Folsäuremangel

Artikel aktualisiert am 25. November 2023

Folsäuremangel (besser Folatmangel) wirkt sich in der Embryonalentwicklung, aber auch postnatal fatal aus. Zu den Folgen gehören Fehlbildungen und Fehlfunktionen des zentralen Nervensystems und eine mangelhafte Blutbildung.


Allgemeines

Folsäure ist ein Vitamin (früher als Vitamin B9 bezeichnet), welches bei Zellteilungen und Wachstum, und damit besonders bei der fetalen und embryonalen Entwicklung eine ausschlaggebende Rolle spielt. Bei einem Mangel steigt bei der embryonalen Organentwicklung das Risiko vor allem für einen mangelhaften Schluss des Neuralrohrs mit Bildung einer Spina bifida. Dies ist ein Spalt der Wirbelsäule, der sich zum Zeitpunkt der Geburt nicht geschlossen hat; er kommt bei etwa jedem 1000sten Neugeborenen vor. Später kann ein Folatmangel Ursache einer megaloblastären Anämie sowie von Schäden des zentralen und peripheren Nervensystems mit neurologischen, psychischen und psychiatrischen Auswirkungen sein.

Folsäure


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Pathophysiologie

Wenn die intrazellulären Speicher an Folsäure (Folat in Form von Folylpolyglutamat) abfallen, werden die Folsäure-abhängigen Stoffwechselprozesse beeinträchtigt.

  • Zellteilungsvorgänge werden beeinträchtigt, da die dafür notwendige Bildung neuer DNA von Folsäure abhängt. Es steht zu wenig THF (Tetrahydrofolat) zu Verfügung, um ausreichend Nucleobasen (Adenin, Guanin und Thymidin) zu bilden.
  • Stoffwechselprozesse: Die Bildung von Methionin aus Homocystein wird bei einem Folsäuremangel beeinträchtigt; und damit wird auch zu wenig SAM, das ein wichtiger Methylgruppendonator darstellt, gebildet (siehe unter Folsäure). Die SAM-abhängigen Stoffwechselprozesse sind dadurch beeinträchtigt: zu ihnen gehören
    • die Bildung von Adrenalin und Acetylcholin und von Phosphatidylcholin (Lecithin), das als Zellwandbestandteil benötigt wird: erhöhung der Beweglichkeit der Zellmembranen (Membranfluidität).
    • die DNA-Methylierung
    • eine erhöhte Gehirnkonzentrationen der Transmitter Noradrenalin (Norepinephrin) und Serotonin (5-HT) mit günstiger Auswirkung auf psychische Zustände, z. B. auf eine Depression. (1)Cochrane Database Syst Rev. 2016 Oct 10;10(10):CD011286. doi: 10.1002/14651858.CD011286.pub2

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Symptome durch Folsäuremangel

Ein Folsäuremangel führt zu einer Reihe klinischer Zeichen, wie Blutarmut (Anämie) und Durchfälle. Typisch für den Folsäuremangel ist eine Makrozytose der Erythrozyten, wie sie auch bei einem Vitamin-B12-Mangel auftritt. Eine makrozytäre Anämie bei älteren Menschen (>85 Jahre) ist eher mit einer Folsäuremangel und erhöhten Homocystein-Spiegeln im Blut als mit einen Vitamin-B12-Mangel assoziiert (2)Arch Intern Med. 2008 Nov 10;168(20):2238-44.

Folsäuremangel und Demenz

Eine neuere Europäische Studie weist nach, dass Folsäure-Supplementierung die Konversionsrate von milder Encephalopathie zur Demenz verlangsamt. (3)J Nutr Health Aging. 2012 Aug;16(8):687-94  (4)Nutrients. 2022 Feb 28;14(5):1033. DOI: 10.3390/nu14051033

Ältere Menschen, die einen zu hohen Homocysteinwert und damit Zeichen eines Folsäuremangels aufweisen, profitieren von einer Folsäure-Supplementierung bezüglich ihrer Hirnfunktion. (5)Adv Ther. 2020 Oct;37(10):4149-4164. DOI: 10.1007/s12325-020-01474-z Allerdings sprechen nicht alle Patienten mit Hyperhomocysteinämie auf eine Supplementierung an. In einer Studie hatten nach 3 Monaten über 40% der Probanden den Normalbereich von 5-15 μmol/l nicht erreicht. (6)J Am Coll Nutr. 2017 Sep-Oct;36(7):528-532. DOI: 10.1080/07315724.2017.1330162

Auch die kognitive Funktion von Alzheimer-Patienten unter Cholinesterase-Inhibitoren wird durch Folsäuresupplementierung verbessert. (7)Cochrane Database Syst Rev. 2008 Oct 8;(4):CD004514

Folsäuremangel in der Schwangerschaft

Fehlbildungen am Neuralrohr: Folsäuremangel beim heranwachsenden Foeten erhöht das Risiko eines mangelnden Neuralrohrschlusses; es entwickelt sich gehäuft eine Spina bifida (offener Rückenmarkskanal). Dieser bekannte Zusammenhang wurde im Rahmen von nationalen Folsäure-Supplementierungsprogrammen mehrfach bestätigt. In Saudi-Arabien beispielsweise sank die Inzidenz von Neuralrohrdefekten von 1.9/1000 Geburten (1997-2000) auf 0.76/1000 Geburten (2001-2005) (8)Saudi Med J. 2007 Aug;28(8):1227-9. In Peru sank das relative Risiko von 1,02 auf 0,77 (9)Rev Panam Salud Publica. 2012 Dec;32(6):391-8.

Autismus

In der prospektiven Norwegischen „Mother and Child Cohort Study“ (MoBa) wurde festgestellt, dass eine Folsäure-Supplementierung der Mutter der Entwicklung von Autismus beim Kind vorbeugt (10)JAMA. 2013 Feb 13;309(6):570-7. doi: 10.1001/jama.2012.155925.. In der untersuchten Kohorte von 85176 Kindern hatten 0,21% der Kinder von Müttern ohne Folsäure-Supplementierung nahe dem Zeitpunkt der Konzeption Zeichen eines Autismus, wohingegen eine Folsäure-Supplementierung das Risikos auf 0,10% senkte.

In Deutschland scheiterte bisher (Stand 2022) die Einführung einer Folsäuresupplementierung der Bevölkerung, wie sie in anderen Ländern bereits eingeführt ist (z. B. über angereicherte Getreideprodukte).

Verzögerung der Sprachentwicklung kleiner Kinder

Eine Folsäuresupplementierung der werdenden Mütter in der frühen Schwangerschaft führte in einer norwegischen Studie zu einer deutlichen Abnahme des Risikos schwerer Sprachverzögerungen der Kinder im Alter von 3 Jahren. (11)JAMA. 2011 Oct 12;306(14):1566-73. doi: 10.1001/jama.2011.1433

Ursachen von Folsäuremangel

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Diagnostik

Ein Mangel an Folsäure im Körper lässt sich an einer Senkung ihrer Konzentration im Serum erkennen.

Normbereich:

  • Werte unter 7 nmol/l (3 µg/l) gelten als manifester und unter 10 nmol/L (4,4 µg/l) als subklinischer Mangel.
  • Eine genauere Analyse zum Nachweis eines für die fötale Entwicklung relevanten Folsäurespiegels gelingt durch Folat-Messung in roten Blutkörperchen; ein optimaler Spiegel in Erythrozyten liegt > 906 nmol/l (12) 2017 Oct 20:1-8. doi: 10.1093/pubmed/fdx137..

Da alle sich schnell teilenden Zellen viel Folat benötigen, machen sich Mangelzustände häufig zuerst bei der Bildung roter Blutkörperchen (Erythropoese, Nachbildung roter Blutkörperchen) und an der Darmschleimhaut (Nachbildung abschilfernder Enterozyten) bemerkbar.

  • Die Erythrozyten werden im Knochenmark zu gering nachgebildet, wobei die Hämoglobinsynthese nicht entsprechend eingeschränkt ist. Damit entstehen im peripheren Blut zu stark gefärbte (hyperchrome), zu große (makrozytäre) und zu wenige rote Blutkörperchen: Es entwickelt sich eine hyperchrome makrozytäre Anämie.
  • Die Darmmukosa kann so in Mitleidenschaft gezogen sein, dass Durchfälle entstehen.

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Vorbeugung und Therapie

Die empfohlene Tagesdosis beträgt etwa 300 bis 400 µg pro Tag. Durch gesunde Ernährung mit Obst, Gemüse, Vollkornbrot und Milchprodukten nimmt der Körper ohne Supplementierung (Zusatz) genügend Folsäure auf. Kochen und Garen reduziert den Folatgehalt.

Folsäure zur Schlaganfallvorbeugung

Folsäure senkt die Homocysteinkonzentration im Blut (s. o.). Viele Studien deuten darauf hin, dass damit auch die Neigung zur Gerinnselbildung an Prädilektionsstellen bei einer kardiovaskulären Krankheit (z. B. Herzkranzgefäßverkalkung, Verkalkung der Halsschlagadern) gesenkt wird. Dies macht sich statistisch deutlich bemerkbar. Metaanalysen zeigen, dass unter Folsäuresubstitution das Risiko eines Schlaganfalls sinkt, in einer Analyse um 18% (13) 2007 Jun 2;369(9576):1876-82.. Der Effekt war besonders ausgeprägt, wenn der Homocysteinspiegel um über 25% gesenkt werden konnte, oder wenn die tägliche Zufuhr von Folat unter 2 mg/Tag lag (14) 2017 Oct;354(4):379-387. doi: 10.1016/j.amjms.2017.05.020.. Eine chinesische Studie besagt, dass eine Supplementierung bezüglich der Senkung des Schlaganfallrisikos bei Hypertonie kosteneffektiv ist. (15)BMC Med. 2022 Oct 25;20(1):407. DOI: 10.1186/s12916-022-02601-z

Folsäure in der Schwangerschaft:

In der Schwangerschaft besteht ein erhöhter Folsäurebedarf. Ein Mangel fördert einen Neuralrohrdefekt (Fehlbildung des Rückenmarks); eine Substitution senkt das Risiko (16) 2015 Dec 14;(12):CD007950. doi: 10.1002/14651858.CD007950.pub3.. Folsäure in der Nahrung reicht zur Vorbeugung eines oft latenten Mangels (s. o.) nicht aus. Zur Vorbeugung eines Neuralrohrdefektes sollte eine Substitution am besten bereits bei Planung einer Schwangerschaft (vor der Konzeption) erfolgen; empfohlen werden 400 µg pro Tag (17)Dtsch Arztebl 2013; 110(13): A-612 / B-544 / C-544 (18)http://www.bfr.bund.de/cm/350/jod-folat-folsaeure-und-schwangerschaft.pdf.

  • Folsäuresubstitution bereits bei der Familienplanung beginnen: In einer Studie konnte gezeigt werden, dass der optimale Folatspiegel in Erythrozyten (über 906 nmol/l) bei etwa 80% der Frauen erreicht werden konnte, die 4-8 Wochen vor der letzten Regelblutung mit der Substitution begonnen hatten. Bei denjenigen, die erst 4-8 Wochen danach anfingen, Folat (400 μg) einzunehmen, wurde nur in etwa 54% der erwünschte Spiegel erreicht (19) 2017 Oct 20:1-8. doi: 10.1093/pubmed/fdx137..
  • Dosis 800 µg/Tag: Eine multizentrische Studie (Deutschland, Österreich, England) stellt fest, dass die Mehrzahl der untersuchten nicht schwangeren Frauen (88%) einen für eine Neuralrohrprophylaxe zu niedrigen Folsäurespiegel in roten Blutkörperchen (ein optimaler Spiegel liegt > 906 nmol/l) aufwies; 6.1% hatten einen ausgeprägten Mangel (Folat in Erythrozyten <340 nmol/L). Dieser Mangel ließ sich durch eine Folat-Supplementierung von 400 µg/Tag innerhalb von 4 oder 8 Wochen nicht genügend anheben. Mit einer täglichen Dosis von 800 µg/Tag erreichten signifikant mehr Frauen den gewünschten Spiegel nach 4 Wochen  (45.5 vs. 31.3%) oder 8 Wochen (83.8 vs. 54.5%)  (20)Eur J Nutr. 2017 Apr 26. doi: 10.1007/s00394-017-1461-8..
  • Kein erhöhtes Autismusrisiko: Es wurde gelegentlich behauptet, dass Folat in der Schwangerschaft das Risiko für Autismus erhöht. Dies konnte in einer Metaanalyse von Studien nicht gesichert werden (21) 2016 Sep;19(7):310-7. doi: 10.1179/1476830514Y.0000000142.. In einer weiteren Untersuchung wurde eher ein positiver Effekt bezüglich Vermeidung eines Autismus gefunden (22) 2016 Nov 22;11(11):e0165626. doi: 10.1371/journal.pone.0165626.
  • Bei Frauen mit Epilepsie unter Antiepileptika senkte Folsäure laut einer großen skandinavischen Studie das Risiko für Frühgeburten. (23)Neurology. 2022 Aug 9;99(6):e605-e615. DOI: 10.1212/WNL.0000000000200669.

Verweise

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Literatur

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