zu größeren Dörfern. Doch die meisten Menschen in der Umgebung leben noch in Dörfern weit abseits aller Strassen, nur durch Fußpfade zu erreichen. Die weiteren Dörfer werden nur durch Flugzeug oder Helikopter erreicht.

PNG war im nördlichen Teil kurzfristig unter Deutscher Verwaltung, wurde dann aber nach dem I. Weltkrieg bis 1975 unter Australische Verwaltung gesetzt. Jetzt ist PNG eine unabhängige Republik im Common Wealth mit der Queen als Königin und einem gewählten Gouverneur als Staatsspitze. Die Demokratie erscheint langsam stabil, die letzte Regierung hat die ganze Wahlperiode ohne Misstrauen überstanden. Wirtschaftlich und außenwirtschaftlich ist PNG von Australien abhängig. Es gibt wertvolle Bodenschätze, neben Holz, das aber aus ökologischen Gründen nicht mehr so wild abgebaut werden kann, Gold und Öl und Gas insbesondere. Der Abbau wird jetzt forciert, da PNG Einkünfte braucht um die drängenden sozialen und kulturellen Probleme zu lösen.

Bis vor wenigen Jahren also lebten die meisten Menschen in PNG noch unberührt von dem Rest der Welt in ihren Dörfern, weit ab aller Zivilisation. Es gibt über 800 verschiedene Sprachen und Stammeskulturen, gemeinsam ist im nördlichen und Küstenbereich sowie auf den Inseln das Pidgin Englisch und offizielle Sprach ist Englisch. Die Menschen sind arm, leben von der Hand in den Mund, was der Wald ihnen gerade gibt. Schweine sind der größte Besitz und werden wie Kinder gehalten. Die Frauen sind für den Lebensunterhalt verantwortlich, sie nutzen das, was der Wald und die kleinen Gärten hergeben. Fleisch wird eher selten gegessen. Schuhe werden nur von wenigen getragen, und wenn, dann große schwere Boots. Die Fußsohlen sehen entsprechend aus, dick verhornt, häufig vernarbt und entzündet, viele Abszesse nach penetrierenden Verletzungen. Da es hier im Hochland oft kühl und feucht ist, haben die Menschen dicke Jacken und Wollmützen auf. Ihre Utensilien – auch die kleinen Säuglinge – tragen sie in großen, bunten gewebten Taschen mit sich, die auf dem Rücken hängen und deren Henkel über den Kopf laufen. Sie sind im Durchschnitt eher kleiner als Europäer, in den Städten sieht man aber durchaus groß gewachsene Leute, so dass ich glaube, dass die Kleinwüchsigkeit ernährungsbedingt ist. Sie sind sehr dunkelhäutig, haben schwarzes Kraushaar, die Männer meist wilde Bärte. Häufig sieht man ihre Gesichter mit Farben bemalt, das sind
Clan/Stammesabzeichen. Doch auch noch sehr traditionell gekleidete Menschen mit Bast/Grasröcken und wilden Perücken laufen einem über den Weg.

Warum bin ich hier? – Gute Frage! In dieser Gegend ist die medizinische Versorgung minimal seit Jahren, die Regierung hat es nicht geschafft für die etwa 300.000 Menschen der näheren und weiteren Umgebung dafür zu sorgen. Deswegen gibt es eine hohe Anzahl von septischen / bakteriell bedingten Entzündungen nach Banalverletzungen, viele kindliche Osteomyelitiden und anderes, das mit einem Minimum an medizinischem Einsatz gemildert werden kann. Die meisten Entbindungen finden in den Dörfern statt ohne Hilfe von ausgebildeten Hebammen mit der Konsequenz, dass die Kinder- und Säuglingssterblichkeit sehr hoch ist.

Heute habe ich auf der Wöchnerinnen Station eine Frau kurz untersucht, die ihr 6. Kind im Dorf weit entfernt zur Welt brachte, die Plazenta wurde nicht ausgestoßen, das Kind starb nach 2 Tagen – wie etliche ihrer Kinder vorher. Das ist offensichtlich Alltag und regt niemanden auf. Doch der Hauptgrund … ist die übermäßige Gewalt, familiär, sozial und zwischen den Clans. Konflikte werden grundsätzlich, wie seit Jahrtausenden, gewalttätig gelöst. Wie das aussieht? – Ein Mann ärgert sich über seine Frau, er nimmt sich das sehr große Buschmesser und schlägt nach ihr, ohne Rücksicht wohin. Z. Zt. Habe ich 3 Frauen in Behandlung eine mit komplettem Unterarmbruch offen, eine andere mit offenem Ellenbruch (Parierverletzung!), eine dritte mit nur Weichteilverletzung über der ellenbogengelenknahen Speiche, aber mit Durchtrennung des Speichennervs. Ähnliche Verletzungen bei den Männern, wenn sie Streitigkeiten ausfechten. Heute kamen 10 Verletzte. Ursache: Vor 5 Tagen tötete ein Mann seine 4. neue Frau. Als Rache wurde ihm vom Bruder der Frau das Haus abgefackelt, worauf die Familie einen Kampf anfing, der gestern und heute mit Schrotflinten und Pfeil und Bogen ausgetragen wurde. Ergebnis: 5 Tote bisher, einer mit Pfeil quer durch den Hals, ein anderer mit Schrotkugelverletzung des Kehlkopfes, den ich in Lokalbetäubung versorgen musste, ein weiterer mit abgebrochenem Pfeil in der Maxillarhöhle, ein anderer mit Pfeilresten im Mundboden, Speerwunden, Schrotkugeln (Gott sei Dank, fast nur unter der Haut).

Dann die vielen Panaritien (Fingerabszesse) an Füssen und Händen, Fußsohlen Vereiterungen. An „normaler“ Chirurgie ist eigentlich nichts da. Sexuelle Gewalt ist der Normalfall und nur wenige Menschen haben offensichtlich ein Leidensbedürfnis. Es wird Jans Aufgabe sein, hier zu schulen und auch beim Personal Sensibilität zu schaffen. Dabei sind die Menschen riesig dankbar und eigentlich auch sehr freundlich. Sie schwanken sehr schnell zwischen ruhigem, freundlichem Wesen und dann bösen Ausrastern.

Wir haben etwa 30 Betten zur Verfügung, einen Septischen Bereich für die Versorgung der vielen ambulanten und stationären Patienten mit schönem Op. und Verbandsraum. Dann noch einen Großen Op. den wir für die wenigen sauberen und größeren Eingriffe lassen. Das Instrumentarium ist basal. Trotzdem konnte ich eine inkomplette Unterarmamputation wegen Buschmesserattacke mit dicker intramedullärer K-Draht Stabilisierung und Weichteilversorgung ganz ordentlich versorgen. Die Mitarbeiter – 2 sog. HEO (Health Executive Officers – zwischen Nurse und Doc) und einige Senior Nurses – meinten, früher wäre der Arm amputiert worden.

Die Umgebung zeigt die bewaldeten Berge, morgen häufig im Nebel, mittags mit Wolkenringen und klarem Himmel. Mindestens einmal pro Tag geht etwas oder – wie eben auch – sintflutartig Regen nieder, manchmal mit heftigen Gewittern. Morgens ist es gefühlte unter 10 Grad, mittags wärmer, je nach Sonne. So wie es aussieht, werde ich die Zeit gut verleben können. Das Team ist gut gelaunt, wir kommen gut zurecht. Morgen bekommen wir Verstärkung, eine Ärztin aus UK – Jeannie. Sie wird sich mehr um die Stationen, aber auch um die restlichen Stationen des Hospitals kümmern. Außerdem soll sie mit unserer Hospitalnurse Nadia die umliegenden Health Center besuchen und für bessere Schwangerschaftsvorsorge arbeiten. Wir freuen uns, dass sie kommt.

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